Inhaltsverzeichnis

 

Zum Buch

 

 

Kurfürst Max II. Emanuel bestimmte von 1680–1726 die Geschicke Bayerns. Auf der europäischen Bühne spielte er eine ehrgeizige und bedeutsame Rolle: Bayern sollte Großmacht werden. Als der Barockherrscher schlechthin und Meister der Selbstinszenierung schuf er die glanzvollen Schloßanlagen von Nymphenburg und Schleißheim.
Dem wohl schillerndsten Regenten des Hauses Wittelsbach widmet der Autor eine präzise Darstellung, ergänzt durch zahlreiche Einzelaspekte und Kurzbiografien wichtiger Zeitgenossen. Eine Fülle von Zitaten und viele – auch farbige – Abbildungen vermitteln die Atmosphäre der Zeit.

 

 

 

Zum Autor

 

 

Marcus Junkelmann, Dr. phil., geb. 1949, ist Militärhistoriker, freischaffender Experimentalarchäologe und (Landes-)Historiker.

 

 

Biografien machen Vergangenheit lebendig: Keine andere literarische Gattung verbindet so anschaulich den Menschen mit seiner Zeit, das Besondere mit dem Allgemeinen, das Bedingte mit dem Bedingenden. So ist Lesen Lernen und Vergnügen zugleich.

 

Dafür sind gut 100 Seiten genug – also ein Wochenende, eine längere Bahnfahrt, zwei Nachmittage im Café. Wobei klein nicht leichtgewichtig heißt: Die Autoren sind Fachleute, die wissenschaftlich Fundiertes auch für den verständlich machen, der zwar allgemein interessiert, aber nicht speziell vorgebildet ist.

 

Bayern ist von nahezu einzigartiger Vielfalt: Seinen großen Geschichtslandschaften Altbayern, Franken und Schwaben eignen unverwechselbares Profil und historische Tiefenschärfe. Sie prägten ihre Menschen – und wurden geprägt durch die Männer und Frauen, um die es hier geht: Herrscher und Gelehrte, Politiker und Künstler, Geistliche und Unternehmer – und andere mehr.

 

Das wollen die KLEINEN BAYERISCHEN BIOGRAFIEN: Bekannte Personen neu beleuchten, die unbekannten (wieder) entdecken – und alle zur Diskussion um eine zeitgemäße regionale Identität im Jahrhundert fortschreitender Globalisierung stellen. Eine Aufgabe mit Zukunft.

 

 

DR. THOMAS GÖTZ, Herausgeber der Buchreihe, geboren 1965, lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Regensburg. Veröffentlichungen zu Stadt und Bürgertum in der Neuzeit.

 

MARCUS JUNKELMANN

 

 

 

Max Emanuel

 

 

Der »Blaue König«

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag Friedrich Pustet
Regensburg

 

Impressum

 

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

 

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

 

eISBN 978-3-7917-6144-2 (epub)

© 2018 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg

eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg

 

 

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:

ISBN 978-3-7917-2991-6

 

 

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Kontakt und Bestellungen unter verlag@pustet.de

1   Einleitung

Diese kleine Biographie bezeichnet Kurfürst Maximilian II. Emanuel oder, wie er in klangvoller und eindrucksvoller Abkürzung volkstümlich hieß und heißt und sich auch selbst zu nennen pflegte, »Max Emanuel« als den »Blauen König«. Denn die pedantische Korrektur zu einem »Blauen Kurfürsten«, die entgegen der Tradition seit wenigen Jahrzehnten üblich geworden ist, verfehlt das Träumerisch-Irreale, den unerfüllten Ehrgeiz und damit das Wesentliche an diesem Beinamen.

Nach seinem Großvater Maximilian I. war er unter Bayerns Kurfürsten und Königen der Herrscher mit der längsten Regierungszeit, 1679/1680 bis 1726, fast ein halbes Jahrhundert. Mehr als die Hälfte davon verbrachte Max Emanuel aber in fremden Ländern. In 22 Feldzügen stand er als aktiver Feldherr alljährlich mehrere Monate auf Kriegsschauplätzen in Österreich, Ungarn, Serbien, Italien, im Rheinland, in den Spanischen Niederlanden (dem heutigen Belgien) und – sehr kurz– auch in Bayern im Einsatz. 20 Jahre lang lebte er als Statthalter und als geächteter Flüchtling in den Spanischen Niederlanden und in Frankreich.

