Inhaltsverzeichnis

Zum Buch

 

Noch vor wenigen Jahrzehnten sang Herbert Grönemeyer, die Stadt sei »vor Arbeit ganz grau« und habe einen »Pulsschlag aus Stahl« – heute ist sie eine grüne Stadt, die sich als zukünftige Gigabit-City mit hoher Lebensqualität positioniert. Außerdem ist Bochum so alt, wie ein Ort im Ruhrgebiet nur sein kann: Hervorgegangen aus einem Königshof Karls des Großen wurde die Ackerbürgerstadt im Laufe der Zeit zu einem der führenden Kohle- und Stahlstandorte sowie zur modernen Groß- und Universitätsstadt. Friedliche Jahrzehnte hat Bochum dabei ebenso erlebt wie Phasen tiefgreifenden Wandels, etwa während der Industrialisierung, oder die Leiden der Nazi-Diktatur.

Stefan Pätzold liefert eine spannende und lebendig erzählte Kleine Stadtgeschichte – für Einheimische ebenso wie für die Gäste Bochums!

 

 

Zum Autor

 

Stefan Pätzold,
Dr. phil., geboren 1966, ist stellvertretender Leiter des Bochumer Zentrums für Stadtgeschichte sowie Lehrbeauftragter der Ruhr-Universität Bochum und Mitglied der Historischen Kommission Westfalen.

Stefan Pätzold

Bochum
Kleine Stadtgeschichte

VERLAG FRIEDRICH PUSTET

REGENSBURG

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

 

eISBN 978-3-7917-6120-6 (epub)

© 2017 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg

eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg

 

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:

ISBN 978-3-7917-2929-9

 

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Der Ausgangspunkt: Die Verortung einer Stadt

Bochum weckt Assoziationen: Viele Menschen vermuten es zutreffend, aber vage »tief im Westen« und haben dabei das der Stadt gewidmete Lied Herbert Grönemeyers von 1984 im Ohr. Manche erinnern sich vielleicht an einen rasanten Abend im »Starlight-Express«, dem weltweit erfolgreichsten Musical – oder verfolgen, wenn sie sich für Fußball interessieren, das Auf und Ab des VfL. Kohle, Eisen und Stahl kommen Anderen in den Sinn, aber auch Nokia und Opel oder die Ruhr-Universität, mit über 40.000 Studierenden eine der größten Hochschulen Deutschlands. Ob zu Recht oder nicht denkt man bei Bochum an eine Industriestadt, »vor Arbeit ganz grau«, wie Grönemeyer singt, inmitten des urbanen Ballungsraums Ruhrgebiet. Sie ist umgeben von Essen im Westen, von Gelsenkirchen, Herne und Castrop-Rauxel im Norden, von Dortmund im Osten und – jenseits der Ruhr, die der Region den Namen gab – von Hattingen und Witten im Süden. Als eins der Oberzentren des Ruhrgebiets und kreisfreie Stadt im westfälischen Regierungsbezirk Arnsberg hatte Bochum am 31. Dezember 2015 364.742 Einwohner. Seit 1904 gilt es mit über 100.000 Einwohnern als Großstadt. Das Stadtgebiet erstreckt sich, untergliedert in zahlreiche Stadtteile und nach dem Zusammenschluss mit Wattenscheid 1975, heute über 145,66 km².

Bochum liegt zwischen den Flüssen Emscher im Norden und Ruhr im Süden auf einem flachhügeligen Landrücken an den Ausläufern des Ardeygebirges. Obgleich sich der Ort als eine moderne Großstadt präsentiert, hat er eine lange Geschichte: Ein Weiler namens Altenbochum existierte schon im frühen Mittelalter. Erstmals wird er im ältesten Ertragsverzeichnis des Benediktinerklosters Werden (heute ein Stadtteil von Essen) erwähnt, dem so genannten »Werdener Urbar A« vom Ende des 9. oder dem Beginn des 10. Jhs. Allerdings gab es auch davor schon manche – freilich bloß vorübergehend bestehende – Lagerplätze in jener Gegend, in der heute Bochum zu finden ist.

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Abb. 1: Von Karl Brandt 1952/53 geschaffenes Modell eines jungsteinzeitlichen Langhauses aus Bochum-Hiltrop, das der Rössener Kultur zuzurechnen ist (Maßstab 1:52).

