Inhaltsverzeichnis

Zum Buch

 

Im Jahr 805 erstmalig erwähnt, stieg die Stadt an der Elbe im 10. Jahrhundert zu einer Metropole im Ottonischen Reich auf und wurde Sitz des neugeschaffenen Erzbistums. Magdeburg wurde Hansestadt, Sitz des Schöffenstuhls für alle Städte Magdeburger Rechts und im 16. Jahrhundert eine Hochburg des lutherischen Glaubens. Im Dreißigjährigen Krieg fast völlig zerstört, wurde es 1680 dem aufstrebenden Preußen eingegliedert und zu einer mächtigen Festungsstadt ausgebaut, bevor es eine starke Industrialisierung erlebte. 1945 versank die Innenstadt in Schutt und Asche. Als „Stadt des Schwermaschinenbaus“ wieder aufgebaut, erhielt Magdeburg nach der Wiedervereinigung 1990 den Rang der Landeshauptstadt des neugegründeten Landes Sachsen-Anhalt. Heute definiert es sich als Stadt der Wissenschaft und neuer, zukunftsträchtiger Technologien.

 

 

Zum Autor

 

Matthias Puhle,
Dr. phil., geb. 1955, Honorarprofessor für Stadtgeschichte und Geschichtskultur, 1991–2012 Direktor der Magdeburger Museen, 2012–2014 Abteilungsleiter Kultur im Kultusministerium Sachsen-Anhalt, seit 2014 Kulturbeigeordneter in Magdeburg.

 

Matthias Puhle

Magdeburg
Kleine Stadtgeschichte

VERLAG FRIEDRICH PUSTET

REGENSBURG

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

 

eISBN 978-3-7917-6141-1 (epub)

© 2018 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg

eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg

 

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:

ISBN 978-3-7917-2993-0

 

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Vorwort

Die lange, wechselhafte Geschichte Magdeburgs beginnt mit dem erstmals schriftlich erwähnten Namen in einem Reichsgesetz Karls des Großen im Jahr 805. Doch erst Otto der Große und seine erste Frau Editha machten aus der karolingischen Grenzstation und dem Fischerdorf an der Elbe mit der Gründung des Moritzklosters 937 und durch in schneller Folge erteilte Privilegien eine aufstrebende ottonische Stadt, die 30 Jahre später durch die Einrichtung des Erzbistums Magdeburg 968 sogar zur Metropole wurde, die nach der päpstlichen Gründungsurkunde eine Art »Konstantinopel des Nordens« werden sollte. Dieser fast kometenhafte Aufstieg unter Kaiser Otto dem Großen, der auch seine Grablege hier wählte, beförderte Magdeburg in die erste Reihe der mitteleuropäischen Städte, auch wenn es den Ruf eines »Konstantinopel des Nordens« nie ganz erreichte.

Von dieser Zeit an war das Schicksal Magdeburgs nicht nur mit der deutschen, sondern auch der europäischen Geschichte teilweise auf das Engste verbunden. Auf Grundlage der ottonischen Epoche entfaltete sich gut 500 Jahre lang das Wirken des Erzbistums, und es entstand die Stadtrechtsfamilie des Magdeburger Rechts, der um 1500 nahezu 1000 Städte in acht Ländern des heutigen Europa angehörten. Über das Beziehungsgeflecht der Hanse stand die Stadt mit den wichtigsten Handelsstationen im nördlichen und östlichen Europa in Verbindung, und mit der Kathedrale wurde ab 1209 der erste gotische Dom in Deutschland errichtet. Einer so bedeutenden Stadt stattete natürlich auch Till Eulenspiegel seinen Besuch ab, wobei er die Bürger durch die Ankündigung provozierte, er werde vom Rathausbalkon fliegen. Als er sich schließlich über die Leichtgläubigkeit der Magdeburger lustig machte, ärgerten diese sich zwar, wiesen ihn aber nicht aus der Stadt, was sonst fast immer passierte.

Im 16. Jh. entwickelte sich die Stadt zu einer Hochburg des Protestantismus. Ihr starker lutherischer Glaube ließ sie so unbeugsam werden, dass sie den Rekatholisierungsversuchen des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches im Dreißigjährigen Krieg widerstand. Am 10. Mai 1631 wurde sie dafür fast völlig zerstört. Schon die Zeitgenossen verglichen diese Katastrophe mit der Auslöschung Trojas oder der Zerstörung Jerusalems. Die Stadt brauchte mehr als 100 Jahre, um sich wieder aufzurichten.

