Inhaltsverzeichnis

Zum Buch

 

Deggendorf, Große Kreisstadt und „Tor zum Bayerischen Wald“, wurde 1002 erstmals urkundlich erwähnt und war, an einem wichtigen Donauübergang gelegen, seit Mitte des 13. Jahrhunderts ein bedeutsamer Ort des bayerischen Herzogtums. Diese strategisch günstige Lage bezog das Deggendorfer Land in alle wichtigen Entwicklungen seit der Völkerwanderung ein – im friedlichen Handel und Wandel ebenso wie in kriegerischen Auseinandersetzungen. Hier spiegelten sich im Kleinen viele wichtige Ereignisse der bayerischen und deutschen Geschichte.

Diese Kleine Stadtgeschichte bringt Gästen und Einheimischen die reiche Geschichte einer l(i)ebenswerten Stadt nahe, die sich in den letzten Jahrzehnten erfolgreich zur Hochschulstadt und zum blühenden Wirtschaftsstandort entwickelte.

 

 

Zum Autor

 

Lutz-Dieter Behrendt,
Prof. Dr. phil. habil., geboren 1941, ist nach langjähriger Lehr- und Forschungstätigkeit an der Universität Leipzig seit 1999 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Stadtarchivs Deggendorf; zahlreiche Veröffentlichungen u. a. zur Geschichte der Stadt und ihrer Umgebung.

Lutz-Dieter Behrendt

Deggendorf
Kleine Stadtgeschichte

VERLAG FRIEDRICH PUSTET

REGENSBURG

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

 

eISBN 978-3-7917-6047-6 (epub)

© 2017 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg

eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg

 

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:

ISBN 978-3-7917-2646-5

 

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Informationen und Bestellungen unter verlag@pustet.de

Vorwort

Tor zum Bayerischen Wald, Stadt zwischen Gäu und Wald, Donau-, Knödel-, Große Kreisstadt, Behörden-, Hafen-, Schul- und Hochschulstadt – der charakteristischen Beinamen sind viele, die die l(i)ebenswerte Stadt Deggendorf aufzuweisen hat, die in malerischer Umgebung an der Donau unweit der Isarmündung am Fuße des Bayerischen Waldes auf halber Strecke zwischen Straubing und Passau liegt. Heute erstreckt sich ihr Territorium über 77,20 km2 von der Donau in 310 m über dem Meeresspiegel bis zur Höhe von 1116 m am Breitenauer Riegel. Die Stadt mit über 36 000 Einwohnern gehörte nicht zu den bekannten Residenzstädten in Bayern. Sie war nicht Ort berühmter Schlachten oder Wiege vieler bedeutender Persönlichkeiten. Hier wurden keine bahnbrechenden Entdeckungen gemacht. Für einige war der Name der Stadt negativ besetzt durch den Judenpogrom von 1338 und die bis 1991 durchgeführte Gnad-Wallfahrt. Für viele Menschen in Deutschland wurde Deggendorf erst zum Begriff durch die verheerende Hochwasserkatastrophe im Juni 2013 und durch die Landesgartenschau 2014.

Dennoch verfügt Deggendorf über eine interessante, mehr als 1000 Jahre zurückreichende Stadt- und eine weit längere Siedlungsgeschichte im Umfeld. Seine Lage am Donaustrom, der west-östlichen Verkehrsachse in Europa, bezog das Deggendorfer Land in alle wichtigen Entwicklungen seit der Völkerwanderung ein – im friedlichen Handel und Wandel ebenso wie in kriegerischen Auseinandersetzungen. Hier spiegelten sich im Kleinen viele wichtige Ereignisse der bayerischen und deutschen Geschichte.

Für mich als vor über 20 Jahren zugereisten Historiker mit dem Schwerpunkt Osteuropa, der hier von Anfang an freundlich aufgenommen wurde, trug die Beschäftigung mit der Stadtgeschichte entscheidend dazu bei, mich an der Donau heimisch zu fühlen. Die vielseitige Tätigkeit im Deggendorfer Stadtarchiv, zahlreiche Vorträge und Aufsätze zu den unterschiedlichsten Perioden und Problemen der Stadtgeschichte schufen die Voraussetzungen, um mich an eine Kleine Deggendorfer Stadtgeschichte zu wagen, zu der ich von verschiedener Seite wiederholt gedrängt wurde. Mit der Abfassung dieses Bändchens möchte ich den Bewohnern der mir lieb gewordenen Stadt etwas von dem zurückgeben, was mich mit Deggendorf innerlich verbindet. Zugleich hoffe ich, dass auch die Besucher der Stadt mit Hilfe dieses Büchleins den gastfreundlichen Ort und seine Bewohner besser kennen und schätzen lernen.