Menschen und Siedlungen ohne Namen: Ur- und frühgeschichtliche Spuren

Von der Stein- zur Eisenzeit

Das älteste von Menschenhand geschaffene Werkzeug, das bisher auf heutigem Bochumer Stadtgebiet (in Querenburg) entdeckt wurde, ist ein etwa 25.000 Jahre alter so genannter Diskusschaber, ein Schneidegerät aus der mittleren Altsteinzeit. Da es aus Quarzit besteht, der zwar nicht in der Ruhrregion, wohl aber im Niederrheingebiet vorkommt, liegt die Vermutung nahe, dass sein Eigentümer Kontakte dorthin unterhielt oder als Jäger und Sammler auch den späteren Bochumer Raum auf der Suche nach Nahrung durchstreifte. Rund 20.000 Jahre danach, im Neolithikum, also der Jungsteinzeit (etwa 5500–2200 v. Chr.), hatte sich die Situation grundlegend geändert: Die Menschen waren mittlerweile sesshaft geworden und betrieben Ackerbau und Viehzucht. Das belegen Funde z. B. aus den heutigen Stadtteilen Bochum-Hiltrop, Altenbochum, Kirchharpen oder Laer. Wie ein in Hiltrop gefundener Brotrest zeigt, wurden frühe Weizenarten und andere Getreide angebaut, darüber hinaus auch Linsen, Erbsen und Bohnen; als Haustiere nutzte man Rinder, Schweine, Ziegen, Schafe und Hunde. Ein in Altenbochum entdecktes tönernes Webstuhlgewicht bezeugt die Fertigung von Textilien. Tongefäße wurden in großer Zahl hergestellt und sind aufgrund ihrer Verzierungen entweder der bandkeramischen oder der Rössener Kultur (ca. 4750/4700–4600/4550 v. Chr.) zuzuordnen. Besonders auffällig ist ein in Harpen zutage gefördertes Jadeit-Beil aus dem alpinen Raum, das sowohl auf einen hohen sozialen Rang des Eigentümers als auch auf einen regen Handel im 5. und 4. Jahrtausend v. Chr. schließen lässt. Die vielen Langhäuser, die mittlerweile ausgegraben wurden, deuten auf eine dichte und dauernde Besiedlung des Bochumer Raums während dieser Zeit im Neolithikum hin.

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Abb. 2: In einem Frauengrab in Langendreer fand man u. a. elf Perlen aus Ton, Glas und Bernstein, einen goldenen Filigrananhänger sowie eine Pressblechscheibe als Oberseite einer Fibel, deren bronzene Unterlage fehlt.

Überreste aus der mitteleuropäischen Bronze- und der Eisenzeit (2200–800 v. Chr. bzw. 800 v. Chr.–15 n. Chr.) sind hingegen seltener, aber durchaus vorhanden. In Harpen entdeckte man immerhin Hinweise auf eine germanische Eisenschmiede. Herausragende Fundstücke jener Zeit sind die so genannten Regenbogenschüsselchen. Gemeint sind damit spätkeltische Münzen aus der Zeit von 50–20 v. Chr. Sie zeigen auf der eingewölbten Seite typisch keltische Symbole, etwa den Dreiwirbel, der in einen Lorbeerkranz (ein römisches Symbol) eingefügt ist und dem glücksbringende Wirkung zugeschrieben wurde.

Römer, Franken und Sachsen

Damit ist nun die römische Zeit erreicht: Der Rhein bildete die – keineswegs undurchlässige – Grenze zwischen dem Imperium Romanum östlich und dem germanischen Barbaricum westlich des Flusses; zugleich war er aber auch ein wichtiger Transportweg für Menschen und Güter. Römer siedelten zwar selbst nicht im späteren Bochumer Raum, doch gelangten ihre Artefakte durch zurückkehrende Söldner, Handel, Geschenke oder als Beutegut in die Gegend an der Ruhr. In den Flussauen fand man beim heutigen Stiepel eine Mars-Statuette aus dem 2. oder 3. Jh. n. Chr. sowie einen Becher des späten 3. Jhs., der wohl aus einer feinkeramischen Werkstatt des Trierer oder Kölner Umlands stammt. Während der ersten vier Jahrhunderte nach Christi Geburt war die Gegend von Germanen besiedelt. Im 4. Jh. zogen die Römer ihre Truppen vom Rhein ab, und Germanen überquerten ihn nach und nach.