Inzwischen brandenburgisch geworden, wurde sie im Laufe des 18. Jh. zur mächtigsten Festung des aufstrebenden Königreichs Preußen ausgebaut. Im 19. Jh. wuchs Magdeburg durch eine starke Industrialisierung zu einer Großstadt heran, deren Rüstungsindustrie sich an beiden Weltkriegen erheblich beteiligte. Die Zerstörung am 16. Januar 1945 legte die historische Altstadt erneut in Schutt und Asche. Der darauf folgende Wiederaufbau richtete sich ganz und gar nach den Bedürfnissen der »Stadt des Schwermaschinenbaus« im sozialistischen Wirtschaftssystem der DDR.

Nach der friedlichen Revolution 1989 und der Wiedervereinigung 1990 wurde Magdeburg zur Landeshauptstadt des neu gegründeten Bundeslandes Sachsen-Anhalt gewählt. Als Stadt der Wissenschaft und Kultur, als Verwaltungs- und Dienstleistungszentrum sowie Standort neuer zukunftsträchtiger Technologien nimmt es inzwischen eine starke Position ein und hat die Attraktivität seiner Innenstadt durch die Umsetzung umfangreicher städtebaulicher Maßnahmen bereits erheblich steigern können.

Diese »Kleine Stadtgeschichte« von Magdeburg soll einen möglichst schlüssigen Gang durch 1200 Jahre bieten, in dem die wesentlichen Stationen dieser Geschichte behandelt werden. Hierbei wurde auf die Darstellung der Zusammenhänge und Wechselwirkungen mit der deutschen und europäischen Geschichte großer Wert gelegt. Die herausragenden, aber auch die niederschmetternden Epochen ihrer Geschichte haben die Stadt immer wieder gezwungen, die daraus folgenden Identitätswechsel zu vollziehen. Am Ende gewinnt man aber den Eindruck, dass sie trotz dieser enormen Brüche und Umbrüche in ihrer Geschichte immer die Kraft hatte, wieder zu sich selbst zu finden.

Frühgeschichte bis zur Ersterwähnung Magdeburgs 805

Die ältesten Siedlungsnachweise in Magdeburg gehen in die mittlere Altsteinzeit zurück und datieren etwa vor 200.000 Jahren. Es handelt sich bei diesen Funden v. a. um Feuersteingeräte, die in den Magdeburger Kieswerken gefunden worden sind. Diese Geräte waren im wesentlichen Faustkeile, mit denen die Urmenschen grobe Arbeiten erledigten, wie etwa das Zerlegen von Jagdwild. Diese »steinernen Reste früher menschlicher Kultur« gelten als »die einzigen Belege für die Anwesenheit der Urmenschen im Randbereich der nordeuropäischen Vergletscherungen. Diese Funde belegen den Aufenthalt von Menschen bei größeren Wasserläufen, wo die Tiere zur Tränke kamen und als Beute zur Strecke gebracht werden konnten und sich der von den Gletschern aus dem Ostseegebiet mitgebrachte Feuerstein fand – als ›Stahl der Steinzeit‹ wichtiger Rohstoff für die Werkzeuge unserer Vorfahren über Jahrhunderttausende hinweg« (Weber, S. 14).

Einsetzende Kaltzeiten sorgten in der Folgezeit für ein Zurückweichen menschlicher Kulturen aus dem Magdeburger Raum, der zwar nicht vergletscherte, aber im Vorland der von Norden herannahenden Gletscher lebensfeindliche Frostwüsten ausbildete. Um ca. 9500 v. Chr. endete die letzte Eiszeit, die Bedingungen für die menschliche Besiedlung des Raumes an der mittleren Elbe verbesserten sich, und im 6. Jhtsd. v. Chr. wurden Menschen hier sesshaft, es entstanden Dörfer mit großen Häusern aus Holzpfosten, Ruten und Lehm. Die hier gefundenen Tongefäße gehören zur sogenannten Linienbandkeramik (5500–4900 v. Chr.).

