Zum Buch

 

„Bier, Gaudi und Enthemmung“: Das weit verbreitete Bild vom Verhältnis der Münchner zu den revolutionären Umbrüchen der neuesten Geschichte ist nicht selten klischeebeladen und hoch selektiv. Höchste Zeit also, diese Schwarzweißmalerei abzuschattieren – durch einen neuartigen facettenreichen Überblick von den Napoleonischen Kriegen bis zur Studentenbewegung.

Der vorliegende Band widmet sich den revolutionären Ereignissen in München um 1800, 1848, 1918, 1933 und 1968.

 

 

 

Zu den Autoren

 

Oliver Braun, Dr. phil., ist Mitarbeiter der Historischen Kommission in München.

Thomas Götz, Dr. phil., lehrt Neuere/Neuste Geschichte an der Universität Regensburg

Thomas Grasberger M. A. lebt als Rundfunkjournalist und Buchautor in München.

Sylvia Krauss-Meyl, Dr. phil., ist Archivdirektorin im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München

Dominik Tomenendal M. A. ist Referent bei der Europäischen Akademie Bayern.

OLIVER BRAUN / THOMAS GÖTZ / THOMAS GRASBERGER / SYLVIA KRAUSS-MEYL / DOMINIK TOMENENDAL

Revolution in München
1800 · 1848 · 1918 · 1933 · 1968

VERLAG FRIEDRICH PUSTET

REGENSBURG

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

eISBN 978-3-7917-6010-0 (epub)

© 2014 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg

Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg

 

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:

ISBN 978-3-7917-2557-4

 

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Kontakt und Bestellungen unter verlag@pustet.de

»MÜNCHEN WILL GAR NICHT ERÖRTERT, MÜNCHEN WILL GELEBT UND GELIEBT SEIN.« Wer möchte Ernst Heimeran (1902–1955), dem dieses so urmünchnerisch klingende Leitmotiv zugeschrieben wird, ernsthaft widersprechen? Doch vielleicht wird man ihn ergänzen dürfen, ihn, den großen Verleger und Autor, der in Schwabing das Gymnasium besuchte und wie viele als „Zuagroaster“ in München Wurzeln schlug: Die Liebe zur ersten oder zweiten Heimat schließt die Kenntnis über sie nicht aus – und umgekehrt.

Die Geschichte einer Stadt ist ebenso unerschöpflich wie die Geschichten, die in ihr spielen. Ihre Gesamtheit macht sie unverwechselbar. Ob dramatische Ereignisse und soziale Konflikte, hohe Kunst oder niederer Alltag, Steingewordenes oder Grüngebliebenes: Stadtgeschichte ist totale Geschichte im regionalen Rahmen – zu der auch das Umland gehört, von dem die Stadt lebt und das von ihr geprägt wird.

München ist vergleichsweise jung, doch die über 850 Jahre Vergangenheit haben nicht nur vor Ort, sondern auch in den Bibliotheken Spuren hinterlassen: Regalmeter über Regalmeter füllen die Erkenntnisse der Spezialisten. Diese dem interessierten Laien im Großraum München fachkundig und gut lesbar zu erschließen, ist das Anliegen der Kleinen Münchner Geschichten – wobei klein weniger kurz als kurzweilig meint.

So reichen dann auch 140 Seiten, zwei Nachmittage im Park oder Café, ein paar S- oder U-Bahnfahrten für jedes Thema. Nach und nach wird die Reihe die bekannteren Geschichten neu beleuchten und die unbekannteren dem Vergessen entreißen. Sie wird die schönen Seiten der schönsten Millionenstadt Deutschlands ebenso herausstellen wie manch hässliche nicht verschweigen. Auch Großstadt kann Heimat sein – gerade wenn man ihre Geschichte(n) kennt.

 

 

DR. THOMAS GÖTZ, Herausgeber der Buchreihe, lehrt Neuere/Neueste Geschichte an der Universität Regensburg und forscht zu Stadt und Bürgertum in der Neuzeit.