Unter den eindringenden Germanen kam an Rhein und Ruhr den Franken besondere Bedeutung zu. Nordöstlich von ihnen siedelten die Sachsen. Aus Schriftquellen ist bekannt, dass der Raum zwischen Lippe und Ruhr zwischen den beiden germanischen Völkergruppierungen umkämpft und damit eine Grenzregion war, auf die wechselnde kulturelle Einflüsse von beiden Seiten einwirkten. Die Bochumer Gegend blieb in dieser Zeit weiterhin, wenn auch wohl in geringerem Umfang als zuvor, bewohnt. Siedlungsplätze sind oft nur indirekt durch ihre Friedhöfe nachweisbar. Mehrere fränkische Gräber wurden in Langendreer freigelegt, darunter ein Männergrab samt einem eisernen, einschneidigen Hiebschwert, einem Sax, sowie ein reich ausgestattetes Frauengrab. Neben Töpfen und Vorratsgefäßen enthielt Letzteres eine Perlenkette mit Goldscheibenanhänger und -fibel aus der Zeit um 700 n. Chr. (s. Abb. 2). Die Bestattete erfreute sich zu Lebzeiten in der Hierarchie der ländlichen Siedlung offenbar eines hohen Ranges. Goldfibel und Keramik belegen darüber hinaus einen engen Güteraustausch mit dem fränkischen Rheinland.

Handel bedarf geeigneter Verkehrsverbindungen. In dieser Hinsicht war der Bochumer Raum begünstigt, denn spätestens seit der Bronzezeit verlief über den Landrücken zwischen Emscher und Ruhr mit dem Hellweg eine wichtige Ost-West-Verbindung. Somit konnten Händler und Truppen zügiger vorankommen. Seit den sogenannten Sachsenkriegen (772–804) Karls des Großen wurde der Weg als Etappenstraße ausgebaut: Zwischen dem Rhein und Paderborn ließen er und seine Nachfolger Königshöfe als Versorgungsstationen anlegen. Solche Höfe waren Mittelpunkte königlicher Grundherrschaften mit ausgedehntem Landbesitz. Es spricht manches dafür, dass sich Bochum aus einem solchen Hof entwickelte.

Viele Höfe und ein Gotteshaus: Der Ort im frühen und hohen Mittelalter

Die Anfänge: Altenbochum und Cobbos Bochum

Wie man sich die frühe Siedlungsentwicklung vorzustellen hat, ist ungewiss. Um hierüber überhaupt Erkenntnisse zu gewinnen, bedarf es der Kombination und Deutung mehrerer Einzelbeobachtungen. Erstens: Bei Grabungen in der heutigen Propsteikirche St. Peter und Paul im Stadtzentrum entdeckten Archäologen Überreste eines karolingischen Gotteshauses, ohne sie freilich genauer zu datieren. Es könnte demnach ebenso aus dem ausgehenden 8. wie aus dem späten 9. Jh. stammen. Zweitens: Die älteste Erwähnung eines Ortes namens Altenbochum (»Aldanbuchem«) bietet das bereits erwähnte Werdener Urbar A, das um 900 angelegt wurde. Darin verzeichnete man die im Besitz des Klosters befindlichen Hofstellen, deren Inhaber sowie die Abgaben, die diese Grundholden an den Benediktinerkonvent zu leisten hatten. Zu denjenigen Siedlungen, in denen diese Höfe lagen, gehörte auch Altenbochum. Drittens: Dort, wo es ein Alten-Bochum gab, musste auch ein Neu-Bochum existiert haben. Diese Überlegung passt zum erwähnten archäologischen Befund insofern, als der moderne Stadtteil Altenbochum südöstlich vom heutigen Stadtzentrum liegt, wo ja die Propsteikirche steht, in der man die Überreste des karolingischen Gotteshauses fand. Man hat also in Betracht zu ziehen, dass es zwei Orte namens ›Bochum‹ gab.

