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Franz Metzger

Kleine Geschichte
Mittelfrankens

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© 2020 Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Gutenbergstraße 8 | 93051 Regensburg

Tel. 0941/920220 | verlag@pustet.de

ISBN 978-3-7917-3171-1

Reihen-/Umschlaggestaltung und Layout: Martin Veicht, Regensburg

Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau

Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg

Printed in Germany 2020

eISBN 978-3-7917-6180-0 (epub)

Unser gesamtes Programm finden Sie im Webshop unter

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Inhalt

Vorwort

Bevor die Franken kamen – Ur- und Frühgeschichte

Prolog: Ein ganz besonderer Vogel / Jäger, Sammler, Ackerbauern / Bronzezeit in Franken / Eiserne Zeiten und keltische Städte / Der Goldhut von Ezelsdorf / Vorposten des Römischen Reichs / Eine Mauer gegen Räuber und Migranten / Der Limes fällt / Der Römerschatz im Spargelbeet / Zuwanderer und Gauburgen

Der Weg ins Frankenreich

Neue Siedler braucht das Land: Franken und Slawen / Im Frankenreich / Ein Herzogtum für Franken / Glaubensboten aus fernem Land / Heidenheim – Keimzelle der Christianisierung / Eingebunden in das Karolingerreich / Der Karlsgraben / Von Ostfranken zum Herzogtum Franken

Kaiser, Grafen, Bürger – Das hohe Mittelalter

Kronland Franken / Nürnberg tritt aus dem Schatten der Geschichte / Sigena und Sankt Sebald / Ein neues Bistum, eine neue Burggrafschaft / Im Kampf zwischen Papst und Kaiser / Machtbasis im Stauferreich / Die Hohenzollern kommen / Ritter des schwarzen Kreuzes / Wolfram, der Dichter aus Franken / Niedergang der Königsmacht / Fünf freie Städte in Franken / Rätsel um einen Silberschatz / Kaiserliche Patrone / Konrad Groß, Bankier des Kaisers / Die Juden als Sündenböcke / Landjuden in Franken / Ein neues Böhmen / Goldene Straße und Goldene Bulle / Aufstieg und Fall des Heinrich Toppler

Krieg um Franken, Kunst in Franken – Das 15. Jahrhundert

In der Gunst der Kaiser: Aufstieg der Hohenzollern / Achilles sucht den Krieg / Der Staat der Reichsstadt / Frommes Franken: Von Pilgern und Stiftern / Reichskreis Franken / Klöster für das Seelenheil / Die Heiligtümer des Reichs / Ein goldenes Zeitalter / Albrecht Dürer – ein Migrantensohn macht Karriere

Dramatische Zeiten – Reformation und Dreißigjähriger Krieg

Gespaltener Glaube / Lazarus Spengler und Andreas Osiander / Gespaltenes Franken / Aufstand des gemeinen Mannes / Alcibiades träumt vom Franken-Reich / Hexenjagd im Frankenland / Das große Sterben: 30 Jahre Krieg / Marschall Pappenheim – Feldherr aus Mittelfranken / Der Krieg kommt nach Franken / Verheertes Land / Meistertrunk und Kinderzeche / Der Friede wird in Nürnberg besiegelt / Von Windsheim in die weite Welt

Fürstenmacht und Umsturzzeiten – 1700 bis 1806

Offene Türen für Glaubensflüchtlinge / Hugenottenstadt Erlangen / Barocke Pracht und leere Kassen / Der „wilde Markgraf“ / Die Affären des „wilden Markgrafen“ / Barock in Mittelfranken / Die Not der armen Leute / Der letzte Markgraf / Franken in Amerika / Preußisch-Franken / Wellenschläge der Revolution / Umsturz in Nürnberg / Bayern wider Willen / Kriminelle Zeiten

Unterm Bayernlöwen

Für Napoleon sterben? / Märtyrer der freien Rede – Johann Philipp Palm / Ein „Marshall-Plan“ für Mittelfranken / Die Entdeckung des romantischen Franken / Ein Museum der deutschen Nation / Enttäuschte Hoffnungen / Der Rätselhafte – Kaspar Hauser / Protest, Rebellion und Separatismus / Auf sieben Kilometern in die Zukunft / König Ludwigs Kanal-Träume / Unternehmer und Pioniere / Kaderschmieden der neuen Zeit / Der lange Weg zur Emanzipation / Im Sog der Fabriken / Wilhelm Löhe und die Diakonie