Revolution in München – Revolutionäres München?
Vorbemerkungen zu einer vieldeutigen Verbindung

von Thomas Götz

Obwohl im November 1918 der erste deutsche Thron ausgerechnet in Bayern fiel, weil König Ludwig III. aus dem von den Roten beherrschten München fliehen musste, steht die Stadt nicht gerade im Ruf, besonders revolutionär zu sein. Revolution macht man woanders, machen in Deutschland andere: die Berliner, die Frankfurter, die Badener oder die Pfälzer. München dagegen, die Hauptstadt der stockkonservativen „Ordnungszelle“ Bayern, bildete bekanntlich bald das Laboratorium der Gegen-Revolution und der erfolgreichen NS-Bewegung.

Soweit Image – und Klischee. Wo aber liegen die Wurzeln für die Irritation über diese so wenig geläufige Wortverbindung?

Zum einen und allgemein: „Revolution“ gilt spätestens seit der Amerikanischen von 1776 und der Französischen von 1789 weithin (und vorschnell) als Abkürzung für einen großen Schritt auf dem Weg einer über 200-jährigen Geschichte der Freiheit und Emanzipation. Revolutionäre sind Weltverbesserer, zumindest ihrer Absicht nach. Jedoch, auch ‚gute‘ Revolutionen fressen nicht selten ihre Kinder, und auch widerwärtige kommen zum Ziel. Selbst die nationalsozialistische „Machtergreifung“ war revolutionär, folgt man gängiger abstrakter Revolutionsdefinition: ein mehr oder minder offen gewaltsamer, von den Massen getragener, grundlegender Umbruch in den politischen Verhältnissen. Wobei mancher Revolution bald Gegenteiliges, Reaktionäres folgt, und sich mancher Umbruch, so spektakulär er auch daherkommt und sich selbst inszeniert (‚68‘), eher schleichend, aber nicht weniger grundstürzend auswirkt. Manch Widersprüchliches sieht man, zumal in der Konsequenz, erst auf den zweiten Blick.

Zum anderen: 1789, 1848/49, 1918/19, 1933 und 1968 markieren vorderhand epochale Einschnitte, fallweise mit globaler Bedeutung – komplexe Phänomene, die man abstrahierend analysiert. Doch je großflächiger der Betrachtungsraum, je allgemeingültiger das Ergebnis, desto unanschaulicher wird beides: Aus der Vogelperspektive gibt es die Großgruppen der Befürworter und Gegner, der Gewinner und Verlierer. Zudem, hinter den herausragenden Akteuren oder den übergreifenden Strukturen bleiben die Vielen namenlos und blass und geraten zur Staffage. Manche in München sieht man nicht gleich: 1800 die glühenden Jakobiner, 1848 die verunsicherten Handwerksmeister und die überzeugten Demokraten oder eines der seltenen sozialdemokratischen Stadtoberhäupter, das eine deutsche Großstadt in der Weimarer Republik hatte: Eduard Schmid, Bürgermeister von 1919 bis 1924, also zu der Zeit, als Hitler und Konsorten putschten. 50 % der Stimmen erreichen die beiden sozialistischen Parteien bei den ersten demokratischen Kommunalwahlen 1919. Der Erfolg der Nazis hielt sich auf längere Sicht im Übrigen in Grenzen; die NSDAP-Ergebnisse in der „Hauptstadt der Bewegung“ lagen 1932/1933 unter dem Reichsdurchschnitt. Diese Beobachtungen machen Neugier auf mehr – auf mehr Differenzierung.

Das Große stellt sich also anders dar, wenn man es im Fokus der Geschichte einer – unserer – Stadt genauer anschaut. Der Handlungsraum weitet sich und erhält Farbe, manch Handelnder tritt aus dem Nebel der Anonymität. Aus der Nähe wird es unübersichtlicher – aber auch spannender: Wer sind überhaupt die „Münchner(innen)“ zu den verschiedenen Zeiten? Bis in den Ersten Weltkrieg hinein ist das, formal gesehen, die schmale Minderheit Heimatberechtigter beziehungsweise – männlicher! – Bürgerrechtsinhaber. Wer aber wurde 1848 oder 1968 zum Münchner respektive zur Münchnerin, weil sein oder ihr Mittun Zugehörigkeit schuf? Welche Motive trieben die Revolutionäre (und Gegenrevolutionäre) an, welche Wandlungen machten sie durch, welche inneren Widersprüche kommen bei den Akteuren zum Vorschein? Und natürlich: Was waren jeweils – zu verschiedenen Zeiten – München-spezifische Bedingungen, die gleichsam hinter dem Rücken der Akteure Handlungsräume strukturierten?