Der kurze Abriss der Stadtgeschichte verlangte eine Konzentration auf das Wesentliche. Im Zentrum steht die historische Vergangenheit der ursprünglichen Stadt Deggendorf. Aber auch die im 20. Jh. eingemeindeten Ortsteile werden berücksichtigt, wenn sich bei ihnen Wichtiges ereignet hat. Die Darstellungsweise folgt dem historischen Ablauf, bestimmte Entwicklungslinien werden allerdings mitunter in Längsschnitten zusammenhängend behandelt. Quellengrundlage sind in erster Linie Materialien des Stadtarchivs, die Stadtgeschichten und -chroniken meiner Vorgänger Georg Bauer, Pater Wilhelm Fink, Erich Kandler und Johannes Molitor, die Grabungsergebnisse des Kreisarchäologen Dr. Karl Schmotz und des leider viel zu früh verstorbenen Stadtarchäologen Manfred Mittermeier, die inzwischen 38 Bände der Deggendorfer Geschichtsblätter, die Reihe Deggendorf. Archäologie und Stadtgeschichte des Stadtmuseums, die geschichtswissenschaftliche und heimatkundliche Literatur mit Bezug zu Deggendorf sowie literarische Zeugnisse über die Stadt.

Vor- und frühgeschichtliche Spuren im Deggendorfer Raum

Wie der gesamte bayerische Donauraum ist auch die Gegend um Deggendorf reich an archäologischen Spuren zur Vor- und Frühgeschichte. Sie sind kaum im ursprünglichen Stadtgebiet, wohl aber in den eingemeindeten Ortsteilen zu finden, vorwiegend rechts der Donau, seltener auf dem linken Donauufer. Die ältesten Siedlungen des heutigen Deggendorfer Territoriums befanden sich im Gäuboden bei Fischerdorf und Natternberg. Seit Mitte des 6. Jhs. v. Chr. lebten in den fruchtbaren Lössgebieten an der Donau steinzeitliche Menschengruppen, die Ackerbau und Viehhaltung betrieben, bereits eine Vorratshaltung kannten, in festen Häusern wohnten, die Keramikherstellung beherrschten und ihre Toten rituell beerdigten. Sie bevorzugten für die Ansiedlung Hochterrassen mit Wassernähe.

Auf dem Natternberg bestand wohl schon in der Jungsteinzeit um 5000 v. Chr. zeitweilig eine Siedlung der sog. Linearbandkeramik. Während der Eisenzeit, der Hallstatt- und Latènezeit wurde der Natternberg nur sporadisch von Menschen aufgesucht. Im mittleren und jüngeren Abschnitt der Urnenfelderzeit (10.–8. Jh. v. Chr.) war hier ein Siedlungsschwerpunkt, eine dauerhaft bewohnte Höhensiedlung, vergleichbar der Höhensiedlung auf dem Bogenberg. Sie bildete den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Mittelpunkt einer ganzen Reihe von gleichzeitig bestehenden Flachlandsiedlungen, die sich von Steinkirchen über Uttenkofen bis Mainkofen erstreckten. Beim Bau der Trasse der A3 Deggendorf–Straubing wurde nördlich des Natternberges ein Urnenfriedhof mit 81 Gräbern entdeckt, der wahrscheinlich die Begräbnisstätte für die Bewohner der Höhensiedlung war. Auch von den Römern ist der Berg zumindest vorübergehend als Wachstation genutzt worden. Eine Befestigungsanlage ließ sich jedoch nicht nachweisen. Wann der am Nordhang verlaufende Wall angelegt wurde, ist noch ungeklärt.

 

HINTERGRUND

 

Der Natternberg

Besonders der sich etwa 70 m aus der Ebene prägnant heraushebende Natternberg, der durch die Donau von seinen Brüdern im Bayerischen Wald abgetrennt ist, wurde schon früh für Ansiedlungen genutzt. Dieser kristalline Ausläufer des Bayerwaldes ist in dreifacher Hinsicht ein schützenswertes Denkmal: Er ist 1. wegen seiner geologischen Formation ein Naturdenkmal, 2. ein Bodendenkmal mit der Charakteristik Ring- und Abschnittswall, Hang Natternberg und 3. aufgrund der Reste der mittelalterlichen Burg ein Baudenkmal. Seine außergewöhnliche Lage hat schon früh die Phantasie der in seiner Nähe lebenden Bewohner angeregt. Nach einer Sage schaffte einst des Nachts der Teufel auf einem Schubkarren einen riesigen Felsbrocken aus Tirol heran, um damit das Kloster Metten zu zerschmettern. Gerade als er den Felsen auf das Kloster schleudern wollte, läuteten die Mönche den neuen Tag ein. Der Teufel erschrak und ließ den Felsen fallen. Einer anderen Lesart zufolge wollte er mit dem Berg die Donau aufstauen und die frommen Deggendorfer darin ersäufen. Diesmal waren es die Deggendorfer, die durch ihr Glockengeläut den Teufel dazu brachten, dass er den Berg in der Nähe der Donau liegen ließ.

 

Nordwestlich des Urnenfriedhofes wurde bei archäologischen Grabungen eine große Kontinuität der Besiedlung festgestellt. Sie reichte von Siedlungsresten und einer Grubenbestattung der jungsteinzeitlichen Münchshöfener Kultur (spätes 5. Jh. v. Chr.) über Spuren der älteren Urnenfelderzeit (10. Jh. v. Chr.) bis zu einem von Gräben umgebenden Herrenhof der späten Hallsteinzeit (6./5. Jh. v. Chr.). Nicht weit davon entfernt, jenseits der Verbindungsstraße Natternberg–Mettenufer, stieß man auf eine kleine Siedlung aus zwei Häusern der mittleren bis späteren Bronzezeit (14./13. Jh. v. Chr.), die wohl nicht dauerhaft bestand.