Vom Kaiserreich zur Stunde Null

Im neuen Reich / Chlodwig von Hohenlohe-Schillingsfürst – Reichskanzler aus Franken / Republik in der Krise / Julius Streicher – „Frankenführer“ und Judenhetzer / Im NS-Reich / Die Synagogen brennen / KZ-Außenlager in Mittelfranken / Henry Kissinger – von Fürth zum Friedensnobelpreis / Im Bombenhagel

Von der Stunde Null ins neue Millennium

Neubeginn aus Trümmerbergen / Neue Heimat Mittelfranken / Der NS-Staat vor Gericht / Das Dorf der Instrumentenbauer / Der wunderbare Aufschwung / „Gäste“, die bleiben / Bruderkampf im Sportgeschäft – Die Dasslers / Verschwundene Kreise und neue Wege / Hafenstädte in Mittelfranken / Gegen den Muff / Wirtschaft in der Krise / Neue Horizonte, neue Herausforderungen

Anhang

Übersichtskarte / Zeittafel / Generalkreiskommissare und Bezirkstagspräsidenten / Literatur (Auswahl) / Register / Bildnachweis

Vorwort

Es war die enge Anlehnung an Napoleon I., den Vollender und Überwinder der Französischen Revolution, die dem Kurfürsten Max I. Joseph von Bayern 1806 die Königskrone und viele neue Untertanen im Frankenland bescherte. Der neue, moderne Staat der Wittelsbacher sollte nun auch nach modernen Prinzipien regiert werden. Dazu gehörte die Einteilung in überschaubare Verwaltungseinheiten, ähnlich den französischen Departements. Ebenfalls dem französischen Vorbild entsprach die Benennung nach Flüssen: Obermainkreis, Untermainkreis, Rezatkreis. Als Teil seiner „Charmeoffensive“, um die noch immer zögerlichen Neu-Bayern im Norden für sich und sein Haus zu gewinnen, genehmigte der nächste Bayernkönig, Ludwig I., die Umbenennung in Ober-, Unter- und Mittelfranken, womit der alte Stammes- und Regionalname Auferstehung feiern konnte.

In ihren neuen Verwaltungsbezirken fanden sich die Franken mit Nachbarn höchst unterschiedlicher Geschichtserfahrung zusammengespannt. Am einheitlichsten war noch Unterfranken, das hauptsächlich aus Gebieten der ehem. Fürstbistümer Würzburg und Mainz zusammengesetzt und überwiegend katholisch war. In Oberfranken bestand dagegen ein schroffer Kontrast zwischen der ehem. Markgrafschaft Bayreuth, hohenzollerisch-preußisch geprägt und evangelisch, und dem katholischen Ex-Fürstbistum Bamberg.

Eine Polarisierung gab es aber auch in Mittelfranken: Hier die Lande der früheren Markgrafschaft Ansbach, dort die fünf ehem. Freien Reichsstädte Nürnberg, Rothenburg, Dinkelsbühl, Weißenburg und Windsheim. Die mochten zwar alle der Reformation gefolgt sein, hatten aber jahrhundertelange Konflikte, inklusive verheerender Kriegsaktionen, nicht vergessen. Einen relativ kleinen katholischen Gegenpol lieferten die Lande, die vom Eichstätter Bischof oder vom Deutschen Orden regiert worden waren. Hinzu kamen etliche ehem. Reichsritter- und Reichsfürstenlande.

Die Geschichte der in unserem Regierungsbezirk zusammengefassten Lebensräume ist also komplex und verlangt einen häufigen Wechsel des Blickpunkts. Die rein räumlichen Beschränkungen einer „Kleinen Geschichte“ müssen auch dazu führen, dass nicht jede Gemeinde oder Herrschaft angemessen abgehandelt werden kann, wofür ich um Verständnis bitte. Es erschien mir wichtig, die bedeutendsten Ereignisse und Entwicklungen der mittelfränkischen Geschichte in größere Zusammenhänge einzufügen und so verständlicher zu machen. Manches interessante und aufschlussreiche Detail musste daher beim Redigieren auf der Strecke bleiben. Mein Dank gilt den vielen ZuarbeiterInnen der Fachliteratur und dem Kulturreferat der Bezirksregierung von Mittelfranken sowie der Naturhistorischen Gesellschaft Nürnberg für ihre Unterstützung. Bedanken möchte ich mich auch beim Lektoratsteam Pustet für die inspirierte Zusammenarbeit.

