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Hans Ammerich

Speyer

Kleine Stadtgeschichte

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UMSCHLAGMOTIVE

Vorderseite: Vue de la Ville de Spire (Ansicht der Stadt Speyer). – Lithografie
von Louis Bleuler, um 1825 (Historisches Museum der Pfalz, BS_0312a,
Scan: Ehrenamtsgruppe HMP, Speyer); Rückseite: Blick auf Altstadt und
Dom (© Dirk-stock.adobe.com)

BIBLIOGRAFISCHE INFORMATION DER
DEUTSCHEN NATIONALBIBLIOTHEK

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Angaben sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

ISBN 978-3-7917-3086-8

© 2019 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Reihen-/Umschlaggestaltung und Layout: Martin Veicht, Regensburg

Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau

Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg

Printed in Germany 2019

eISBN 978-3-7917-6165-7 (epub)

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Inhalt

Vorwort

Die Bischofsstadt

Noviomagus und Civitas Nemetum: römische Anfänge / Geographische Lage und Klima / Zentrum früher Kirchenorganisation / Ein besonderes Zeugnis / Frühmittelalterlicher Bischofssitz / Der Ortsname / Das prägende Ereignis: der Bau des Doms / Die Gründung des Doms zu Speyer / »Hauptstadt Deutschlands« / Der Speyerer Freiheitsbrief von 1111 und die Ausbildung städtischer Strukturen / Der Freiheitsbrief von 1111 / Bestätigung des Freiheitsbriefs (1182) / Topographische Entwicklung der Stadt / Das Altpörtel / Angesehen und verfolgt: die bedeutende jüdische Gemeinde / Der Pogrom des Jahres 1349

Auf dem Weg zur Reichsstadt

Auseinandersetzungen zwischen Bischof und Stadt / Die Konflikte verschärfen sich: das 14. Jahrhundert / Einzug eines neuen Bischofs in die Stadt / Die Konflikte bestehen weiter: das 15. Jahrhundert / Die Pfalz des Bischofs / Handel und Gewerbe im späten Mittelalter / Gründungsurkunde der Speyerer Herbstmesse, 1245

Im Zeichen der Glaubenskämpfe

Ehre und Belastung zugleich: die Reichstage / Die Reformation hält Einzug in die Stadt / Die erste Schulordnung Speyers / Erneuerung des katholischen Glaubens / Drei Konfessionen in der Stadt / Das Reichskammergericht / Johann Joachim Becher / Das Stadtbild des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit / Die städtische Bauweise vor 1689

Im Zeitalter der großen Kriege und Zerstörungen

Schwer geprüft im Dreißigjährigen Krieg / Die Katastrophe des Pfälzischen Erbfolgekriegs / Politik der »verbrannten Erde« / Gnadenbilder im Speyerer Dom / Eine Barockstadt entsteht / Unter französischem Regiment / Bericht eines bischöflichen Beamten am 5. Juni 1794

Bayerische Kreishauptstadt

Eine neue Bedeutung für die Stadt / Die Kirchen: Neuorganisation und sozial-karitatives Wirken / Gründerzeitliche Vorstadt und städtebauliche Erweiterung / Die Speyerer Grablege / Errichtung der Gedächtniskirche und der Josephskirche / Die Glasfenster der Gedächtniskirche / Mittelpunkt der Pfalz / Anselm Feuerbach / Hans Marsilius Purrmann / Ausbau der Verkehrsverbindungen zu Wasser und zu Land / Moderne Stadtquartiere / Der Rhein / Zwischen den Weltkriegen / Edith Stein / Die jüdische Gemeinde

Unter dem Hakenkreuz

Die nationalsozialistische Ära / Zerstörung der Synagoge und Auslöschen der jüdischen Gemeinde

Vom Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart

Politische Parteien / Bevölkerungswachstum / Schul- und Bildungszentrum der Pfalz / Museen / Städtebauliche Akzente / Erinnerung und Neuanfang: neue Synagoge und jüdische Gemeinde / Behörden und Militär / Wirtschaftsstandort / Stadt ohne Rassismus – Stadt mit Courage / Leben am Rhein / Stadtjubiläum 1990 und Salierjahr 2011 / Die beiden großen Kirchen: herausragende Ereignisse und Jubiläen / Besuch hoher Staatsgäste in Speyer / Städtepartnerschaften / Krankenhäuser und Soziales / Feste und Vereine / Stadt mit Zukunft