Man versteht besser, wenn man gut erklären kann – und nur wer sich nicht anders zu helfen weiß, bemüht einen gleichsam überzeitlichen „genius loci“, der sich zum Klischee verfestigt. In München gebe es noch heute das „Biotop aus Bier, Gaudi und Enthemmung“, das hinaus zum Marsch auf die Feldherrnhalle getrieben habe, meinte der Politikwissenschaftler Martin Hecht unlängst (DIE ZEIT, Nr. 38, 13.9.2012); und noch heute beschleiche den Auswärtigen beim Maibock-Anstich im Hofbräuhaus „eine leise Ahnung von jener aggressiven Mischung aus zur Schau getragenem lokalpatriotischen Selbstbewusstsein, Weltherrschaftsanspruch [!] und Bierseligkeit.“

Wir, die Autorin und die Autoren, meinen, dass man damit die politischen Umbrüche in München – und das, was man daran mag oder nicht mag – gewiss nicht erschöpfend erklärt. Unsere Ausführungen mögen deshalb so facettenreich (und so spannend zu lesen) sein, dass der Titel weder mit einem Ausrufe- noch mit einem Fragezeichen schließen muss. Auf die Zwischentöne kommt es an. Wie formulierte der bis 1992 in München lehrende Historiker Thomas Nipperdey? „Die Grundfarben der Geschichte sind nicht Schwarz und Weiß, ihr Grundmuster ist nicht der Kontrast eines Schachbretts; die Grundfarbe der Geschichte ist grau, in unendlichen Schattierungen.“

1800: Wird Bayern eine Republik?

von Sylvia Krauss-Meyl

Der revolutionäre Funke erreicht das Kurfürstentum Pfalz-Bayern

„Nichts ist in diesem Augenblicke wankender als das System selbst der sichersten Höfe.“ Sollte sich die Prophezeiung des Schweizer Historiografen Johannes von Müller (1752–1809) vom Dezember 1789 bewahrheiten? Wie groß war die Gefahr, die von der Französischen Revolution für die Stabilität der mitteleuropäischen Staaten ausging? In der Tat rüttelte der revolutionäre Funke, der durch die Erstürmung der Pariser Bastille am 14. Juli 1789 entzündet worden war, die Menschen weit über die Grenzen Frankreichs hinaus auf. Eine Flut von Werbeschriften und Flugblättern trug die neuen Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit und die Staatsvorstellungen der Französischen Revolution über den Rhein in die Länder des Alten Reiches. Hier stießen sie anfangs auf begeisterte Zustimmung in allen Bevölkerungsgruppen. Vor allem die Menschen im rhein-pfälzischen Grenzgebiet zollten ihnen Beifall, indem sie ihre Symbole übernahmen: Freiheitsbäume aufstellten, die phrygische Mütze trugen und die dreifarbige Kokarde hissten. Nach Altbayern drangen die revolutionären Vorstellungen über die fränkischen und schwäbischen Reichsstädte durch französische Agitatoren und Agenten ein. Indem sie auf Märkten und in Wirtshäusern Broschüren, Flugblätter, Handzettel, Gedichte und Bilder verbreiteten, erreichten sie die ländliche Bevölkerung und lieferten ihr „Munition“ gegen die Obrigkeit.

