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Astrid Hansen

Flensburg

Eine Stadtgeschichte

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UMSCHLAGMOTIVE

Vorderseite: Flensburg. – Stadtansicht von Osten (Foto: Eiko Wenzel, Flensburg); Rückseite: Takelage eines historischen Segelschiffes

(Foto: Bernd Vollmar)

BIBLIOGRAFISCHE INFORMATION DER

DEUTSCHEN NATIONALBIBLIOTHEK

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

ISBN 978-3-7917-3129-2

© 2020 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Reihen-/Umschlaggestaltung und Layout: Martin Veicht, Regensburg

Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau

Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg

Printed in Germany 2020

eISBN 978-3-7917-6170-1 (epub)

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Inhalt

Kleine Einführung

Landschaft, Stadttopografie, Brände und Fluten

Flensburg im Mittelalter

Eine Siedlung des 12. Jahrhunderts: St. Johannis

Spätmittelalter und Frühe Neuzeit (bis 15. Jahrhundert)

Flensburg: Stadtrecht 1284 / Knudsgilde: die Regierung in der Zeit Waldemars des Großen / Handel, der die Stadt bedeutend macht: Reichtum auch ohne die Hanse / Margarethe I.: Königin in Flensburg / Die Duborg: Flensburg und sein Schloss / Kirchen und Klöster: religiöses Leben in Flensburg / Der Flensburger Denkmalstreit 1967

Flensburg im 16. und 17. Jahrhundert

Die Stadt wird evangelisch-lutherisch: die nordelbische Landeskirche / Das Alte Gymnasium / Peter Pommerening: Bürgermeister der Stadt / Niedergang: der Dreißigjährige Krieg / Flensburgs Altstadt: Höfe und viel mehr / Das Fachwerkhaus in der »Flensburger Galerie« / Die Schifffahrt: ein Kapitel für sich / Handwerk in der Stadt: brauen, brennen, mahlen

Das glückliche 18. Jahrhundert

Der Nordische Krieg: Leben nach 1712 / Pietismus in Flensburg / Bedeutende Kaufleute: nicht nur Familie Christiansen / Nicht nur Ruhm: der blühende Rum-Handel / Die Spiegelgrotte und ein phönizischer Sarkophag / Die Neustadt: Aufhebung des Bauverbots / Blüte des Klassizismus in Flensburg: dänische Architektur allenthalben / Andersen zu Besuch: Reisende und Dichter in Flensburg / Borgerforeningen: ein Bürgerverein wird dänisch / Der Idstedt-Löwe

Das schwierige 19. Jahrhundert

Kieler Frieden 1814: Leben in Flensburg in Kriegszeiten / Beispiel Marienhölzung: Gesellschaftsleben in Flensburg / Deutsch-Dänische Kriege: 1848 und 1864 / Up ewig ungedeelt: die Ripener Handfeste und keine Doppeleiche / Flensburg wird größer und preußisch: Architektur und anderes / Die Förde-Dampfschifffahrt und die Petuhtanten / Der Flensburger Bauverein – Peter Christian Hansen / Flensburgs Presse: Nachrichten, Avis und Tageblatt

Das 20. Jahrhundert

Ein neues Museum: Kunsthandwerk und Kunst / Jugendstil nahe Flensburg – Scherrebek und Hausfleiß / Die Künstlerin Elsbeth Arlt / Der Heimatschutz: kulturelle Blüte in der Stadt / Lauter Friedenshügel: Friedhöfe in Flensburg / Schinkel und Rauch zu Besuch in Flensburg / Die Künstlerin Käte Lassen / Die Marineschule Mürwik: Militär bis in die Gegenwart / Der Erste Weltkrieg: seine Zeichen in der Stadt / Schulen als Stadtkrone: Bildungseinrichtungen / Das Deutsche Haus – Expressionismus als Kulturkampf / Hugo Eckener: der Zeppelin kommt aus Flensburg / Einkaufen in der Kaiserzeit: das Warenhaus

Flensburg im Nationalsozialismus

Jüdisches Leben in der Stadt: Verfolgung und 23 Stolpersteine / Das Gut Jägerlust vor den Toren der Stadt / Von den Bomben weitgehend verschont: »Gleichschaltung« und Widerstand / Die letzte Reichsregierung setzt sich fest

