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Dorit-Maria Krenn

Straubing

Kleine Stadtgeschichte

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Für die Mitarbeiter
des Stadtarchivs Straubing

BIBLIOGRAFISCHE INFORMATION DER DEUTSCHEN NATIONALBIBLIOTHEK

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

2., überarbeitete und aktualisierte Auflage 2019

ISBN 978-3-7917-3073-8

© 2012 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Reihen-/Umschlaggestaltung und Layout: Martin Veicht, Regensburg

Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau

Druck: Cl. Attenkofer’sche Buch- und Kunstdruckerei, Straubing

Printed in Germany 2019

Diese Publikation ist auch als eBook erhältlich:

eISBN 978-3-7917-6148-0 (epub)

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Inhalt

Vorwort

Siedlungsplatz im Gäuboden: Straubings Vor- und Frühgeschichte

Eine Vielzahl archäologischer Spuren / Der fruchtbare Gäuboden / Kelten im Straubinger Raum

Römisches Sorviodurum: Straubing in der Antike

Kastelle / Lagerdörfer / Der weltberühmte Römerschatz / Rückzug der Römer

Vom agilolfingischen Herzogsgut zum Besitz des Augsburger Domkapitels: Straubing im frühen Mittelalter

Das Werden des bairischen Stammes / Frühbairische Siedlungen / Das Augsburger Domkapitel als Grundherr / Der Name Strupinga/Straubing

Stadt der Wittelsbacher: Straubing im hohen und späten Mittelalter

Gründung einer »neuen Stadt« 1218 / Der Stadtturm – das Wahrzeichen Straubings / Bauliche Entwicklung der Neustadt / Herausbildung der Selbstverwaltung / Die Stadtbevölkerung / Das Bürgerrecht / Das Stadtgericht / Der Rat / Rauten, Pflug und Lilie: das Stadtwappen / Regierungssitz und Marktstadt / Die Altstadt im Abseits / Das Herzogtum Bayern-Straubing-Holland / Das Herzogtum unter Albrecht I. / Jordan Utz und der Stadtbrand 1393 / Haupt- und Residenzstadt Straubing / Das Ende des Herzogtums / Die tragische Liebesgeschichte der Agnes Bernauer / Straubing unter den Herzögen von Bayern-München / Der Drechsler Jakob Sandtner und sein Stadtmodell

Stadt zwischen Krieg und Frieden: Straubing in der Frühen Neuzeit

Rentmeisteramt Straubing / Kaiser Karl V. lobt Straubing / Straubing und die Reformation / Die »aufmüpfige Stadt« / Gegenreformatorische Maßnahmen / Im Dreißigjährigen Krieg / Der Meisterschütze Simon Höller / Das Wüten der Pest / Blühendes Glaubensleben / Maria ruft: die Wallfahrten Sossau und Frauenbrünnl / Soziale Institutionen / Im Spanischen Erbfolgekrieg / Die Künstlerfamilie Asam und ihre Spuren in Straubing / Im Österreichischen Erbfolgekrieg / Der »Heldenmut« der Straubinger / Im Bayerischen Erbfolgekrieg / Entwicklung in den Friedenszeiten / Rokokoglanz in der Stadt / Ein fortschrittliches Gesundheitswesen / Glaubensdemonstrationen / Straubing und seine Bewohner im 18. Jahrhundert / Der Bankrott der Stadt 1774 / Der Große Stadtbrand 1780 / Straubing und die Aufklärung / Der geniale Optiker und Physiker Joseph von Fraunhofer

