Zum Buch

 

Leo von Klenze war einer der bedeutendsten Vertreter des Klassizismus in Deutschland. Als bevorzugter Architekt König Ludwigs I. von Bayern stieg er innerhalb kürzester Zeit an die Spitze des bayerischen Bauwesens auf. Seine Bauten, Denkmäler, Straßen- und Platzanlagen prägen bis heute das Erscheinungsbild Münchens. Zeugnisse von Klenzes Wirken finden sich nicht nur in Bayern, sondern u. a. auch in Athen und St. Petersburg.

Die Biografie legt den Schwerpunkt auf die enge Zusammenarbeit zwischen Klenze und Ludwig I. sowie auf die Begründung des „neuen“ München, zeichnet aber auch die wichtigsten Stationen seiner internationalen Karriere nach.

 

 

 

Zur Autorin

 

Friedegund Freitag, Dr. phil., geboren 1974, ist Historikerin und war 2000–2011 Mitarbeiterin an der neunbändigen Edition des Briefwechsels zwischen König Ludwig I. von Bayern und Leo von Klenze.

Biografien machen Vergangenheit lebendig: Keine andere literarische Gattung verbindet so anschaulich den Menschen mit seiner Zeit, das Besondere mit dem Allgemeinen, das Bedingte mit dem Bedingenden. So ist Lesen Lernen und Vergnügen zugleich.

Dafür sind gut 100 Seiten genug – also ein Wochenende, eine längere Bahnfahrt, zwei Nachmittage im Café. Wobei klein nicht leichtgewichtig heißt: Die Autoren sind Fachleute, die wissenschaftlich Fundiertes auch für den verständlich machen, der zwar allgemein interessiert, aber nicht speziell vorgebildet ist.

Bayern ist von nahezu einzigartiger Vielfalt: Seinen großen Geschichtslandschaften Altbayern, Franken und Schwaben eignen unverwechselbares Profil und historische Tiefenschärfe. Sie prägten ihre Menschen – und wurden geprägt durch die Männer und Frauen, um die es hier geht: Herrscher und Gelehrte, Politiker und Künstler, Geistliche und Unternehmer – und andere mehr.

Das wollen die KLEINEN BAYERISCHEN BIOGRAFIEN: Bekannte Personen neu beleuchten, die unbekannten (wieder) entdecken – und alle zur Diskussion um eine zeitgemäße regionale Identität im Jahrhundert fortschreitender Globalisierung stellen. Eine Aufgabe mit Zukunft.

 

Dr. Thomas Götz, Herausgeber der Buchreihe, geboren 1965, studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie. Er lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Regensburg und legte mehrere Veröffentlichungen, vor allem zu Stadt und Bürgertum in Bayern und Tirol im 18., 19. und 20. Jahrhundert, vor. Darüber hinaus arbeitet er im Museums- und Ausstellungsbereich.

FRIEDEGUND FREITAG

 

 

 

Leo von Klenze

 

 

Der königliche Architekt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag Friedrich Pustet
Regensburg

Impressum

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

eISBN 978-3-7917-6002-5 (epub)

© 2013 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg

Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg

 

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:

ISBN 978-3-7917-2522-2

 

Weitere Publikationen aus unserem Programm

finden Sie auf www.verlag-pustet.de

Informationen und Bestellungen unter verlag@pustet.de

1  Vom Beamtensohn zum Architekten

Ein Lebenslauf mit dichterischen Freiheiten

Am 29. Februar 1784 – es war ein Schaltjahr – erblickte der älteste Sohn von Gertrud Josefa Theresia und Johannes Friedrich Klenze in Buchladen bei Schladen im Fürstbistum Hildesheim das Licht der Welt; wenige Tage später wurde er auf den Namen Leo getauft. Dies war zumindest seine Annahme, bis er anlässlich seiner Heirat im August 1813 erstmals Einblick in das Taufregister nahm und dabei erfuhr, dass sein Geburtstag eigentlich auf den 28. Februar datierte und sein voller Name Franz Leopold Karl lautete. Für den frisch Vermählten war die unerwartete Offenbarung kein Anlass, sich »wegen einer solchen Kleinigkeit lächerlich zu machen« und vom bisher Gewohnten abzuweichen. Es blieb bei dem Rufnamen Leo, und auch am Schalttag als seinem tatsächlichen Geburtstag hielt Klenze zeitlebens fest.