Die Linienbandkeramiker besiedelten gerne fruchtbare Lössböden, wie sie in der Magdeburger Börde vorkommen. »Die Lage der Dörfer am Rande von Bach- und Flussauen gestattete die Nutzung des Wassers sowie der Auenwälder als Viehweide ihrer Haustiere (…) und als Holzquelle für den Hausbau« (Boettcher, S. 10/11). Auch auf dem Domplatz und an anderen Stellen der Altstadt finden sich Reste dieser Kultur. Da die archäologischen Befunde aus frühgeschichtlicher Zeit durch die intensive mittelalterliche Bebauung der Altstadt schwer gestört sind, können keine eindeutigen Feststellungen über die Besiedlung in dieser frühen Zeit getroffen werden.

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Abb. 1: Stichbandkeramik aus einer Magdeburger Siedlungsgrube, 4800 v. Chr. (Die Stichband- folgte auf die Kultur der Linienbandkeramik.)

Die Funde aus Jungsteinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit auf Magdeburger Gebiet, die sich an die Linienbandkeramik anschließen, weisen erhebliche Lücken auf, so dass mit einer Siedlungskontinuität nur in einem weit über die heutige Altstadt reichenden Gebiet zu rechnen ist.

In der 2. Hälfte des 1. Jhs. n. Chr. strömten Elbgermanen aus dem nördlichen Niedersachsen und Schleswig-Holstein in das Mittelelbe-Gebiet und drangen weiter in den Süden des heutigen Sachsen-Anhalt, nach Thüringen, Böhmen und Nordbayern vor. An der Elbe mischten sich verschiedene Germanenstämme wie die Sueben, Langobarden, Semnonen, Hermunduren, Markomannen und Quaden und bildeten eine relativ homogene gemeinsame Kultur aus.

In der Zeit zwischen 12. v. Chr. und 16 n. Chr. kam es zu mehreren Versuchen des römischen Imperiums, das rechtsrheinische Germanien zu erobern und Rom als Provinz einzuverleiben. Die berühmte Varusschlacht 9. n. Chr. wurde für Rom zu einem Desaster, und die Züge des Germanicus nach dieser Schlacht endeten 16 n. Chr. mit seiner Abberufung aus dem rechtsrheinischen Gebiet. Die Elbe hatte Drusus schon 5 v. Chr. im Magdeburger Raum erreicht. Er verunglückte bei diesem Zug aber tödlich. Auch wenn die römische Herrschaft rechtsrheinisch also nicht dauerhaft stabilisiert werden konnte, wurden die Germanenstämme zwischen Rhein und Elbe dennoch politisch, sozial und kulturell durch den römischen Einfluss geprägt. Das beweist eindrucksvoll das Fürstengrab von Gommern aus dem 3. Jh. n. Chr. Die Fundstelle befand sich auf einer Düne auf einer Erderhebung bei Gommern, etwa 20 km östlich von Magdeburg. Dieses Grab gehört zu den reichsten und besterhaltenen seiner Art auf germanischem Boden aus der römischen Kaiserzeit.

Im 5. Jh. lag Magdeburg im Reich der Thüringer, das sich zum größten Germanenreich in dieser Zeit entwickelt hatte, bis die Sachsen die Thüringer in der Schlacht von Burgscheidungen 531 hinter die Unstrut zurückwarfen. Nun wurde Magdeburg Teil des Sachsenreiches, das bis ins 8. Jh. hinein fast ganz Norddeutschland umfasste. In den Sachsenkriegen zwischen 772 und 804 unterwarf und christianisierte Karl der Große die Sachsen und erweiterte sein fränkisch-karolingisches Reich bis an die Elbe. Diesem Vorgang hat Magdeburg seine Ersterwähnung im Jahr 805 zu verdanken.

Handelsplatz und Kaiserstadt Ottos des Großen 805–1024

Ersterwähnung 805

Nach dem endgültigen Sieg Karls des Großen über die Sachsen im Jahr 804 ordnete der Kaiser die Verhältnisse an der Ostseite seines Reiches neu. Im »Diedenhofener Kapitular« wurde der Handel der fränkischen Kaufleute mit den Slawen und Awaren, die östlich der Elbe siedelten, einer gewissen Ordnung und Kontrolle unterworfen. In diesem Reichsgesetz von 805 werden Grenzhandelsorte an der Ostgrenze des Reiches genannt, in denen der Handel durch namentlich vom Kaiser benannte Beauftragte kontrolliert werden sollte. In die Orte, die hier genannt werden, reiht sich Magdeburg ein: Bardowiek, Schezla (nicht lokalisierbar), Magdeburg, Erfurt, Hallstadt (bei Bamberg), Forchheim, Premberg (in der Oberpfalz), Regensburg und Lorch an der Enns (in Oberösterreich). In Magdeburg wird ein gewisser »Aito« als kaiserlicher Grenzgraf eingesetzt, der verantwortlich war für die Überwachung des Handels mit den Slawen.