Flensburg nach der bedingungslosen Kapitulation

Flensburg nimmt Flüchtlinge auf: die gerettete Altstadt als Rettung / Neudänentum: zur Rolle der ersten schleswig-holsteinischen Landesregierung / Beate Uhse: der erste Sex-Shop der Welt / Flensburger Punkte: merkwürdige Berühmtheit / Flensburger Bier: Bölkstoff und mehr

Flensburg heute

Leben in einer Grenzstadt: kleine Gesellschaftsgeschichte / Stadttore in Norddeutschland / Oluf-Samson-Gang: Szenen aus dem Hafenviertel

Anhang

Zeittafel / Stadtplan / Oberbürgermeister / Stadtpräsidenten / Literatur / Adressen / Städtepartnerschaften / Register (Namen und Orte) / Bildnachweis

Kleine Einführung

Es gibt »wohl […] wenige Städte, welche so viele Bequemlichkeiten in sich vereinigen, als Flensburg … Wenn man von Süden nach Flensburg kommt, so erblickt man nichts, was die Nähe einer großen Stadt anzeigte; nur einige Mühlen deuten die Gegend an, wie sie tief im Thale verborgen liegt. Die erste Gasse zeigt eben keine sehr hübschen Häuser. Hierauf eröffnet sich aber ein geräumiger Marktplatz, welcher rechts in die schöne Angelburger Straße ausbiegt. Nach Norden läuft eine lange, mit Brunnen besetzte, gepflasterte Straße, die von Leben wimmelt und sich durch stattliche Gebäude empfiehlt.« Diesem Reisebericht, 1813 publiziert, meint man im ersten Moment nicht viel hinzufügen zu müssen. Doch die Mühlen, die Peter Treschnow Hanson noch sah, sind heute fast alle verschwunden, und die beiden noch erhaltenen prägen das Stadtbild bei weitem nicht mehr nachhaltig. Aber immerhin!

Auch die »30 laufende(n) Brunnen«, die bereits 1584 in der Beschreibung Flensburgs von Braun und Hogenberg besonders hervorgehoben wurden und in den »mehresten […] Höfen« für »Springwasser« sorgten, sind weitgehend verschwunden. Allein der Neptunbrunnen des Bildhauers Johann Thiel, im 18. Jh. auf dem Nordermarkt aufgestellt, ziert noch seinen angestammten Platz und weist dabei ein seltsames Eigenleben auf. Doch dazu später. Ein weiterer Brunnen, weitaus weniger beachtet, befindet sich auf dem Holm und ist erst 1976 nach Fertigstellung der ersten Fußgängerzone hinzugekommen. Die Brunnenfigur, die Holm-Nixe, stammt von dem in Flensburg geborenen Künstler Ulrich Beier (1928–81).

Mit der von Hanson genannten »ersten Gasse« ist die Rote Straße gemeint, deren Name allerdings auf einen Übersetzungsfehler aus dem Plattdeutschen zurückgeht. Der Weg führte einst zu den Rodungen vor der Stadt – zur Rude –, hat also mit der Farbe Rot nichts zu tun. In dieser Gasse finden sich nach wie vor einige mehr oder weniger »hübsche« Häuser, dennoch ist es eine der Straßen Flensburgs – für mich die Wohlfühlstraße –, an deren Ende der Südermarkt sowie eine »lange gepflasterte Straße« folgen, auf der es nach wie vor »wimmelt«.

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Flensburger Holm-Nixe als Teil der neuen Fußgängerzone. – Skulptur von Ulrich Beier, 1976

Nicht am offenen Meer, sondern geschützt an einer Förde gelegen, gehört Flensburg zu den schönsten Ostseestädten Deutschlands. Dass sie vielleicht etwas weniger Touristen als ihre »Schwestern« anzieht, mögen manche v. a. aus ökonomischen Gründen bedauern, doch hat dies nichts mit Flensburgs Schönheit oder Charme zu tun. Wer will das schon, Tourismus im Minutentakt, Busparkplätze und Hotelketten in und am Rande der Stadt? Gleichwohl wird viel in den Tourismus investiert, aber auch ohne ihn hat man schnell den Eindruck, dass das Leben hier pulsiert – jedenfalls sprechen Stimmen- und Sprachengewirr für sich. Flensburg zählt mit heute etwas über 94.000 Einwohnern nicht zu den großen, allerdings zu den wieder wachsenden Städten und wirkt als Mittelzentrum ins dänische Sønderjylland wie nach Schleswig-Holstein gleichermaßen.