Auch bei Fischerdorf wurden Siedlungsspuren unterschiedlichen Alters festgestellt, so der jungsteinzeitlichen Altheimer Kultur (ca. 3900–3500 v. Chr.), eine mittelbronzezeitliche Grabhügelgruppe mit etwa 100 Grabstellen, die wichtige Erkenntnisse über die Bestattungs- und Beigabensitten sowie die Bevölkerungsstruktur des 15. und 14. Jhs. v. Chr. in Niederbayern vermittelten, sowie aus der Hallsteinzeit (ca. 700–450 v. Chr.). Bestattungen der Münchshöfener Kultur wurden auch bei Rettenbach entdeckt.

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Abb. 1: Darstellung der Natternbergsage auf einem Notgeldentwurf von Margarete Schneider-Reichel, 1920

Im 7. Jh. begann die frühmittelalterliche flächige bajuwarische Aufsiedlung südlich der Donau, worauf Fundstellen u. a. bei Mainkofen, Fehmbach, Uttenkofen und Steinkirchen verweisen. Bei Grabungen während der Innensanierung der Rettenbacher Kirche Mariä Heimsuchung wurden Fundamentreste entdeckt, die darauf hinweisen, dass hier schon eher als im links der Donau gelegenen Deggendorf ein kirchlicher Bau vorhanden war. So deuten Pfostenverfärbungen und Keramik aus dem 8./9. Jh. auf eine karolingerzeitliche Holzkirche hin. Ende des 1. Jhs. stand hier eine vorromanische steinerne Saalkirche von 7 x 11 m mit hufeisenförmiger Apsis.

Die natürlichen Gegebenheiten auf der linken Donauseite waren wegen der nahen Vorberge des Bayerischen Waldes und der morastigen Niederungen weniger günstig für eine dauerhafte Besiedlung. Dennoch wurden auch hier Siedlungsspuren gefunden, die älter als die Stadt Deggendorf sind. Die am Katharinenspital bzw. bei Ausgrabungen am Oberen Stadtplatz aufgefundenen bronzezeitlichen Scherben stammen wegen ihrer Geringfügigkeit kaum von Ansiedlungen. Die ältesten Siedlungspunkte links der Donau lagen außerhalb des historischen Stadtterritoriums. Auch die nächsten Siedlungspuren haben mit dem eigentlichen Deggendorf nichts zu tun. Es handelt sich um bajuwarische Gräber mit Schwertbeigaben (Sax) aus dem späten 7. Jh., die Anfang des 20. Jhs. in der Gemarkung Deggenau aufgefunden wurden. Die Fundstelle befindet sich am nördlichen Ausgang der Deggenauer Talbucht, am Fuße des Weinberges, 700 m von der Deggenauer Ortsmitte und 400 m von Steinriesl entfernt. In Schaching wurden bei der Kirche unter einem barocken Friedhof karolingisch-ottonische Siedlungsspuren aus der Zeit zwischen dem 8. und beginnenden 10. Jh. entdeckt. Zwei Gräber verweisen eindeutig auf das 8. Jh. Diese Siedlung bezeichnete die östliche Begrenzung des Mettener Gebietes. Sie entstand etwa gleichzeitig wie die in Rettenbach auf der anderen Donauseite.

Deggendorf gab es damals noch nicht – das Gebiet der späteren Stadt war siedlungsfrei. Die ältesten Funde gehen erst auf das ausgehende 10. Jh. zurück und kommen vom Gelände der Stadtpfarrkirche Mariä Himmelfahrt.

Entscheidend für die Stadtentstehung: Der Donau-Übergang

Ausgrabungsfunde brachten Hinweise darauf, dass schon seit grauer Vorzeit bei Deggendorf ein Donau-Übergang bestand. So wurden im bronzezeitlichen Gräberfeld von Fischerdorf in einem Frauengrab Reste einer ornamentierten Goldscheibe gefunden, die große Ähnlichkeit mit Exemplaren aus dem Pilsener Becken in Böhmen hat. Unterhalb des späteren Deggendorfs mündet die Isar in die Donau. Sie brachte auf ihrem Weg vom Gebirge so viel Geröll und Geschiebe mit, dass die Donau vor der Mündung wesentlich breiter und flacher wurde. Es entstand hier eine Furt, an der man den Strom bei Niedrigwasser relativ problemlos durchschreiten, durchreiten oder sogar durchfahren konnte. Der Übergang wurde schon in vorgeschichtlicher Zeit genutzt, um in das dunkle Waldgebirge vorzudringen, so dass sich ein uralter Handelsweg herausbildete, der später vom Urfahr (der Straßenname Uferplatz erinnert an diese Bezeichnung) direkt am Findlstein vorbei über den Geiersberg, Simmling, Haslach und Ringelswies (Ringsweg) zur Rusel und weiter über Hermannsried, Bischofsmais, Fahrnbach, Augrub, Reinhardsmais, Regen und Zwiesel nach Böhmen bis Gutwasser (Dobrá Voda), Hartmanitz (Hartmanice) und Schüttenhofen (Sušice) führte. Die Wege durch das Gebirge waren keine breiten Straßen, sondern Steige, auf denen Saumtiere die Waren transportierten. Ein Saum war die Last, die sie zu tragen vermochten.