Es bedurfte nicht viel Mühe, die Stimmung gegen den pfalzbayerischen Kurfürsten Karl Theodor (1724–1799) anzufachen; denn dessen Verhältnis zu seinen bayerischen Untertanen war schwer belastet, seit er gleich zu Beginn seiner Regierungszeit den Plan verfolgt hatte, Bayern gegen die österreichische Niederlande zu tauschen. 1778/79 war es zum bayerischen Erbfolgekrieg und im Frieden von Teschen zum Verlust des Innviertels gekommen. Diese schlimmen Erfahrungen schufen im bayerischen Volk den Nährboden für Misstrauen und Ablehnung, die der Regierung Karl Theodors von Stund an entgegenschlugen. Als Anfang der 1790er-Jahre die französische Revolutionspropaganda ins Land drängte und sich mit dem Groll breiter Volksschichten verband, der sich dann in Schmähschriften gegen die Staatsgewalt Luft machte, ergriff Karl Theodor umgehend Gegenmaßnahmen. Aus Furcht vor dem Überspringen revolutionärer Ideen hatte er schon im September 1789 jegliche Einfuhr und Verbreitung revolutionären Schriftguts und „allen Diskurs der französischen Angelegenheiten“ verboten.

Jakobiner

Der Begriff „Jakobiner“ stammt aus der Französischen Revolution und bezeichnete den Klub der „Gesellschaft der Verfassungsfreunde“. Er leitete sich von seinem Versammlungsort, dem Dominikanerkloster Saint-Jacques in Paris, ab. Ziele der Jakobiner waren die Abschaffung der Monarchie und die Errichtung einer Republik sowie der Einsatz für die sozialen Interessen des einfachen Volkes, Sansculotten genannt. Unter der Führung von Maximilien de Robespierre fand ab 1793 eine Radikalisierung der Gruppe statt. Sie erzwangen die Hinrichtung des Königs, erließ eine egalitäre und auf den Grundsätzen der direkten Demokratie basierende Verfassung und übte eine linksorientierte Schreckensherrschaft mit Massenhinrichtungen durch die Guillotine aus. Mit der Enthauptung Robespierres Ende Juli 1794 endete das Terrorregime. Der Begriff „Jakobiner“ blieb jedoch bestehen und wurde in Frankreich und im Ausland für patriotisch gesinnte und freiheitsliebende Anhänger der Französischen Revolution verwendet. Deutsche Jakobiner kämpften vorwiegend mit publizistischen Mitteln für die Abschaffung der Fürstenherrschaft und die Einführung von Republiken. Da der Begriff pejorativ besetzt war und oft als Schimpfwort benutzt wurde, bezeichneten sich die deutschen Jakobiner selbst als „Patrioten“.

Nach den Pariser Septembermorden und der Hinrichtung des französischen Königspaares Ludwig XVI. (1754–1793) und Marie Antoinette (1755–1793) änderte sich die Einstellung der Bayern. Man distanzierte sich von der Schreckensherrschaft der französischen Jakobiner. Die Pamphlete aus Frankreich wurden nunmehr weniger in der Öffentlichkeit als hinter verschlossenen Türen in privaten Zirkeln und Vereinigungen diskutiert. Es war offenkundig, dass die Kritik in Bayern sich nicht, wie in Frankreich, gegen staatliche Institutionen und das Regime richtete, sondern vorwiegend gegen das Fehlverhalten der unmittelbaren Obrigkeit und lokale Missstände. Im Ganzen gesehen wünschte die altbayerische Landbevölkerung zwar einzelne Verbesserungen, aber keinen Umsturz der bestehenden Ordnung nach französischem Muster.

Abseits der gemäßigten Menge gab es jedoch radikale Sympathisanten der Revolution, die sich in patriotischen Klubs trafen und von hier aus publizistische Agitation betrieben. Sie wurden im Volksmund „Jakobiner“ genannt – eine pauschale Bezeichnung für all diejenigen, die von den politischen Verhältnissen im Kurfürstentum enttäuscht und unzufrieden waren.