Stadt im Umbruch: Straubing von 1800 bis zum Ersten Weltkrieg

Verlust der kommunalen Selbstständigkeit / Ein denkwürdiger Tag für Straubing / Unmittelbare Stadt II. Klasse / Verlust der überregionalen politischen Bedeutung / Säkularisation: Auflösung der Klöster / Restauration: neue Hochschätzung der Orden / Religiöse Toleranz: Protestanten und Juden / Straubing auf dem Weg zur Schulstadt / Bauliche Entwicklung / Entfestigung der Neustadt / Ausdehnung und Begrünung / Die Handwerkerstadt / Das Schicksal der Weber / Wer ist der Bruder Straubinger? / Die Markt- und Bauernstadt / Das Straubinger Gäubodenvolksfest, »a Trumm vom Paradies« / Einzug der Moderne / Gasbeleuchtung und Wasserversorgung / Großprojekte: Schlachthof, Strafanstalt, Elektrizitätswerk / Ziegeleien, Brauereien und Baugeschäfte / Das Straubinger Tagblatt, Heimatzeitung seit 1860 / Politische Einstellung und gesellschaftliches Leben / Die Vergnügungen der Straubinger / »Dem Regentenhaus treu ergeben« / Buntes Vereinsleben / Stolz auf die eigene Stadt

Stadt auf der Suche: Straubing im 20. Jahrhundert

Im Ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik / Krieg und Revolution / Der »Straubinger Metzgerputsch« / Missliche Wirtschaftslage und Wohnungsnot / In nationalsozialistischer Zeit / Machtergreifung in Straubing / Propaganda und Terror / »Mordsache Selz« / NS-Bauten / US-Luftangriffe und Kriegsende / In der Bundesrepublik Deutschland / Nachkriegs- und Besatzungszeit / Ein künftiger Weltstar in Straubing: Curd Jürgens / Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen / Betriebs- und Industrieansiedlungen / Straubing als Einkaufsund Freizeitstadt / Straubing, die Schulstadt / Verlorene Denkmäler / Gewinn durch die Gebietsreform 1972 / Wo Löwen brüllen: Der Tiergarten im Stadtpark / Erfolge und Ereignisse vor der Jahrtausendwende

Auf dem Weg zur »Universitätsstadt«: Straubing im 21. Jahrhundert

Nachhaltiges Straubing / Das Kompetenzzentrum für Nachwachsende Rohstoffe / Wie sieht die Zukunft aus?

Anhang

Zeittafel / Herzöge von Bayern-Straubing-Holland 1353–1425 / Stadtoberhäupter seit 1818 / Literaturhinweise / Register / Ortsregister (allgemein) / Ortsregister (Straubing) / Personenregister / Karte von Straubing / Bildnachweis

Vorwort

Viel Mühe und Arbeith, Sitzen und Schwitzen, Laufen und Schnaufen mussten die Franziskaner Anfang des 18. Jahrhunderts aufwenden, um in Straubing ein Kloster gründen zu können. Ähnlich erging es der Autorin bei der Zusammenfassung von 8000 Jahren Straubinger Geschichte auf 176 Seiten. Was gehört zu einer »kleinen« Straubinger Stadtgeschichte, noch dazu, wenn eine »große« und viele Detailforschungen immer noch fehlen? Eine Gratwanderung begann, um Daten und Fakten, chronologische Abfolge und historische Zusammenhänge, »Geschichten« und Atmosphäre einzufangen. Die letzten beiden Publikationen einer zusammenfassenden Stadtgeschichte waren ein auf das Wesentliche konzentrierter, didaktisch vorzüglicher Überblick (Werner Schäfer, Guido Scharrer und Hermann Stickroth, Sorviodurum Strupinga Straubing, Straubing 1985) und eine eindrucksvolle geistesgeschichtliche Durchdringung (Hubert Freilinger, Straubing. Über den geschichtlichen Rang einer jungen alten Stadt, Stuttgart 1991). Der vorliegende Versuch ist geprägt von der Erfahrung einer Stadtarchivarin: Was interessiert die Menschen an ihrer, an einer Stadt? Nach welchen Themen, Zeitabschnitten, Personen fragt man besonders oft? Wo sind die Spuren der Vergangenheit heute noch sichtbar, auch im »Kleinen«? Wissen über das Vergangene ist ohne Quellen nicht möglich. Damit sind die archäologischen Funde und die steinernen Baudenkmäler genauso gemeint wie die Urkunden, Amtsbücher, Akten oder Fotos in den Archiven. Quellen bauen die »Brücke, die Vergangenheit und Gegenwart verbindet und aus deren Erfahrbarkeit das Fundament der Zukunft gelegt wird« (Gerd Biegel). Die Sprache der Quellen durch die Zeiten lebendig werden zu lassen ist daher ein besonderes Anliegen dieser Stadtgeschichte. In der Hoffnung, damit auch den Menschen, die Straubing geprägt haben, näher zu kommen.