Bei Ausgrabungen in der Stadtpfarrkirche Mariä Himmelfahrt 1981/82 wurden unterhalb der Kanzel keltische Siedlungsreste gefunden. Es handelte sich um Pfostenspuren und Funde von Graphittonkeramik der Spätlatènezeit (2.–1. Jh. v. Chr.) aus Abfallgruben. Der Platz der Kirche war von Kelten genutzt, um möglicherweise von hier aus den Donau-Übergang beobachten zu können. Sie füllten sogar das damals zur Donau und dem Bogenbach abfallende Gelände auf und planierten es. Ein latènezeitliches Messer, das bei der Gründung der Pfeiler für die neue Maximiliansbrücke 1998 im Flussbett der Donau gefunden wurde, war ein weiterer Hinweis auf diese Siedlung, die aber nicht dauerhaft bestand.

Während östlich und westlich von Deggendorf das Land den Klöstern Niederaltaich (gegr. 741, nach neuesten Forschungen zwischen 744 und 748) und Metten (gegr. um 766) übergeben wurde, blieb der Donau-Übergang in der Hand des Herzogs. Hier griff der Gäuboden mit einer kleinen Bucht über die Donau hinaus – eine hervorragend geeignete Stelle, um den Handelsweg von Süden nach Böhmen strategisch beherrschen zu können. Der Flussübergang war ausschlaggebend für die spätere Stadtentstehung.

Der aus Böhmen an die Donau bei Deggendorf führende Altweg wurde 1029 in einer Niederaltaicher Urkunde erstmals als die Straße, die nach Bayern führt, genannt. Im Laufe der Zeit bürgerte sich der Name Böhmweg für diese Verbindung ein.

Deggendorf im frühen und hohen Mittelalter

1002 – die Erstnennung Deggendorfs

1002 trat Deggendorf in die geschriebene Geschichte ein. In diesem Jahr übernahm der deutsche König Heinrich II. (1002–24) die Regentschaft. Wie es üblich war, ließen sich die weltlichen und geistlichen Herrschaften beim Regierungsantritt eines neuen Königs ihren Besitz bestätigen, so auch das Nonnenkloster Niedermünster in Regensburg. Bei der Aufzählung von dessen Liegenschaften und Gütern taucht auch deggindorf cum decimis et usibus suis (Deggendorf mit seinen Zehnten und Nutzungen) auf, ohne dass der Umfang des Besitzes näher bestimmt wurde. Dennoch lassen sich aus diesen sechs dürren Worten in der Königsurkunde vom 20. November 1002 einige Schlussfolgerungen ableiten: Der Ortsname mit der Endung -dorf verweist darauf, dass es sich nicht nur um ein paar einzelne Häuser, sondern schon um einen gewissen Siedlungsmittelpunkt handelte. Die Formulierung Deggendorf mit seinen Zehnten deutet auf das Vorhandensein einer Pfarrkirche hin, und die Formulierung mit seinen Nutzungen zeigt an, dass Niedermünster hier über einen größeren Besitz verfügte.

Die Urkunde bezeichnet nicht den Beginn der Herrschaft Niedermünsters über Deggendorf. Seit wann der Ort Eigentum des Klosters wurde, lässt sich nicht genau feststellen. Eine Urkunde mit einer Besitzbestätigung beim Machtantritt König Ottos III. 983 ist nicht überliefert, und beim Regierungsbeginn von dessen Vater Otto II. 973 wird Deggendorf noch nicht erwähnt. Die in der Literatur häufig wiederholte Behauptung, die bayerische Herzogin Judith habe um 970 einen Hof in oder bei Deggendorf an Niedermünster geschenkt, lässt sich durch Urkunden nicht belegen. Deggendorf ist erst zwischen 973 und 1002 an das Kloster gefallen. Diese Schenkung mag durch Judith erfolgt sein, die dem Kloster gemeinsam mit ihrem Gemahl Heinrich I. (948–55) besondere Förderung angedeihen ließ. Als Witwe trat sie um 973 in das Kloster ein und stand ihm wahrscheinlich mehrere Jahre bis zu ihrem Tod 986 oder 987 als Äbtissin vor. Ebenso gut könnte auch ihre Schwiegertochter Gisela von Burgund († 1007), die Mutter König Heinrichs II., die Schenkung veranlasst haben, war doch Niedermünster das Hauskloster der herzoglichen Nebenlinie des ottonischen Kaiserhauses.