Seit 1920 ist Flensburg Grenzstadt. Bis 1864 allerdings war es wichtigstes Zentrum des ehem. Herzogtums Schleswig, dessen heimliche Hauptstadt und Teil des dänischen Gesamtstaates. Danach, mit Ende des Deutsch-Dänischen Krieges, wurde es zur preußischen Provinzstadt.

Im Mittelalter galt Flensburg – 1284 mit dem Stadtrecht versehen – auch ohne Hanse, nach Kopenhagen, Hamburg oder Altona, als bedeutende nordeuropäische Wirtschaftsmetropole. Vornehmlich die wohlhabenden Kaufleute bestimmten das von Weltoffenheit geprägte gesellschaftliche, politische und kulturelle Leben der Stadt. Noch heute, besser gesagt: endlich wieder zehrt sie von dieser großen Vergangenheit, nachdem im 19. und 20. Jh. weniger Zerstörung als vielmehr Nationalismus und schließlich Nationalsozialismus und Diktatur es vermochten, ihr Bild zu verändern. Die schleswig-holsteinische Erhebung 1848 sowie anschließend falsch verstandener und damit ein für alle fataler Patriotismus haben bei den Menschen hier und jenseits der Grenze ebenso tiefe Wunden hinterlassen wie die Abstimmung über die Grenzziehung von 1920 oder die Besetzung Dänemarks 1940 durch die deutsche Wehrmacht. Erst Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkrieges sind die Wunden auf beiden Seiten nahezu verheilt bzw. entschieden weniger spürbar.

Dass Flensburg nicht nur den Bomben des Zweiten Weltkrieges, sondern auch den typischen Flächensanierungen der 1960er- und frühen 1970er-Jahre weitestgehend entgangen ist, fällt jedem Besucher durch das heute gepflegte und in Teilen auch reparierte Stadtbild sofort auf. Bei Sonne und Wind ist die Stadt von fast mediterranem Charakter, allerdings rangiert sie mit 762 mm Regen pro Quadratmeter und Jahr in der obersten Kategorie dieser Disziplin. Doch die Durchschnittstemperatur liegt immerhin bei 7° C, was gar nicht so schlecht ist.

Ihren Charme bezieht sie von ihrem meist harmonischen, selten gestörten und dabei vielschichtigen Stadtbild, von der außergewöhnlichen topografischen Lage entlang der beiden Fördeufer, geprägt von einer hügeligen, ja fast steilen Endmoränenlandschaft, die Wolf Biermann einmal treffend ein »Meisterstück der Natur« nannte. Und natürlich von den dort lebenden Menschen, die sich – allen Vorurteilen zum Trotz – alles andere als verschlossen geben.

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Stadtplan von Flensburg, um 1920

Ältester Teil der Stadt ist der ehem. Marktflecken (Wik) St. Johannis am Ostufer der Innenförde. Erst im 12. bzw. 13. Jh. entwickelten sich auf dem Westufer, am Rande eines Handelswegs, zunächst das Kirchspiel St. Marien und dann das südlich gelegene Kirchspiel St. Nikolai sowie die Ramsharde nördlich von St. Marien. Die günstige Lage nutzend, wurde die heute noch Flensburg prägende fischgrätartige Stadtstruktur angelegt, mit einer über 1,5 km parallel zur Förde verlaufenden Straßenabfolge mit den heutigen Namen Holm, Große Straße und Norderstraße. Der Stadtgrundriss ist übrigens dem des nahegelegenen Sonderburgs nicht unähnlich, das statt einer allerdings mehrere, parallel zueinander verlaufende Straßen besitzt.