Die Wittelsbacher Herzöge bezeichnen Straubing als die haubtstat in vnnserm Niderlannde, auf den Einbänden der frühneuzeitlichen Ratsprotokolle hebt der Stadtschreiber die Churfürstl. Haupt- und Regierungs-Stadt hervor, ein Bürgermeister spricht Mitte des 19. Jahrhunderts von der Bauern- und Marktbudenstadt. 1912 gibt der Stadtmagistrat Werbemarken unter dem Motto Historische Stadt in Niederbayern heraus, in den 1930er-Jahren betont man die Gäubodenstadt und in den 1950er-Jahren stempelt die städtische Poststelle jedes Kuvert mit Agnes-Bernauer-Stadt ab, während dreißig Jahre später der offizielle Slogan Einkaufsstadt lautet. Und im 21. Jahrhundert wird Stadt der Nachwachsenden Rohstoffe favorisiert und der Titel Universitätsstadt auf die Ortsschilder gesetzt.

Allein in diesen Zitaten klingen die Facetten Straubinger Geschichte an. Straubing aber ist noch etwas ganz anderes. Eine Frau, die es 1945 auf der Flucht von Ostpreußen nach Niederbayern verschlagen hatte, erzählte einmal: Der Zug hielt, wir mussten aussteigen, es hieß, wir sollten schauen, dass wir hier für einige Zeit unterkommen könnten. Wir gingen vom Bahnhof Richtung Stadtplatz. Als ich den Stadtturm sah, wusste ich: Du bist angekommen, hier bleibst du. Der Stadtturm ist für diese Frau bis heute geliebtes Symbol ihres neuen Daheims, so wie die gebürtigen Straubinger schon als Kleinkinder bei der Rückkehr vom Urlaub gespannt Ausschau halten: Wer sieht als erster den Stadtturm?

Straubing ist nicht nur eine geschichtsträchtige, schöne Stadt, Straubing ist Heimat – eine Heimat, die gerade in ihrem historischen So- und Dasein immer wieder empfängt und umfängt. Heimatbewusstsein aber setzt die Kenntnis historischer Abläufe und Zusammenhänge voraus und fordert verantwortungsvolles Handeln in der Zukunft ein, getreu der Überzeugung des Geschichtsphilosophen Jacob Burckhardt, denn was einst Jubel und Jammer war, muss nun Erkenntnis werden. Die vorliegende kleine Stadtgeschichte will die wichtigsten Leitlinien der Straubinger Vergangenheit vorstellen, setzt dabei im Detail durchaus subjektive Akzente – weil Straubing die Heimat der Autorin ist.

Siedlungsplatz im Gäuboden: Straubings Vor- und Frühgeschichte

Eine Vielzahl archäologischer Spuren

Straubing und seine Umgebung sind reich an archäologischen Spuren und Erkenntnissen über das Leben der Menschen im Zeitalter der Vor- und Frühgeschichte. Bereits vor mehr als 50.000 Jahren, im mittleren Abschnitt der Altsteinzeit, streiften Menschen durch den Straubinger Raum. Sie jagten Mammute und Wollnashörner, Riesenhirsche und Höhlenbären, Rentiere und Eisfüchse, sammelten Beeren und Früchte. Derartige Jägergruppen lagerten nachweislich bei Münster, Straubing-Sand und Salching. Mit dem Ende der Eiszeit vor etwa 10.000 Jahren wandelte sich die tundraartige Vegetation zu einem Eichenmischwald. Aus Feuerstein gefertigte Pfeil- oder Harpunenspitzen zeugen von den Menschen, die in dieser mittleren Steinzeit lebten.