Überhaupt darf Max Emanuel als die internationalste Erscheinung unter allen Herrscherpersönlichkeiten der bayerischen Geschichte gelten. Er war dies nicht nur aufgrund seiner wittelsbachisch-savoyisch-habsburgisch-lothringisch-bourbonischen Abstammung, nicht nur aufgrund der um die Dominanz buhlenden kulturellen Strömungen aus Italien, Frankreich und den Niederlanden, in deren Schnittpunkt der Münchner Hof stand, nicht nur aufgrund des ganz Europa und auch schon weite Teile der außereuropäischen Welt umspannenden politischen und militärischen Kräftespiels im Zeitalter Ludwigs XIV., das den Handlungsrahmen des Kurfürsten bestimmte, sondern vor allem aufgrund seines eigenen Willens zur Größe. Der Zug zum Extremen, ja zum Gigantischen eignete dem ganzen Zeitalter; bei Max Emanuel nahm er geradezu manische Ausmaße an. Es ist nicht verwunderlich, daß ihm das ererbte Bayernland bald zu klein und zu eng erschien, daß er nach Vergrößerung, Aufwertung, Aufstieg um jeden Preis strebte. Er glaubte, dies sich und seinem Ruhm, vor allem aber der Zukunft seiner Dynastie schuldig zu sein.

Wenn auch Max Emanuel und sein Sohn Karl Albrecht, dem er in seinem politischen Testament das Streben nach Großmachtstellung als schicksalsschweres Erbe hinterließ, letztlich gescheitert sind, als Dirigent seines Nachruhms hat der »Blaue König« bemerkenswerten Erfolg: Im populären Geschichtsbild lebt er fort als Sieger von Belgrad und als Erbauer von Schleißheim und Nymphenburg, als kraftstrotzender und kunstsinniger Barockmensch und Vater des bayerischen Rokoko, nicht aber als der Verlierer von Höchstädt, als der tragisch scheiternde und sein Land ruinierende Abenteurer. Sein Bild in der Geschichtsschreibung ist naturgemäß ein sehr ambivalentes, viel Licht und auch viel Schatten – welches von beiden überwiegt, hängt von den Vorlieben und Abneigungen des jeweiligen Historikers ab.

Angesichts der ungeheuren Dramatik dieser langen Regierungszeit und des reichen kulturellen Erbes, das der Kurfürst hinterlassen hat, erscheint es kaum faßlich, daß ein umfassendes biographisches Standardwerk über Max Emanuel bis auf den heutigen Tag fehlt, ja, daß »der Versuch zu einer wissenschaftlichen Biographie im Grunde noch nicht einmal gemacht ist« (Hans Schmidt). Ich arbeite seit vielen Jahren an einer großen Biographie des Kurfürsten, die vor allem auch das imposante bildliche Vermächtnis der Epoche präsentieren soll. Ich hoffe, das Werk in den nächsten beiden Jahren abschließen zu können.

Am nächsten kommen der Erfüllung dieses Desiderats vorerst noch immer die Bände 7 und 8 von Sigmund von Riezlers »Geschichte Bayerns« aus den Jahren 1913 und 1914, die auf zusammen 1332 Seiten die gründlichste Darstellung der Regierungszeiten Ferdinand Marias und Max Emanuels leisten (siehe Literaturverzeichnis). Der relativ aktuellste Überblick über diese Epoche findet sich in den einschlägigen Beiträgen des 2. Bandes des von Andreas Kraus 1988 überarbeiteten »Handbuchs der Bayerischen Geschichte« von Max Spindler, vor allem Kraus‘ eigener Beitrag »Bayern im Zeitalter des Absolutismus«.