Viertens: Indizien, die Rückschlüsse auf das ›neue‹ Bochum erlauben, begegnen erst rund eineinhalb Jahrhunderte später in einer Urkunde Erzbischof Hermanns II. von Köln für das Kloster Deutz. Mit diesem Stück aus dem Jahr 1041 bestätigt der Metropolit, dem Kloster elf Hufen und 40 Hörige aus der unmittelbaren Umgebung eines »Cofbuokheim« genannten Königshofs übertragen zu haben. Dafür, dass es sich bei diesem Ort um das »neue« Bochum handeln könnte, spricht zunächst der zweite Namensbestandteil »-buokheim«, denn er lässt sich, wie der Namenforscher Paul Derks (1984, S. 2) meint, auf dieselben sprachlichen Wurzeln zurückführen wie »-buchem«, nämlich auf ›boka‹ (die Buche) und ›hem‹ (die Siedlung). ›Bok-hem‹ bzw. Bochum wäre demnach die Bezeichnung für eine Siedlung unter Buchen. Hinzu kommt, dass Königshöfe oft über Gotteshäuser zur geistlichen Versorgung der dort lebenden Menschen verfügten. Diese Funktion dürfte auch der karolingische Vorgängerbau der Propsteikirche erfüllt haben. So bleibt – fünftens – noch der erste Bestandteil des Ortsnamens »Cofbuokheim« zu klären. Auch hierfür gibt es eine plausible Deutung: Um 860 übte ein Adliger namens Cobbo im Bochumer Raum Grafenrechte aus. Dass dessen Name in den Siedlungsnamen einging und dabei lautlich zu Cof- verändert wurde, hält Paul Derks für wahrscheinlich. »Cof-Buokheim« wäre somit als »Cobbos Buchensiedlung« zu deuten.

Demnach hätte man sich die frühe Entwicklung folgendermaßen zu denken: Ursprünglich gab es nur eine einzige Siedlung »Bok-hem/Bochum«, nämlich das Altenbochum des Werdener Urbars. Als nach der Mitte des 9. Jhs. mit dem Königshof und einigen dazugehörigen Hofstellen eine zweite entstand, wurde diese zur Unterscheidung von der älteren nach dem Grafen Cobbo als dem örtlichen Amtsträger des Königs und faktischen Grundherrn benannt. Cobbos Bochum mitsamt Gotteshaus war der Siedlungskern der späteren Stadt Bochum.

Die Entwicklung des Ortes bleibt bis etwa zur Mitte des 11. Jhs. im Dunkeln. Damals befanden sich bereits mehrere Hofstellen im Besitz der Kölner Erzbischöfe, von denen ja mehrere 1041 dem Benediktinerkloster Deutz übertragen worden waren. Schließlich zählte, wie aus den um 1160 entstandenen Aufzeichnungen des Deutzer Küsters Dietrich hervorgeht, auch das Gotteshaus in Bochum zu denjenigen Kirchen, die der Abtei gehörten und deshalb einen Zins zu entrichten hatten. Allem Anschein nach hatte einer der Könige des römisch-deutschen Reichs (welcher ist unbekannt) Hufen und Kirche, vielleicht sogar den gesamten Königshof, einem Kölner Metropoliten übertragen – und dieser oder einer seiner Nachfolger beschenkte das Kloster Deutz aus dieser Vermögensmasse.

Der Ort im 12. und 13. Jahrhundert

Zu jener Zeit waren die Erzbischöfe von Köln auch die für die Bochumer Kirche zuständigen Ortsbischöfe. Das mag erklären, warum der Apostel Petrus, der Patron des Kölner Domes, zugleich auch zum Schutzheiligen des Bochumer Gotteshauses bestimmt wurde. Den karolingischen Bau gestaltete man im 11. Jh. zu einer etwas größeren Saalkirche um, die dann im 12. Jh. erweitert wurde. Um 1100 entstand das frühromanische Kernwerk eines Schreins, welcher Teile der sterblichen Überreste der beiden antiken Heiligen Perpetua und Felicitas barg. Beide hatte man im März 202 oder 203 in der Arena von Karthago hingerichtet, weil die Annahme des christlichen Glaubens von Kaiser Septimius Severus unter strenge Strafe gestellt worden war. Der wiederholt aufwändig verzierte Schrein befindet sich ebenso wie ein romanischer Taufstein von ungefähr 1175 noch heute in der Propsteikirche. Dass ein Gotteshaus über einen Taufstein verfügte, belegt, dass dort zumindest das Sakrament der Taufe gespendet und damit eine wesentliche Pfarrfunktion ausgeübt wurde. Demnach war die Bochumer Peterskirche wohl spätestens im Hochmittelalter eine Pfarrkirche, selbst wenn dies in den schriftlichen Quellen bis dahin nirgends ausdrücklich erwähnt wird. Die künstlerische Gestaltung des Taufbeckens lässt überdies vermuten, dass es wohlhabende Stifter gab, die bereit waren, ein solches liturgisches Gerät zu finanzieren. Schließlich erweisen die Um- und Ausbaumaßnahmen, dass die Kirchengemeinde – und damit zugleich auch die Einwohnerschaft Bochums – wuchs.