Anhang

Zeittafel / Stadtplan / (Ober-)Bürgermeister der Stadt Speyer / Die Bischöfe des neuen Bistums Speyer / Weihbischöfe des neuen Bistums / Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche der Pfalz seit 1920 / Ehrenbürger der Stadt Speyer / Literatur in Auswahl / Register / Personen / Orte, Länder und Regionen (allgemein) / Orte (Speyer) / Bildnachweis

Vorwort

Die Stadt Speyer erhält durch zwei Baudenkmäler des Mittelalters seine charakteristische Note: durch den Dom und das Stadttor, das Altpörtel. Diese beiden übrig gebliebenen Zeugen der großen Vergangenheit weisen auf die geschichtlichen Kräfte hin, die der Stadt einst Bedeutung verliehen: Der Dom ist Wahrzeichen des christlichen Abendlandes und der Macht des Kaisertums; das Altpörtel erinnert an das Erstarken des Bürgertums in der zu Macht und Glanz aufsteigenden freien Reichsstadt Speyer.

Gesamtdarstellungen wie die vorliegende sind zwangsläufig unvollständig, zumal sie sich an einen vorgegebenen Umfang halten müssen. Manchen Aspekt werden die Kenner der Speyerer Geschichte als etwas kurz behandelt empfinden, einen anderen gar vermissen. Freilich hätte man viele Akzente auch anders setzen können. Absicht des vorliegenden Bandes ist es, einen knappen Überblick über die Geschichte der Stadt Speyer zu geben. Zweifelsohne ist ein solches Unternehmen angesichts der Stoffmenge und Fülle von Literatur gewagt, und je näher man an das aktuelle Geschehen heranrückt, desto größer wird zwangsläufig der Anteil an Subjektivität und Wertungen. Am Schluss steht keine ausgewogene Bestandsaufnahme sämtlicher Aspekte des Geschehens in der Gegenwart, sondern eine Auswahl beispielhafter Über- und Ausblicke.

Meine »Kleine Geschichte der Stadt Speyer« erschien 2008 erstmals im G. Braun Buchverlag (Karlsruhe) und ist inzwischen vergriffen. Seitdem hat sich die Stadt weiterentwickelt, und die Erforschung der Stadtgeschichte ist fortgeschritten. All dies rechtfertigt eine Neuauflage. Mit vorliegendem Buch wird der interessierten Leserschaft nun eine zweite, überarbeitete und aktualisierte Auflage an die Hand gegeben.

Mein herzlicher Dank gilt zuerst dem Verleger, Herrn Fritz Pustet, für die Aufnahme dieser Darstellung in seine Reihe »Kleine Stadtgeschichten« und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Betreuung der Drucklegung. Frau Lektorin Christiane Abspacher M. A. hat das Manuskript kritisch durchgelesen und viele Hinweise zur Verbesserung gegeben. Ihr danke ich für die geduldige und kompetente Betreuung. Frau Julia Wagner M. A. kümmerte sich mit großem Engagement um die Bildauswahl. Für die Bereitstellung von Bildmaterial bedanke ich mich bei Frau Archivrätin Dr. Christiane Pfanz-Sponagel und Frau Julia Kratz M. A. vom Stadtarchiv Speyer sowie bei Frau Jutta Hornung vom Archiv des Bistums Speyer.

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Das Wappen der Stadt Speyer.

Die Entstehung der Stadtgeschichte wurde in vielfacher Weise begleitet und unterstützt. Frau Oberstudiendirektorin Dr. Lenelotte Möller (Speyer) gab viele Ratschläge zur städtischen Geschichte und wichtige Hinweise auf diesbezügliche Quellentexte. Herrn Oberbürgermeister a. D. Werner Schineller, dem Vorsitzenden des Historischen Vereins der Pfalz, danke ich für die Durchsicht des letzten Kapitels mit Schwerpunkt 20. Jahrhundert. Für zahlreiche Hilfen danke ich den Kolleginnen und Kollegen der Speyerer Archive und Bibliotheken sowie des Historischen Museums der Pfalz.

