Inhaltsverzeichnis

Zum Buch

 

Seit dem Mittelalter kämpften die Münchner Brauer damit, dass sie es mit einem leicht verderblichen, schlecht zu lagernden Lebensmittel zu tun hatten. Daher schrieb das Reinheitsgebot von 1516 u. a. vor, dass das Brauen nur noch vom 29. September bis zum 23. April erlaubt sei. Nun musste Bier auf Vorrat gebraut und eingelagert werden, damit die Stadtbevölkerung auch im Sommer ein »pfennigvergeltliches« Bier bekam – eine große Herausforderung für die Brauer! So begann ein fast vergessenes Kapitel der Münchner Geschichte: der Bau der Sommerbier-Lagerkeller an den Isar-Hochufern. Dieses Buch holt eine spannende Episode der Biergeschichte aus dem »Untergrund« und bringt die wenigen bis heute sichtbaren Spuren ans Licht.

 

 

 

Zu den Autoren

 

Astrid Assél, geb. 1964, und Dr. Christian Huber, geb. 1968, hat München seit dem Studium nicht mehr losgelassen. Ihre Leidenschaft für Bier und Brauer der Stadt schlägt sich seit 2009 in diversen Publikationen nieder. Außerdem leiten sie zusammen das Unternehmen Münchner Bierbeschau und bieten unter diesem Motto historische Biertouren an.

ASTRID ASSÉL / CHRISTIAN HUBER

Münchens vergessene Kellerstadt
Biergeschichten aus dem Untergrund

VERLAG FRIEDRICH PUSTET

REGENSBURG

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

 

eISBN 978-3-7917-6086-5 (epub)

© 2016 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg

Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg

 

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:

ISBN 978-3-7917-2789-9

 

Weitere Publikationen aus unserem Programm finden Sie auf www.verlag-pustet.de

Informationen und Bestellungen unter verlag@pustet.de

»MÜNCHEN WILL GAR NICHT ERÖRTERT, MÜNCHEN WILL GELEBT UND GELIEBT SEIN.« Wer möchte Ernst Heimeran (1902–1955), dem dieses so urmünchnerisch klingende Leitmotiv zugeschrieben wird, ernsthaft widersprechen? Doch vielleicht wird man ihn ergänzen dürfen, ihn, den großen Verleger und Autor, der in Schwabing das Gymnasium besuchte und wie viele als „Zuagroaster“ in München Wurzeln schlug: Die Liebe zur ersten oder zweiten Heimat schließt die Kenntnis über sie nicht aus – und umgekehrt.

Die Geschichte einer Stadt ist ebenso unerschöpflich wie die Geschichten, die in ihr spielen. Ihre Gesamtheit macht sie unverwechselbar. Ob dramatische Ereignisse und soziale Konflikte, hohe Kunst oder niederer Alltag, Steingewordenes oder Grüngebliebenes: Stadtgeschichte ist totale Geschichte im regionalen Rahmen – zu der auch das Umland gehört, von dem die Stadt lebt und das von ihr geprägt wird.

München ist vergleichsweise jung, doch die über 850 Jahre Vergangenheit haben nicht nur vor Ort, sondern auch in den Bibliotheken Spuren hinterlassen: Regalmeter über Regalmeter füllen die Erkenntnisse der Spezialisten. Diese dem interessierten Laien im Großraum München fachkundig und gut lesbar zu erschließen, ist das Anliegen der Kleinen Münchner Geschichten – wobei klein weniger kurz als kurzweilig meint.

So reichen dann auch 140 Seiten, zwei Nachmittage im Park oder Café, ein paar S- oder U-Bahnfahrten für jedes Thema. Nach und nach wird die Reihe die bekannteren Geschichten neu beleuchten und die unbekannteren dem Vergessen entreißen. Sie wird die schönen Seiten der schönsten Millionenstadt Deutschlands ebenso herausstellen wie manch hässliche nicht verschweigen. Auch Großstadt kann Heimat sein – gerade wenn man ihre Geschichte(n) kennt.

 

 

DR. THOMAS GÖTZ, Herausgeber der Buchreihe, lehrt Neuere/Neueste Geschichte an der Universität Regensburg und forscht zu Stadt und Bürgertum in der Neuzeit.

