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Ehedem Stillgebet des Priesters, wurde das Gabengebet durch die Liturgiereform zu einem deutlich vernehmbaren Präsidialgebet aufgewertet. Der Vorsteher der Eucharistiefeier bittet Gott in immer neuen Varianten um Annahme der Gaben und um zeitliche und ewige Güter für die Mitfeiernden – mit Worten, die jahrhundertelang die Liturgie geprägt haben. Die Auslegung der alten Texte zeigt jedoch auch, dass (vorchristliche) Opferterminologie und heutiges Eucharistieverständnis nicht immer vollständig in Einklang zu bringen sind.

Der Autor analysiert die Gebete und bietet eine eigene Übersetzung, die sich eng an die lateinische Vorlage hält. „In ihrer prägnanten Kürze widerstehen die Orationen der wolkigen Polylogie, die in religiösen Dingen nicht ganz unüblich ist“ (Alex Stock).

 

 

 

Zum Autor

 

Alex Stock,
Dr. theol., geb. 1937, ist Professor em. für Theologie und ihre Didaktik an der Universität zu Köln.

 

 

 

 

 

Orationen

 

 

Die Gabengebete im Jahreskreis

 

 

 

 

neu übersetzt und erklärt von Alex Stock

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag Friedrich Pustet

Regensburg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

eISBN 978-3-7917-6093-3 (epub)

© 2016 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg

Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg

 

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:

ISBN 978-3-7917-2826-1

 

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Einleitung

Dass ein Gottesdienst mit einem Gebet beginnt und auch endet, dass zur Messe also ein Tagesgebet zum Eingang und ein Schlussgebet nach der Kommunion gehören, leuchtet ein. Derselbe Typus dieser kleinen Orationen taucht aber auch in der Mitte der Messe auf, in dem, was man Gabengebet oder Oratio super oblata nennt.

Der Oratio super oblata, die, wie die anderen Orationen, zu den Eigentexten eines jeden Tages gehört, wird ein allgemeines, gleichbleibendes Gabengebet vorausgeschickt, das im Lateinischen eingeleitet wird mit der Aufforderung des Priesters: „Orate, fratres: ut meum ac vestrum sacrificium acceptabile fiat apud Deum Patrem omnipotentem“, worauf das Volk antworten soll mit dem in vorkonziliaren Zeiten von den Ministranten als sprachliche Halsbrecherei gefürchteten Suscipiat: „Suscipiat Dominus sacrificium de manibus tuis ad laudem et gloriam nominis sui, ad utilitatem quoque nostram totiusque Ecclesiae suae sanctae.“ – „Betet, Brüder und Schwestern, dass mein und euer Opfer Gott, dem allmächtigen Vater, gefalle.“ – „Der Herr nehme das Opfer an aus deinen Händen zum Lob und Ruhm seines Namens, zum Segen für uns und seine ganze heilige Kirche.“1

Das könnte, wenn man von der Wendung „ganze heilige Kirche“ absieht, ein Gebet sein, das auch ein heidnischer sacerdos über Opfergaben sprechen kann. Der lateinische Text enthält eine Kategorie, die im altrömischen Sakralrecht eine wichtige Rolle spielt: acceptabile, dass das Opfer (sacrificium) annehmbar sei, dass die Gottheit es annehme (suscipiat). Die Sorge um die Annahme des Opfers – der sakralrechtliche Terminus lautete litare, litatio – spielte in der römischen Opferpraxis eine zentrale Rolle.2 Für die immerzu auf die signa deorum, ihre numina achtenden Römer war die probatio des Opfertiers, vor allem die Prüfung der Innereien, die Eingeweideschau, aber auch die Deutung anderer Zeichen beim Opfervorgang durch die haruspices unerlässlich; Cäsar brachte, ohne sich um das negative Ergebnis der litatio zu kümmern, vor seiner Ermordung ein inakzeptables Opfer dar, d. h. er hörte nicht auf den Wink der Götter, die ihm auf diesem Wege Unheil ansagten.