Eine grundlegende Änderung der Lebensweise setzte 5600 v. Chr. in der Jungsteinzeit ein: Der Mensch wurde sesshaft, errichtete Häuser und Dörfer, rodete und bestellte Felder mit Emmer, Einkorn und Gerste, züchtete Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen, webte Stoffe und brannte Tongefäße und übte damit Fertigkeiten aus, die sich aus dem Vorderen Orient über den Balkan nach Mitteleuropa verbreitet hatten. Das Gebiet um Straubing wurde nun dicht besiedelt, bot es doch reichlich Nahrung, natürlichen Schutz, gute klimatische Bedingungen: Es war die Kernlandschaft des »Gäubodens« mit seinem fruchtbaren Lössboden; Bäche wie der Harthauserbach, der Allachbach und die Aitrach durchflossen das Gebiet, das terrassenförmig zu den wildreichen Auenlandschaften in der Donauniederung abfiel. Die Donau diente als europäische Wasserstraße, als wichtige west-östliche Verbindung, die gerade bei Straubing auf den Landweg von Süd nach Nord traf; dieser führte aus den Alpen über das niederbayerische Hügelland in den Gäuboden, weiter über das Kinsachtal und die Chamer Senke hinein in den Bayerischen Wald und nach Böhmen. Diese von der Natur begünstigte Lage zeichnete Straubing von jeher aus, beeinflusste und prägte seine Geschichte, förderte seine Entwicklung.

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Der Gäuboden bei Antenring in der Nähe Straubings.

Die ersten Bauern im Gäuboden gehörten zur Kultur der Linienbandkeramik, die nach den bandförmig eingeritzten und eingestochenen Verzierungen auf ihren Tongefäßen benannt ist. Ein typisches Dorf der Linienbandkeramiker befand sich in Straubing-Lerchenhaid, in der Nähe des Donauhochufers. Im nahe gelegenen Tiergarten Straubing kann der Nachbau eines ihrer Langhäuser mit lehmverputzten Flechtwerkwänden und strohbedecktem Dach besichtigt werden. In Ödmühle östlich von Straubing, am Ufer der Aitrach, stießen Archäologen auf den bisher größten bekannten Friedhof der Linienbandkeramik. Die zahlreichen Grabbeigaben, Gefäße mit Speisen, Waffen, Steingeräte, erzählen vom Glauben an ein eher irdisches Dasein nach dem Todesschlaf, Schmuck- und Trachtbestandteile aus den im Mittelmeer beheimateten Spondylusmuscheln deuten auf weit reichende Handelsbeziehungen hin.

HINTERGRUND

DER FRUCHTBARE GÄUBODEN

Der Gäuboden ist ein flaches Becken, das sich – etwa 15 Kilometer breit und 80 Kilometer lang – entlang der Donau von der Gegend bei Pfatter bis zur Ortschaft Künzing erstreckt. Im Norden wird es erkennbar begrenzt von den Erhebungen des Bayerischen Waldes, im Süden geht es kaum merklich in das niederbayerische Hügelland über. Der Gäuboden zeichnet sich durch seinen fruchtbaren Lössboden aus.

Vor Jahrmillionen war hier am Rande des Donaurandbruchs, einer Bruchlinie, die sich an der südlichen Grenze des Bayerischen Waldes (einst ein Hochgebirge) aufgetan hatte, ein Meer. Als sich die Alpen emporfalteten und das Meer sich zurückzog, bildeten sich, aufgeschottert durch die Donau und die Isar, mächtige Terrassen aus Kies und Sand. Im Eiszeitalter, das etwa vor 2,5 Millionen Jahren mit einer weltweiten Klimaverschlechterung einsetzte, wehten Stürme immer wieder kalkhaltigen Staub aus den Flusstälern auf diese Terrassen, bis sie schließlich mit bis zu sechs Meter mächtigen Lössdecken überzogen waren.