Trotz des harzigen Beginns hat sich in den über 200 Jahren seines Bestehens im Regierungsbezirk Mittelfranken ein Gemeinschaftsgefühl entwickelt, das die unterschiedlichen historischen Hintergründe nicht nur respektiert, sondern sie auch als Bereicherung eines gemeinsamen kulturellen Erbes versteht. Ich hoffe, dass dieses Buch seinen Leserinnen und Lesern Anstoß geben mag, sich intensiver mit diesem Erbe zu beschäftigen.

Nürnberg, im Sommer 2020

Franz Metzger

Bevor die Franken kamen – Ur- und Frühgeschichte

Prolog: Ein ganz besonderer Vogel

Seinen ersten Beitrag zur Weltgeschichte leistete Mittefranken vor rund 150 Mio. Jahren: Da bedeckte das ausgedehnte Jurameer unser Gebiet. In den Wassern jagten Flugsaurier nach Fischen, und das ging nicht immer gut. Verunglückte Flugsaurier stürzten ins Meer, und ihre Kadaver versanken in Sedimentschichten, in denen die härteren Körperteile versteinerten. Diese Schichten, schließlich von tektonischen Bewegungen angehoben, bildeten die langgezogene Gebirgskette des Jura. Durch deren östlichsten Teil, die Fränkische Alb, gruben sich Flüsse ihren Weg, darunter die Altmühl auf ihrem Weg zur Donau. Das Tal bot fruchtbares Siedlungsland, und es entwickelten sich Dörfer und Städtchen, darunter Solnhofen.

Zum wichtigen Arbeitgeber der Region wurden die Steinbrüche; der Solnhofer Plattenkalk war weithin gesucht für Fliesen und Wandverkleidungen. Schon die Römer nutzen ihn zur Ausgestaltung ihrer Bäder; als Baumaterial fand er seit dem Mittelalter weite Verbreitung. Einen gewaltigen Aufschwung fand der Plattenkalk-Abbau, als Alois Senefelder (1771–1834) die Lithographie erfand, eine Reproduktionstechnik, für die der fränkische Kalk die ideale Grundlage bot.

Mit dem intensiveren Abbau häuften sich auch die Funde von Fossilien. Solnhofen wurde zum Mekka der Urgeschichtsforscher, die sich auf die geschulten Augen der Steinbrucharbeiter verlassen konnten. 1860 wurde so im Gemeindesteinbruch eine fossile Feder entdeckt, eine kleine Sensation, da aus der Jura-Epoche bislang keine Vögel bekannt waren. Der Frankfurter Paläontologe Hermann von Meyer gab dem Fund und dem dazugehörigen noch unbekannten Tier den Namen Archaeopteryx („Urfeder“). Ein weiterer Fund ein Jahr später machte die Sensation perfekt: Im Kalk eingebettet fand sich da der Körperabdruck eines Geschöpfes, dessen Körperbau, Flügelarme und zahnbesetzter Schnabel es eindeutig als flugfähigen Saurier auswiesen. Statt einer Saurierhaut trug das Tier aber ein Federkleid.

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Kronzeuge der Evolutionstheorie: Mit dem Fund des „Urvogels“ Archaeopteryx schrieb Solnhofen Wissenschaftsgeschichte.

Um die Dramatik dieses Fundes zu begreifen, muss man sich vergegenwärtigen, dass nur zwei Jahre zuvor Charles Darwins Grundsatzwerk „Von der Entstehung der Arten“ erschienen war, mit dem er die Evolutionstheorie postulierte. Umgehend hatte sich eine hitzige Kontroverse entwickelt. Was Darwin und seine Gefolgsleute benötigten, waren „missing links“, Belege für den Übergang von einer Spezies zu einer anderen. Der Archaeopteryx hätte als Glied zwischen Sauriern und Vögeln nicht besser erfunden worden sein können. Doch er war real – so real, dass Richard Owen, einer der hartnäckigsten Gegner Darwins, umgehend den Solnhofer Fund kaufte, um ihn in einer Schublade verschwinden zu lassen. Ein sinnloses Manöver, da der fränkische Plattenkalk in den folgenden Jahrzehnten weitere Exemplare des „Urvogels“ preisgab.