Infolge der Revolutionsereignisse lebte auch die Furcht vor dem seit 1785 erloschenen Geheimbund der Illuminaten, der sogenannte „Illuminatenspuk“, wieder auf. Je radikaler sich die revolutionären Vorgänge im Westen Europas entwickelten, umso mehr wurde in Bayern die Angst vor vermeintlichen Illuminaten und Jakobinern geschürt. „Es herrschte damals eine gewisse finstere Stimmung in Baiern“, beschrieb ein Zeitgenosse die Atmosphäre, „jener ähnlich, welche zu den Zeiten der Hexenprozesse durch ganz Deutschland geherrscht hatte. Der geringste Verdacht, die unbedeutendste Veranlassung reichte hin, um für einen Illuminaten gehalten zu werden“. Die staatliche Obrigkeit nützte diese Stimmung aus und machte das angebliche Fortbestehen des Illuminatenordens zum zentralen Punkt der gegenaufklärerischen Propaganda. Karl Theodor erließ ein generelles Verbot aller geheimen Gesellschaften, drohte 1787 die Todesstrafe für die Anwerbung neuer Mitglieder an und führte 1790 den so genannten „Illuminateneid“ ein, mit dem jeder Beamte oder Geistliche vor dem Amtsantritt schwören musste, keiner geheimen Gesellschaft anzugehören. Zusätzlich gab es inquisitorische Untersuchungsverfahren gegen verdächtige Personen und Gruppen, in denen vor allem der Vorwurf profranzösischer oder jakobinischer Gesinnung geprüft wurde.

Illuminatenorden

Der Geheimbund der Illuminaten wurde 1776 an der Universität Ingolstadt von dem Juraprofessor Adam Weishaupt (1748–1830) gegründet. Vor dem Hintergrund der ehemaligen Jesuitenuniversität lehnten die Illuminaten religiöse Bindungen und Begründungen ab und setzten sich für aufklärerische Ideale von Freiheit und Gleichheit, Bildung und Sittlichkeit ein. Der Orden hatte eine deutschlandweite Ausdehnung, war jedoch in Bayern am stärksten vertreten. Hier zählten zahlreiche Angehörige des Hofes und der hohen Beamtenschaft zu den Mitgliedern, die unter Decknamen tätig waren. Die Blütezeit des Illuminatenordens war nur kurz. Als Kurfürst Karl Theodor die staatsgefährdenden Ziele und die Unterwanderung der Verwaltung durch Ordensmitglieder hinterbracht wurden, löste er 1785/86 den Bund auf. Etliche Mitglieder wurden aus dem Staatsdienst entfernt oder mussten, wie der spätere leitende Staatsminister Maximilian von Montgelas, das Land verlassen. Die Zensur wurde drastisch verschärft. Der Orden galt seit seiner Auflösung in Bayern als erloschen.

Die politische Situation Bayerns in den 1790er-Jahren

Pfalz-Bayern wurde nicht nur von den revolutionären Strömungen aus Frankreich erfasst, sondern auch vom Vormarsch der französischen Truppen im Ersten Koalitionskrieg, der im April 1792 durch die Kriegserklärung der Franzosen gegenüber Österreich und Preußen ausbrach. Während es in der Pfalz zu lokalen jakobinischen Aufständen und 1793 zur Errichtung der kurzlebigen „Mainzer Republik“ kam, die sich unter den Schutz der französischen Revolutionstruppen stellte, erklärte Karl Theodor sein Land zunächst für neutral, schlug sich aber schließlich doch auf die kaiserliche Seite. Nachdem Preußen 1795 aus dem Krieg ausgeschieden war, richteten die Franzosen ihre militärische Stoßkraft gegen Österreich und marschierten mit zwei Armeen unter den Generälen Jourdan (1762–1833) und Moreau (1763–1813) in Süddeutschland ein. Karl Theodor verließ daraufhin mit seinem Hofstaat München und brachte sich in Sachsen in Sicherheit. Wieder einmal erklärte er die Neutralität seines militärisch völlig unzureichend gerüsteten Landes. Moreau rückte mit den französischen Truppen gegen München vor, ließ sich aber Ende August 1796 die Zusage abringen, auf die Einnahme der Stadt zu verzichten. Am 7. September schloss er mit den kurbaierischen Ständen den Waffenstillstand von Pfaffenhofen.

Gleichzeitig mit den Franzosen bedrängten auch kaiserliche Truppen die bayerische Hauptstadt. Deren plündernde und randalierende Gesellen waren bei den Bayern zutiefst verhasst und viel gefürchteter als die vergleichsweise zivilisiert auftretenden republikanischen Franzosen.