Bochum befand sich somit im 12. Jh. in einem gewissen Wandlungsprozess, der allem Anschein nach auch die Herrschaft über den Ort betraf. Nachdem ihn zunächst die Könige des römisch-deutschen Reichs kontrolliert hatten, gewannen dort die Erzbischöfe als Grund- und Diözesanherren sowie nach 1180 als Herzöge von Westfalen an Einfluss. Demgegenüber traten andere Grundherren wie die Kölner Klöster Deutz und St. Pantaleon sowie das Stift Essen in den Hintergrund. Doch auch die Erzbischöfe verloren ihre Führungsposition offenbar wieder, denn im Jahr 1243 teilten Graf Adolf I. von der Mark und Graf Dietrich von Isenberg, verfeindete Verwandte und Häupter zweier Linien der Grafenfamilie von Berg-Altena, die wesentlichen Elemente der Herrschaft über Bochum untereinander auf: Jedem von ihnen sollten seitdem die gräflichen Gebots- und die Gerichtsrechte im Ort, ferner der Herrenhof und schließlich das Patronatsrecht, also die weltliche Schirmherrschaft, über die Peterskirche gleichermaßen zustehen.

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Abb. 3: Der Taufstein der heutigen Propsteikirche St. Peter und Paul zeigt fünf Motive: die Geburt Christi, die Anbetung der Heiligen Drei Könige, den Kindermord von Bethlehem, die Taufe Christi im Jordan und die Kreuzigung (im Bild).

Die Entwicklung, die zu diesem Vertrag führte, ist undeutlich, da Quellenbelege fehlen. Erkennbar ist im Wesentlichen nur dies: Im Verlauf des 12. Jhs. gewannen die Grafen von Berg durch vorteilhafte Eheschließungen, gute Beziehungen zu den Erzbischöfen von Köln und durch die Ausübung der Vogteien über Kloster Deutz und Stift Essen Einfluss sowie Besitz im südlichen Westfalen und damit auch im Raum Bochum. Durch eine Erbteilung im Jahr 1160 entstand die Seitenlinie der Grafen von Berg-Altena, die sich 1180 wiederum in die Zweige Altena-Isenberg (benannt nach der Burg Isenberg bei Hattingen an der Ruhr) und Altena-Mark (Burg Mark, heute im Stadtteil Hamm-Uentrop) aufspaltete. Graf Friedrich von Isenberg († 1225) amtierte als Vogt der Klöster Deutz und St. Pantaleon in Köln, die über Hofstellen in Bochum verfügten; Graf Adolf I. von Altena-Mark hingegen war Lehnsmann der in Bochum begüterten Kölner Erzbischöfe. Dass sich Adolf mit Friedrichs Sohn Dietrich 1243 die Herrschaftsrechte über Bochum teilte, überrascht nicht.

Es waren in späterer Zeit allerdings Adolf I. von der Mark und seine Nachfolger, die über Bochum herrschten. Gesichert wurde ihre Macht durch die Burg Blankenstein an der Ruhr. Ein märkischer Richter, wohl ein Ministeriale, war in der Siedlung bereits 1236 tätig. Der gräfliche Herrenhof unterstand der Aufsicht eines Schulten bzw. Schultheißen. Allerdings gab es wiederholt Versuche, die märkische Herrschaft zu unterminieren. Spätestens seitdem sich das Verhältnis zwischen den Grafen von der Mark und den Erzbischöfen von Köln 1265 erheblich verschlechtert hatte, bemühten sich Letztere intensiv, in dem für sie strategisch wichtigen Ort Fuß zu fassen. Doch schon 1288 wendete sich das Blatt erneut: Nach seiner Niederlage in der Schlacht bei Worringen musste Erzbischof Siegfried von Westerburg die erst 16 Jahre zuvor erworbenen Rechte an Bochum dem Märker Eberhard II. (1278–1308), einem Mitglied der Siegerkoalition, verpfänden.