Der Begriff »Gäu«/»Gai«, der aus dem Gotischen in das Althochdeutsche übernommen wurde, bezeichnet allgemein das Land, das im Gegensatz zur Stadt oder zu den Bergen steht. So fährt der Bewohner des Bayerischen Waldes, der »Waldler«, ins Gäu aussi, wenn er in das flache Land aufbricht. Belegt ist das Begriffspaar Wald/Gäu für die Straubinger Gegend beispielsweise in den Landtagsverhandlungen des Herzogtums Bayern-Landshut aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, wie der berühmte Sprachforscher Andreas Schmeller in seinem »Bayerischen Wörterbuch« angibt: enhalb und herdihalb Donau im Wald und im Geu. Für die getreidereiche Ebene bey Straubing an der Donau ist nach Schmeller aber noch ein spezieller Name überliefert: Duengäuboden (verkürzt Dungau oder Gäuboden), was mit »Dunkelboden«, also der dunklen Farbe der Erde, zu erklären ist. Jahrhundertelang als »Kornkammer Bayerns« gepriesen, trat im 20. Jahrhundert neben den Getreideanbau die großflächige Bestellung mit Zuckerrüben und Kartoffeln. Und das 21. Jahrhundert brachte als neue Variante der Ackernutzung die Solarparks.

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Frauengrab mit reichem Muschelschmuck und Steckkamm aus der Zeit der Linienbandkeramik, gefunden bei Ödmühle/Aiterhofen.

In der Folgezeit entwickelten sich in Südostbayern eigenständige Regionalkulturen. Im Süden Alburgs ist beispielsweise eine Wohnstelle der Altheimer Gruppe (um 3800 v. Chr.), für die Henkelkrüge und Feuersteinsicheln charakteristisch sind, und bei Öberau ein Platz der Chamer Kultur (um 3300 v. Chr.) mit ihren typischen Knickwandgefäßen und ritzverzierten Spinnwirteln anzunehmen. Wieder in ganz Mitteleuropa nördlich der Alpen verbreitet war hingegen die sogenannte Schnurkeramik: Tongefäße, in die mit Hilfe einer Schnur Muster eingedrückt wurden, lassen sich ab 2800 v. Chr. auch im hiesigen Donauraum nachweisen. Eine kleine schnurkeramische Gruppe wohnte in Lerchenhaid. Dass die Terrassenkanten der Bach- und Flussläufe im Gäuboden weiterhin ein beliebter Siedlungsplatz waren, beweisen Fundstücke der Glockenbecherkultur aus der Zeit von 2500 bis 2000 v. Chr.; glockenförmige Tonprodukte gaben der Zeit ihren Namen. Mit knapp 30 Fundstellen von Begräbnisstätten bildet der Straubinger Raum einen Schwerpunkt der Glockenbecherfunde in Süddeutschland. Und die Grabbeigaben erzählen noch von einer anderen Veränderung: Nicht mehr mit Streitäxten wie bei den Schnurkeramikern, sondern mit Pfeil und Bogen wurde nun gejagt, angegriffen und verteidigt.

Die folgenden tausend Jahre prägte das Aufkommen der Metallwirtschaft: Die Stein- und Knochengeräte wurden allmählich von bronzenen Guss- und Schmiedeprodukten – Bronze ist eine Legierung aus Kupfer und Zinn – abgelöst. Zahlreiche Funde aus Hockergräbern der frühen Bronzezeit im Süden Straubings wie Ösenhalsringe, Armspiralen, Scheibenkopfnadeln und Dolche führten zum Namen »Straubinger Kultur« für die Erscheinungsform der frühen Bronzezeit im ganzen südostbayerischen Gebiet. Erwerbsgrundlage blieb nach wie vor die Landwirtschaft. Man lebte in kleinen, nahe beieinander liegenden Gehöftgruppen, unter anderem in Lerchenhaid, am Ziehbrückenbach, an der Aitrach und am Allachbach.