Dies ist weder die erste noch die einzige Ungenauigkeit in seiner Biografie. In einer bereits 1836 erschienenen, auf direkten Informationen des Architekten basierenden Lebensskizze, in seinen Mitteilungen an Dritte sowie in seinen persönlichen Aufzeichnungen setzte sich die Tendenz fort, Daten zu verändern, unliebsame Einzelheiten zu verschweigen oder Tatsachen in seinem Sinne zurechtzubiegen. Geradezu berüchtigt wegen ihrer höchst subjektiven und oft ungenauen Darstellungsweise sind Klenzes »Memorabilien«. Diese Lebenserinnerungen, bei denen die Jahrzehnte der Zusammenarbeit mit König Ludwig I. von Bayern im Mittelpunkt stehen, füllen in insgesamt sieben Bänden über 1500 Seiten, bleiben aber, gerade was den Werdegang des jungen Architekten bis 1814 anbelangt, oft nebulös und vage – angesichts der unbestrittenen Eloquenz Klenzes ein erstaunliches Phänomen. Kurz, Leo von Klenze ist, was seine Vita betrifft, stets ein unterhaltsamer, nicht unbedingt aber ein sehr zuverlässiger Berichterstatter. Sofern man die einzelnen Stationen seines Lebenswegs oder bestimmte Begebenheiten nicht durch andere Quellen verifizieren kann, tut man gut daran, sich Klenzes Aussagen gegenüber eine grundsätzliche Skepsis zu bewahren.

Leo wuchs gemeinsam mit drei Brüdern und drei Schwestern auf. Zwei Jahre nach seiner Geburt zog die Familie nach Heissum um; der Vater, Johannes Friedrich Klenze, hatte dort ein Gut erworben. Die Familie war ursprünglich protestantisch. Klenzes Großmutter war jedoch konvertiert und sowohl sein Vater als auch er selbst wurden katholisch erzogen, was offenbar aber nicht auf alle seiner Geschwister zutraf. Sein Bruder Clemens August Carl beispielsweise, der spätere Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, bekannte sich zum protestantischen Glauben.

Seine Mutter Gertrud Josefa Theresia, eine geborene Meyer, entstammte einer Arztfamilie. Sein Vater Johannes Friedrich war – wie schon Klenzes Großvater und Urgroßvater – Justiz- und Verwaltungsbeamter und brachte es schließlich bis zum Hof- und Tribunalrat in Halberstadt. Die Familie lebte also in durchaus angesehenen bürgerlichen Verhältnissen. Leo von Klenze selbst berief sich später auf ursprünglich adlige Wurzeln. Er führte diese auf den polnischstämmigen Ritter Christian von Klenzky im 16. Jahrhundert zurück und erklärte, erst nachfolgende Generationen hätten, zur Erwerbstätigkeit gezwungen, ihre Standesprivilegien verloren oder freiwillig aufgegeben. Wie viel Wahres an dieser Behauptung ist, lässt sich nicht nachprüfen. Da Klenze schlüssige Beweise schuldig blieb, erscheinen gewisse Zweifel angebracht. Seine Brüder jedenfalls erhoben offenbar nie vergleichbare Ansprüche. Klenze selbst führte das »von« erst im Namen, nachdem er mit der Verleihung des Ritterkreuzes des weimarischen Falkenordens bzw. des Zivilverdienstordens der Bayerischen Krone 1822 in den persönlichen Adelsstand erhoben worden war. Nach der Standeserhebung Klenzes in den bayerischen Erbadel 1833 durften auch seine Kinder das »von« im Namen tragen.