 

HINTERGRUND

 

Der Name Deggendorf

Bei der ersten urkundlichen Erwähnung wird der Ortsname fast genauso wie heute geschrieben. Erst später finden sich unterschiedliche Schreibweisen wie Techindorf, Tekkendorf, Tekendorf, Deckhendorff, Tegkenndorf, Deckendorf, Teggendorf, Dekendorf und andere Varianten. Als erster hatte der historisch interessierte rechtskundige Bürgermeister Josef Schreiner (1787–1847) eine Erklärung des Namens versucht. Er deutete den ersten Namensbestandteil als Tegen, Degen, Degenkind, ein männliches Kind, auch Thegan, Taugen, ein tauglicher, brauchbarer tapferer Mann, Kämpfer, ein freier Mann. Deggendorf wäre demnach die Gründung eines tapferen Mannes. Der Mettener Heimatforscher P. Wilhelm Fink stellte 1928 die These auf, der Name gehe auf einen Tekko zurück, der hier einen Hof gehabt habe. Die Existenz eines Tekko ist jedoch nicht verbrieft. Ebenso wenig überzeugend ist die Zurückführung auf die Personennamen Takko, Daggo oder Dego. Der erste Namensbestandteil hat eher mit einem alten vorgermanischen Wort für Wasser zu tun. Er kann aber auch von Tegel (Lehm, Ton) abgeleitet sein, den es hier ausreichend gab. Deggendorf bedeutet also Ort am Wasser oder an einer Tonlagerstätte.

 

Die niedermünsterische Propstei Deggendorf

Für das Kloster Niedermünster, das 1002 die Reichsfreiheit erhalten hatte und zu einem der reichsten und angesehensten Kanonissinnenstifte für adlige Damen wurde, hatte der Deggendorfer Besitz besonderes Gewicht. Hier wurde ein eigener Verwaltungsbezirk, eine Propstei, errichtet. Als Pröpste wurden Angehörige des niederen Adels, später bürgerliche Personen auf Lebenszeit eingesetzt. Der erste namentlich bekannte Propst war 1193 Heinricus praepositus de Tekkendorf (lat. prae-positus = Vorgesetzter). Propsteien gründete Niedermünster nur in wirtschaftlichen Schwerpunkten. 1444 gab es neben derjenigen zu Niedermünster außer in Deggendorf nur noch eine in Kallmünz. Der Propst war verpflichtet, den klösterlichen Besitzstand zu wahren und die Abgaben der Lehensträger einzutreiben. Die Untertanen hatten sowohl Naturalabgaben als auch Geldsteuern zu zahlen. Einen Teil der Einnahmen durfte der Propst behalten, was das Amt lukrativ machte. Der größte Teil ging direkt nach Regensburg. Die Deggendorfer Erträge reichten aus, um ein Drittel der Stiftsdamen zu versorgen. Aus ihnen wurde auch die Vogtsteuer für den Herzog beglichen.

Zu den Pflichten des Propstes gehörten die Besiegelung von Käufen und Verkäufen, die Erteilung von Heiratsbewilligungen für die Propsteiuntertanen sowie der Einzug der Laudemiengelder bei der Neuvergabe von Lehen und der Erbschaftssteuer. Er hatte das Recht zur Pfändung und verfügte über die niedere Gerichtsbarkeit gegenüber den Propsteiuntertanen. Als seine Amtsbezeichnung bürgerte sich seit Mitte des 15. Jhs. Propstrichter ein. Auch für Streitfälle zwischen Hintersassen der Propstei und Bewohnern der Stadt bzw. der umliegenden Dörfer war er zuständig. Kompetenzstreitigkeiten mit der Stadt oder mit den herzoglichen, später kurfürstlichen Pfleggerichten in Deggendorf, Natternberg oder Hengersberg waren folglich immer wieder an der Tagesordnung. Gesetzesübertreter versuchten die unterschiedlichen Zuständigkeiten von Stadt, Propstei und Pfleggericht auszunutzen, um straffrei auszugehen.

Wie ausgedehnt der Besitz Niedermünsters in Deggendorf ursprünglich war, lässt sich nicht feststellen. Erst für das Jahr 1444 vermittelt ein Salbuch, das an Stelle eines durch ein Feuer vernichteten Verzeichnisses trat, den Besitzstand. Als zinspflichtig wurden 23 Hofstätten, ein Bauerngarten, eine Wiese sowie fünf Äcker aufgeführt. Die meisten konzentrierten sich in einem Bezirk südöstlich vor den Toren der Stadt, der direkt als Probstey bezeichnet wurde. Sie gruppierten sich um die Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt und den mit einer Mauer umgebenen Friedhof. Hier befanden sich auch das Verwaltungsgebäude der Propstei (die alte Propstei) mit dem Propsthof (Rosenhof), der Pfarrhof und die Schule, deren Unterhalt das Kloster bestritt. Andere dem Kloster zinspflichtige Höfe lagen beim Findlstein, am Urfahr, wo sich ein Zehntstadel Niedermünsters befand, vor der Donaubrücke und in der altenstadt. Wahrscheinlich waren die Liegenschaften anfangs größer, da Herzog Otto II. (1231–53) Mitte des 13. Jhs. auf Kirchenland die Deggendorfer Neustadt anlegen ließ.