Meiner Partnerin Frau Oberbibliotheksrätin Dr. Traudel Himmighöfer (Speyer) danke ich für die intensive inhaltliche und formale Durchsicht, für textliche Erweiterungen, insbesondere aus kirchen- und theologiegeschichtlicher Sicht, und für die unermüdliche Hilfe bei der Erstellung des Manuskripts.

Speyer, im Sommer 2019

Hans Ammerich

Die Bischofsstadt

Noviomagus und Civitas Nemetum: römische Anfänge

Der Speyerer Geschichtsschreiber Christoph Lehmann bezeichnete in seiner »Chronica der Freyen Reichs Statt Speyer« (erstmals erschienen 1612) die Römer als Gründer der Stadt und liegt damit nicht falsch. Wie viele römische stadtartige Siedlungen am Rhein trägt auch Speyer als Noviomagus (neues Feld) zunächst einen keltischen Namen, ohne dass ein keltischer Ursprung des Orts archäologisch nachzuweisen wäre. Dieser Ortsname blieb der Siedlung jedoch noch bis weit in die Römerzeit hinein erhalten. Die Ansicht, dass der römischen Ansiedlung ein keltisches Oppidum vorausgegangen sei, ist durch die archäologischen Forschungen seit den Kanalarbeiten 1927 und insbesondere durch die großflächigen Ausgrabungen der letzten 30 Jahre widerlegt worden.

Spätestens seit 10 v. Chr. war der Oberrhein zwischen Mainz und Basel durch römische Posten gesichert. Die Gründung einer Militäreinheit in Speyer ist für diesen Zeitpunkt anzusetzen; daran orientierte sich auch die 2000-Jahr-Feier der Stadt im Jahr 1990. Das Truppenlager wurde noch zweimal verlegt – zuerst nach Süden, dann nach Nordwesten mit erheblicher Erweiterung. Aus dem 1., 2. und 3. Jahrhundert berichten u. a. zahlreiche römische Inschriften von der Romanisierung der Region. Ein großes Mithrasheiligtum, das in Gimmeldingen bei Neustadt gefunden wurde, bezeugt die aus Persien stammende typische Soldatenreligion für unseren Raum, der zum nördlichen Grenzgebiet des Imperium Romanum gehörte. Und so wie römische, griechische und ägyptische Götter, Soldaten und Händler durch das römische Reich hierher gelangten, kamen Menschen und Waren aus dem Nemetergebiet durch das Römische Reich in andere Weltgegenden: Terra Sigillata aus dem nahe gelegenen Rheinzabern wurde bis nach Britannien und ans Schwarze Meer exportiert, und vor wenigen Jahren (um 2000) wurde am Unterlauf der Donau im bulgarischen Ruse das Militärdiplom (= Entlassungsschein und Bürgerrechtsurkunde samt Heiratserlaubnis eines römischen Veteranen) für den Nemeter Atrectus, Sohn des Capito, aus dem Jahr 105 n. Chr. gefunden. Er war nach seiner Entlassung nicht in seine Heimat zurückgekehrt, sondern hatte sich in der Nähe der Schwarzmeerküste ein Landgut zuteilen lassen und dort seinen Lebensabend verbracht.