Das schönste und facettenreichste Werk ist zweifellos der monumentale von Hubert Glaser in zwei Bänden herausgegebene Katalog der Schleißheimer Ausstellung von 1976. Der Aufsatzband enthält zahlreiche Beiträge über die verschiedenen historischen und kunsthistorischen Aspekte der Herrschaft, im Katalogteil findet sich die bildliche Überlieferung opulent ausgebreitet.

Im selben Jahr – dem 250. Todesjahr Max Emanuels – erschien das umfangreiche Buch Ludwig Hüttls, das schon im Untertitel eine drastische Einschränkung des Themas auf eine »politische Biographie« ankündigte, was darauf hinauslief, daß der Autor sowohl die kunsthistorische als auch die militärgeschichtliche Perspektive so gut wie völlig unbeachtet ließ, obwohl diese ja keineswegs der politischen Dimension entbehren. Nimmt man noch die moralisierende Einseitigkeit der Darstellung hinzu, dann bleibt trotz der Fülle des herangezogenen Materials ein recht unbefriedigender Eindruck zurück. Wohl als bewußter Kontrapunkt zu Hüttl ist der kleine Band zu sehen, den Hans Rall und Gerhard Hojer 1979 herausgebracht haben und in dem penetrant apologetische Tendenzen überwiegen. Die Finanz- und Subsidienpolitik Max Emanuels und sein Verhältnis zu Frankreich hat ab 1967 Peter Claus Hartman in zahlreichen grundlegenden Untersuchungen dargestellt. Eine kritische Übersicht über die bis 1978 erschienene Max Emanuel-Literatur leistet der Aufsatz von Hans Schmidt aus diesem Jahr der – in wesentlich gekürzter Form – auch schon in dem Katalogwerk von 1976 erschienen war.

Unter den jüngsten Arbeiten mit breiterem, wenn auch nicht umfassendem Ansatz, ragen die Werke von Reginald de Schryver (1996) und Max Tillmann (2009) hervor, zur kriegerischen Seite der Persönlichkeit sei auf meine Arbeiten von 1979 und 2000 verwiesen. Wie allgemein in der Bearbeitung der Epoche von Barock und Absolutismus dominieren in den letzten beiden Jahrzehnten Studien zu bisher als vordergründig abgetanen Aspekten wie Funktion des fürstlichen Hofes, des Zeremoniells, der Repräsentation, der Festkultur, der Architektur, der Sammelpolitik, von Musik und Theater und der sich hierin ausdrückenden Herrschaftsideologie. In all diesen Teilbereichen hat die Forschung große Fortschritte erzielt.

Anders als in meinen vorangegangenen Bänden in der Reihe der »kleinen bayerischen biographien« lege ich bei Max Emanuel den Schwerpunkt auf den narrativen Teil und nicht auf die systematischen Abhandlungen. Dies entspricht dem dramatischen Ablauf der Biographie des »Blauen Königs«, die sich in durchlaufenem Ductus einem großen Thema, einem Leitstern seines Lebens zuordnen läßt: dem Streben nach Ruhm und Größe für sich und vor allem für seine Dynastie. Der Glaube Max Emanuels an die Zukunft seines Hauses war trotz Enttäuschungen und Katastrophen unerschütterlich, sein Handeln bei allem Variantenreichtum der Ideen und Mittel beharrlich.

Daraus erwuchs eines der großen Dramen der bayerischen Geschichte, das der Herrschaft dieses Kurfürsten ihren ganz eigenen Charakter verleiht, der Politik, Kriegführung und Repräsentation miteinander vereint.

Trotz der Dominanz dieses Leitmotivs soll wieder ein möglichst facettenreiches Bild geboten werden, das den Protagonisten als Akteur im Welttheater seiner Zeit vorführt, im Zusammen- und Widerspiel mit seinen Zeitgenossen, die in Nebenbiographien vorgestellt werden, wo sich die zentrale Biographie auf vielfältige Weise spiegelt. Max Emanuel erscheint so nicht einfach als der einseitig Handelnde und Leidende, sondern als ein Spieler, der auf den verschiedensten Ebenen agiert und reagiert. Hauptakteur und Nebenakteure spielen sich auf diese Weise gewissermaßen die Bälle zu.