Dass sich Karl Theodor Ende 1798 noch einmal der antifranzösischen Koalition anschloss und die bayerische Armee österreichischem Oberbefehl unterstellte, bestürzte die mit Frankreich sympathisierenden Münchner Bürger zutiefst. Schon seit geraumer Zeit hatte sich im Schatten des öffentlichen Lebens eine aktive Gruppe radikal aufklärerisch gesinnter Oppositioneller formiert, die nach dem Muster Frankreichs die gewaltsame Abschaffung der Fürstenherrschaft sowie die Einführung einer Republik in Bayern anstrebte. Sie hoffte auf französische Unterstützung ihrer Pläne und berief sich auf die von Napoleon bei den Friedensverhandlungen von Rastatt 1797 geäußerte Absicht, einzelne Territorien des Alten Reiches in Republiken umzuwandeln. Die Münchner Revolutionsfreunde sorgten für die Verbreitung dieser Ziele durch Flugblätter und Schriften. Eine 29 Seiten umfassende anonyme Druckschrift trug den Titel „Über Süddeutschland. Von einem süddeutschen Bürger im Monat Oktober 1798 dem französischen Gouvernement zur Beherzigung vorgelegt“. Der Verfasser verlangte darin die Errichtung einer süddeutschen Republik mit Hilfe französischer Bajonette und begründete diese Forderung mit der aufgeklärten Geisteshaltung und naturgegebenen Einstellung des bayerischen Bürgers sowie mit seinen „für alles lebhafteren Gefühle, die ihn ohne vielen Tiefblick schon lange seine schweren Fesseln mit Schaudern wahrnehmen ließen“. Auch die Französische Republik, so argumentierte der Autor, müsse ein vitales Interesse an einer Republik im Süden Deutschlands haben, da sich über die politischen Beziehungen hinaus Erleichterungen im Wirtschafts- und Verkehrswesen ergeben könnten. Frankreich könne bzw. solle also Pate stehen für ein neues staatliches System in Bayern.

In dieser politisch brisanten und emotional aufgeheizten Situation schloss Karl Theodor am 16. Februar 1799 seine Augen und hinterließ seinem Nachfolger Max Joseph von Pfalz-Zweibrücken (1756–1825) ein tief verunsichertes Land.

Wie verhält sich Max Joseph?

Sein Einzug in die Residenzstadt München glich einem Triumphzug. In enthusiastischen Freudenbekundungen brachten die Münchner ihre Hoffnung auf eine glückliche Wendung der politischen Verhältnisse zum Ausdruck. Die ersten Reformmaßnahmen der neuen Regierung unter dem leitenden Minister Maximilian Graf von Montgelas schienen ihre Zuversicht zu rechtfertigen.

Montgelas

Maximilian Graf von Montgelas (1759–1838), aus savoyischem Adel stammend, begann nach juristischen Studien seine Laufbahn in kurfürstlich bayerischen Diensten. Nach der Aufdeckung seiner Mitgliedschaft im Illuminatenorden verließ er München und nahm 1785 eine Stellung in der herzoglichen Verwaltung von Pfalz-Zweibrücken an. Nach dem Einfall der Franzosen in Zweibrücken teilte er das Exil Herzog Max Josephs in Ansbach, wo er 1796 ein Reformprogramm für den bayerischen Staat, das berühmte „Ansbacher Memoire“, entwarf. Dessen Punkte setzte er nach 1799, als Max Joseph die Kurfürstenwürde in Bayern übernahm, als leitender Staatsminister um. Mit einschneidenden Änderungen der inneren Verhältnisse, wie der Beseitigung feudaler Rechte von Adel und Geistlichkeit, der Zentralisierung der Staatsverwaltung, einer modernen Beamtenausbildung, der Verstaatlichung des Kirchenvermögens etc., schuf er Grundlagen, die Bayern zu einem der fortschrittlichsten Staaten der damaligen Zeit machten. Außenpolitisch vollzog Montgelas strategisch geschickt 1805 den Anschluss an Frankreich, der Bayern 1806 die Königswürde brachte, sowie 1813, rechtzeitig vor dem Zusammenbruch des napoleonischen Reiches, die Abkehr vom französischen Bündnispartner. Montgelas leitete, teilweise gleichzeitig, das Außen-, das Finanz- und das Innenministerium. 1817 wurde er auf Betreiben des bayerischen Kronprinzen Ludwig aus allen Ämtern entlassen. Bis zu seinem Tod blieb er Reichsrat der Krone Bayerns.