Ausbildung und prägende Einflüsse

Dem jungen Klenze wurde eine äußerst sorgfältige Ausbildung zuteil. Nach dem Wunsch des Vaters sollte er ebenfalls Beamter werden und im höheren Verwaltungsdienst Karriere machen. Nach der ersten Unterweisung durch Hauslehrer wurde Leo 1798 daher für zwei Jahre auf das renommierte Collegium Carolinum in Braunschweig geschickt, um sich eine möglichst universelle Bildung anzueignen. Den bereits früh mit einigem Nachdruck vorgetragenen Wunsch, höhere Architektur zu studieren und einen künstlerischen Beruf zu ergreifen, schlug sein Vater ihm ab. Immerhin erlaubte er ihm, die erst 1799 gegründete Bauakademie in Berlin zu besuchen. Begleitet wurde dies allerdings von dem strikten Verbot, eine »artistische Richtung« einzuschlagen. Leo sollte sich stattdessen auf das Studium der Kameralwissenschaften konzentrieren.

Die Zeit, die Klenze von 1800 bis 1803 in Berlin zubrachte, erwies sich in vielerlei Hinsicht als prägend. Den genialen, frühverstorbenen Architekten Friedrich Gilly, dessen Werk seine ganze Generation beeinflusste, lernte er zwar nicht mehr kennen, fand aber in dessen Vater, dem Oberbaurat und Mitbegründer der Bauakademie David Gilly, einen wohlwollenden Mentor. Bei ihm hörte er nicht nur Vorlesungen über die Landbaukunst, sondern erhielt auch großzügig Zutritt zu dessen Haus. Entsprechend damaliger Praxis kopierte Klenze systematisch fremde Entwürfe und verfeinerte dabei nicht nur seine Zeichentechnik, sondern erweiterte auch sein Verständnis für architektonische Formen und Lösungen. Dabei lieferte ihm vor allem der künstlerische Nachlass Friedrich Gillys wertvolle Vorlagen. Selbst in späteren Arbeiten Klenzes zeigt sich noch der Einfluss dieses Architekten.

In Anlehnung an den Lehrplan der École Polytechnique in Paris nahmen die technischen Disziplinen an der Bauakademie in Berlin einen herausragenden Stellenwert ein. Ergänzt wurde dieses Angebot durch die architekturgeschichtlichen Vorlesungen des Archäologen und Altertumswissenschaftlers Aloys Hirt, der eine »Wiedergeburt der griechischen Architektur« forderte. Auch dies sollte richtungsweisend für Klenzes weitere Entwicklung werden.

In Berlin kreuzten sich erstmals die Lebenswege Klenzes und Karl Friedrich Schinkels; vielleicht hatte der junge Hildesheimer sogar Zugang zu der »Privatgesellschaft junger Architekten«, der Schinkel angehörte. Zu vertieften Kontakten und der Auseinandersetzung mit dem Werk des Fachkollegen kam es allerdings erst, als beide schon führende Positionen im preußischen bzw. bayerischen Bauwesen bekleideten. Im Frühjahr 1803 schloss Klenze das Studium mit der Prüfung zum Baukondukteur ab. Dank seiner Hartnäckigkeit, vielleicht auch wegen der Fürsprache David Gillys und Aloys Hirts erhielt er nun endlich die väterliche Zustimmung, sich autodidaktisch zum freien Architekten weiterzubilden. Erste Station auf diesem Weg war Paris, wohin Klenze 1803 Gilly für einige Monate begleitete und wo wesentliche Grundlagen für sein weiteres Schaffen gelegt wurden. Als nachhaltig prägend erwies sich zum einen der Dekorationsstil der beiden Architekten des damaligen Ersten Konsuls Napoleon Bonaparte, Charles Percier und Pierre François Léonard Fontaine, zum anderen die Lehre von Jean-Nicolas-Louis Durand, eines der einflussreichsten Architekturtheoretikers seiner Zeit.