Einleitung

Am 17. Januar 2014 entging ein argloser Spaziergänger im Münchner Stadtteil Haidhausen nur knapp einer Katastrophe. Der 62-jährige Mann war mit seiner Familie nach einem Abendessen im Hofbräukeller am Wiener Platz auf dem Heimweg. Er ging die Innere Wiener Straße in Richtung Tram-Haltestelle Gasteig entlang. Nach etwa 300 m brach plötzlich der Boden unter ihm weg. Um ein Haar wäre er gut 6 m in die Tiefe gestürzt.

Grund dafür war ein 70 mal 90 cm breiter, aus Ziegeln gemauerter Schacht, der kerzengerade in den Boden führte und dort blind endete. Keinerlei Zu- oder Abführungen waren zu erkennen. Nachdem unser Spaziergänger wie durch ein Wunder vor einem tiefen Sturz bewahrt worden und mit kleinen Blessuren davon gekommen war, begann das Rätselraten um den Sinn und Zweck dieses Schachtes. Erst in den Folgetagen fand sich eine Erklärung: „Das war früher alles Brauereigelände, fast die ganze Innere Wiener Straße ist unterkellert“, erzählte Friedrich Steinberg, der Pächter des nahegelegenen Hofbräukellers. Die hinzugezogenen Sachverständigen des Baureferates und der Lokalbaukommission der Stadt München vermuteten schließlich, dass es sich um einen alten Belüftungsschacht handelte.

Assel_Abb

Abb. 1:
Innere Wiener Straße: Einsturzstelle im Gehsteig

Dieses Erlebnis des Spaziergängers in Haidhausen erinnerte uns an ein bereits längst in Vergessenheit geratenes Kapitel der Münchner Stadtgeschichte. Die Bierkeller, die einst nahezu den gesamten Gasteig durchzogen, waren früher unverzichtbar für die Kühlung des Sommerbieres der Münchner Brauereien.

Auf den folgenden Seiten wollen wir diese spannende Episode der „Hauptstadt des Bieres“ noch einmal aufrollen und die wenigen bis heute sichtbaren Spuren dieser Braugeschichte in München ans Licht bringen.

Die ersten Münchner Bierkeller

Nicht nur Münchner kennen und lieben sie, die Traditionsgaststätten „Löwenbräukeller“, „Augustinerkeller“, „Hofbräukeller“ und „Salvatorkeller“. Bayrische Schmankerl, gemütliche Gaststuben und Münchner Lebensart – alles findet sich geradezu bilderbuchmäßig hier vereint.

Wieso aber eigentlich „Keller“? In diesen Wirtshäusern sitzt man entweder im Sommer unter schattigen Kastanien im Biergarten, erfreut sich an einem Bier in der Schwemme oder genießt im prächtigen Festsaal traditionell-bayerische Höhepunkte wie den Starkbieranstich. Auf den ersten Blick also von Kellern weit und breit keine Spur.

Die Namen leiten sich von den früheren Lagerkellern der Brauereien für ihr Sommerbier ab. Erst viel später entstanden dort auch Gaststätten, die nach den Kellern benannt wurden. Die Entwicklung dieser Bierkeller ist untrennbar mit der speziellen Geschichte des Brauens in München verbunden.

Münchens Bier und seine Brauer

Bis zum Bau der ersten Bierkeller in München hatte das Brauwesen bereits eine lange Vorgeschichte durchlaufen. Schon zu Zeiten der Sumerer und der alten Ägypter war die Herstellung von Getränken aus vergorenem Brotteig bekannt. Im Römischen Imperium gab es die „Cervisia“, die nach Ceres, der Göttin der Feldfrüchte, benannt war. In Germanien hat sich das Bierbrauen ungefähr 1500 Jahre vor Christus entwickelt. Die Germanen hatten damals schon erkannt, dass es ausreichte, das gekeimte und anschließend getrocknete Getreide anstatt eines Brotteiges vergären zu lassen. Auch die Technik des Biersiedens scheint ihnen schon bekannt gewesen zu sein.

Nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches gelangte das Wissen über die Kunst des Bierbrauens von Germanien nach Bayern und wurde dort bis ins Hochmittelalter weiterentwickelt. In diese Zeit fällt die Stadtgründung Münchens im Jahr 1158. Auch wenn schriftliche Quellen aus jener Phase fehlen, können wir ein allgemeines, also für jedermann geltendes Hausbraurecht annehmen. Das Bierbrauen war Teil der Hausfrauenarbeit, genauso wie das Brotbacken. Selbst Kinder tranken damals schon Bier, das allerdings im Vergleich zu heute deutlich alkoholärmer war. Vor allem war es durch den Brauvorgang, also das Sieden und anschließende Vergären, wesentlich weniger mit Keimen belastet als das Trinkwasser im damaligen München. Die Ära des Hausbrauens währte allerdings nicht allzu lange. Spätestens Ende des 13. Jahrhunderts wurde das Braurecht von Herzog Ludwig II. „dem Strengen“ nur noch als Lehen exklusiv an eine kleine Schicht vermögender Patrizier vergeben. Diese waren im „Bräuamt“ (officium praxationis) zusammengeschlossen.

Bräuamt

Das officium praxationis war die Standesvertretung der mittelalterlichen Brauer in München. Im Gegensatz zu den übrigen Handwerkern waren die Bierproduzenten im Mittelalter also nicht als Zunft (diese Bezeichnung taucht erst im 17. Jahrhundert auf) organisiert, sondern in der Form des Bräuamtes direkt dem Herzog Rechenschaft schuldig. Sie wurden durch gewählte „Vierer“ nach außen gegenüber Stadtrat und Herzog vertreten. Als Gegenleistung für die Belehnung mit dem Braurecht war das Bräuamt als Gesamtorganisation verpflichtet, dem Herzog jährlich eine Abgabe in Höhe von 50 Pfund Münchner Pfennige zu leisten. Dieser Einnahmeposten wurde erstmals 1280 im sog. Urbar, einem Verzeichnis der Besitzrechte des Herzogs und der ihm geschuldeten Leistungen seiner Untertanen, aufgeführt. Hinzu kamen noch Wachslieferungen für das Fest Mariä Reinigung sowie Abgaben an den Viztum und den Stadtrichter. Außerdem musste das Bräuamt jährlich 32,5 Scheffel (7221,5 Liter) Malz an den Hof abführen.

Die 21 Stadtadeligen, die sich zu ihren sonstigen Privilegien nun also auch das Recht des Brauens gesichert hatten, ließen das Bier in mehreren Bräustadeln von angestellten „Prewmaistern“ brauen. Hauptberuflich gingen die mit dem Braurecht belehnten Bürger aber anderen Geschäften nach; die meisten dieser Patrizier waren Händler und Kaufleute.

Der Bierpreis („Biersatz“) wurde von der Obrigkeit verbindlich festgesetzt. In der nachfolgenden Zeit stiegen aber die Preise für die Rohstoffe, wie zum Beispiel die Braugerste, wegen Missernten drastisch an, ohne dass der Bierpreis erhöht wurde. Dadurch versprach das Brauen bald keine ausreichenden Gewinne mehr. Nach und nach wurden deshalb die Braustätten von den Patriziern wieder stillgelegt und die Abgaben ans Bräuamt eingestellt. Damit brachen auch die Einnahmen des Herzogs weg. Die Bevölkerung Münchens hatte sich parallel hierzu innerhalb von nur 75 Jahren auf 10 000 Einwohner verdoppelt. Um den damit stetig steigenden Bierbedarf zu decken, begannen die Münchner – nun allerdings illegal – erneut, selbst daheim zu brauen.

Diese frühe Krise im Brauwesen veranlasste Herzog Stephan II. „mit der Hafte“ zu einer grundlegenden Braureform. Zusammen mit seinen Söhnen Friedrich, Johann und Stephan erließ er 1372 eine neue Brauverfassung, nach der fortan unverändert über mehr als vier Jahrhunderte gebraut werden sollte. „Jeder, den es gelüstet“, durfte von nun an Bier brauen. Allerdings war die Berechtigung hierzu weiterhin von der Belehnung durch den Herzog abhängig, die sich dieser gut bezahlen ließ. Für die Verleihung des Braurechts selbst waren fünf Gulden an ihn sowie ein weiterer Gulden an den Viztum zu entrichten. Diesem Kanzler, der den Landesherrn in München als Statthalter vertrat, unterstand auch das Brauwesen. Das Braulehen konnte dabei weder vererbt noch veräußert werden, das heißt: Die Nachfolger eines Brauberechtigten mussten es immer wieder neu beantragen – und bezahlen. Außerdem war das Bräuamt weiterhin verpflichtet, jährlich die bereits früher vereinbarte Abgabe von 50 Pfund Pfennigen an den Herzog zu entrichten, von nun an unabhängig von der Zahl der tatsächlich brauenden Betriebe.