Das im römischen Sakralrecht am Tieropfer hängende Interesse an der Akzeptabilität ist hier auf das römisch-katholische Speiseopfer übertragen. Die in der Messe dialogisch inszenierte Bitte um Annahme des Opfers setzt voraus, dass die beigebrachten Gaben von Brot und Wein nicht ohne weiteres als ein annehmbares Opfer zu betrachten sind. Man muss den allmächtigen Gott um Annahme bitten. Aber was ist akzeptabel für ihn?

Allgemein-religionsgeschichtlich ist es eine mit dem Opfer verbundene Not, die Sorge nämlich, dass die Gaben richtig und würdig, rein und angemessen sind, dass sie geeignet sind, ihr Ziel, die Gottheit und ihre Gunst, zu erreichen, dass die Gottheit sie überhaupt annimmt, was die Voraussetzung für die mit den Opfergaben verbundenen Absichten und Wünsche der Menschen ist.

Aber sind das christlich überhaupt noch legitime Gedanken? Ist nicht, wie es vor allem der Hebräerbrief ausführt, der Kreuzestod Jesu als existentielles Opfer das Ende aller rituellen Opfertätigkeit, wie die Menschen sie an Altären und in Tempeln praktizieren? Kann es neben der geistigen Hingabe an Gott, die sich mit der Hingabe Christi am Kreuz verbindet, überhaupt noch rituelle Opfer geben? Hat sich die messianisch neue Anbetung im Geist und in der Wahrheit nicht von allen materiellen Oblationen gelöst? Muss Gottesdienst nicht ausschließlich Eucharistie sein, Danksagung, weil alles, was man ist und hat, Gnade und göttliche Gegebenheit ist?

Wer das Thema „Opfer“ angeht, gerät heutigentags in ein Spannungsfeld, das einem a priori schon eine Position zuzuweisen scheint.3 Die Spätwirkung reformationszeitlicher Anatheme scheint da mitzuspielen. Luther hatte in seiner Schrift De abroganda missa privata geschrieben: „Ihr Pfaffen Baals […], sagt uns: Wo steht geschrieben, dass die Messe ein Opfer ist? Wo hat Christus gelehrt, dass man gesegnet Brot und Wein opfern soll? Hört ihr nicht? Christus hat ein für alle Mal sich selbst geopfert, er wollte nicht noch einmal von andern geopfert werden, sondern wollte, dass das Gedächtnis seines Opfers geschieht. Woher eure Kühnheit, dass ihr aus jenem Gedächtnis ein Opfer macht?“4 Und in den „Schmalkaldischen Artikeln“ von 1537 heißt es entsprechend: „Dieser Artikel von der Messe wird’s ganz und gar sein im Konzil; denn wenn es möglich wäre, dass sie alle andern Artikel nachgeben, so können sie doch diesen Artikel nicht nachgeben […] Also sind und bleiben wir ewig geschieden und widereinander.“5 Wie erwartet, definiert dann auch das Konzil von Trient 1562: „Wer sagt, in der Messe werde Gott nicht ein wirkliches und eigentliches Opfer dargebracht oder die Opferhandlung bestehe in nichts anderem, als dass uns Christus zur Speise gereicht werde, der sei ausgeschlossen.“ Und: „Wer sagt, das Messopfer sei nur Lob- und Danksagung oder das bloße Gedächtnis des Kreuzesopfers, nicht aber ein Sühneopfer […], der sei ausgeschlossen“ (DH 1753).

Der ökumenische Friedenswille des 20. Jahrhunderts hat zu Interpretationsbemühungen geführt, die die kontroversen Positionen dogmatisch kompatibel machen sollten, begleitet von liturgischen Annäherungsbestrebungen, was alles die Antagonismen des Konfessionszeitalters wohl entschärft, aber nicht vollends annihiliert hat.