Bis ins 18. Jh. ist Flensburg kaum über seine Grenzen hinausgewachsen und auch danach verhinderten eine Reihe von Kriegen und damit verbundene wirtschaftliche Einbußen ein wirklich dynamisches Wachstum. Schließlich entstand vor dem Nordertor eine Neustadt mit einer Vielzahl kleinerer und größerer Industrieanlagen; dazu zählten etwa die Gasanstalt oder die heute umgenutzte Walzenmühle an der Norderstraße. Auch auf dem Ostufer konnte sich die Stadt weiter entwickeln. Es entstanden v. a. im 19. und frühen 20. Jh. größere Produktionsstätten, Wohn- und Geschäftsbauten sowie eine Reihe von Bildungsbauten. Einiges hiervon ist bereits wieder aus dem Stadtbild verschwunden, denn als Industriestandort konnte sich Flensburg nicht wirklich behaupten. Darunter waren auch – um endlich vom Rum zu sprechen – die vielen kleinen und großen Rum-Fabriken. Spätestens seit der 1. Hälfte des 19. Jhs. galt Flensburg als europäische Rum-Hauptstadt. Heute aber gibt es hier nur noch zwei Produzenten. Von einem wirtschaftlichen Schwerpunkt kann man also nicht mehr sprechen.

Wer Flensburg besucht, der sollte weniger an seine Punkte im Verkehrssündenregister denken, das man auf dem Ostufer in einem leider überformten Gebäude der Nachkriegsmoderne der 1960er-Jahre verwaltet. Man sollte auch nicht nur das berühmte Bier mit dem »Plop« trinken oder sich dem gar köstlichen Rum hingeben. Vielmehr lohnt eine Wanderung auf den Spuren der Geschichte, und damit der Dänemarks und Schleswig-Holsteins gleichermaßen. Man lasse sich verzaubern vom Wechselspiel zwischen Natur und gebautem Raum sowie den vielen, teils kuriosen Geschichten an bisweilen verborgenen Orten.

Dem aufmerksamen Besucher wird auch nicht entgehen, dass allenthalben dänisch gesprochen wird. Es lebt in Flensburg nicht nur der größte Teil der dänischen Minderheit Schleswig-Holsteins, die Stadt ist auch ein beliebtes Einkaufsziel unserer nördlichen Nachbarn. Und daher finden sich hier, neben den üblichen Handelsketten, viele individuelle Geschäfte, die für ihre Kund*innen eben auch dänische Mode, Möbel, Design, zudem Trödel und Antiquitäten führen – also auf ihre Art und Weise vielfältig wie zweisprachig sind.

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Flensburger Stadtwappen mit Turmburg, Wasser, Löwen und dem Nesselblatt

Äußerst selten zu hören ist hingegen das Petuhtantendeutsch, das Flensburger Platt. Es dürfte weitgehend mit den Petuh-Tanten ausgestorben sein, jenen Damen, denen man nachsagt, noch bis zu Beginn des 20. Jhs. Zeit und Muße gefunden zu haben, sich auf ein Dampfschiff zu setzen und in einem plattdeutschen Kauderwelsch den neuesten Klatsch und Tratsch der Stadt auszutauschen (s. S. 97f.).

Wer – auf welchem Weg auch immer – die Stadt wieder verlassen muss, den wird bald die Sehnsucht plagen, ein Gefühl, das die Menschen unserer Landschaft längen nennen. Man kann das in keine andere Sprache übersetzen. Muss man auch nicht! Wenden wir uns aber nun dieser Kleinen Stadtgeschichte Flensburgs zu.

Landschaft, Stadttopografie, Brände und Fluten

Schleswig-Holstein ist Teil der Cimbrischen Halbinsel, die von der Elbmündung bis Grenen auf Vendsyssel in Nordjütland reicht und von einem außergewöhnlichen landschaftlichen Wechselspiel – man kann auch sagen: von einem harmonischen Dreiklang – geprägt wird: der Marsch, der Geest und dem lieblichen Hügelland. Zum Hügelland Schleswig-Holsteins gehört die Kulturlandschaft der Flensburger Förde, die im Westen an die Geest grenzt. Dieser schließt sich dann das Marschland, von Menschenhand dem Meer abgerungener Boden, an. Entstanden ist diese Kulturlandschaft der Jung- bzw. Endmoränen in der letzten Eiszeit (letztes Glazial), die vor 12.000 Jahren endete. Je nachdem, wie man die Förde zur Kieler Bucht abgrenzt, erstreckt sie sich über 40 bzw. 50 km. Die jetzigen Halbinseln, Holnis und Beveroe, trennen die Innen- von der Außenförde ab. Die bekanntesten Orte sind, neben Flensburg, Glücksburg und das dänische Sonderburg.