Ähnliches gilt für die Bebilderung, die nicht illustrierendes hübsches Beiwerk sein soll, die vielmehr gerade für diese sinnenfreudige Zeit eine unverzichtbare Hauptquelle darstellt. In den eingestreuten Zitaten sprechen die Zeitzeugen ganz unmittelbar zu uns. Freilich braucht es für das Verständnis interpretatorische Hilfestellung, was ganz besonders für die im Barockzeitalter allgegenwärtigen Allegorien gilt, die eine sehr spezifische Allgemeinbildung voraussetzen, die weitgehend verschwunden ist. Daher die oft recht ausführlichen Bildlegenden, die aus den Stichen und Gemälden eigenständige »Mitspieler« machen.

 

»Blauer König« oder »Blauer Kurfürst«?

»…ist der Trompeten-Schall so vieler ausgerufener Victorien weit über das türkische Istanbul nach Asien hineingedrungen und hat die Furcht vor dem Blauen Christlichen König, regierenden Herrn in Bayern, ihrer [der Türken] viele über das Schwarze Meer zurückgejagt und ihnen den Mut zum Streit benommen, als daß auch Asien von dieses Königs Landen informiert sein wollte, von dem Land den König und von dem König das Land schätzen zu können…« So heißt es in der Einleitung, welche die Landschaft Oberland 1701 dem ersten Band von Michael Wenings Historisch-Topographischer Beschreibung des »Churfürsten- und Hertzogthumbs« Bayern vorangestellt hat. Daß sich die Ständevertreter der Tatsache bewußt waren, daß ihr Herrscher kein König, sondern ein Kurfürst war, bedarf keiner Betonung und wird ja auch im Titel des Werks deutlich. Die Diskrepanz zwischen Beinamen und tatsächlichem Rang wird also bewußt gewählt, entspricht offensichtlich allgemein geübter und als bekannt vorausgesetzter Praxis und macht zum Gutteil den Reiz und den Sinn des Ehrennamens aus. Man sah hierin eine inoffizielle, spontane, aber umsomehr einer höheren Wirklichkeit entsprechende, da durch eigene große Taten verdiente Rangerhöhung des ruhmreichen Türkensiegers, die zugleich eine Aufwertung seines Landes bedeutete. Das entsprach bestens dem Selbstgefühl des Geehrten, der sich die von Vater und Großvater ererbte Hausideologie des dynastischen Aufstiegs ganz und gar zu eigen gemacht hatte, mit allen Mitteln nach einer Königskrone strebte und in seinen Schloßbauten unverhohlen königliche, ja kaiserliche Ansprüche verkündete. Dieser verzehrende, letztlich vergebliche Ehrgeiz fügte für spätere Generationen dem Beinamen noch eine weitere Bedeutungsebene hinzu, das unerfüllte Verlangen, das tragische Scheitern, den Gegensatz von Traum und Wirklichkeit. Dies geht alles verloren, wenn man mit schulmeisterlicher Pedanterie aus dem »Blauen König« einen »Blauen Kurfürsten« macht, wie das, dem bisherigen Gebrauch entgegen, üblich geworden ist, seit sich 1976 Ludwig Hüttl, dem jede »Degradierung« seines »Helden« willkommen war, im Untertitel seiner »politischen Biographie« für die Kurfürsten-Version entschieden hat.