Ob Klenze tatsächlich in der Architekturfirma von Percier und Fontaine arbeitete, wie es in einer frühen Vita heißt, lässt sich nicht nachprüfen; zumindest aber eignete er sich eine gründliche Kenntnis des so genannten Empirestils an und stützte sich bei seinen späteren Möbelentwürfen bevorzugt auf die von beiden Architekten herausgegebene Sammlung von Innendekorationen. Intensiv setzte er sich zudem mit der Architekturlehre Durands auseinander. Seit 1795 Professor an der École Polytechnique, brach dieser mit der lange als verbindlich angesehenen Lehre des antiken Architekten Vitruv und erhob an ihrer Stelle die Grundsätze von Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Ökonomie zu den ausschlaggebenden Kriterien der Baukunst. Klenze hörte zwar einige Vorlesungen bei Durand, absolvierte aber sicherlich keine fünfjährige Ausbildung an der École Polytechnique. Diese in späteren Jahren von ihm aufgestellte Behauptung diente wohl eher dem Zweck, seine im Grunde nicht sehr fundierte theoretische Ausbildung nachträglich zu beschönigen.

Gelegenheitsarbeiten und Zufallsbekanntschaften

Ende 1803 kehrte Klenze zu seinen Eltern zurück; mittlerweile lebten diese in Jerstedt bei Goslar. Der Vater zeigte sich recht angetan von den Fortschritten seines Sprösslings und bemerkte mit einigem Stolz: »Seine mitgebrachten Arbeiten, die über meine Erwartungen sind, haben mir Beweise seines Fleißes und seines sehr gebildeten Geschmackes gegeben.« Etwaige Zweifel an der Berufswahl Leos schienen damit ausgeräumt. Johannes Friedrich Klenze bemühte sich sogar, den ein oder anderen Freund als Auftraggeber für seinen Sohn zu gewinnen, doch gab es für den jungen Architekten zunächst nicht viel mehr zu tun, als hin und wieder Möbel oder Inneneinrichtungen zu entwerfen.

Als sich 1804 mit dem Aufruf der vaterländisch-literarischen Gesellschaft Mansfeld zu einem Denkmal für den Reformator Martin Luther die Chance bot, sich einem breiteren Publikum bekannt zu machen, ergriff Klenze diese mit beiden Händen. Er entwarf einen Rundtempel auf einem Sockel, dessen innere Gestaltung sich an das Pantheon in Rom anlehnte. Eine inmitten des Tempels plazierte Kolossalstatue zeigte Luther im antikisierenden Stil als Philosophen, umringt von den kleineren Statuen verschiedener Reformatoren und Philosophen. Selbstbewusst versah der junge Architekt seinen publizierten Entwurf mit einer Widmung an den preußischen König Friedrich Wilhelm III. und nutzte die Gelegenheit, in seinen Erläuterungen näher auf die in Deutschland noch unbekannte Entwurfslehre Durands einzugehen. Vielleicht wegen der Neuartigkeit dieser Architekturauffassung, vor allem aber wohl aus Kostengründen wurde Klenzes Entwurf abgelehnt. Als Preußen 1806 durch französische Truppen besetzt wurde, fand das Projekt ein vorläufiges Ende. Erst 1821 wurde auf dem Marktplatz von Wittenberg ein Standbild Martin Luthers eingeweiht; der Entwurf dazu stammte von dem Bildhauer Johann Gottfried Schadow.

1806 brach Klenze zu einer Reise nach Italien auf, was im klassischen Bildungskanon obligatorisch und für einen aufstrebenden Architekten mit Klenzes künstlerischen Ambitionen geradezu unerlässlich war. In Rom, Paestum und andernorts wollte er Kunst und Architektur, gerade auch die Überreste der antiken griechisch-römischen Baukunst studieren. In einem Palast in Genua machte er die Bekanntschaft eines architektonisch sehr interessierten Franzosen, der sich als Constantin la Flèche-Keudelstein vorstellte. Wie sich zeigte, war dieses zufällige Treffen eine äußerst glückliche Fügung, denn bei Flèche-Keudelstein hinterließ die Begegnung einen nachhaltigen Eindruck. Kaum war er in dem von Napoleon Bonaparte neugeschaffenen Königreich Westphalen zum Generalintendanten des königlichen Hofes aufgestiegen, setzte er sich auch schon für seinen jungen Bekannten ein. Anfang 1808 wurde Leo Klenze von König Jérôme, dem Bruder Napoleons, nach Kassel berufen – ein überzeugender Beweis für sein Talent, einflussreiche Freunde und Gönner in führenden Positionen zu gewinnen und diese von seinem Potenzial zu überzeugen, selbst wenn er dafür keinen substanziellen Beweis erbringen konnte.