Die begeisterte Zustimmung über diesen Kurswechsel brach jedoch rasch zusammen; denn die vom frankophilen Kurfürsten erwartete außenpolitische Kursänderung in Richtung Frankreich fand nicht statt. Die politischen Umstände zu Beginn des Zweiten Koalitionskrieges ließen ihm keinen Handlungsspielraum. Max Joseph sah sich gegen seinen Willen zum Anschluss an die antifranzösische Koalition gezwungen. Kurz nach seiner Thronübernahme, am 1. März 1799, überschritten französische Revolutionstruppen den Rhein, und wieder einmal wurde das kaiserliche Heer nach Bayern verlegt. Mehr als 100 000 Österreicher, die sich keineswegs wie Verbündete, sondern eher wie Kriegsgegner gebärdeten, standen im Land und mussten von der Bevölkerung versorgt werden. Um sein Land zwischen den gegnerischen Fronten hindurchzulavieren, nahm Max Joseph im März 1800 englische Subsidiengelder an und akzeptierte eine Garantie der britischen Krone für den Territorialbestand Bayerns.

Damit verspielte er jedoch den letzten Kredit bei seinen Untertanen, die die schlimmsten Auswüchse der Zeit Karl Theodors wiederauferstehen sahen. Zu lange hatten sie die Einquartierungen der ungeliebten Österreicher erdulden müssen und in der Furcht vor einer habsburgischen Annexion gelebt. Als sich nun herausstellte, dass die neue bayerische Regierung an dem Militärbündnis mit Österreich festhalten und den Krieg gegen Frankreich fortsetzen würde, entluden sich Enttäuschung und Entrüstung in einer neuerlichen publizistischen Propagandaflut. In der Schrift „Die Stimme der öffentlichen Meinung über Max Joseph“ beschuldigte man die Regierung: „Sie entfernte zwar die Schurken, die unter Karl Theodor den Hass und den Fluch des Volkes auf sich geladen hatten, aber dabei blieb sie auch stehen und hatte nicht den Mut, dieselben zu strafen. Zu gleicher Zeit offenbarte sich der Mangel an Grundsätzen immer deutlicher. Der Nepotismus, der Personalhass, die Intrigensucht lebten in voller Stärke wieder auf und schoben ihre untauglichen Kreaturen in die Reihe der schätzbaren Räte, deren Anstellung den Kollegien ihr ursprüngliches Ansehen wiedergegeben hatte.“ Als Krönung der unheilvollen Entwicklung sah man den englischen Subsidienvertrag: „Durch diese Maßregel verlor die Regierung noch den kleinsten Rest des Zutrauens, den ihr das Volk geschenkt hatte und brachte die Gesinnungen zur Reife, die man nun als die öffentliche Stimmung ansehen kann, nämlich: Geringschätzung gegen den Kurfürsten, Hass gegen die herrschenden Minister.“

Die eisige Stimmung in München war Thema in den Berichten auswärtiger Diplomaten. So wunderte sich der preußische Gesandte Heinrich Wilhelm von Harnier (1767–1823) Anfang Januar 1800 in einem Schreiben an den Berliner Hof, „wie ein solcher Grad von nahezu allgemeiner und einhelliger Unzufriedenheit … in weniger als einem Jahre dem ersten Enthusiasmus hat folgen können“. Angesichts der fatalen innenpolitischen Wirkung ihrer Bündnispolitik mit Österreich und England sah sich die bayerische Regierung veranlasst, Vorkehrungen gegen Aufruhr und Rebellion aus der eigenen Bevölkerung zu treffen. Im November 1799 erließ Max Joseph ein Mandat, durch das alle geheimen Verbindungen verboten wurden. Es beginnt mit den Worten: „Wir haben uns immer überzeugt, dass geheime Gesellschaften, sie mögen in ihrem Ursprunge und in ihren Absichten noch so rein sein, leicht zum Schaden des gemeinen Wesens ausarten … wir sehen Uns demnach hiedurch gewogen, zu verordnen, dass in Unseren gesamten Landen keine geheime Gesellschaft … ihre Mitglieder mögen persönlich sich versammeln oder nur durch Correspondenz oder Zeichen zusammenhängen, gestattet werden solle.“