Bereits in der mittleren Bronzezeit gingen die Menschen dazu über, ihre Toten zu verbrennen, was als Indiz für eine ideellere Jenseitsauffassung gilt, und die Asche in Kammern von Hügelgräbern auszustreuen. Ab 1200 v. Chr. ist ein weiterer Wandel in der Bestattungsform erkennbar: Die Asche der Toten wurde nun in Urnen beigesetzt. Etwa 25 urnenfelderzeitliche Friedhöfe sind bisher in Straubing und seiner näheren Umgebung entdeckt worden. Spuren der relativ kleinen, rechteckigen Häuser dieser Zeit fanden sich zum Beispiel im Westen Straubings, in der sogenannten Kreuzbreite. Das 8. Jahrhundert v. Chr. brachte als neuen Werkstoff das Eisen. Auch in der »Eisenzeit« war die Straubinger Gegend dicht besiedelt. Mit Geschirr, Schmuck und Waffen reich ausgestattete Hügelgräber sowie große »Herrenhöfe«, zum Beispiel in Alburg, Öberau und Aiterhofen, lassen hierbei eine deutliche soziale Differenzierung der Bevölkerung erkennen.

Kelten im Straubinger Raum

Es sind nach wie vor besonders die Bestattungsformen und die Grabbeigaben, die vom Eintritt einer neuen Zeit und Kultur künden. Ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. gingen die Hügelgräber in Flachgräber über. Die Frauen schmückten sich an den Füßen nicht mehr mit massiven, gerippten Schaukelringen, sondern mit schweren Hohlbuckelringen; zu den bronzenen gesellten sich gläserne Armringe, und bunte Glasperlen, sogenannte Augenperlen, schützten wohl vor dem bösen Blick. Was aber die Menschen dieser Latènezeit, benannt nach einem Fundort in der Westschweiz, besonders auszeichnet: Zum ersten Mal ist für sie ein Name überliefert, denn griechische und römische Quellen sprechen von den »Kelten«. Sie lebten von der Landwirtschaft, der Metallverarbeitung und der Keramikproduktion, handelten mit Salz, Bernstein, Elfenbein und Glas. Großflächige frühkeltische Orte entdeckten die Archäologen im Süden Straubings am Aster Weg und an der Gottfried-Keller-Straße sowie im Westen bei der Bajuwarenstraße.

In der mittleren Latènezeit zogen keltische Stämme nach Italien, Griechenland und bis nach Kleinasien in der heutigen Türkei, dementsprechend ging im süddeutschen Raum die Bevölkerung zurück. Im 2. Jahrhundert v. Chr., nach der keltischen Wanderung, als die Leute teilweise wieder in ihre alte Heimat zurückkehrten, begannen sie stark befestigte, stadtähnliche Siedlungen anzulegen, die Oppida; das größte Oppidum im bayerischen Raum ist bei Manching entdeckt worden. Eine vielfältige Handwerkskultur bildete sich aus, man töpferte und schmiedete, schmolz Glas und prägte nach römischem und griechischem Vorbild Münzen, die den Tauschhandel rasch verdrängten; auch aus dem Straubinger Raum sind diese goldenen »Regenbogenschüsselchen« bekannt. Ein Oppidum ist für Straubing bisher archäologisch noch nicht sicher nachweisbar. Aber im Osten Straubings, auf dem »Ostenfeld«, finden sich zahlreiche Spuren einer ausgedehnten Siedlung der späten Latènezeit, die auch über eine Anlegestelle oder einen Hafen am Allachbach verfügte und wohl Wirtschaftszentrum sowie Sitz des Adels und der einflussreichen keltischen Priesterschaft war. Zudem ist der Name, den die Römer ihrem Straubinger Stützpunkt gaben, Sorviodurum, keltischen Ursprungs und verweist auf eine nicht unbedeutende Vorgängersiedlung. Er ist in der sogenannten Peutingertafel, einer römischen Reisekarte, überliefert und kann als »Ort an einer morastigen Enge« oder »Ort an einer sumpfigen Einmündung« (des Allachbaches in die Donauniederung) gedeutet werden.