HINTERGRUND

GEOGRAPHISCHE LAGE UND KLIMA

Speyer ist eine kreisfreie Stadt mit einer Fläche von 42,58 km2 im Bundesland Rheinland-Pfalz und liegt in der Oberrheinischen Tiefebene an der Mündung des Speyerbachs in den Rhein (geographische Daten: 8° 26' östlicher Länge und 49° 19' nördlicher Breite). Für das Stadtgebiet lassen sich drei deutliche Höhenstufen zwischen 92 m ü. N. N. am Rhein bis 113 m ü. N. N. auf der oberen Flussterrasse feststellen. Speyer hat heute rund 50.700 Einwohner, was einer Bevölkerungsdichte von rund 1190 Einwohnern je km2 entspricht. Auf Grund der Lage im Oberrheingraben gehört es zu den wärmsten und niederschlagärmsten Gebieten Deutschlands. Die Jahresmitteltemperatur beträgt 9,8° C, in der Vegetationszeit 16,9° C. Die durchschnittliche Niederschlagsmenge beläuft sich auf 596 mm, davon 314 mm in der Vegetationszeit. Die Zahl der Sommertage (mit über 25° C) liegt bei durchschnittlich 40 pro Jahr. Gewitter treten durchschnittlich an 20 bis 25 Tagen auf. Schneefall ist, legt man den Durchschnittswert zugrunde, an 20 Tagen festzustellen, eine geschlossene Schneedecke ebenfalls an 20 Tagen. Die Hauptwindrichtungen sind Südwest und Nordost. Die Zahl der Sonnenscheinstunden ist im Sommerhalbjahr deutlich überdurchschnittlich, im Winter wegen häufiger Inversionswetterlagen unterdurchschnittlich. Wegen der Inversionslagen und der Schwüle im Sommer gilt das Wetter in Speyer als bioklimatisch belastend.

74 n. Chr. wurde das Truppenlager aufgegeben, nachdem die Römer das rechtsrheinische Vorland zunächst bis zum Neckar, dann bis zum später errichteten Limes erobert hatten. Unter den Römern, die – wie erwähnt – noch vor Christi Geburt hierher kamen und die germanischen Nemeter ansiedelten, waren nacheinander zwei Militärlager und ein größeres Kastell entstanden. Daneben entwickelte sich eine ausgedehnte Zivilsiedlung, die als Civitas Nemetum (Nemeterstadt) im 2. Jahrhundert n. Chr. eine Blütezeit erlebte, bevor sie 275 mit dem ganzen Umland durch Alemanneneinfälle zerstört wurde. Zu Beginn des 4. Jahrhunderts erfolgte ein Wiederaufbau der Siedlung.

Zentrum früher Kirchenorganisation

Die Existenz eines Bischofssitzes in der Civitas Nemetum kann für die Mitte des 4. Jahrhunderts angenommen werden. 346 findet sich bei den inhaltlich gefälschten Akten eines Konzils zu Köln die Unterschrift Jesse ep(iscopu)s civitatis Nemetum. Die Unterschriftenliste dieser Akten dürfte aus einer echten Vorlage übernommen sein. Bereits 342/43 wird in der Liste von gallischen und rheinischen Bischöfen, die zu den Beschlüssen der Synode von Sardica (Sofia) ihre Zustimmung gaben, ein Bischof mit Namen Jesse aufgeführt, allerdings ohne Angabe seines Bischofssitzes. Bei der doppelten Überlieferung des Namens darf man daher von Jesse als erstem nachweisbaren Speyerer Bischof ausgehen. Wo seine Bischofskirche stand und wem sie geweiht war, ist nicht bekannt.

Rund ein halbes Jahrhundert später, zu Beginn des 5. Jahrhunderts, wird Speyer in der »Notitia Galliarum« als Bischofssitz bezeichnet. Neben vereinzelten archäologischen Funden haben besonders die Ausgrabungen von 1946/47 auf dem Gelände des ehemaligen St. Germanstifts, das heute vom Priesterseminar überbaut ist, Aufschluss über christliches Leben in Speyer und seiner Umgebung im 4./5. Jahrhundert gebracht.

HINTERGRUND

EIN BESONDERES ZEUGNIS

Der schönste und am meisten berührende unter den römischen Grabsteinen am Oberrhein, die die Römer hinterlassen haben, ist der des zehnjährigen Peregrinus, eines Sklavenjungen des Caius Julius Nigellio, der vermutlich Offizier der in Speyer stationierten Einheit war. Der Stein, der außer einer Inschrift auch den Jungen mit einem Hündchen und vermutlich einem Spielzeug zeigt, wurde im 1. Jahrhundert n. Chr. in einer Mainzer Werkstatt hergestellt. Er wurde in der Ludwigstraße gefunden und befindet sich heute im Historischen Museum der Pfalz in Speyer.