Ausdrücklich wird in dem Kapitular im Übrigen der Handel mit Waffen und Harnischen in das Gebiet östlich der Elbe verboten. Offensichtlich war dieser Geschäftszweig bis 805 nicht unbedeutend. Als Gegenleistung erhielten die fränkischen und sächsischen Händler gefangene Slawen, die als Haussklaven bis in die islamische Welt verkauft wurden. Häute, Pelze, Honig und Wachs sind als weitere Handelswaren zu nennen. Den zum fränkischen Reich gehörenden Kaufleuten wurde untersagt, über die im Kapitular genannten Orte hinauszugehen. So wurde ihre Funktion als Grenzhandelsorte festgeschrieben.

Mit der Erstnennung des Namens »magadoburg« im »Diedenhofener Kapitular« tritt Magdeburg ins Licht der Geschichte, sollte aber bis 937, als dort das Moritzkloster errichtet wurde, wieder aus den historischen Quellen verschwinden. Die Anfänge der Stadt liegen also in karolingischer Zeit. Im späteren Verlauf des Mittelalters reichte das den Chronisten jedoch nicht: Die Magdeburger Schöffenchronik, eine der wichtigsten erzählenden Schriftquellen magdeburgischer Geschichte, aus dem späten 14. und frühen 15. Jh. widmet sich ausführlich der Gründungsgeschichte, fußend auf der Schilderung der »Annales Magdeburgenses« aus dem 12. Jh. »Als Julius dieses Land (gemeint sind Caesar und das Land der Thüringer) bezwungen hatte, baute er viele Burgen und Festen in diesem Land, mit denen er das Volk bezwingen wollte … Er baute hier, wo die Stadt steht, eine Burg und einen Tempel für die Ehre seiner Göttin Diana, die hieß nach seiner Sprache Parthenya. Daher gab er dieser Stadt den Namen Partenopolis. Es gab in dem Tempel viele Mägde der Göttin zu Dienste, darauf entstand der Name Magdeburg« (Magdeburger Schöffenchronik, S. 7 f.).

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Abb. 2: Ersterwähnung Magdeburgs im »Diedenhofener Kapitular« Karls des Großen von 805

Diese Zurückverlegung der Anfänge Magdeburgs von der karolingischen Zeit in die römische Antike hat mit der »Eigentümlichkeit der mittelalterlichen Geschichtsbeschreibung« zu tun. Dahinter steckt der »Glaube an die Autorität des Alten, die Ehrfurcht vor dem, was durch die Tradition gesichert, ja geheiligt erscheint und daher der Kritik, wenn auch nicht völlig, so doch im Wesentlichen, entzogen ist« (Grau, S. 25).

Die Herkunft des Namens »Magdeburg« hat viele Erklärungen, doch seine Ursprünge sind bislang nicht völlig zu erhellen. Heutige Deutungen gehen in die Richtung, dass Magdeburg in der fränkischen Sprache »Große Burg« hieß.

Gründung des Moritzklosters 937

806 wird Magdeburg noch einmal in der Chronik von Moissac genannt und verschwindet dann für mehr als 100 Jahre aus der schriftlichen Überlieferung. Die Situation ändert sich 929/30 grundlegend. In diesen Jahren heiratete der Sohn des ostfränkischen Königs, Otto I., die englische Königstocher Edgith, die in der Erinnerung der Stadt Editha heißt. Sie erhielt neben 31 Orten westlich der Elbe auch Magdeburg als Morgengabe, also als materielle Absicherung für die junge Prinzessin. Damit war der Ort ins Blickfeld des zukünftigen Herrscherpaares geraten.

Die zwischen 929/930 und 936, dem Todesjahr Heinrichs I., liegenden Jahre waren für Magdeburg von herausragender Bedeutung: Nach der Magdeburger Schöffenchronik nutzten Otto und Editha diese Jahre und trieben den Ausbau von einer Burg zu einer Stadt im Verständnis des 10. Jhs. voran. Laut dieser Chronik war es Editha, von der die Initiative zur Stadtgründung ausging, da sie nicht nur die Ausbaupläne verfolgte, sondern auch die erste Vorstellung davon entwickelte, wie Magdeburg in Zukunft aussehen sollte.