Dass sich die Evolutionstheorie schließlich durchsetzte, war also auch Steinbrucharbeitern und -besitzern aus Mittelfranken zu verdanken.

Jäger, Sammler, Ackerbauern

Vom bislang ältesten menschlichen Bewohner Mittelfrankens ist gerade einmal ein Backenzahn geblieben: Den fanden Archäologen der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg 1986 in den Fundschichten der Höhlenruine von Hunas bei Pottenstein (Kr. Nürnberger Land). Der Zahn gehört eindeutig einem Mitglied der Spezies Homo sapiens neanderthalensis und wird anhand der Fundschichten auf etwa 120.000–100.000 Jahre vor unserer Zeit datiert. In tieferen, also noch älteren Schichten (ca. 200.000 Jahre) wurden einfache Steinwerkzeuge gefunden. Die Hunas-Höhle bewahrte demnach die ältesten Belege menschlicher Aktivität in Bayern.

Der Besitzer des Zahns und seine Sippe lebten während der Würm-Eiszeit im fränkischen Jura. Im Vorland der gewaltigen Gletscher, die sich aus den Alpen herausgeschoben hatten, bestand damals eine weitgehend baumlose Tundra, die erfahrenen Großwildjägern, wie es die Neandertaler waren, gute Bedingungen bot.

Mit dem Rückzug der Gletscher änderten sich die Landschaft und das Siedlungsmuster: Statt in Höhlen lebten die Mittelsteinzeitmenschen als Jäger und Sammler in einfachen Unterständen und Hütten, für die sandiger Boden, wie er in Mittelfranken weit verbreitet ist, vorteilhafter ist als Wald und Sumpf. Außer einigen Steinwerkzeugen sind aus dieser Epoche wenig Zeugnisse erhalten.

Die Jungsteinzeit sah eine der großen Umwälzungen der Menschheitsgeschichte: Aus der Pannonischen Tiefebene (heute Ungarn) brachten Siedler ab etwa 7000 v. Chr. Ackerbau und Viehzucht nach Mitteleuropa. Damit einher ging die Sesshaftigkeit – der Mensch musste seiner Nahrung nicht folgen, sondern hatte sie vor der Haustür. Karge Sandböden eigneten sich allerdings weniger für die neue Kultur. Entsprechend verschob sich das Siedlungsmuster in Mittelfranken, in dem sich von nun an eine bestimmte Kontinuität feststellen lässt. Eines der besten Beispiele bietet Landersdorf bei Thalmässing, wo Siedlungsspuren aus der Eisen- über die Bronzebis in die Jungsteinzeit der „Chamer Gruppe“ (ca. 3500–2500 v. Chr.) ausgegraben wurden. Auf Initiative der Naturhistorischen Gesellschaft Nürnberg entstand hier inzwischen ein Geschichtsdorf rekonstruierter Gebäude, an denen sich die Lebensumstände von Steinzeitbauern, Kelten und Bajuwaren miterleben lassen.

Für die Aufbewahrung ihrer Nahrung entwickelten die frühen Bauern die Töpferei von Tongefäßen, die sie mit bandartigen Mustern versahen; die Wissenschaft nennt sie daher die Bandkeramiker. Während diese Kultur in unserem Gebiet Spuren hinterließ, scheint sich die nachfolgende „Glockenbecherkultur“ in Mittelfranken nur langsam ausgebreitet zu haben. Dies könnte daran gelegen haben, dass ihre Vertreter etwas suchten, was in Mittelfranken selten war: Erze, aus denen sich Metalle herausschmelzen lassen – wir stehen am Beginn der Metallzeit. Deren erste Epoche, die Bronzezeit, dürfte Franken erst um 1700 v. Chr. erreicht haben. Hortfunde, wie jene von Nürnberg-Mögeldorf oder Henfenfeld, belegen dann auch für unseren Raum das Sammeln von „Altmetall“ zum Einschmelzen und Wiederverwenden.