Diese dauerhafte Festschreibung der Abgabe war kein freundliches Entgegenkommen des Herzogs in dem Sinne, dass er sich bei einer Vermehrung der Braustätten mit einer dennoch gleichbleibenden Summe begnügen würde. Vielmehr baute er damit dem Umstand vor, dass im Falle eines erneuten Rückgangs der aktiven Brauereien weiterhin eine konstante Einnahme für den Hof erhalten bliebe. Denn anfangs lief das neue Brauwesen nur schleppend an. Die Brauer, die im Gegensatz zu den früheren angestellten „Prewmaistern“ jetzt „Prewen“ genannt wurden, waren anfangs Quereinsteiger. Sie hatten zuvor gänzlich andere Berufe wie zum Beispiel das Schneiderhandwerk ausgeübt und wollten ihr Glück nun einmal mit dem Brauen versuchen. Parallel aber bildete sich eine Aufsteigerschicht heraus: Ehemalige Bräuknechte dienten sich zunächst zu „Zuschenken“ hoch, die das Bier in der Gaststätte eines Brauers ausschenkten. Anschließend übernahmen sie dann eine eigene Brauerei.

Nur wenige Neugründungen sind in dieser Frühzeit dokumentiert; zu ihnen zählt der 1397 gegründete Spatenbräu. Aber auch diese Gründung fand erst 25 Jahre nach der Braureform statt. Es kam eben anfänglich keineswegs zu einem „Run“ auf das Braugewerbe. Im Jahr 1400 gab es nur elf, 50 Jahre später gerade einmal 16 Brauereien. Die ersten Prewen arbeiteten unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen. Oft musste der Braubetrieb zeitweilig wieder eingestellt werden, weil auf Grund von Missernten nicht genug Getreide für das Brauen zur Verfügung stand. In solchen Zeiten nutzten die Brauer das mit dem Braurecht verbundene Bewirtungs- und Beherbergungsrecht und führten die Brauereien als Gaststätte weiter.

Das Braurecht war schon seit der Zeit des Patrizierbrauens auf dem jeweiligen Grundstück radiziert, also dort verwurzelt, wo es ausgeübt wurde (lat. radix = Wurzel). Eine willkürliche Vermehrung von Braustätten war dadurch nicht möglich. Nur wer das Lehen erhalten hatte und den Besitz einer Braustätte nachweisen konnte, durfte das Brauhandwerk ausüben. Starb ein Prew, so konnte die Witwe oder Tochter die Brauerei aber dann auch an andere Brauer verpachten.

In der Anfangsphase der Münchner Braugeschichte muss die Qualität des Bieres katastrophal gewesen sein. Das Hauptproblem für die Brauer war die geringe Haltbarkeit von Bier, weshalb dem Sud bereits von vornherein alle möglichen Dinge beigemischt wurden – von aromatischen Kräutern über unappetitliche Zutaten wie Ochsengalle, Pech und Asche bis hin zu hochtoxischen Halluzinogenen wie Tollkirsche und Bilsenkraut.

Bilsenkraut

Die Samen des schwarzen Bilsenkrautes (Hyoscyamus niger), auch „Hexenkraut“ genannt, sind hochgiftig. Sie enthalten Alkaloide wie Atropin und Scopolamin, die zu Atemlähmung führen können. Im Mittelalter war die Pflanze jedoch wegen ihrer halluzinogenen Wirkung geschätzt und wurde zur Verstärkung der Rauschwirkung beim Biersieden benutzt. Da die berauschende und die toxische Dosis sehr nahe beieinander liegen, kam es durch die Verwendung der Samen immer wieder zu Todesfällen nach Bierkonsum.