Lehrjahre in Kassel

Am 1. Februar 1808, wenige Wochen nachdem König Jérôme in seine neue Hauptstadt eingezogen war, wurde Klenze zum Hofarchitekten ernannt – ein erstaunlicher Karrieresprung, wenn man bedenkt, dass er zu diesem Zeitpunkt keinerlei praktische Bauerfahrung vorzuweisen hatte und einzig ein von ihm in Jugendjahren entworfener Gartenpavillon ausgeführt worden war. Rangmäßig dem langjährigen Oberbaudirektor Heinrich Christoph Jussow wie auch dem ersten Hofarchitekten Henri Victor Grandjean de Montigny nachgeordnet, kümmerte sich Klenze zunächst um die Inventarisierung und Instandsetzung, den Umbau und die Neuausstattung verschiedener königlicher Besitzungen und fertigte eine Reihe von Schlösseransichten an. Der Umbau des Museum Fridericianum, an dem er unter der Leitung Grandjean de Montignys beteiligt war, gab ihm Gelegenheit, den Empirestil erstmals in der Praxis anzuwenden.

Noch 1808 erhielt er von dem für seine Theaterleidenschaft berühmt-berüchtigten König Jérôme den Auftrag, in unmittelbarer Nähe der Sommerresidenz Napoleonshöhe (vormals Wilhelmshöhe) ein Hoftheater zu errichten. Zunächst sollte dieses ausschließlich dem Hof vorbehalten bleiben; auf dem Spielplan standen komische Opern und Komödien. Diese Vorgaben wurden nach Beginn der Bauarbeiten radikal abgeändert. Infolgedessen hatte der unerfahrene Architekt nicht nur mit dem äußerst knappen Bauetat zu kämpfen, sondern er musste nachträglich auch die auf maximal 400 bis 500 Zuschauer ausgelegte Raumkapazität an ein weit größeres Publikum anpassen und die Dimensionen der Bühne so verändern, dass diese künftig auch Ballett- und Opernaufführungen erlaubte. Dass der Anfänger damit überfordert war, lässt sich leicht nachvollziehen. Es galt zu improvisieren, die Umbauten fielen wenig glücklich aus. Daraufhin entzog der Klenze nicht wohlgesonnene Oberbaudirektor Jussow ihm die Bauleitung und veranlasste einschneidende, kaum weniger missglückte Änderungen. Klenze traf dies empfindlich in seinem Stolz; eine Publikation seiner Entwürfe und die ausführliche Darlegung der Umstände, die zu dem in der Öffentlichkeit umstrittenen, von ihm nicht beabsichtigten Erscheinungsbild des Theaters geführt hatten, wurden ihm indes untersagt. Nachdem das Theater 1828 bis 1830 zu einem Ballhaus umgebaut worden war, blieb von Klenzes ursprünglicher Konzeption nur wenig übrig.

Es war nicht das einzige Mal, dass Klenzes Vorgesetzte sich zum Eingreifen veranlasst sahen. Auch bei den königlichen Bellevue-Marställen, die er in der Oberneustadt ausführte, lastete man ihm Baufehler an. Daher übernahm Grandjean de Montigny die Fassadengestaltung und Georg Friedrich Lawes, der Neffe Jussows, die Bauleitung. Klenze wurde im Januar 1811 zur Brücken- und Straßenbauadministration versetzt, erholte sich jedoch schnell von diesem beruflichen Rückschlag. Bereits im Februar 1812 war er wieder zweiter Hofarchitekt.

In Kassel lernte Klenze seine zukünftige Frau kennen. Marie Felicitas Eugenie Blangini (1790–1844), die Schwester des Komponisten und Kasseler Generalmusikdirektors Felice Blangini, war selbst eine vielseitige Musikerin und erfolgreiche Kammersängerin. Im Beisein prominenter Mitglieder des westphälischen Hofes fand am 28. August 1813 in der Elisabethkirche in Kassel die Trauung statt.