Bronzezeit in Franken

Die Bronzezeit sah nicht nur einen Wandel in den Gebrauchsgegenständen, vom Schmuck bis zu den Waffen, sie sah auch die Entwicklung eines ganz Europa umspannenden Handels- und Kommunikationsnetzes. Der Transport der Basismetalle Zinn und Kupfer zu den Verarbeitungsstätten verband sich mit einem Austausch anderer Güter; ein Beispiel dafür ist das Schwert von Hammer, bei dem sich mykenische Elemente mit einheimischer Tradition verbanden. Ein erster europäischer Wirtschaftsraum entwickelte sich, und dieser Raum kam auch sozial und politisch in Bewegung: Es bildeten sich spezialisierte Berufsgruppen wie Metallverarbeiter und Fernhändler heraus. Spezialisierung wie Austausch führten dazu, dass bestimmte Personenkreise Reichtum und größeren Einfluss gewannen. Es entstand eine Führungselite, welche die Geschicke der Gemeinschaft bestimmte, aber auch eine Expansion ihres Machtbereichs anstrebte. Diese Hierarchisierung der Gesellschaft gipfelte in der Ausbildung eines Fürstenstandes, dessen Repräsentanten in mächtigen Hügelgräbern beigesetzt wurden.

Ab dem Beginn des 2. Jtds. hatte sich so in Mitteldeutschland die Aunjetitzer Kultur ausgebildet, die für rund 400 Jahre ein erstes „Reich“ mit eigener Hochkultur auf deutschem Boden schuf. Mangels schriftlicher Aufzeichnungen wissen wir allerdings wenig über Strukturen und Organisation dieser und nachfolgender bronzezeitlicher Kulturen. Spektakuläre Funde wie die Himmelsscheibe von Nebra oder die verschiedenen Goldhüte weisen aber auf eine differenzierte Gesellschaftsordnung mit hochentwickeltem technischem, wissenschaftlichem und spirituellem Wissen hin.

Eiserne Zeiten und keltische Städte

Neben der Aunjetitzer Kultur konnten die Archäologen in der frühen Bronzezeit weitere Kulturkreise mit ebenfalls vor-staatlichen Strukturen bestimmen. Eine dieser Kulturen ist die sog. Riesgruppe, deren bislang wichtigster Fundort das Gräberfeld von Wettenheim (Stadt Treuchtlingen) ist. Diese Ganzkörperbeisetzungen wurden nach 1300 v. Chr. durch das Vordringen einer neuen Kulturform, vermutlich durch Zuwanderung, verdrängt, welche die Spätbronzezeit bestimmte: Die Angehörigen der „Urnenfelderkultur“ verbrannten ihre Toten und setzten die Asche bei.

Der Goldhut von Ezelsdorf

An der Grenze zwischen Mittelfranken und der Oberpfalz kam es im Februar 1953 zu einem archäologischen Sensationsfund: In seinem Waldstück der Gemarkung Ezelsdorf-Buch (Gde. Burgthann) sah sich der Maurermeister Michael Dörner beim Roden von einem großen Stück goldglänzenden „Blechs“ behindert. Seine Frau sammelte die zerhackten Fundstücke ein und zeigte sie – neugierig geworden, ob es nicht doch Gold sein könnte – ihrem Zahnarzt. Als sich die „Diagnose“ bestätigte, wurde glücklicherweise das Germanische Nationalmuseum informiert, wo man nach mühseliger Rekonstruktion eines der großen Rätsel der Bronzezeit bewundern konnte: einen fast 90 cm hohen, mit vielen Punzierungen geschmückten Goldkegel.

Die frühgeschichtliche Archäologie kennt nur vier dieser aufwendigen Kultgegenstände: Einer wurde bei Schifferstadt gefunden, ein weiterer bei Avanton in Westfrankreich. Der Fundort des vierten Kegels, der in Berlin aufbewahrt wird, ist ungeklärt, dürfte aber ebenfalls im süddeutsch-französischen Raum vermutet werden. Sinn und Zweck dieser Goldkegel wurden lange und widersprüchlich diskutiert. Heute tendiert die Forschung zu der Deutung, dass die spitzen Kegel von Priestern bei Zeremonien als Hüte getragen wurden; die aufwendige Ornamentierung dürfte einen Kalender darstellen. Diese Ausrichtung auf die Dokumentation von Himmelskörpern fügt die „Goldhüte“ in die hochstehende bronzezeitliche Kultur zwischen ca. 1500 und 1000 v. Chr. ein, die uns u. a. auch die Himmelsscheibe von Nebra hinterlassen hat. Mittelfranken muss also Teil dieses Kulturkreises mit seinem hoch entwickelten Handelsnetz gewesen sein. Wo sich das Zentrum befunden haben könnte, in dem die Priester den Ezelsdorfer Goldhut den Zeitgenossen präsentierten, ist bis heute ein Rätsel.