Die Herzöge waren deshalb bemüht, durch diverse Verordnungen die Qualität des Bieres zu verbessern. Davon ist das 1487 von Herzog Albrecht IV. „dem Weisen“ erlassene „Münchner Reinheitsgebot“ sicherlich das bekannteste und darf den Titel des ältesten, weil bis heute gültigen Verbraucherschutzgesetztes der Welt für sich in Anspruch nehmen. Es schrieb den ausschließlichen Gebrauch von Gerste, Hopfen und Wasser zum Brauen vor: Bier soll „… auch aus nichts anderem, denn hopfen gersten und wasser gesotten werden und nicht vorher ausgeschenkt werden, bevor es geschaut und gesetzt ist.“

Die hierin nicht erwähnte Hefe (das „Bierzeug“), die für die Gärung zuständig ist, wurde nicht als Zutat angesehen, da sie nach dem Sud immer wieder weiter verwendet werden konnte. Das Reinheitsgebot hatte zunächst nur in der Stadt München Gültigkeit, erst nach der Wiedervereinigung Bayerns wurde es 1516 auf dem Landtag in Ingolstadt auf das gesamte Herzogtum übertragen. Seit 1919 galt es auch im Rest von Deutschland. Bayern hatte sich die Übernahme des Reinheitsgebotes ins Reichsbiersteuergesetz als eine Voraussetzung zum Beitritt zur Weimarer Republik ausbedungen.

Im sog. „langen“ 16. Jahrhundert wuchs München auf 20 000 Einwohner an. Dieser rasche Bevölkerungszuwachs bedingte eine immer weiter steigende Nachfrage nach Bier, die wiederum eine flexible Auslegung des Grundsatzes erforderte, dass eigentlich nur in den von alters her belehnten Brauereien Bier erzeugt werden durfte. Da der Ausstoß pro Brauerei mit den damaligen technischen Möglichkeiten kaum gesteigert werden konnte, musste zur Deckung des Bedarfs die Zahl der Betriebe erhöht werden. Nun setzte ein wahrer Gründungsboom ein. Durch die Zulassung immer weiterer Brauereien wurde schließlich im Jahr 1600 die höchste Zahl an Braustätten erreicht, die München jemals hatte: Insgesamt 80 Betriebe, darunter die Klosterbrauereien der Franziskaner, Klarissen, Karmeliter, Jesuiten und Augustiner sowie das Heilig-Geist-Spital und das Hofbräuhaus versorgten die Einwohner mit Bier. Auf je 250 Einwohner kam also eine Brauerei.

Der zunehmende Bierkonsum ließ nun die Anforderungen an die Qualität sowohl des Produkts als auch der Produzenten steigen. Erst jetzt wurde für die zukünftigen Brauer eine dreijährige Lehre vorgeschrieben, später auch eine zusätzliche Wanderschaft. Damit war die Aufnahme des Brauhandwerks für Ungelernte nicht mehr möglich. Langsam, aber stetig verbesserte sich die Qualität des Bieres, wobei das Reinheitsgebot zusätzlich schon damals für eine Sonderstellung des Münchner Bieres und eine Art frühzeitige Markenbildung sorgte.

Neben dem normalen „Braunbier“, das von den Münchner Brauereien erzeugt wurde, gab es zwei Spezialbiere, die nur im Auftrag der Wittelsbacher Landesherren gebraut werden durften. Einerseits das „Ainpöckisch Bier“, von den Münchnern kurz „Bockbier“ genannt, das saisonal im Frühjahr mit höherem Stammwürze- und Alkoholgehalt gebraut wurde. Daneben das ganzjährig vom Hofbräu produzierte Weißbier, das seit 1602 unter dem späteren Kurfürsten Maximilian I. im Gegensatz zum Braunbier obergärig aus Weizen hergestellt wurde. Die Produktion dieser beiden Biersorten war bis ins 19. Jahrhundert ein ausdrückliches Privileg des Hofes. Vor allem das Weißbiermonopol stellte für die bürgerlichen Brauer eine deutlich spürbare Konkurrenz dar, weil alle Brauer und Gastwirte per Gesetz verpflichtet waren, neben ihrem eigenen Bier auch das Weißbier des Kurfürsten auszuschenken. Andererseits aber legten die Staatsbetriebe einen Qualitätsmaßstab vor, an dem sich die übrigen bürgerlichen Brauereien wohl oder übel messen lassen mussten. Dadurch erfuhr das Münchner Bier einen weiteren Aufschwung bezüglich Güte und Anerkennung im ganzen Deutschen Reich.