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Grabstele des Peregrinus, Sklave des C. Julius Nigellio.

Frühmittelalterlicher Bischofssitz

Vandalen, Alanen und Sueben setzten 406 über den Rhein und verwüsteten auf ihrem Weg ins innere Gallien auch Speyer. Die aus dem rechtsrheinischen Gebiet vordrängenden Germanen (Barbaren) nötigten die Römer, Speyer zu verlassen. Das Bistum Speyer ging – wie die benachbarten Bistümer Mainz und Worms – in den Wirren der Völkerwanderungszeit unter, doch kleine christliche Gemeinden bestanden weiter. Von besonderer Bedeutung für die Rechristianisierung des Gebiets war die Taufe des Frankenkönigs Chlodwig I. mit 3000 seiner Krieger an Weihnachten 498 durch den Bischof Remigius von Reims. Sein Übertritt zum christlichen Glauben beseitigte nicht nur religiöse Schranken zwischen Galloromanen und Franken und bewirkte die Verschmelzung beider Volksgruppen, sondern förderte auch die geregelte Entwicklung kirchlicher Organisationen.

HINTERGRUND

DER ORTSNAME

Im Verlauf des 6. Jahrhunderts erhielt die Stadt ihren Namen: Spira (nach dem germanischen Namen des hier in den Rhein mündenden Flusses) – Speyer. Der neue Name Spira tritt neben die bis dahin gebräuchlichen Bezeichnungen Noviomagus und Civitas Nemetum. Aus dem frühen »Spira« wurde das mittelalterliche »Spire«, das sich am Beginn des 16. Jahrhunderts allmählich zu Speir, dann zu Speier und letztendlich zu Speyer wandelte.

Ende des 5. Jahrhunderts war Speyer unter fränkische Oberhoheit gekommen. Im Verlauf des 6. Jahrhunderts wurde hier wieder gesiedelt, jedoch nicht im ehemals römischen Siedlungskern, sondern weit außerhalb. Im Nordwesten vor der römischen Civitas entstand die fränkische Siedlung Altspeyer, die später zur Vorstadt werden sollte, im Südwesten die spätere Ortschaft Winternheim. Speyer wurde Sitz eines Gaugrafen.

Um die Mitte des 6. Jahrhunderts entwickelte sich Speyer zu einem Mittelpunkt geistlicher und weltlicher Macht, zu Beginn des 7. Jahrhunderts wird wieder ein Bischof erwähnt. Seit der Karolingerzeit bestand hier zudem eine Königspfalz. Bei der ersten Teilung des fränkischen Reiches im Vertrag von Verdun (843) kam Speyer zusammen mit dem Speyer-, Worms- und Nahegau – obwohl linksrheinisch gelegen – zum oberfränkischen Reich Ludwigs des Deutschen »wegen der Menge an Wein« (propter vini copiam), so berichtet Regino, der aus dem nahe gelegenen Altrip stammende Abt des Klosters Prüm.

Die Förderung Speyers, wie sie unter den Karolingern geschah, setzte sich auch unter den Ottonenkaisern fort. 946 erhielt der Speyerer Bischof von Konrad dem Roten, dem Schwiegersohn Kaiser Ottos des Großen, das Münzrecht. 969 wurde dem Bischof von Otto dem Großen die ausschließliche Gerichtsbarkeit in der Stadt und in der Vorstadt (Altspeyer) verliehen. Mit diesem Immunitätsprivileg wurde er Stadtherr mit allen Rechten, die den Zoll, den Markt, die Münze und die Stadtbefestigung betrafen. Diese um die und nach der Mitte des 10. Jahrhunderts erteilten Privilegien bildeten die Grundlagen für die Entwicklung zur Stadt, nach außen hin sichtbar im Bau einer Stadtmauer, die erstmals 969 erwähnt wird. Sie dürfte nur wenige Jahre zuvor entstanden sein. Die Stadt war nunmehr aus dem Umland herausgehoben und erhielt mit den neuen Privilegien und Rechtsverbindlichkeiten von nun an eine eigene Struktur.