Dies binnenkirchliche Erbgut ist in der neueren Zeit nun obendrein kontaminiert mit dem höchst diffusen Opfersprachgebrauch der Gesellschaft, den darin virulenten Deutungen und Wertungen psychoanalytischer, sozialkritischer, kultursoziologischer, politologischer, religionstheoretischer Abkunft, den Mechanismus politischer Platzanweisungen im (kirchen-)politischen Links-rechts-Schema eingeschlossen.

Nun gibt es sie, solche Gaben, Oblationen, Brot und Wein, die, wie das angeführte Orate, fratres zeigt, jedenfalls in der römisch-katholischen Liturgie als Opfergaben bezeichnet und verstanden werden. Setzt sich diese Liturgie einfach hinweg über das, was es als nicht bloß moralische, sondern substantielle Kritik am Opferwesen der Religionen im Neuen Testament gibt? Sind die Bedenken, dass hier in die große Danksagung alte, heidnische Opferwerkelei wieder eingeführt wird, von der Hand zu weisen?

Wenn die Gabengebete christlich legitime Gebete sein sollen, so wird die allgemein-religiöse Not der Akzeptabilität von Opfern zu einer christlich-prekären zugespitzt. Nehmen die wechselnden Gabengebete, die auf das allgemeine folgen, diese Schwierigkeit auf? Nehmen sie ins Gebet, was als fundamentale Schwierigkeit dem Opfer in der christlichen Religion anhängt? Mit solchen Fragen betritt man das Textfeld der Gabengebete, mit der Erwartung also, dass der Sinn von Gabe und Opfer hier selbst besprochen wird, Gott gegenüber. Die die Analyse begleitende Frage ist immer von neuem, ob die christliche Religion, wie die Reformatoren argwöhnten, hier auf einen Abweg geraten ist oder sich auf schwierigen Saumpfaden zu einer neuen religionsgeschichtlichen Ebene hinaufgearbeitet hat.

Oratio ist hier primär als Rede an Gott zu verstehen. Wenn man die Gabengebete analysiert, betet man freilich nicht. Wenn man ihrer theologischen Logik nachgeht, könnte aber so etwas wie eine oratio entstehen, im Sinne einer in den kleinen Texten immer neu ansetzenden Rede über die Darbringung von Gaben, super oblata. Das Thema wäre in gewisser Weise monoton der immer von neuem versuchte Angang an diese religionsgeschichtlich so zentrale und christlich so prekäre Sache des Opfers.

Die Texte sind weitgehend alt, aus dem 6. bis 9. Jahrhundert stammend, also Texte, die mehr als ein Jahrtausend die Liturgie geprägt haben und so als repräsentative Quelle für das römisch-katholische Verständnis der Sache angesehen werden können. Der Messpraxis der Gegenwart mag es aus welchen Gründen auch immer erlaubt sein, diesen „Opfercharakter“ zurückzufahren oder zu überspielen, die Theologie kommt nicht umhin, die Texte genauer anzusehen, und sei es am Ende nur, um zu wissen, warum man die Messe in diesem Sinne nicht mehr verstehen möchte.

Im tridentinischen Missale hieß das Gabengebet „Secreta-Sekret“, zu Deutsch „Stillgebet“. Diese Oration war nicht laut zu beten oder zu singen, sondern als stilles Priestergebet zu verrichten. Die Rubriken folgen hier einem Brauch, der zuerst im 8. Jahrhundert auf fränkischem Boden bezeugt ist und vom gallischen Bereich dann auf die ursprünglich als lautes Gebet die Opferprozession abschließende römische Oratio super oblata übertragen wurde. Der Opferpriester sollte die Sache in aller Stille Gott vortragen. Mit der Liturgiereform ist das „Stillgebet“ laut geworden, es schließt gemeindevernehmlich die Gabenbereitung ab und fasst ihre Absicht kurz zusammen. Ist, was Secreta war, nun ein öffentliches Amtsgebet, bedarf es in der Landessprache einer angemessenen Übersetzung, wie bei den Tages- und den Schlussgebeten.

Die Arbeit an einer Übersetzung ist intensive Spracharbeit. Die in den vorangegangenen beiden Bänden zu den Tagesgebeten6