Dem »Blauen König« dürfte das türkische »Mavi Kral« zugrunde liegen, mit dem Max Emanuel wegen seines oft getragenen blauen Rocks von seinen Gegnern bezeichnet worden sein soll. »Kral«, das sich letztlich von Karl dem Großen herleitet, ist ein aus dem Slawischen stammendes türkisches Lehnwort, das in der Tat »König« zu bedeuten pflegt, doch kann es auch für andere hochrangige abendländische Fürsten verwendet werden. Da sich die türkische Führung über die unterschiedlichen Ränge der europäischen Monarchen einigermaßen im Klaren war, kann die Bezeichnung im Fall Max Emanuels durchaus im Sinn von »Kurfürst« gemeint gewesen sein, da man für diesen Rang über kein eigenes türkisches Wort verfügte. So wurde Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden, der »Türken-Louis« auch der »Rote König« genannt, was die Annahme bestätigt, daß es den Türken nicht um die präzise Wiedergabe eines deutschen Fürstenranges ging. So gibt der Orientalist Hans Georg Majer, der dem Thema 1975 einen eigenen Aufsatz gewidmet hat, dem traditionellen »Blauen König« den Vorzug, denn ausschlaggebend sei, »daß bei aller Unschärfe der Ausdruck Wohlklang hat und trifft. Er vermag Max Emanuel anders, passender zu charakterisieren als ein phantasielos nüchterner bayerischer Kurfürst.« Sehr viel schärfer hat Andreas Kraus in seiner Rezension von Hüttls Werk Stellung bezogen: »Das türkische Wort ›kral‹ heißt weder das eine noch das andere, am wenigsten sinnvoll ist aber die Übersetzung ›Kurfürst‹. Von welchem anderen Kurfürsten wollten ihn denn die Türken unterscheiden? Das Wort ›kral‹ ist außerdem viel älter als ›Kurfürst‹, dieses kann also gar nicht gemeint sein, sondern bestenfalls ein machtvoller abendländischer Fürst – warum nicht König?«

Es ist gewiß kein Zufall, daß Max Emanuel, Ludwig von Baden und Prinz Eugen ihre bis heute geläufigen Beinamen von ihrem Engagement im Türkenkrieg bezogen haben und von ihrem mindestens ebenso bedeutenden Einsatz im Spanischen Erbfolgekrieg – »Blauer König«, »Türken-Louis« und »Edler Ritter«. Der Kampf gegen die Ungläubigen war populärer und phantasieanregender als der gegen die europäischen Mitchristen und er profitierte vom heroischen Glanz der Kreuzritterzeit. In diese quasimythologische Sphäre fügt sich ein »König« sehr viel besser ein als ein »Kurfürst«. Bei einem volkstümlichen Beinamen möchte ich die im Land herausgebildete Tradition für entscheidend halten, zumal diese, wie wir eingangs gesehen haben, in unserem Fall tatsächlich auf die Zeitgenossen der Ereignisse zurückgeht. Besserwisserische, am Wesen der Sache vorbeigehende Korrekturen sind hier fehl am Platze.

Ein exemplarischer Barockfürst

Einer der Punkte, in denen sich die Historiker bei der Beurteilung Max Emanuels einig sind, die abfällig wie die wohlwollend Urteilenden, ist seine Charakterisierung als typischer, geradezu exemplarischer Barockherrscher, als perfekte Verkörperung seines Zeitalters. Diese Eigenheit wird herangezogen zur Erklärung seiner Ruhmesgier und seines dynastischen Ehrgeizes, seines Repräsentationsbedürfnisses und seiner Verschwendungssucht. Ausgangspunkt pflegt der enorme Schuldenberg von 26 Millionen Gulden zu sein, den der Kurfürst hinterlassen hat und der etwa das Sechsfache der jährlichen Staatseinkünfte betrug. Dieser war zustande gekommen durch die militärische Überanstrengung in drei großen Kriegen, die zehnjährige Ausbeutung des Landes durch die kaiserliche Besatzungsmacht, durch die aufwendige Hofhaltung und die mit dieser zusammenhängenden grandiosen Bau- und Sammeltätigkeit des Kurfürsten, schließlich durch seine chaotische Finanzverwaltung. Wenn Max Emanuel in großem Gegensatz stand zu seinem von ihm sehr bewunderten und als leuchtendes Vorbild betrachteten Großvater Maximilian I., dann war es sein leichtsinniger Umgang mit den Finanzen. Nimmt man noch die unverhohlene eheliche Untreue und Maitressenwirtschaft Max Emanuels hinzu, dann ist es nicht allzu verwunderlich, daß er vielen Historikern, ganz besonders denen des bürgerlichen 19. Jahrhunderts, in erster Linie als Gegenstand der Moralkritik gedient hat. Hier kommt aber als mildernder Umstand die Tatsache ins Spiel, daß viele der angeblichen und wirklichen Schwächen und Fehler Max Emanuels dem zeittypischen Verhalten absolutistischer Fürsten entsprachen, manche geradezu aus allgemein akzeptierten Sachzwängen resultierten. Der Aufbau eines respektgebietenden stehenden Heeres und der Unterhalt eines aufwendigen Hofstaates gehörten zu den Grundlagen absolutistischer Politik und somit des werdenden modernen Militär-, Steuer- und Verwaltungsstaates, sie sind untrennbar mit der Dynamik dieser Entwicklung verbundene Erscheinungen. Wie neuere Untersuchungen gezeigt haben, stellte der höfische Aufwand ein durchaus »rationales politisches Imponiergehabe« dar und diente durch die »suggestive Funktion des akkumulierten Prestiges« der Machtgewinnung und der Machtsicherung gegenüber den eigenen Untertanen, insbesondere dem Adel, wie gegenüber potentiellen äußeren Verbündeten und Gegnern (Jürgen von Kruedener). Soziales und politisches Prestige hingen nicht zuletzt vom demonstrativen Konsum ab. Dieses die höfische Gesellschaft durchdringende »Statusverbraucherethos zwang zu einer Ausgabenpolitik, die nicht in erster Linie von den Einnahmen, sondern von Status und Rang bzw. dem Anspruch darauf abhängig war«, was durch die, gemessen an den neuen Aufgaben, völlig unzureichenden regulären Fundamente der staatlichen Finanzen noch verschärft wurde. »Die Tendenz zu einer Eskalation der Verschuldung und schließlich zum Ruin war dementsprechend bei Angehörigen dieser Gesellschaft sehr groß« (Norbert Elias).