Vergeudete Jahre?

Für ein geruhsames Familienleben blieb jedoch wenig Zeit. Die Niederlage Napoleons in der Völkerschlacht bei Leipzig bedeutete das Ende des Königreichs Westphalen. Jérôme Bonaparte, an dessen Herrschaft Klenzes Karriere gekoppelt war, floh. Der Architekt unterzog daraufhin seine Lage einer raschen, kühlen Analyse. Beruflich standen die Aussichten schlecht. Es war kaum zu erwarten, dass der Nachfolger Jérômes ihn weiterhin in seinen Diensten dulden würde. In der Bevölkerung waren Leute wie er, die den Besatzern bereitwillig gedient und sich für die Fremdherrschaft hatten instrumentalisieren lassen, schlecht angeschrieben. Angesichts dieser Umstände hielt es Klenze nicht länger an dem verwaisten Hof. Mangels fehlender tragfähiger Alternativen entschieden er und seine Frau sich dafür, Felice Blangini nach München zu begleiten. Er war 1805 bis 1806 Kapellmeister bei Kurfürst bzw. König Max I. Joseph gewesen und wollte diesem erneut seine Dienste antragen. Vielleicht würde sich bei dem langjährigen Bündnispartner Napoleons auch für einen stellungslosen Architekten Arbeit finden. Überstürzt und gerade noch rechtzeitig vor dem Einmarsch russischer Truppen reiste das Trio Ende Oktober 1813 aus Kassel ab.

Dort hatte man nach Klenzes Weggang wenig Gutes über den Architekten zu sagen, der nach allgemeiner Ansicht mit seinen »monotonen« – bereits 1814 teilweise wieder abgerissenen – Marställen das Stadtbild verschandelt habe. Im Gegenzug tat aber auch Klenze diese »fünf oder 6 Jahre an einem unordentlichen, jeder höheren Tendenz und Consequenz beraubten Hofe« als belanglose Episode ab. In der Rückschau mag ihm dies vielleicht tatsächlich so erschienen sein, vor allem nachdem er am Beispiel des bayerischen Kronprinzen und späteren Königs Ludwig I. erlebt hatte, was ein entschlossener und tatkräftiger Bauherr selbst bei eingeschränkten Finanzen zu leisten vermochte. König Jérôme hatte es sicher nicht an Willen gemangelt, aber die schier erdrückende Abgabenlast, die Napoleon dem Land auferlegt hatte, und die kurze Regierungszeit ließen eine konsequente und zügige Umsetzung des ambitionierten Bauprogramms nicht zu. Was Klenze bei der Bewertung seiner Jahre in Westphalen offenbar nicht in Betracht zog, war, dass sich ihm, dem unerfahrenen Anfänger, ein Wirkungsfeld eröffnet hatte, welches ihn in geradezu idealer Weise auf seine Tätigkeit in Bayern vorbereitete. Klenze konnte sich die ihm bisher fehlende Bau- und Geschäftspraxis aneignen, er war intensiv eingebunden in die Planungen für den Ausbau der Hauptstadt durch die Anlage neuer repräsentativer Straßen und Großbauten. Er arbeitete an Entwürfen für eine Exerzierhalle, eine Militärakademie und einen Konzertsaal, für Krongüter und königliche Residenzen, für Geschäfts- und private Wohnhäuser und machte sich nebenbei noch mit dem Straßen- und Brückenbau vertraut. Er gewann Einblick in die hierarchischen Strukturen im Bauwesen, begriff, wie wertvoll ein einflussreicher Gönner und ein gutes Verhältnis zu diesem waren, mochte dieser nun la Flèche-Keudelstein, Jérôme oder später eben Ludwig heißen. Er lernte, wie man sich Zugang zur guten Gesellschaft verschaffte, wie man sich in höfischen Kreisen bewegte und von diesen akzeptiert wurde, was die Liste hochrangiger Hof- und Staatsbeamter, die sich bei seiner Hochzeit als Gäste einfanden, eindrucksvoll belegt. Alles in allem also unschätzbare Erfahrungen, von denen er in Bayern wesentlich profitieren sollte.