Nach dem Tod Heinrichs I. 936 folgte ihm sein Sohn Otto I. als ostfränkischer König nach. Damit war aus ihm und Editha ein Herrscherpaar geworden. Für Magdeburg sollte dieser Thronwechsel gravierendste Folgen haben. Während Heinrich I. Quedlinburg zu seiner bevorzugten Pfalz gemacht hatte, verschob Otto seinen Herrschaftsmittelpunkt weiter nach Osten nach Magdeburg an der Elbe. Dennoch spielte Quedlinburg auch bei Otto I. und seinen Nachfolgern als Osterpfalz sowie als Grablege Heinrichs I. und seiner Gattin Mathilde eine erhebliche Rolle.

Am 21. September 937, dem Mauritiustag, wurde in Magdeburg das Moritzkloster gegründet. Es wurde Reichskloster. Seine Lage an der Grenze zum slawischen Gebiet legt die Vermutung nahe, dass dieses Kloster in erster Linie missionspolitische Aufgaben wahrzunehmen hatte. Allerdings erhielt es noch weitere Funktionen. Die Bewidmung des neuen Klosters mit dem hl. Mauritius war eine Folge des Mauritiuskultes im ottonischen Reich, der erst durch den Übergang der Mauritiuslanze von König Rudolf von Burgund auf König Heinrich I. 926 zur Blüte gelangt war. Dieser Kult war im 8. und 9. Jh. v. a. im westfränkischen Reich weit verbreitet, wahrscheinlich gehörte Mauritius in der Karolingerzeit schon zu den Reichsheiligen. Der Mittelpunkt seiner Verehrung lag in St. Maurice in Burgund.

Das neu gegründete Mauritiuskloster wurde stark vom Trierer Kloster St. Maximin aus unterstützt. Mit der Einsetzung von dortigen Mönchen wurde die Verbindung nach Lothringen hergestellt. Zudem gehörte es damit zu den Klöstern der Gorzer Reformbewegung.

Eine weitere Funktion wuchs dem Kloster dadurch zu, dass Otto I. seit 940 Mönche aus dem Magdeburger Kloster für seine Hofkapelle, also seine königliche Kanzlei, heranzog. Die Gruppe von Mönchen, die zu Kaplanen wurden, war so groß und die Handschrift dieser Gruppe so deutlich, dass man in der Forschung vom »Magdeburger Diktat« bzw. den »Magdeburger Diktatoren« spricht. Möglicherweise können wir hier die Grundlage zur Entstehung der »Magdeburger Schule« fassen, die v. a. unter dem späteren Meister Othrich zu enormer Strahlkraft gelangte.

Das Moritzkloster befand sich laut Gründungsurkunde »in unserem Königshof Magdeburg«. Dieser kann nach Lage der Dinge nur auf dem Domplatz gelegen haben.

Eine Stadtgemeinde hat es zum Zeitpunkt der Gründung des Moritzklosters noch nicht gegeben, allerdings Handel und Gewerbe, denn sechs Tage nach der Gründung schenkte Otto I. dem Moritzkloster allen Zoll, der in Magdeburg erhoben und in Zukunft zu erheben sein würde. Damit könnte der Marktzoll gemeint sein, womit von spätestens 937 an von Marktverkehr in Magdeburg ausgegangen werden könnte.

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Abb. 3: Sachsenpfennige 942–990

Am 28. März 942 übertrug Otto den Mönchen des Moritzklosters den Ertrag aus Münze und Zoll. Die Magdeburger Münze stellt damit in der Urkunde von 942 die erste lokalisierbare Münzstätte in Sachsen dar. Wahrscheinlich wurden in ihr die Sachsenpfennige geschlagen, die zur gängigen Münze in Mittel- und Norddeutschland sowie in den ostelbischen slawischen Gebieten wurden.

Die Stadtherrschaft ging auf diese Weise sukzessive vom König bzw. späteren Kaiser Otto auf das Moritzkloster über. Diese Entwicklung kam am 9. Juli 965 zu einem gewissen Abschluss, als Otto I. dem Kloster Markt, Münze und Zoll sowie den Bann und die Gerichtsbarkeit über die Juden und die Kaufleute, die sich in Magdeburg aufhielten, verlieh.