Herrenhof und Peterskirche bildeten den Kern des Ortes. Darum herum lagen die Hofstellen der Märker und anderer Grundherren. Allerdings wurden diese von den Grafen nach und nach verdrängt. Möglicherweise wurde der Grund und Boden der Deutzer Hofstellen nach der Aneignung durch die Märker parzelliert und ergab so den Raum für die Hausplätze der grundherrschaftlichen Handwerker und Händler. Dazu passt, dass sich an einem nach Nordosten (heute Richtung Castrop) führenden Abzweig des von Essen kommenden Hellwegs unweit der Kirche spätestens im 12. Jh. ein Markt etablierte.

Allem Anschein nach prosperierte Bochum im 12. und 13. Jh.: Die Bevölkerungszahl stieg an, die Einwohnerschaft des Ortes erwarb ihren Lebensunterhalt nicht mehr allein in der Landwirtschaft. Ein wenigstens lokaler Handel mit Agrar- und Handwerksprodukten brachte eine soziale Differenzierung und vielleicht auch einen gewissen Wohlstand für manche mit sich.

Die älteste Urkunde für Bochum von 1298

Davon zeugt die erste bisher bekannte Urkunde, die für einige Bewohnerinnen und Bewohner Bochums ausgestellt wurde. Sie stammt aus dem Jahr 1298. Ihr Aussteller ist Graf Eberhard II. von der Mark. Durch sie übertrug er bestimmten »Bürgern« (»cives«) Grundstücke, Häuser oder Verkaufsstellen am Markt, die zu seinem Herrenhof gehörten, und zwar erblich gegen einen jährlich am Sonntag nach St. Martin an den Schultheißen des markgräflichen Hofes zu entrichtenden Naturalzins, der aus Wachs und Hühnern bestand. Darüber hinaus regelte er die Modalitäten für den Fall eines Besitzerwechsels. Eberhard II. ließ damit eine so genannte Erbzinsleihe beurkunden. Das klingt trockener, als es ist, denn in dem Stück werden die Namen der Beteiligten, manchmal ihre Berufe oder die Lage der Grundstücke bzw. Häuser am Markt westlich oder südlich der Kirche genannt. So begegnen die Witwe Bertha »von der Treppe« und Johann an der Becke, ferner Albert der Fleischer, Gerhard der Fronbote, Alexander der Kaufmann, Ludolf der Schneider und Hildegund, die Tochter des Fechters, also wohl eines Fechtlehrers. An weiteren Berufen werden noch der des Gastwirts und des Hutmachers genannt. Als Mitbesiegler der Urkunde wirken schließlich noch der Bochumer Pfarrer Gerhard und der gräfliche Richter Giselbert, genannt Speke, mit. Gewiss, bloße Namen sind Schall und Rauch; aber selbst wenn die Viten der genannten Menschen im Dunkeln bleiben, sind es doch die ersten Bochumerinnen und Bochumer, die aus der Anonymität heraustreten.

Manche der genannten Tätigkeiten und die relativ hohe Zahl der Verkaufsstellen – ausdrücklich werden 14 genannt – lassen erahnen, dass dem alten Markt an der Peterskirche inzwischen eine gewisse regionale Bedeutung zugekommen sein dürfte. Und mehr noch: In der unmittelbaren Umgebung des Herrenhofs, der Kirche und des Markts hatten sich mittlerweile auf parzellierten Hausplätzen Menschen dauerhaft niedergelassen, die ihren Lebensunterhalt nicht mehr durch Arbeit auf dem Feld erwarben. Noch unterstanden sie dem Hofrecht und dem gräflichen Hofrichter, aber es zeichnete sich eine aus Händlern und Handwerkern bestehende soziale Gruppe ab, die für die spätere Entwicklung der Siedlung zur Stadt bedeutsam werden sollte.

Das Werden der märkischen Minderstadt im späten Mittelalter

Ein Meilenstein auf dem Weg zur Stadt: Engelberts II. Urkunde (1321)

(»curtis«)(»oppidum«)