Im innersten Fördewinkel liegt entlang einer Talsohle Flensburg, das durch zwei Moränenrücken am westlichen und östlichen Ufer begrenzt wird. Auf der westlichen Höhe standen ehemals eine Turmburg und später ein wehrhaftes Schloss, am Ostufer lag das bereits erwähnte Kirchdorf St. Johannis, das heute einen der 13 Stadtteile bildet und ehedem ebenfalls eine Turmburg aufwies. Im späten 12. bzw. frühen 13. Jh. gründete man die Kirchspiele St. Marien und St. Nikolai, wobei Ersteres der ältere Teil ist, der offenbar – dies belegen Münzfunde – bereits unter dem dänischen König Waldemar I. dem Großen (1131–82) besiedelt war.

Flensburg besitzt eine einzigartige Stadttopografie, die vom Mittelalter bis zur Neuzeit kaum Veränderungen erfahren sollte. Eng begrenzt von Förde und Moränenrücken, entwickelte sich die Stadt – landseitig – bis ins 14. Jh. weitgehend unbefestigt, aber eben geschützt durch seine Topografie bzw. viele natürliche Barrieren, wie etwa den Mühlenstrom, Gräben sowie eine Reihe weiterer Bachläufe und sumpfiger Auen.

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Nordermarkt, ehem. Schrangen nach Entwurf Dirick Lindingks, 1595

Das Hafenbecken hingegen war durch eine See- bzw. Pfahlsperre auf der Höhe des Kirchspiels St. Marien gesichert, die noch vor der Regierungszeit Waldemars I. errichtet worden sein muss. 2011 wurden Reste dieser Pfahlsperre, die erstmals 1929 bekannt wurde, erneut entdeckt und einer dendrochronologischen Untersuchung unterzogen: Drei der Holzpfähle datieren bereits in das 10., ein vierter in das 15. Jh. Was dies für die Stadtgeschichte bedeutet, ist bis heute nicht eindeutig geklärt, noch fehlen archäologische Funde und Befunde, die auf eine frühgeschichtliche Siedlung hindeuten könnten. Schon der Stadtchronist Jonas Hoyer hatte 1759 von einer Seesperre aus der Zeit Margarethes I. berichtet: »Und hat der König, und die Königin Margareta, im Anfange dieses Krieges zwo Reihen Pfähle dwars über das Wasser, ungefehr von der Schanze ab nach dem Oster-Landes […] pfählen lassen, davon in unserer Zeit etliche aufgezogen worden […].« Von einer landseitigen Befestigung wiederum wissen wir erst ab 1350. Sie bestand aus einer Stadtmauer mit Haupttoren, Pforten und Türmen.

Für die Stadtgründung entscheidend war – neben der frühgeschichtlichen Ost-West-Verbindung zwischen Angeln und der Westküste – der von Nord nach Süd verlaufende sog. Ochsenpfad bzw. Heerweg. Um von dieser in die Bronzezeit zurückreichenden Handelsstraße profitieren zu können, kam es zum Bau eines Wegbügels, der den alten Heerweg verlässt und das Fördeufer erschließt. Auf der Höhe des Marienkirchspiels gab es einen natürlichen Hafenzugang, und wegen der meist vorherrschenden Ost- bzw. Westwinde gelangten die einlaufenden Segelschiffe weitgehend gefahrlos in die Innenförde und konnten sie ebenso gefahrlos wieder verlassen. Auch bot die Förde für die Schiffe mit größerem Tiefgang – im Gegensatz zur Schlei – gute Voraussetzungen. Flensburg konnte daher dem älteren Schleswig, seiner sog. Mutterstadt, bald den Rang ablaufen.

Trotz der beengten Topografie folgen die Platz- und Straßenführungen dem Prinzip der planmäßig angelegten Ostseestädte. Doch anders als üblich, gibt es in Flensburg zwei solcher Plätze mit, wie gesagt, jeweils eigenständigen Kirchspielen.