HINTERGRUND

 

Die ottonische Pfalz Magdeburg

Aus sieben Urkunden, die zwischen 942 und 965 ausgestellt wurden, geht die Existenz einer ottonischen Pfalz in Magdeburg eindeutig hervor. Im frühen und hohen Mittelalter gab es noch keine festen Residenzen, in denen die Herrscher residierten. Vielmehr waren sie Reisekönige, die ihre Herrschaft ausübten, indem sie von Pfalz zu Pfalz zogen. »In palatio«, also in der Pfalz, wurden diese sieben Urkunden ausgestellt. Dieser Zusatz ist der einzige schriftliche Hinweis auf die Existenz einer Pfalz in Magdeburg, wobei zweimal sogar der Zusatz »regius«, also königlich, hinzugefügt wurde.

Die Lage der Pfalz ist noch nicht archäologisch nachgewiesen worden. Grabungen in den 1960er-Jahren haben auf dem Domplatz einen Bau des 10. Jhs. hervorgebracht. Die anfängliche Annahme, man habe die Kaiserpfalz Ottos des Großen gefunden, erwies sich bei späteren Grabungen als Irrtum. Es stellte sich heraus, dass es sich um einen Kirchenbau des Mittelalters handelte.

 

Gründung des Erzbistums Magdeburg 968

Die Förderung Magdeburgs durch Otto den Großen zog sich durch seine gesamte Herrschaftszeit als König und später als Kaiser. Den Höhepunkt stellt die Errichtung des Erzbistums Magdeburg im Jahr 968 durch Papst Johannes XIII. dar. Die treibende Kraft dahinter war aber Kaiser Otto der Große. In der Gründungsurkunde vom 20. April 967, die 968 in Kraft trat, erklärt Johannes XIII. Folgendes: »Wir (der Papst) aber, die wir seinen (des Kaisers Otto) dem Dienste Gottes in bewundernswerter Weise hingegebenen Sinn bewundern, haben es für angemessen gehalten, ihm nachzugeben, indem wir unter Zustimmung der gegenwärtigen heiligen Synode und des Kaisers selbst bestimmen, dass Magdeburg, an der Elbe gelegen, wo der gottgesegnete Kaiser selbst dem Leib des Heiligen Mauritius mit vielen Märtyrern eine Stätte bereitet und eine Kirche von wunderbarer Größe errichtet hat, nächstdem Metropole sei und genannt werde, in der Autorität des seligen Petrus des Apostelfürsten, und in der (Autorität), in welcher unsere Vorgänger Konstantinopel errichtet haben. Daher, weil unser Sohn, der mehrfach genannte Otto, aller Kaiser erhabenster, als dritter nach Konstantin in besonderer Weise die Römische Kirche erhöht hat, gestehen wir zu, dass sie (die Magdeburger Kirche) nicht zurückstehen soll hinter den übrigen Metropolitanstädten, sondern mit den ersten als erste und mit den ehrwürdigen als ehrwürdige unerschüttert bleibe.«

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Abb. 4: Gründungsurkunde des Erzbistums Magdeburg, 968

Auch wenn Magdeburg in die zugedachte Rolle als »Konstantinopel des Nordens« nicht ganz hineinwachsen sollte, wurde mit der Gründung des Erzbistums eine entscheidende Weichenstellung vorgenommen. Nach dem Tode Ottos des Großen am 7. Mai 973 in Memleben wurden seine sterblichen Überreste von seinem Nachfolger Otto II. nach Magdeburg überführt und neben dem Grab der Editha beigesetzt, und zwar in der gerade in Bau befindlichen Domkirche.

Unter Otto dem Großen hatte Magdeburg einen großen Aufschwung erlebt. Er schuf in den 37 Jahren seiner Herrschaft aus einem noch im Dunkel der Geschichte befindlichen karolingischen Grenzort die Metropole eines neu gegründeten Erzbistums. Es entstand eine Stadtgemeinde, und der Übergang von der Herrschaft des Kaisers über die Stadt auf den Erzbischof des neugegründeten Erzbistums war von Otto vollendet worden. Als erster Erzbischof war Adalbert eingesetzt worden, Abt des Klosters Weißenburg im Elsass und Vertrauter Ottos. Auch unter seinem Nachfolger Otto II. wurde das Erzbistum Magdeburg weiter gefördert. So erneuerte dieser am 26. Juni 975 die Rechte, die sein Vater den Kaufleuten zu Magdeburg schon gewährt hatte. Das Privileg beinhaltete Zollfreiheit im ganzen Reich mit Ausnahme weniger Orte. Unschwer lässt dies einen weiteren wirtschaftlichen Aufschwung erkennen. Insbesondere scheint sich hier schon früh ein ausgeprägter Fernhandel entwickelt zu haben.