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Verzierte Hohlbuckelfußringe aus einer mittellatènezeitlichen Bestattung, gefunden an der Bajuwarenstraße.

Zu den Kelten gesellten sich zunehmend auch germanische Siedler. In der Mitte des ersten Jahrhunderts v. Chr. lebten Kelten und Germanen in der Straubinger Gegend offenbar friedlich zusammen. Dann wanderten sie allmählich ab, vielleicht weil durch die Ausdehnung des Römischen Reiches die Handelsbeziehungen nicht mehr so funktionierten. In ganz Süddeutschland kam es zum Niedergang der keltischen Großsiedlungen.

Römisches Sorviodurum: Straubing in der Antike

Ein gewaltiger Umbruch setzte 15 v. Chr. ein: Drusus und Tiberius, die Stiefsöhne des Kaisers Augustus (31 v. Chr.–14 n. Chr.), eroberten das Alpenvorland. Das Gebiet bis zur Donau wurde Teil des Imperium Romanum, des römischen Weltreiches, und Straubing bzw. Sorviodurum zu einem wichtigen militärischen Stützpunkt am »nassen« Limes. Denn zur Sicherung ihrer neuen Provinz Rätien gründeten die Römer in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. entlang der Donau Kastelle: Eining, Regensburg-Kumpfmühl, Straubing, Moos-Burgstall, Künzing und Passau-Altstadt.

Kastelle

In Straubing hatte sich vermutlich bereits ein früher Militärposten auf der kleinen Anhöhe westlich des Allachbaches befunden, einem natürlichen Geländesporn, auf dem heute die Kirche und der Friedhof St. Peter liegen. Einschlägige Keramikfunde gibt es aus der Zeit des Kaisers Claudius (41–54). Unter Kaiser Vespasian (69–79) errichtete man dann östlich davon, an der Einmündung des Allachbaches in ein Altwasser der Donau, ein erstes hölzernes Kastell. Es wurde ergänzt durch einen Kriegshafen der römischen Donauflotte, dessen Reste man in den 1980er-Jahren beim Bau des Klinikums St. Elisabeth entdeckte. In diesem »Westkastell« (Kastell IV), das um die Mitte des 2. Jahrhunderts in Stein ausgebaut wurde, tat die 2. Raeterkohorte, eine 500 Mann starke Infanterieeinheit, Dienst.

Unter Kaiser Domitian (81–96) entstand etwa hundert Meter östlich des Westkastells ein weiteres Lager, das »Ostkastell I«, was auf die strategische Bedeutung Straubings an der osträtischen Donaugrenze hinweist. Es wurde bald durch eine neue Anlage, das »Ostkastell II«, ersetzt.

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Römisches Straubing mit mittelkaiserzeitlichen und spätantiken Anlagen (im Osten des heutigen Straubings): Die Ziffern 1 bis 4 bezeichnen spätantike Gräberfelder.

Unter Kaiser Trajan (98–117) wurde dieses Militärlager aufgelassen, spätestens unter seinem Nachfolger Kaiser Hadrian (117–138) aber als »Ostkastell III« neu erbaut. Das etwa 3,5 Hektar große Areal ist fast vollständig im Boden ablesbar. Eine mächtige Steinmauer mit vier doppeltürmigen Toren und vier Türmen an den gerundeten Ecken schützte die für ein Kastell charakteristischen Bauten wie das Stabsgebäude mit der Waffenkammer und dem Fahnenheiligtum, das Haus des Kommandanten und die Mannschaftsunterkünfte. Besetzt war es mit der 1. Canathenerkohorte, einer Spezialeinheit von tausend Bogenschützen aus Syrien.