Wo aber sollte sich nun die weltliche Macht ansiedeln? Im Jahr 1445 wird die Lösung darin gesehen, zwischen den beiden Kirchspielen ein gemeinsames Rathaus auf dem Holm (seit 1881 der offizielle Straßenname) zu bauen. Das verweist zum einen auf die zunehmende Bedeutung des Rates, zum anderen auf eine bauliche Annäherung beider Kirchspiele, die sich zu gleichen Rechten nun miteinander vereinigt haben. Es gibt in Flensburg also nicht den Markt- oder Rathausplatz, sondern den Süder- und den Nordermarkt, auf denen natürlich nicht mehr täglich, doch auf dem Südermarkt immerhin noch zweimal wöchentlich Märkte stattfinden. Aber nur am Nordermarkt hat sich ein wichtiges Marktzeichen, nämlich der Schrangen, erhalten (s. S. 14). Das ist im Grunde ein Tisch unter einem hier überdachten Ort, an dem Bäcker und Metzger ihre Ware verkauften. 1595 wurde der Schrangen nach Entwurf des Rendsburger Baumeisters Dirick Lindingk errichtet.

Trotz der politischen Vereinigung beider Kirchspiele wird erst im 19. Jh., d. h. in preußischer Zeit, nur noch ein Oberbürgermeister für die Geschicke der Stadt verantwortlich sein. Bis dahin amtierten zwei Bürgermeister aus zwei Kirchspielen, und für die Bewohner war es lange Zeit von Bedeutung, aus welchem der beiden man stammte.

Wie nahezu jede mittelalterliche Stadt war Flensburg von zahlreichen Stadtbränden oder Brandschatzungen betroffen. Bereits 1248 wurde die junge Ansiedlung von Brand und Plünderung durch den dänischen König Erik IV. (1216–50) heimgesucht. Knapp zwei Jahrhunderte später geriet Flensburg in die Querelen des Dänisch-Hanseatischen Krieges (1426–35). So wütete der rote Hahn 1427 in der Stadt, die vier Jahre danach eingenommen wurde und für kurze Zeit unter die Regentschaft der Schauenburger Grafen geriet, die an der Seite der Hanse standen. Zu den großen Katastrophen der Stadt gehörte auch der Stadtbrand von 1485, der sich von St. Johannis bis über den Südermarkt hin ausbreitete und den gesamten südlichen Stadtbereich zerstörte.

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Hochwasser in Flensburg, Blick nach Osten. – Postkartenmotiv, 1904

Doch die Chroniken berichten nicht nur von Krieg und Feuer, sondern auch von Sturmfluten, Erd- und Seebeben sowie harten Wintern. Extrem wurde die Stadt 1634 – ohnehin schon von Brandschatzungen des Dreißigjährigen Krieges schwer gezeichnet – von einer Naturkatastrophe heimgesucht. Dazu Peter Rivesell in seinem Versuch einer Beschreibung der Stadt Flensburg von 1817: »Bei diesem mit einem Orkan verbundenen Erdbeben ging im Oktober alles Wasser aus dem hiesigen und an der Ostsee liegenden Hafen und kam erst an Martini wieder«. Dieses Beben stand in Zusammengang mit der Sturmflut vom 11. Oktober 1634, welche die gesamte Westküste überflutete, ganze Inseln zerstörte und 15.000 Menschen in den Tod riss. Die Grote Mandränke, auch Buchardiflut genannt, und ihre Auswirkungen prägen bis heute das inzwischen zum UNESCO-Weltnaturerbe erklärte Wattenmeer. An weitere schwere Hochwasser, wie jene von 1694, 1835 oder die große Sturmflut von 1872, erinnern am Kompagnietor an der Flensburger Schiffbrücke Inschriften bzw. Wasserstandsmarkierungen. Dieses Tor ist eigentlich das Haus der Schiffergilde und wurde 1602–04 nach Plänen des bereits erwähnten Baumeisters Lindingk errichtet.

Sturmfluten im 20. Jh., wie die der Jahreswechsel 1904 und 1913, werden zum Postkartenmotiv; anderes, wie etwa die Schneekatastrophe zum Jahreswechsel 1978/79, ist bei vielen Menschen noch im Gedächtnis verankert. Auch hier kam Hochwasser als Problem hinzu. Nicht nur, dass die Förde über die Ufer trat, die Wassermassen froren und bildeten in der Stadt eine geschlossene Eisfläche. Bis zu 1200 Menschen saßen damals in Notunterkünften der Stadt fest, und den Schneemassen in ganz Schleswig-Holstein konnte man schließlich nur mit militärischem Gerät Herr werden.