Otto II. und dessen Sohn und Nachfolger Otto III. festigten durch kaiserliche Bestimmungen die Stellung des Erzbischofs gegenüber dem Ort Magdeburg. Auch nach dem Ende der ottonischen Epoche, das durch den Tod Kaiser Heinrichs II. 1024 markiert wird, blieben diese Verhältnisse unter den fränkisch-sächsischen Kaisern Konrad II. und Heinrich III. erhalten. Die Position der Magdeburger Kirche wurde durch die Bestätigung der ihnen vorgelegten Diplome der früheren Kaiser gefestigt. Magdeburg war zu einer erzbischöflichen Stadt geworden.

Im Windschatten spätottonischer Politik

Nach dem Tod Ottos I. 973 und Ottos II. 983 geriet Magdeburg abrupt in den Windschatten der spätottonischen Reichspolitik. Zwei Gründe lassen sich für diesen erheblichen Bedeutungsverlust nennen: Zum einen belegen die ab 983 schlagartig ausbleibenden Aufenthalte der kaiserlichen Familie, die aus der Königinmutter Theophanu, der Witwe Ottos des Großen, Adelheid, und dem noch unmündigen Thronfolger Otto III. bestand, das Absinken Magdeburgs aus der Perspektive der herrschenden ottonischen Dynastie. Offensichtlich spielte hier Theophanu die wesentliche Rolle. Zum anderen führte der Slawenaufstand 983 zu einer strategisch stark veränderten Position Magdeburgs. War die Stadt durch die Ostpolitik Heinrichs I., Ottos I. und Ottos II. von einem Grenzort zu einem wesentlich zentraler gelegenen Ort geworden, änderte sich diese Lage nun schlagartig. Die Ergebnisse der ottonischen Ostpolitik waren zum großen Teil zunichte gemacht. Das von Otto I. eingerichtete Bistum Havelberg ging ebenso wie das schon von Heinrich I. errichtete Bistum Brandenburg verloren, die Christianisierung der Elbslawen, besonders der Liutizen, erlitt einen langanhaltenden Rückschlag. Bis ins 12. Jh. hinein erstreckte sich von nun an der Einfluss des ursprünglich viel größer geplanten Magdeburger Erzbistums im Wesentlichen bis an die Elbe und nicht mehr darüber hinaus. Die Stadt »sank damit wieder zu einem östlichen Vorposten des Reiches herab« (Kleinen, S. 53).

Unter Otto III. stieg die Bedeutung Magdeburgs für die Reichspolitik für kurze Zeit allerdings noch einmal an. Zwischen 990 und 997 erschien der Kaiser mehrfach in der Stadt, 997 wurde hier sogar ein Hoftag abgehalten. Der dann stattfindende »Akt von Gnesen« im Jahr 1000, in dem Otto III. zusammen mit Bolesław dem Tapferen die Kirchenprovinz Gnesen schuf, entsprach der Versöhnungspolitik des Kaisers gegenüber den östlich der Oder siedelnden slawischen Völkern, mit denen er zugleich die zwischen Elbe und Oder lebenden Elbslawen unter Druck setzen konnte. In diesem Gebiet sollte eine Staatsgründung der Elbslawen unbedingt vermieden werden. Für das Erzbistum Magdeburg jedoch bedeutete die Gründung dieses Erzbistums eine starke Einschränkung der Missionspolitik in östliche Richtung. Magdeburgs unter Otto dem Großen geschaffene exklusive Stellung war nun auch für die Zukunft dahin.

Auch unter dem letzten Ottonenherrscher Heinrich II. gelang die Rückgewinnung der früheren Bedeutung nur zeitweise und nur aufgrund der strategisch guten Lage als Ausgangspunkt für Feldzüge gegen innere und äußere Feinde. Vermehrte Herrscheraufenthalte, die Übertragung von Mauritiusreliquien an den Dom sowie Schenkungen und die Verleihung verschiedener Herrschaftsrechte an die Magdeburger Kirche und die Besetzung des erzbischöflichen Stuhls mit einem Vertrauten des Herrschers, nämlich Erzbischof Tagino, zeigen das gestiegene Interesse Heinrichs II. an Magdeburg.