Die Franzosen in München

Wie berechtigt die Sorge des Kurfürsten war, offenbarte die aktuelle Situation. Ende Mai 1800 kamen Gerüchte auf, Franzosen näherten sich der Stadt, auch dieses Mal unter dem Oberbefehl von General Moreau. Am 28. Juni 1800 stand eine französische Armee mit 4000 Mann unter dem Divisionsgeneral Charles Matthieu Isidore Decaen (1769–1832) vor den Toren Münchens. Kurfürst Max Joseph flüchtete samt Familie und Regierung ins Exil nach Amberg und überließ seine Residenzstadt der feindlichen Invasion. Auch die österreichischen Soldaten zogen eiligst gegen Osten ab, begleitet von feindseligen Parolen der Münchner. Diese bereiteten nun den Franzosen einen freundlichen Empfang. Kavallerie und Infanterie nahmen vor dem Karlstor Aufstellung, und Einwohner Münchens eskortierten die Franzosen hinein. General Decaen notierte erfreut: „Als wir uns München näherten, war ich angenehm überrascht, auf der Straße drei- bis viertausend Personen beiderlei Geschlechts anzutreffen; viele waren mehr als eine halbe Meile uns entgegengegangen. Das größte Vertrauen, ich könnte sogar sagen, die Freude spiegelte sich auf allen Gesichtern … es schien mir, als ob wir vielmehr Befreier als Feinde waren.“

Diese Empfindung fand ein spöttisches Echo in einer satirischen Broschüre mit dem Titel „Dankadresse von der bayerischen Nation an Max Joseph IV.“ Darin wird als größte Wohltat des Kurfürsten seine Flucht aus München gepriesen, da er dadurch „die Stadt und das ganze Land der französischen Großmut preisgegeben und die Untertanen vollends überzeugt habe, dass sie sich auch ohne Fürsten und Militär selbst zu verteidigen, zu regieren und die Gefahren, in die sie ihr vielgeliebter Regent versetzt hat, mit männlicher Klugheit abzuwenden wissen“. Der Text wollte ein breites Publikum in Stadt und Land davon überzeugen, dass der Fürst als Oberhaupt des Staatswesens entbehrlich und die Nation reif für eine republikanische Staatsform nach französischem Muster sei.

Moreau

Jean Victor Moreau, 1763 in der Bretagne geboren, begann seine Karriere als Justizbeamter in Rennes, wo er beim Kriegsausbruch von 1792 vom dortigen Freiwilligenbataillon zum Kommandanten gewählt wurde und in der Folgezeit rasch in die oberen Militärgrade aufrückte. 1796 stand er als General an der Spitze der Rhein- und Moselarmee, mit der er bis München vordrang, infolge der Niederlage seines Mitstreiters General Jourdan in der Oberpfalz und in Franken jedoch den Rückzug antreten musste. Nach der Heimkehr aus dem zweiten Deutschland-Feldzug 1800/01 zog er sich auf sein Landgut Grosbois bei Paris zurück, wurde 1804 wegen eines angeblich gegen Napoleon angezettelten Komplotts verhaftet und nach einem Schauprozess aus Frankreich verbannt. Nach einigen Jahren in New York kehrte er 1813, zum Generaladjutanten Kaiser Alexanders von Russland ernannt, nach Europa zurück, wurde jedoch kurz darauf in der Schlacht bei Dresden so schwer verwundet, dass er an den Folgen am 2. September 1813 im böhmischen Laun verstarb. Moreau gilt als Rivale und kongenialer Feldherr Napoleons.