Mit dem Dreißigjährigen Krieg kam ein herber Einschnitt für die Stadt, das umliegende Land und auch für das gerade aufblühende Münchner Brauwesen. Die Stadt wurde mehrfach durch die Unterbringung von Truppen belastet, wobei sich freundliche und feindliche Soldaten in punkto Schäden in nichts nachstanden. Die vollständige Zerstörung Münchens durch die Schweden konnte zwar abgewendet werden, die stattdessen zu begleichenden hohen Lösegeldzahlungen aber führten zu einem wirtschaftlichen Niedergang. Schließlich wütete über ein halbes Jahr lang auch noch die Pest in München. Die Bevölkerung sowie die Zahl der Brauer waren am Ende des Krieges etwa um ein Drittel zurückgegangen. Nur sehr langsam erholte sich die Stadt nach dem Krieg, die Bevölkerung wuchs dann wieder und mit ihr die Nachfrage nach Bier. Im Gegensatz zum Mittelalter konnte diese aber nun nicht mehr durch eine Ausweitung der verbliebenen 54 Brauereien gedeckt werden. Die starre behördliche Reglementierung des Alltags in der Barockzeit zog sich nämlich wieder ganz auf den ursprünglichen Gedanken des radizierten Braugewerbes zurück, so dass die Anzahl der Braubetriebe jetzt als für „alle Zeit unveränderlich“ festgeschrieben wurde.

Dem Anstieg des Bierbedarfs konnte daher nur durch einen erhöhten Ausstoß der einzelnen Brauereien begegnet werden. Hier trennte sich bei den Prewen bereits früh die Spreu vom Weizen: Einige wenige tatkräftige Brauer begannen, innerhalb der starren Grenzen, die ihnen die behördlichen Vorschriften hinsichtlich Gesellenzahl, Größe der Sudpfanne, maximale Malzmenge etc. auferlegten, ihre Betriebe auszubauen. Sie schafften langfristig den Sprung vom kleinen Handwerksbetrieb zur Großbrauerei, während die Großzahl der Brauereien im mittelalterlichen Trott verhaftet blieb.

Das Sommersudverbot

Die Münchner Brauereien hatten seit den Anfängen des Brauens stets mit einem großen Problem zu kämpfen: Bier verdarb sehr schnell, vor allem im Sommer bei höheren Temperaturen. Um diesem Problem zu begegnen, setzte sich in München Ende des 15. Jahrhunderts die untergärige Brauweise weitgehend durch. Dieses Verfahren stammte ursprünglich aus der Oberpfalz und sickerte ab 1485 nach Bayern ein.

Hefe

Brauhefe, Saccharomyces cerevisiae, ist ein einzelliger Pilz, der sich durch Sprossung (Teilung) vermehrt. Schon immer wussten Brauer und Bäcker zwei Arten der Hefe zu unterscheiden, nämlich ober- und untergärige Hefe. Obergärige Hefe bildet bei der Teilung feste Verbände aus Mutter- und Tochterzellen, unter denen sich kleine Gasbläschen beim Gären ansammeln. Dadurch steigt sie beim Brauvorgang an die Oberfläche. Sie kann höhere Temperaturen vertragen und findet deshalb auch vorzugsweise Verwendung beim Backen (Temperaturanstieg bei der Teiggärung). Bei untergäriger Hefe, dem „Unterzeug“, trennen sich die Zellen hingegen nach der Teilung und sinken innerhalb von fünf bis sechs Tagen auf den Boden des Gärbottichs. Dieses Absacken der Hefe wird auch als „Bruchbildung“ bezeichnet. Gleichzeitig zeigt es den Zeitpunkt an, das Jungbier zur Nachgärung in die Lagerfässer zu füllen. Für untergärige Hefen sind niedrige Temperaturen von maximal 9° C zur Gärung notwendig.

Die untergärige Hefe galt früher in weiten Teilen Deutschlands als nicht geeignet für das Brauen, da man sie als unrein und trübbildend ansah. Man war sogar vielerorts der festen Überzeugung, dass untergärig hergestelltes Bier die Gesundheit schädigen würde. Außerhalb Bayerns blieb deshalb die obergärige Brauweise mindestens bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die weiter verbreitete Methode.