Heimat- und stellungslos

Ob Klenze, wie er später in seinen »Memorabilien« behauptete, angesichts der Nachricht vom Sieg der Alliierten über Napoleon tatsächlich »so von Freude, über [des] Vaterlandes Befreyung ergriffen worden« war, dass er den Verlust einer glänzenden beruflichen Existenz, seines Lebensunterhaltes und Wohnortes als geringen Preis dafür erachtete und seine Euphorie sofort in den Entwurf für ein Nationaldenkmal umwandelte, ist fraglich. Zweifellos war er sich darüber im Klaren, dass ihn seine langjährigen Dienste für einen Bonaparte angesichts der veränderten politischen Umstände in den Augen der Siegermächte diskreditieren mussten. Da er diesen Makel in seinem Lebenslauf nicht durch ein eindrucksvolles Œuvre wettmachen konnte, war es dringend angezeigt, seinen Patriotismus unter Beweis zu stellen. Er tat dies, wie naheliegend, durch die Ausarbeitung mehrerer Schaublätter, in denen er der Befreiung Europas und besonders Deutschlands vom napoleonischen Joch ein architektonisches Denkmal setzte. Aber auch sein – erfolgloses – Gesuch um eine Offiziersstelle in der bayerischen Armee und der damit verbundene Wunsch, am Krieg gegen Frankreich teilzunehmen, sind wohl in diesem Licht zu sehen.

Über Klenzes Aufenthalt in der bayerischen Hauptstadt vom Winter 1813 bis zum Sommer 1814 ist wenig bekannt; letztlich erwies er sich als Fehlschlag. Er konnte zwar Kontakte zu Künstlerkreisen knüpfen, sich König Max I. Joseph vorstellen und Kronprinz Ludwig in einer Audienz seine Entwürfe zu Denkmälern auf die Befreiung Deutschlands und Spaniens zeigen, aber aus all dem ergaben sich keine beruflichen Perspektiven. Er beschloss daher, sein Glück in Wien zu versuchen, wo sich die europäischen Staatsoberhäupter versammelt hatten, um über die Neuordnung Europas zu beraten, und wo sich für ihn vielleicht eher eine Chance ergeben mochte. Doch auch in der Kaiserstadt fanden sich weder Gönner noch Aufträge. Enttäuscht brach Klenze Ende 1814 den Aufenthalt in Wien ab und nutzte die Gelegenheit, mit einem Bekannten aus Kassel nach Paris zu reisen, wo er nach Monaten der Trennung seine Frau und den am 21. Juli 1814 geborenen Sohn Hippolyt wiedersah.

Die weitere Stellungssuche musste freilich warten, bis sich die politischen Verhältnisse geklärt hatten. Die triumphale Rückkehr Napoleons von der Insel Elba, seine Herrschaft der 100 Tage von März bis Juni 1815, den Sieg der Alliierten in der Schlacht von Waterloo und die Rückkehr der Bourbonen erlebte Klenze hautnah mit, behielt aber einen hinreichend klaren Kopf und genügend Risikobereitschaft, um in den Tagen von Napoleons endgültigem Sturz mit Börsenspekulationen sein Vermögen zu vervielfachen und sich damit finanzieller Sorgen bis auf Weiteres zu entledigen.

2  Karriere im zweiten Anlauf

Im August 1815 kam es zu einem folgenreichen Wiedersehen zwischen Klenze und dem bayerischen Thronfolger. Nachdem Kronprinz Ludwig im Gefolge des Feldmarschalls Karl Philipp von Wrede am Feldzug gegen Frankreich teilgenommen hatte, war er im Juli 1815 mit den Siegermächten in Paris eingetroffen. Für Klenze sollte diese zweite Begegnung der Auftakt einer langen, erfolgreichen Karriere in Bayern werden.

 

Das neue Bayern: Ein Königreich von Napoleons Gnaden mit einem Kronprinzen in Opposition

tralfigur der antinapoleonischen Opposition wurde