In den vergangenen Jahren ist die Förde kaum noch zugefroren. Ganz anders »im Winter zu anfange des Jahres 1811«, als alles, »soweit man sehen konnte eine Eismasse (war), in welcher die Schiffe eingefroren lagen und wo an Feierabenden und Sonntagen die zahlreiche Jugend sich tummelte.«

Flensburg im Mittelalter

Eine Siedlung des 12. Jahrhunderts: St. Johannis

Das Kirchdorf St. Johannis am südöstlichen Ende des Fördetals ist zusammen mit dem östlich davon gelegenen Kirchdorf Adelby die Keimzelle und damit der älteste Siedlungsbereich des heutigen Flensburgs. Seine Gründung geht auf das 12. Jh. zurück. Der Sage nach war es ein Ritter Fleno aus Leck, der auf Befehl Knud Lavards eine kleine Turmburg auf dem später sog. Dammhofareal erbaute und 1128 mit dem Bau einer Kirche begonnen haben soll. Nach der Besiedelung des Westufers – des späteren Flensburgs – blieb das Kirchdorf außerhalb des Befestigungsbereichs und wurde zur Vorstadt. Die Kirche von St. Johannis, die wohl als Schutz- und Trutzkirche erbaut worden war, datiert tatsächlich erst in die Zeit um 1200 und ist eine Filialkirche Adelbys. Beide Kirchen, jede für sich genommen außerordentlich groß, zählen zu den für Nordangeln landschaftstypischen Feldsteinkirchen.

Im Kern handelt es sich bei St. Johannis um eine romanische Hallenkirche, die mehrfach erweitert wurde. 1741 ersetzte man den für Schleswig-Holstein typischen hölzernen Glockenturm durch einen steinernen Westturm mit charakteristischem Laternenhelm. Verantwortlich zeichnete Maurermeister Ludwig Henning Schack Neumann, der aus dem Ostholsteinischen oder Mecklenburg gestammt haben soll.

Bemerkenswert – neben der Kanzel (1587) von Johann von Bremen, der der Flensburger Werkstatt des Heinrich Ringerink zugeordnet wird, und einer lebensgroßen Figur Johannes des Täufers (um 1500) – sind die Kalkmalereien aus dem frühen 16. Jh. im Gewölbe des Langhauses und des Chors. Hier rankt sich ein überaus reiches Akanthuswerk um allerlei Figuren wie Apostel, Engel, Evangelisten, das Weltgericht sowie merkwürdige Wesen, die als satirische Tierallegorien – etwa ein predigender Wolf im Schafspelz – gedeutet werden und als Kritik am Ablasshandel zu verstehen sind. Die Kalkmalereien sind der Nordborg-Werkstatt zuzuschreiben, die mit dem unvollständig, aber im jütländischen Nordborg inschriftlich überlieferten Namen Peter Ly…kt – er findet sich in der Literatur auch als ›Lykt‹ – gleichzusetzen ist, und dürften um 1510 entstanden sein. Darauf verweist das Wappen des dänischen Königs Johann I. (gen. Hans; 1455–1513) im Chor. Das Gewölbe mit Kreuzrippen selbst stammt aus dem späten 15. Jh. und ersetzte eine hölzerne Flachdecke.

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St. Johannis-Kirche, Blick zum Altar mit den Fresken, um 1510

Weitere Malereien der Werkstatt Lykt haben sich in den Kirchen von Broager und Løjt in Sønderjylland erhalten. Sie alle sind stilistisch eng miteinander verwandt und verwandeln mit Blumen und dem Rankenwerk den Kirchenraum in einen Paradiesgarten auf Erden. Die Fresken in Flensburg könnten eine Stiftung des letzten katholischen Bischofs in Schleswig, Gottschalk von Ahlefeldt, sein, eines entschiedenen, aber wohl »stillen« Gegners reformatorischer Bestrebungen. Von Ahlefeldt, 1475 auf dem heute nicht mehr erhaltenen Gut Bollingstedt geboren und 1541 dort verstorben, war der Sohn des Claus von Ahlefeldt und seiner Frau Anna von Buchwald, deren beeindruckende Grabplatte (Epitaph) sich in St. Marien erhalten hat. Tilemann von Hussen folgte Ahlefeldt auf den nun protestantischen Bischofsstuhl.