Wohl im 6. Jahrhundert erfolgte die Wiedererrichtung der untergegangenen oberrheinischen Bistümer in den fränkischen Grenzgauen am Rhein. Das Bistum Speyer wurde zusammen mit dem Kloster St. German vermutlich in der zweiten Jahrhunderthälfte des 6. Jahrhunderts von Metz aus wieder errichtet. Metz war im letzten Viertel jenes Jahrhunderts als Sitz des austrasischen Merowingerreiches zu besonderer Bedeutung aufgestiegen.

Zum ersten Mal wird ein Bischof von Speyer nach der Völkerwanderung mit dem Namen Childerich 614 unter den Teilnehmern eines Konzils in Paris genannt; er unterschrieb die Beschlüsse: ex civitate Spira Hildericus Episcopus. Von seiner Bischofskirche ist weder die Lage noch der Kirchenpatron bekannt. Vermutlich stand sie, wie diejenige des Jesse, auf dem heutigen Domhügel; wo genau, muss offen bleiben.

Der Sprengel des Speyerer Bistums erstreckte sich in der Übergangszeit von der Spätantike zum frühen Mittelalter sicherlich nicht auf Gebiete östlich des Rheins. Erst die Besetzung durch die Franken, ihr Übertritt zum Christentum und die Konsolidierung ihrer Herrschaft schufen die Voraussetzungen, das Bistum nach Osten zu erweitern. Es darf angenommen werden, dass die kirchliche Organisation links des Rheins von St. German aus ihren Ausgang nahm; rechts des Rheins erfolgte dieser Ausbau in späterer Zeit vom Kloster Weißenburg aus.

Bis zur Regierungszeit Kaiser Ottos (I.) des Großen (936–972) sind nur wenige Nachrichten über die Bischöfe von Speyer erhalten. Ihr Leben und Wirken bleibt weitgehend im Dunkeln. Erst seit der Mitte des 10. Jahrhunderts sind wir über sie und die Ereignisse ihrer Amtszeit besser informiert. Bedeutende Männer – zumeist aus dem engsten Beraterkreis des Kaisers ausgewählt – bestiegen in dieser Epoche den Bischofsstuhl. Sie wurden ihren geistlichen und weltlichen Aufgaben gleichermaßen gerecht. Die Speyerer Bischöfe Gottfried (950–960) und Otgar (962–970) spielten eine einflussreiche Rolle am ottonischen Kaiserhof. Otgar war als Beauftragter des Kaisers mehrfach in Rom. Die Speyerer Bischöfe Balderich von Säckingen (970–986) und Walter (1004–1027) gehörten zu den gelehrtesten Männern ihrer Zeit. Unter ihnen gelangte die Domschule von Speyer zu höchstem Ansehen.

Bischof Reginbald II. (1033–1038) war im Kloster St. Gallen erzogen worden und Abt von St. Afra in Augsburg sowie im Kloster Lorsch gewesen. Er zeichnete sich durch Frömmigkeit und hohe Gelehrsamkeit aus. Da er sich insbesondere für die Armen einsetzte, wurde er nach seinem Tod wie ein Heiliger verehrt. In der Amtszeit Reginbalds wurde unter Konrad II. mit dem Bau des Domes zu Speyer begonnen; die Altarweihe fand 1061 statt. Konrads Enkel Heinrich IV. ließ die Kathedrale ab 1083 durch seine Baumeister Benno (Bischof von Osnabrück, † 1088) und Otto (seit 1102 Bischof von Bamberg, † 1139) umbauen.

Das prägende Ereignis: der Bau des Doms

Vom späten 10. Jahrhundert bis um die Mitte des 12. Jahrhunderts wuchs Speyer zu einer Stadt von zentraler Bedeutung heran. Sie wurde insbesondere unter den Saliern und frühen Staufern zum Zentrum des Reiches. Die Bezeichnung der Kaiser von Konrad II. bis Heinrich V. als »salisch« wurde erst später angewendet: »Salisch« bedeutet so viel wie »hochfrei fränkisch«, »Sal« heißt so viel wie Herrschaft. Ein »Salhof« ist also ein Herrenhof, »terra salica« ist Herrenland. Auf die Salier übertragen, heißt dies, dass es sich bei ihnen um ein altes fränkisches Herrengeschlecht handelt. Der Ursprung der Salier muss in der fränkischen Hocharistokratie, die zum größten Teil aus der Gegend zwischen Maas und Mosel stammte, gesucht werden. Als wesentliche Stützen der fränkischen Könige waren sie Feldherren, Diplomaten, Krongutsverwalter; aber sie waren ebenso als Inhaber von Bistümern und als Laienäbte treue Gefolgsmannen in der weltlichen und kirchlichen Fürsorge für das Frankenreich.