Man darf also Max Emanuel nicht diese zeittypischen Eigenschaften zum Vorwurf machen, allenfalls die übersteigerte und zum Teil irrational-undisziplinierte. Ausformung, die sie in seiner Person gefunden haben. Durch sein Verhalten geht ein einheitlicher Grundzug, »das Dasein, soweit es in der eigenen Macht steht, so zu gestalten, daß Höhepunkt auf Höhepunkt, Erfüllung auf Erfüllung folgt. Die Verfügung über Menschen und Mittel, die Feldzüge, Belagerungen und Schlachten, die Feste, Planung und Ausführung von Schlössern und Gärten, Kauf von Möbeln, Teppichen, Gemälden, Festlegung von Programmen, Zeremoniell, Liebesspiel – bei Max Emanuel handelt es sich primär nicht um absichtsvoll eingesetzte Mittel, um Politik, sondern zuerst um Genuss… Ein solches Temperament, begabt zur Darstellung seiner selbst, zur Figurierung des Fürsten in großer Umgebung, macht – mag es auch politisch scheitern – Eindruck auf die Zeitgenossen und auf die Nachwelt« (Hubert Glaser). Es ist daher nicht erstaunlich, daß Max Emanuel immer wieder als der »Prototyp des bayerischen Barockfürsten in Licht- und Schattenseiten« (Karl Bosl) gekennzeichnet wird, als eine jener Erscheinungen, »in denen sich der Charakter einer Epoche am deutlichsten ausprägt« (Siegmund von Riezler).

Hier dürfen wir freilich nicht übersehen, daß der Barock nicht nur ein Zeitalter der rauschenden Sinnesfreude und des Lebensgenusses war, sondern auch eine Epoche, die auf die Furcht und die Schrecken des Todes und der Hölle geradezu manisch fixiert war, und die bekamen Max Emanuels Bayern ja auch im Übermaß zu spüren. Wie der Kurfürst seiner eifersüchtigen Gemahlin Theresia Kunigunde aus dem Feldlager schrieb, als sie gerade wieder ein Bündel nicht an sie gerichteter Liebesbriefe entdeckt hatte, bewahrte er unter seinem Bett einen Totenschädel auf, in dessen Anblick er sich als reuiger Sünder vertiefte. Und am Ende seiner Tage läßt er sich im Nymphenburger Schloßpark eine der büßenden Magdalena geweihte Klause bauen. Gewiß steckte in alledem auch der Hang des Barock zum Theaterspiel, doch schloß das eine immer wieder leidenschaftlich durchbrechende tiefe Religiosität keineswegs aus.