Außerdem verwaltete die Propstei Höfe, Äcker, Wiesen in Dörfern und Weilern sowie auf den Fluren der Umgebung, die heute alle zum Gebiet der Großen Kreisstadt gehören. Im Salbuch wurden Breitenberg, Bruckhof, Bürgerfeld, Deggenau, Dippling (das jetzige Unterdippling), Ekkling (heute Oberdippling), Elmering, Gailberg, Harkersberg, Haslach, Klotzing, Kohlberg, Leoprechtstein, Mietzing, Mühlberg, Mühlbogen, Ringelswies, Scheuering und Ufersbach sowie auf der anderen Donauseite Fischerdorf aufgeführt. Die Bauern des Bienenzüchterdorfes Wühn (damals Winden genannt, heute Teil der Gemeinde Grafling) waren verpflichtet, Wachs an die Propstei zu liefern, die auch Waldungen besaß. Am Ruselabsatz zwischen Deggendorf und Bischofsmais links der heutigen Ruselstraße nach dem oberen Parkplatz lag der Forst Winzerleuthen (Winterleite) mit 168 Tagwerk. Zwischen Haslach und Ringelswies befand sich der 284 Tagwerk große Forst Parst.

Zur Propstei gehörten im Mühlbogental die Propsteimühle (später Kriegermühle genannt), die sowohl Mahl- als auch Sägemühle war, ein damit verbundener Ölschlag, der Ölfrüchte zu Speiseöl verarbeitete, und der Duschlhof mit Schankgerechtigkeit. Diese Wirtschaftsbetriebe und andere Liegenschaften wurden als Lehen vergeben. Viele Bewohner Deggendorfs, darunter Ratsmitglieder und Stadtkammerer, wurden zu Lehensträgern des Stifts. 1650 baute der Deggendorfer Bürger, kurfürstliche Aufschlagseinnehmer und Hofmarksrichter zu Offenberg und Egg, Willibald Krieger, auf propsteiischem Grund einen Kupferhammer, der Kupfererz zu Kupferplatten und -schalen verarbeitete. Dieses Halbfabrikat fand Abnahme in ganz Ostbayern von Dietfurt, Regensburg und Straubing bis Osterhofen, Vilshofen, Eggenfelden und Pfarrkirchen, von Cham, Neukirchen b. Hl. Blut und Viechtach bis Landau, Dingolfing und Arnstorf. 1756 übernahm Niedermünster den Betrieb in eigene Hände und stellte dazu einen Hammermeister ein. Für die Rechnungslegung war der Propstrichter zuständig, für den Mitte des 15. Jhs. in der Nähe der Bogenbachmündung ein neues repräsentatives Gebäude errichtet worden war. Dieses Propstrichterhaus (Hengersberger Str. 19) hatte Speichermöglichkeiten für Getreide und das im Hammer erzeugte Kupfer, das von hier aus verschifft wurde. Im unteren Fletz des Hauses lagerten die Strafinstrumente des Propstrichters: Geige, Stock, Handschellen, eine große Fußschelle und eine Karbatschenbank mit Riemen. Das Gebäude mit kleiner Hauskapelle bot auch repräsentativen Raum für Besuche der Fürstäbtissinnen – seit 1216 standen die Äbtissinnen von Niedermünster im Range von Reichsfürsten. Am Propstrichterhaus zeugt das Wappen der Fürstäbtissin Maria Catharina Helena Gräfin von Aham auf Neuhaus (1723–57) von deren besonderer Vorliebe für Deggendorf.

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Abb. 2: Das Propstrichterhaus zu Beginn des 20. Jhs. Der Bogenbach ist noch nicht verlegt. – Postkarte, um 1910

Während der Kupferhammer Deggendorfer Handwerkern bei Reparaturen Aufträge verschaffte – so den Maurern, Nagelschmieden, Schlossern, Sägemüllern, Zimmerern, Lederern, Riemern, Weißgerbern, dem Eisenhammermeister und den Schuhmachern (bei der Erneuerung der Blasebälge) –, wurde die Ansiedlung von Handwerkern auf dem Propsteigelände von der Stadt als eine unerwünschte Konkurrenz betrachtet. 1458 erhob sie vor dem Landtag in Straubing dagegen Beschwerde.

Die Stadtpfarrkirche Mariä Himmelfahrt

Ab antiquo (von alters her) hatte Niedermünster das Patronatsrecht für die Pfarrei Mariä Himmelfahrt. Diese Urpfarrei erstreckte sich von der Donau bis ins Graflinger Tal und über den Mühlbogen bis zur Rusel. Die Äbtissin hatte das Recht, einen neuen Pfarrer zu präsentieren (vorzuschlagen), wenn die Pfarrei vakant war. Die Pfarrer waren in der Regel Weltgeistliche, die keinem Orden angehörten. Über den Stadtpfarrer, der in der christlich geprägten Gesellschaft des Mittelalters und der frühen Neuzeit eine unangefochtene Autorität besaß, konnte das Reichsstift Einfluss auf die Stadt nehmen. 1378 wurde die Pfarrei dem Kloster inkorporiert (einverleibt). Damit ging der Kirchenzehnt aus der Pfarrei zu zwei Dritteln an die Klosterfrauen. Ein Drittel durfte der Stadtpfarrer behalten. Über den Umfang des Kirchenzehnten und darüber, von welchen Flächen und Produkten er erhoben werden durfte, kam es häufig zu Auseinandersetzungen zwischen Deggendorfer Bürgern und dem Propstrichter bzw. dem Stadtpfarrer. An der engen Bindung der Pfarrei an Niedermünster liegt es, dass die Stadtpfarrkirche nicht – wie von einer Stadt zu erwarten – im Zentrum, sondern vor den Stadtmauern auf dem Gebiet der Propstei steht. Das Patrozinium Mariä Himmelfahrt war typisch für Kirchen im Einflussbereich Niedermünsters.