Bis zur Zerstörung des Westkastells während der Markomannenkriege (166–180) lebten, arbeiteten und wachten also 1500 Soldaten in zwei Kastellen hier. Es handelte sich um »Hilfstruppen«, die aus eroberten oder mit den Römern befreundeten Völkern rekrutiert wurden und aus Infanterieabteilungen und Reiterzügen bestanden. Für ihre Ausbildung waren östlich der Kastelle, im Straubinger Ortsteil Hofstetten, sechs Übungslager angelegt.

Lagerdörfer

Entlang der von den Kastellen wegführenden Wege erstreckten sich die unbefestigten »Lagerdörfer«, in denen die Familien der Soldaten, die Händler und Handwerker wohnten. Auch viele Veteranen, ehemalige Angehörige der Hilfstruppen, die mit der Entlassung aus dem Militär das römische Bürgerrecht erworben hatten, hielten sich hier auf. Auf streng parzellierten Flächen lagen die schmalen, lang gestreckten, zumeist hölzernen Anwesen der Handwerker, z. B. der Schreiner und Zimmerleute, der Bronzegießer, der Maurer und Maler, der Kammmacher und Geschirrflicker, der Ärzte und Kaufleute. Ein Töpfer, der im letzten Viertel des 1. Jahrhunderts n. Chr. bei Azlburg einen Betrieb hatte, stempelte auf seine Produkte sogar seinen Namen, Cappo, und hinterließ damit vielleicht das früheste »schriftliche« Zeugnis aus Straubing. Der »Vicus« war kein Dorf, sondern ein zentraler, lebendiger Handels- und Marktort. Hier waren nicht nur einheimische Produkte für das tägliche Leben erhältlich, darunter die Erzeugnisse der von Veteranen bewirtschafteten Gutshöfe, die im fruchtbaren Umland, beispielsweise am Alburger Hochweg, an der Äußeren Passauer Straße und entlang der Aitrach an der Ödmühle und in Ittling lagen. Hier fand der Käufer auch Luxusartikel, vielfältige, importierte Waren wie Glasgefäße aus Augsburg, Bronzelampen aus Oberitalien, Terrakottastatuetten aus Gallien, Olivenöl aus Spanien, Wein aus Südtirol oder Pfeffer aus Indien. Schwarze Pfefferkörner, die man im Hafengelände barg, verweisen zudem auf die Donau als Transportweg. Eine wichtige Gemeinschaftseinrichtung, Kommunikations- und Erholungsort gleichermaßen, war die öffentliche Badeanlage, die Therme, auf die Archäologen im Vicus des Westkastells stießen. Tavernen, Garküchen, Bordelle fehlten sicher nicht, auch wenn es hierfür bisher kaum archäologische Zeugnisse gibt. Nachweisbar ist hingegen neben der Verehrung der bekannten römischen Götter wie Jupiter, Merkur, Fortuna, Venus oder Mars die Praktizierung orientalischer Mysterienkulte; so fanden sich zahlreiche Kultgefäße und Trinkbecher, die in Zusammenhang mit der Gottheit Sabazios stehen. Die Toten wurden südlich und östlich des Siedlungsgebiets in mehreren Gräberfeldern bestattet.

HINTERGRUND

DER WELTBERÜHMTE RÖMERSCHATZ

Eigentlich wollten Arbeiter am 27. Oktober 1950 am Alburger Hochweg im Westen Straubings eine Grube für eine Kläranlage ausheben. In geringer Tiefe stießen sie auf einen umgestülpt im Boden liegenden Kupferkessel. Die Aufregung und das Entdeckungsfieber der Beteiligten lassen sich aufgrund der Aufzeichnungen des bekannten »Scherbendoktors« und Heimatforschers Dr. Joseph Keim auch heute noch miterleben: In unbezwingbarer Neugierde, was wohl in dem Kessel enthalten sei, schlug man mit der Spitzhacke ein Loch hinein, und als man Bronzegegenstände darin erspähte, holte man eine Blechschere und erweiterte die Öffnung. Dann wurde fast der ganze Inhalt des Kessels herausgezerrt, wobei natürlich viele und zum Teil recht empfindliche Beschädigungen an den Gegenständen angerichtet wurden.