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Der Goldhut von Ezelsdorf belegt die Einbindung Mittelfrankens in die Hochkultur der Bronzezeit.

Dass die Zeiten härter wurden, belegen Spuren auf dem nahen Hesselberg, wo jetzt Befestigungs- und Verteidigungsanlagen angelegt wurden. Diese sind auch ein Hinweis auf den nächsten großen Einschnitt der Frühgeschichte: Aus dem Nahen Osten hatte sich die Kunst der Eisenverarbeitung ausgebreitet und wurde von Völkerschaften vorangetrieben, deren Eisenwaffen der Bronze deutlich überlegen waren. Im Gegensatz zu Zinn und Kupfer ist Eisenerz sehr viel weiter verbreitet – auch im fränkischen Raum –, so dass sich diesbezüglich eine höhere „Waffengleichheit“ herausbildete. Die eisenzeitlichen Epochen der Hallstatt- (ab ca. 800) und La-Tène-Zeit (ab ca. 450) brachten so eine einheitliche Zivilisation hervor, deren Träger sich nun auch ethnisch als Kelten einordnen lassen.

Die keltische Kultur war in ihren Strukturen eine Fortschreibung der Urnenfelder-Zeit: Die Menschen lebten zum Teil in offenen Siedlungen, schützen sich aber in Wallburgen, die bis mehrere Tausend Menschen umfassen konnten und vorzugsweise auf leicht zu verteidigenden Hochplateaus errichtet wurden. Es gab eine arbeitsteilige Gesellschaft mit spezialisierten Handwerkern, geführt von einer fürstlichen Elite und spirituell von Druiden betreut. Eine bedeutende Keltenstadt bestand auf der Houbirg bei Hersbruck, die ihrerseits auf einer spätbronzezeitlichen Wallburg aufbaute. Von dort aus durchzogen wichtige Handelswege ganz Mittelfranken zu anderen Keltenzentren wie Manching, dem Staffelberg oder dem Würzburger Marienberg. Kleinere Verteidigungsstellungen waren als Viereckschanze angelegt, wie sie z. B. in Ohlangen bei Thalmässing ausgegraben wurde.

Die keltische Kultur blühte und wurde damit wohl Opfer ihres eigenen Erfolgs. War es ein zunehmender Bevölkerungsdruck? Eine Erschöpfung der Böden durch Übernutzung? Ende des 5. Jhs. v. Chr. erfasste jedenfalls eine große Unruhe die keltischen Völkerschaften in Mitteleuropa. Mehr und mehr Gruppen setzten sich in Bewegung, stießen auf der Suche nach neuem Lebensraum bis Rom, Spanien und Kleinasien vor. Die große Wanderung dünnte die Bevölkerung auch im fränkischen Raum aus, wie die seltener werdenden Funde zeigen.

In dieses Vakuum stießen germanische Siedler vor, während gleichzeitig eine andere Hochkultur in Gestalt einer Weltmacht ihre Legionsadler bis an die Rezat führte.

Vorposten des Römischen Reichs

Das letzte Jahrzehnt des 1. Jhs. n. Chr. brachte für Mittelfranken einen bedeutenden Einschnitt seiner Historie: Aus der Vorgeschichte, die nur durch archäologische Forschung und Interpretation erschlossen werden kann, wurde der südliche Teil unseres Gebietes in eine komplexe Hochkultur katapultiert. Die hier Lebenden wurden Bürger eines Imperiums, das sich von der Iberischen Halbinsel bis zum Euphrat und von der Nordsee bis zur Sahara erstreckte.

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Tor zum Imperium: Rekonstruktion der Limesbefestigung am römischen Kastell Biriciana (Weißenburg).