Eines der folgenreichsten Ereignisse der Stadtgeschichte war die Wahl Konrads des Älteren zum deutschen König in Kamba um 1024. Er stammte aus der Familie, die später den Namen Salier erhielt, und hatte seine Heimat im Worms- und Speyergau. Als Zeichen seines kaiserlichen Anspruches, Schutzherr aller Christen zu sein, gründete er in Speyer vor 1030 die größte Kirche der Christenheit und das bis heute größte romanische Bauwerk der Welt: den Dom zu Speyer. Über dessen Gründung existiert ein Bericht in den Speyerer Annalen von Johann Seyfried von Mutterstadt. Da Seyfried den Text in einem zeitlichen Abstand von etwa 400 Jahren zu den Ereignissen geschrieben hat, haben sich zwar Fehler eingeschlichen (Konrad regierte 17 Jahre, nicht 15, und auch das Datum der Grundsteinlegung des Domes gibt er wohl nicht korrekt an) und einige Stilisierungen stattgefunden (die Grundsteinlegung der drei Gebäude an einem Tag ist wohl nicht historisch korrekt), doch sind religiöse Haltung und politische Absicht des Domgründers darin gewiss unverfälscht wiedergegeben.

ZEITZEUGE

DIE GRÜNDUNG DES DOMS ZU SPEYER

»Konrad II., römischer König, genannt der Salier, erster fränkischer König, regierte 15 Jahre. Zur Frau hatte er Gisela, die ihre Abstammung auf das alte ruhmreiche Geschlecht Karls des Großen zurückführte, von der er auch den Erben Heinrich hatte, den sie in hohem Alter bekommen hatten, wie es lange zuvor der Mainzer Erzbischof Bartho vorausgesagt hatte. Dieser ließ in der Stadt Speyer jene alte Basilika, die zu Ehren des hl. Papstes und Märtyrers Stephanus errichtet worden war, bis auf die Grundmauern niederreißen und am selben Ort eine neue von wunderbarer Größe, Macht und Schönheit, die bis zu unserer Zeit steht, von Grund auf errichten zu Ehren der hl. Gottesmutter Maria und des hl. Papstes und Märtyrers Stephanus im Jahr 1030.

Am Fest der hl. Jungfrau Margarethe [12. Juli] setzte Konrad den Grundstein zur Errichtung des Klosters Limburg [bei Dürkheim]. Von dort ging er nüchtern nach Speyer, wo er die Grundsteine zum bereits beschriebenen Dom und zum Stift des hl. Johannes des Täufers legte, später nach dem hl. Guido benannt. Obwohl er diese Bauwerke, weil er zuvor starb, nicht mehr erleben konnte, hinterließ er sie seinen Nachkommen als Beispiel, wodurch ermahnt, diese sein Unternehmen vollendeten und [reich] ausstatteten. Ebendieser Konrad II. setzte fest, dass auch die übrigen römischen Kaiser und Könige, die diesseits der Alpen sterben würden, in der Kirche, die er in seiner Stadt Speyer gegründet und reich begabt hatte, bestattet werden sollten, wie er sie auch selbst als erster ausfüllte. Denn an Pfingsten 1039 [3. Juni], das er in Utrecht feierte, erkrankt, beendete er im 15. Jahr seines Königtums und im 9. Jahr seines Kaisertums seinen letzten Tag, und während seine Eingeweide ebendort bestattet wurden, wurde sein Leichnam nach Speyer überführt und im Königschor des Domes bestattet [wo neben ihm später seine Frau beigesetzt wurde], unter dem dritten Marmorstein, auf welchem folgende Inschrift angebracht wurde: ANNO DOMINICE INCARNATIONIS MXXXIX CONRADUS SECUNDUS IMPERATOR II. NONAS IVLII OBIIT