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Abb. 3: Das Tympanon aus der Himmelfahrtskirche, 13. Jh.

Ausgrabungen durch Karl Schmotz im Jahr 1982 zeigten, dass der erste Kirchenbau am Platz der Pfarrkirche schon Ende des 10. Jhs. in Form eines vorromanischen einschiffigen Saalbaus mit einer Länge von 19 m und einer Breite von 7,50 m mit apsidialem Abschluss errichtet wurde. Von einem hölzernen Vorläufer konnten keine Spuren gefunden werden. Zweimal wurde die Kirche in der Zeit der Romanik umgebaut und erweitert, zuerst im 12. Jh. zu einer dreischiffigen Basilika mit einer Gesamtlänge von 25,5 m (samt Hauptapsis) und einer Breite von 15,4 m. Die zweite romanische Bauphase, die eine Verlängerung nach Westen um 4 m und eine Ersetzung des runden Altarraums durch einen rechteckigen brachte, lässt sich durch ein erhaltenes steinernes Tympanon mit der Darstellung der Flucht der Hl. Familie nach Ägypten auf das zweite Viertel des 13. Jhs. periodisieren. Das ursprünglich über dem Portal in der neuen Westwand angebrachte Tympanon befindet sich seit 2002 im Stadtmuseum.

Die Um- und Erweiterungsbauten hingen mit der wachsenden Einwohnerzahl des zur Stadt gewordenen Deggendorf zusammen. Ende des 15. Jhs. begann ein spätgotischer Neubau der Kirche, der unvollendet blieb. Zeugnisse dafür sind Chor, Sakristei und die unteren Stockwerke des Turms. Das spätromanische Langhaus wurde nur nach Norden erweitert, so dass die Kirche ein breites nördliches und ein schmales südliches Seitenschiff hatte. Sie wurde unsymmetrisch. Wie das Gemälde Hans Donauers im Antiquarium der Münchner Residenz zeigt, war die äußere Gestalt der Kirche ungewöhnlich. Sie hatte einen hohen gotischen Chor und ein niedriges Kirchenschiff. 1545, nach anderen Angaben unter Pfarrer Sebastian Hundertjahr (1571–90) oder 1605 unter Pfarrer Johann Sartorius, begann man einen Neubau, der über die Fundamente nicht hinauskam. Anfang des 17. Jhs. beschädigte ein Brand die Kirche. Erst 1619 wurde sie wieder konsekriert. Der Dreißigjährige Krieg verzögerte die Neubaupläne erneut.

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Abb. 4: Schmuckportal der Himmelfahrtskirche

 

HINTERGRUND

 

Neubau der Kirche 1655/57

Nach dem Westfälischen Frieden 1648 wurde der Neubau als erster großer Kirchenbau in der Region vollzogen. Die Pfarrkirche wurde in größerer Dimension als zuvor fast völlig neu errichtet. Offensichtlich wurde dem Kirchenbau überörtliche Bedeutung beigemessen. Er ging auf einen Beschluss des kurfürstlichen Geistlichen Rats in München zurück. Der kurfürstliche Baumeister Konstantin Bader, eine der herausragenden Künstlerpersönlichkeiten des frühen Barock, wurde mit der Ausarbeitung der Pläne und ihrer Umsetzung beauftragt. Die Kirche war sein erstes großes Werk. Er weilte während des Baus mehrfach für einige Monate in Deggendorf. Seine Vergütung betrug 800 fl. (Gulden) plus 150 fl. Reisegeld sowie freie Verpflegung. Vom Rat der Stadt erhielt er laut Stadtkammerrechnung von 1657 aus Verehrung für seine Leistung, die einer gesambtn Bürgerschafft zu sonderm Trost und Befürderung geraicht, zusätzlich 36 fl. als Prämie. Der Bau dauerte drei Jahre – eine sehr kurze Zeit, verglichen mit heutigen Bauzeiten bei ungleich besseren technischen Möglichkeiten. An technischen Hilfsmitteln gab es nur zwei Kraniche (Flaschenzüge) zum Heben der Steine, Dachschindeln und des Holzes auf die Bauhöhe. Die Arbeitszeit betrug täglich zwölf Stunden und begann früh um vier Uhr. Zwei Stunden wurden im Laufe des Tages für das Mittagessen und zwei Brotzeiten eingeplant.