Noch unter Kaiser Augustus (reg. 26 v.–14 n. Chr.) hatten die Strategen des Römischen Reichs das von Kelten besiedelte Voralpenland bis zur Donau unterworfen. In der neuen Provinz Raetia blühte umgehend die römische Zivilisation auf. Neben der militärischen Infrastruktur mit einem hochwertigen Straßennetz entstanden Städte mit allen urbanen Annehmlichkeiten und einer differenzierten Bevölkerung aus Handwerkern, Kaufleuten, Dienstleistern und Staatsbeamten. Händler brachten Güter aus allen Teilen des Imperiums und exportierten heimische Produkte in den gesamten römischen Wirtschaftsraum. Villen und Landgüter der Oberschicht verteilten sich über fruchtbare Anbaugebiete und brachten auch der Landbevölkerung römische Zivilisation nahe.

Unter Kaiser Domitian (reg. 81–96) überschritten römische Legionäre und Ingenieure die Donau, um die Reichsgrenze, den „Limes“, weiter in germanisches Gebiet vorzuschieben. Es ging dabei nicht um großflächige Eroberung, sondern um die Verbreiterung des Verteidigungsvorfeldes der Provinz Raetia. Gleichzeitig sollte eine verkürzte Verbindung zur Grenze der Provinz Germania hergestellt werden, die vom Taunus durch den Odenwald bis zur Schwäbischen Alb verlief. Der Vorstoß der Römer endete am Fuße der Frankenalb; die Grenze verlief nun vom Hesselberg durch die Täler von Wörnitz, Altmühl und Rezat, um hinter Weißenburg über die Alb zur Mündung der Altmühl in die Donau zu verlaufen. Ihren nördlichsten Punkt erreichte die neue Reichsgrenze beim Kastell von Gunzenhausen.

Eine Mauer gegen Räuber und Migranten

Die erste Befestigung bestand aus einem Palisadenzaun mit Wachttürmen und dazwischen eingefügten Toranlagen, welche die Verbindung zum „Barbarenland“ herstellten. Es dauerte bis weit ins 2. Jh., ehe der Limes seine klassische Form als durchgängige Steinmauer mit hölzernen Wehrgängen zu den in regelmäßigen Abständen eingefügten Wachttürmen fand. Durchgänge waren jetzt als massive Torbefestigungen angelegt. In 1 bis 5 km Abstand zur Grenzmauer entstanden Kastelle, befestigte Militärlager für 250 bis zu 1000 Legionäre und Hilfstruppen, welche die Wachttürme besetzten und als schnelle Eingriffstruppe reagieren konnten. Die Kastelle folgten einem architektonischen Masterplan: Das quadratisch bis rechteckige Feldlager wurde von zwei sich kreuzenden Hauptachsen unterteilt, die zu vier Eingangstoren führten. Kommandantur und die wichtigsten Verwaltungsund Vorratsgebäude befanden sich am Kreuzungspunkt.

Über die genaue Funktion der Limesanlage wurde lange kontrovers diskutiert. Heute herrscht weitgehende Übereinstimmung, dass es sich dabei weniger um einen Verteidigungswall gegen Barbarenhorden handelte, sondern vielmehr um ein „Frühwarnsystem“ und eine Kontrolle von Handel und Migration. Die Bewegung von Menschen und Waren konnte so überwacht und gesteuert werden, und sollten sich doch einmal auf Raub ausgerichtete Banden zeigen, würde die Nachricht durch optische Signale von Wachtturm zu Wachtturm und zu den Kastellen weitergegeben. Während man dort in Alarmbereitschaft trat, konnten, wenn nötig, die Legionen im Hinterland in Marsch gesetzt werden. Die eindrucksvolle Grenzanlage machte zudem jedem Ankommenden klar, dass von hier an römisches Recht und römische Interessen zählten.

Neben dem Kastell entwickelte sich in der Regel eine Zivilsiedlung (vicus), in der sich Handwerker und Händler niederließen, welche die Truppen versorgten, aber auch den Güteraustausch mit der Bevölkerung jenseits der Limes-Tore organisierten. Diese Vici konnten eine beachtliche Einwohnerzahl erreichen und besaßen dann auch die Annehmlichkeiten, die ein römischer Stadtbewohner erwartete: Thermen, Theater, Tempel und Foren. Ein gut erschlossenes Beispiel für das Leben in Römisch-Mittelfranken bietet BiricianaBiricianas