Metropole des Erzbistums Magdeburg 1024–1240

Reichsferne in salischer Zeit

Nach dem Tod Kaiser Heinrichs II. 1024 geriet Magdeburg für eine geraume Zeit in eine gewisse Reichsferne. Die nun einsetzende Zeit der salischen Herrscher (1024–1125) hatte ihren Herrschaftsmittelpunkt im Südwesten des Reiches. Der Impuls, den die Stadt im ottonischen Zeitalter erhalten hatte, war jedoch so stark, dass ihre Entwicklung sich dennoch kontinuierlich fortsetzte. Die einstige Bautätigkeit hatte sich v. a. auf den Domplatz bezogen, wo neben dem Moritzkloster auch die Kathedrale als Sitz für den Magdeburger Erzbischof errichtet wurde. Jüngere Grabungen im heutigen Bau und auf dem Vorplatz haben noch keine vollständige Klarheit über die Abfolge und die Lage der Bauten zueinander ergeben.

Die Mönche des Moritzklosters mussten nach Gründung des Erzbistums ihren Sitz auf dem Domplatz verlassen und errichteten in einiger Entfernung südlich davon auf einer Erhebung am Westufer der Elbe ihr Johanneskloster, das sich auch aufgrund großzügiger Schenkungen Ottos des Großen im Laufe des Mittelalters zu einer bedeutenden Benediktinerabtei entwickelte, später nur noch »Kloster Berge« genannt.

Dass sich Magdeburg nicht nur zu einem geistlichen Zentrum entwickelte, sondern auch zu einer Handels- und Gewerbestadt, bezeugt die Anfang des 11. Jhs. geschriebene Chronik Thietmar von Merseburgs, in der von einer »ecclesia popularis« (Kirche des Volkes) die Rede ist. Auch in zwei Urkunden Ottos I. 941 und 946 wird je einmal eine »plebeia ecclesia« und eine »ecclesia popularis« erwähnt. Damit könnte die Johanniskirche am Alten Markt gemeint sein, um die herum sich im hohen Mittelalter das bürgerliche Zentrum Magdeburgs entwickelte.

Auch wenn der Aufstieg benachbarter Handelsstädte wie Halle, Halberstadt, Quedlinburg und Braunschweig im 11. Jh. möglicherweise auf eine Art »räumlicher Rückverlegung des Fernhandels« (Kleinen, S. 55) und damit eine Bedeutungsverminderung Magdeburgs als zentraler Umschlagplatz an der Elbe hinzudeuten scheint, wuchs die Stadtgemeinde in dieser Zeit offenbar kontinuierlich an.

Die Entwicklung Magdeburgs verlief im 11. Jh. offenbar so positiv, dass Brun von Querfurt es in der »Albertsvita« in die Position einer »neuen Hauptstadt der Deutschen« rückte. Wahrscheinlich ist seine Aussage jedoch aus seiner engen Beziehung zu den Ottonen zu verstehen und beschreibt eine Zukunftsperspektive Magdeburgs, die sich zum Zeitpunkt seines Todes 1009 schon erheblich verschlechtert hatte.

Auch das Erzbistum Magdeburg spielte im Laufe des 11. Jhs. keine besondere Rolle mehr in der Herrschaftskonzeption der Salier nach dem Tode Heinrichs II. Die Kaiseraufenthalte in Magdeburg reduzierten sich bei Konrad II. gegenüber dem letzten der ottonischen Herrscher, Heinrich II., von 17 auf vier; Heinrich III., Nachfolger Konrads II., war während seiner zwölfjährigen Herrschaft überhaupt nicht in Magdeburg. Die Aufenthalte Konrads II. standen dabei immer im Zusammenhang mit Feldzügen gegen die Polen und die Liutizen. Als sich die Situation im Mittelelbegebiet Mitte der 1030er-Jahre beruhigte, verlor Magdeburg weiter an Bedeutung. Das galt auch für das Erzbistum, das in dieser Zeit keinen nennenswerten Einfluss auf die Reichspolitik ausüben konnte.