Der romanische Dom ist nicht das erste Gotteshaus, das an dieser Stelle errichtet wurde – eine merowingische und eine karolingische Vorgängerkirche sind bezeugt –, doch waren diese Kirchen im Vergleich zu dem von Konrad II. geplanten Dom klein und bescheiden. Karl der Große hatte sein Münster zu Aachen, Otto I. den Dom in Magdeburg, Heinrich II. den Dom in Bamberg erbauen lassen; deshalb konnte Konrad II. als erster Herrscher einer neuen Dynastie mit der bescheidenen Domkirche in Speyer nicht mehr zufrieden sein. Möglicherweise waren er und seine Gemahlin Gisela in dem Entschluss, einen neuen Dom errichten zu wollen, durch den Zug nach Italien und die 1027 in Rom vollzogene Kaiserkrönung bestärkt worden.

Konrads Absicht, den größten Dombau des christlichen Abendlandes in seinem Herrschaftsbereich erstellen zu lassen, ließ sich zu seinen Lebzeiten noch nicht verwirklichen; wie er wurde auch sein Sohn Heinrich III. (1039–1056) in dem unvollendeten Gotteshaus beigesetzt. Papst Viktor II. (1055–1057), der letzte der fünf deutschstämmigen Päpste im 11. Jahrhundert, nahm die Beisetzung vor. Erst Heinrich IV. (1056–1106) erlebte 1061 die Weihe des Domes zu Ehren Mariens und des heiligen Papstes Stephanus, dessen Haupt als bedeutendste Reliquie im Dom verwahrt wird.

Zwischen der Grundsteinlegung (vor 1030) und der ersten Weihe 1061 vollzog sich die sog. morgenländische Kirchenspaltung: Die östliche Kirche sagte sich im Selbstverständnis des Kaisers als Oberhaupt der Kirche und Stellvertreter Christi von Rom los (1054). Als 1083 der byzantinische Kaiser Alexios dem Dom ein kostbares, heute verschollenes Altarantependium schenkte, konnte dies als kleines Anzeichen für eine Wiedervereinigung gedeutet werden – doch erfüllte sich diese Hoffnung nicht.

Mit dem Dom zu Speyer wollten die Salier ihre Macht und Herrschaft unterstreichen. Die geistesgeschichtliche Voraussetzung für den Bau bildet der im Religiösen wurzelnde Kaisergedanke. Als sich Kaiser Heinrich IV. während des Investiturstreites um die Jahreswende 1076/77 zum Bußgang zu Papst Gregor VII. nach Canossa gezwungen sah, traf dies die sakrale Bedeutung des Kaisertums und damit auch dessen Macht empfindlich. Als wäre der Dom selbst von diesen Ereignissen betroffen, als sei er in seinen Grundfesten erschüttert worden, nahm Heinrich IV. zu Beginn der 1080er-Jahre einen großen Umbau vor, der in den Ostteilen oberhalb der Krypta weitgehend einem Neubau gleichkam: Das Mittelschiff wurde eingewölbt, dem Außenbau wurden die Zwerggalerien und die Türme aufgesetzt. Beim Tod Heinrichs 1106 waren diese Baumaßnahmen wohl abgeschlossen; sie fielen in die Zeit der heftigsten Auseinandersetzungen zwischen Kaiser und Papst.

Nach seiner Vollendung war der Dom das damals größte Bauwerk des Abendlandes (134 m lang, im Mittelschiff 34 m hoch), ein sichtbarer Ausdruck des Herrschaftsanspruches der Salier. »Im Speyerer Kaiserdom hat nicht nur der deutsche Kaiser, sondern das gesamte sacrum imperium seine höchste Repräsentation erfahren«, urteilte der Kunsthistoriker Herbert Dellwing.

Zugleich mit dem salischen Dom entstand auf dessen Nordseite die neue Königspfalz, der Palast, in dem der König residierte, wenn er auf seinen ständigen Zügen durch das Reich o clemens, o pia, o dulcis virgo Maria