Die Gleichsetzung Max Emanuels mit dem Höhepunkt des bayerischen Barock, einer Epoche, mit der sich das Land zu identifizieren pflegt wie mit keiner zweiten, verlagert das Gewicht der Betrachtung von der überwiegend negativ bewerteten Rolle, die der Politiker Max Emanuel wegen seiner letztendlichen Glücklosigkeit gespielt hat – im Erfolgsfall wäre das Verdikt der Historiker natürlich ganz anders ausgefallen –in den Bereich seiner kulturellen Leistungen, die sehr viel mehr Gnade vor den Augen der Nachwelt gefunden haben. Freilich lassen sich im konkreten Fall die politisch-militärischen und die künstlerisch-kulturellen Aspekte im Tun Max Emanuels nicht fein säuberlich voneinander trennen, sie durchdringen sich gegenseitig in der Art eines Gesamtkunstwerks, das dem Ruhm des Blauen Königs vor Zeitgenossen und Nachwelt zu dienen hatte.

Mit dem Wort »Ruhm«, mit »gloria«, »gloire«, ist ein Schlüsselbegriff der Epoche genannt: Max Emanuel hat das Wesen seiner Zeit in vollendeter, ja übersteigerter Weise verkörpert. Dies muss als Einschränkung berücksichtigt werden, wenn man den Kurfürsten als einen Menschen des unreflektierten momentanen Genusses charakterisiert. Er ist das zweifellos in hohem Maß gewesen. Doch ausschlaggebend war der Durst nach Ruhm und, damit verbunden, das Verantwortungsbewußtsein gegenüber der Größe seines Hauses. Hierfür hat er außerordentliche Zielstrebigkeit, Hartnäckigkeit und auch Leidensfähigkeit bewiesen. Denn wäre es ihm nur um Genuß gegangen, dann hätte er sich sehr viele Mühsale, Risiken und Tragödien sparen können. Mehr noch als die persönliche Selbsterfüllung, als Genuß und Beifall der Zeitgenossen ist mit diesem Streben nach Ruhm das Bild gemeint, das Max Emanuel der Nachwelt hinterlassen wollte. Die bleibende Monumentalisierung seines und seiner Dynastie Ruhms sollten seine Schlösser sein. Damit hatte er glänzenden Erfolg.

Ein Prinz, ein Schiff, eine Kirche, ein Schloß und ein Churbayerisches Freudenfest

Die Geburt keines zweiten bayerischen Prinzen wurde mit solcher Freude und solchem Pomp gefeiert wie die von Maximilian Emanuel Ludwig Maria Joseph Kajetan Antonius Nikolaus Franziskus Ignatius Felix, besser bekannt als Max Emanuel, der am 11. Juli 1662 in der Münchner Residenz das Licht der Welt erblickte. Den ersten Namen hatte er von seinem Großvater Maximilian I., Bayerns erstem Kurfürst, dem der Enkel Zeit seines Lebens als Mehrer des Hauses Wittelsbach nachzueifern bemüht war. Der zweite Name, Emanuel, kam aus der Familie seiner Mutter, der kapriziösen und ehrgeizigen Henriette Adelaide (Adelheid) von Savoyen. Der Grund für den außergewöhnlichen Enthusiasmus, mit dem der kleine Max Emanuel empfangen wurde, lag darin, daß die Ehe seiner Eltern seit zehn Jahren ohne männlichen Erben geblieben war. Endlich war nun die Gefahr beseitigt, die bayerische Linie des Hauses Wittelsbach würde aussterben. Der Vater, der bedächtige, fast phlegmatische Kurfürst Ferdinand Maria, ließ sich durch die Geburt des Erben zu einer Reihe geradezu extravaganter Freudenkundgebungen hinreißen. Vor allem mußte Gott und seinen Heiligen gedankt werden. In München wurde am 29. April 1663 in Einlösung eines in Altötting eingegangenen Gelübdes der Grundstein für die Kirche St. Kajetan gelegt, später bekannt als »Theatinerkirche«. Henriette Adelaide hatte die vom Hl. Kajetan (Graf Caetano di Thiene) 1524 gegründeten Theatiner als Gegengewicht zu den bisher in Bayern dominierenden Jesuiten nach München geholt. Sie war keineswegs gewillt, ihre Kirche von einem einheimischen Architekten erbauen zu lassen, denn diese seien »zu idiotisch, um einen Bau von dieser Bedeutung zu errichten«.

 

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Abb. 1:
Entwurf für das Hochaltarbild der Münchner Theatinerkirche mit Darstellung der kurfürstlichen Familie. Ölgemälde von Antonio Zanchi, Venedig 1673.

Das Bild zerfällt in drei Ebenen. Die göttliche Gnade, die den Bayerischen Wittelsbachern endlich die Geburt des Stammhalters gewährt, geht von der Heiligen Dreifaltigkeit ganz oben aus und wird in der Mittelzone von der Hl. Adelheid, der Namenspatronin der Kurfürstin, und dem Hl. Kajetan, dem Gründer des Theatinerordens und Patron der neuen Kirche, nach München vermittelt – links unten die Türme der Frauenkirche.

In der Mitte der unteren Zone knien Ferdinand Maria und Henriette Adelaide, der letzteren zu Füßen der kleine Max Emanuel im hermelingeschmückten Mantel und seine ältere Schwester Maria Anna Christina, künftige Dauphine von Frankreich. Rechts davon kniet die Erzieherin Felicitas Gräfin Wolkenstein mit den jüngeren Geschwistern Violante Beatrix, künftige Großprinzessin der Toskana, und Joseph Clemens, künftiger Kurfürst und Erzbischof von Köln. Links sehen wir den Leibarzt der Kurfürstin Ferdinand Baron Simeoni. Ganz unten in der Mitte tragen Pagen den Kurhut und ein Modell der Theatinerkirche heran. Die Ausführung des Gemäldes ist 1944 verbrannt.

 

 

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Abb. 2:
Die kurbayerische Lustflotte mit dem Flaggschiff Bucentaur auf dem Starnberger See (damals »Würmsee«). Kupferstich Michael Wenings aus seiner »Historico-Topographica Descriptio« des Rentamts München (1701).

Der weiß-blau-bemalte und golden dekorierte Bucentaur, den Ferdinand Maria anläßlich der Geburt Max Emanuels 1663 in Auftrag gab und der 1758 abgewrackt wurde, war 34 m lang, 8,5 m breit und 6 m hoch, war mit 16 kleinen Kanonen bestückt und wurde von zwei Segeln und 80 Ruderern angetrieben. Neben dem Flaggschiff sind links vorne das »Kammerschiff«, rechts die »Rote Halbe Galeere«, davor ein Küchen- und ein Kellerschiff abgebildet. Im Hintergund Schloß Starnberg.

 

Noch im Geburtsjahr Max Emanuels berief sie den Bologneser Theatiner Agostino Barelli nach München, der sich in seinen Plänen an der römischen Mutterkirche des Ordens S. Andrea della Valle orientierte. Nachdem Barelli wegen Streitigkeiten mit dem als Architekt dilettierenden Beichtvater der Kurfürstin nach Italien zurückgegangen war, übernahm der Graubündener Enrico Zuccalli den Bau und brachte ihn 1684 mit Ausnahme der Fassade zum Abschluß.

Barelli war nicht nur wegen des Baus der Theatinerkirche nach München berufen worden, sondern er sollte sich auch eines »Lusthauses« annehmen, das sich die Kurfürstin ab 1664 in der Schwaige Kemnat errichtete, die sie samt dem Gut Obermenzing von ihrem Gatten als »Belohnung« für die Geburt des Stammhalters geschenkt bekommen hatte. Sie gab der Villa den Namen »Borgo delle Ninfe«, Keimzelle der gewaltigen Schloß- und Gartenanlage Nymphenburg, die später ihr Sohn aus dem bescheidenen Schlößchen Henriette Adelaides machen sollte.