Die Gesamtkosten des Baus (einschließlich Material, Transport und aller Nebenkosten) betrugen 17 261 fl. 25 xr. (Kreuzer) 5½ hl. (Heller). Dass es sich um eine große Summe gehandelt hat, wird im Vergleich mit den damaligen Tageslöhnen deutlich: Ein Maurermeister erhielt pro Arbeitstag 14, ein Geselle 13 und ein Tagwerker (Hilfsarbeiter) je nach Schwere der Arbeit 9 oder 10 xr. 60 xr. machten einen fl. aus. Ein Tagwerker musste mindestens sechs Tage für einen fl. arbeiten. Über den Opferstock wurden 1786 fl. 14 xr. 5½ hl. und damit 10 % der Bausumme aufgebracht. 1000 fl. gewährten einige wohlhabende Deggendorfer Bürger als Darlehen. Freiwillige Hand- und Spanndienste senkten die Baukosten. Was aber solchen Bau gering und erschwinglich gemacht, hieß es in der Kirchenbaurechnung von 1656, ist nämlich die starke Roß- und Handscharwerk, welche die Bürgerschaft eifrig und wohlmeinend dabei verrichtete, also dass täglich außer den Tagwerkern, welche ihren Lohn empfingen, 20, zu Zeiten auch wohl mehr Personen die Handscharwerk umsonsten, auch die hiesigen Bürger, welche Pferde gehabt, täglich umgewechselt, auch manchmal wohl mehr denn 5 Fuhren mit allerhand Baumaterialien verrichteten. Im städtischen Ziegelofen wurden unentgeltlich 200 000 Ziegel gebrannt. Zudem wurde Abbruchmaterial der alten Kirche verwendet.

Da Deggendorf allein die Mittel für den Bau nicht aufbringen konnte, verpflichtete der Geistliche Rat die kurfürstlichen Pfleggerichte, die vermögenden Pfarrgemeinden in ihren Amtsbezirken zu veranlassen, verzinsliche Darlehen für den Deggendorfer Kirchenbau zu gewähren. Aus über 20 Pfleggerichten – von Riedenburg bis Griesbach im Rottal und Schärding, von Cham und Bärnstein bis Landshut, Wolfratshausen und Rosenheim – wurden Gelder zur Verfügung gestellt. Die größte Summe – 8000 fl. – steuerte die in der Pfarrei Mariä Himmelfahrt gelegene Filialkirche St. Ulrich in Ulrichsberg bei. Aus den Pfleggerichten Landau/Isar und Natternberg kamen 2200 fl., von den Stephanskirchen in Seebach und Lalling sowie von der Marienkirche Außernzell je 12 fl., von der St. Egidienkirche in Grattersdorf 24 fl. Materialien und Rohstoffe stammten soweit möglich aus Deggendorf und der näheren Umgebung. Das Glas für die Fenster wurde im Bayerischen Wald, Kupfer im Mühlbogental erzeugt. Das Bauholz kam aus den eigenen Kirchenwaldungen, die Kriegermühle schnitt die eichenen Bretter und Bohlen zu. Die Weißgerberin Barbara Reichel lieferte einen Zentner Leim zum Gipsen. Der Gips wurde aus Oberau bei Ettal in Fässern auf 21 Flößen über die Isar herantransportiert. Sie kosteten jeweils 20–25 fl. Blei wurde in Sachsen besorgt. Zum Ausmalen der Kirche ließ man aus München je ein Pfund blaue Schmalten und Saftgrün kommen.

Bader wirkte in der Kirche auch als Bildhauer. Weitere Künstler waren die Maler Wilhelm Verdissen, Sebastian Brückl von Windorf und Franz Reischl sowie der Deggendorfer Holzbildhauer Martin Leutner.

 

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Abb. 5: Deggendorf – Fresco von Hans Donauer im Antiquarium der Münchener Residenz. Ganz rechts die hölzerne Donaubrücke

Die Anfänge des weltlichen Deggendorfs

Neben dem Propsteibereich entwickelte sich die spätere Stadt. Ihre Siedlungsanfänge liegen weitgehend im Dunkeln. Nach bisherigen Ausgrabungsergebnissen stammen die ältesten Siedlungsspuren im historischen Kern Deggendorfs aus dem 12. und beginnenden 13. Jh. Im nordöstlichen Teil der heutigen Altstadt, im Bereich von Pfleggasse, Metzgergasse und Nördlichem Stadtgraben und über die Stadtgrenze hinaus nach Norden, entstand zu dieser Zeit eine vorstädtische Siedlung aus Holzbauten, in der – wie gefundene kreisrunde Ofenanlagen belegen – zahlreiche Töpfer ihr Handwerk ausübten. In einem der Öfen, der während des Brennvorgangs eingestürzt war, befand sich Keramik des 11./12. Jhs. Diese vorstädtische Siedlung könnte mit der 1280 urkundlich erwähnten Altenstadt identisch sein. Bei der Einfriedung der Neustadt im 13. Jh. wurde die Stadtmauer teilweise über älteren Siedlungsspuren, etwa zugeschütteten Brunnen, errichtet.

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Abb. 6: Die Burg Natternberg, Stich um 1700

Dieses weltliche Deggendorf gehörte zur gleichnamigen Grafschaft, die neben der Deggendorfer Talbucht vor allem das langgestreckte Graflinger Tal umfasste. Es war Teil des Herrschaftsbereichs der Babenberger, der Markgrafen der bayerischen Ostmark und seit 1156 Herzöge von Österreich. In ihrem Auftrag verwalteten die mit ihnen verwandten Herren von Gosham-Pernegg/Perneck aus Niederösterreich als Lehensleute die Grafschaft. Die Pernegger benannten sich teilweise nach Deggendorf, so 1135 Ulrich von Deggendorf und 1140 bzw. 1156 sein Neffe Ulrich d. J. von Deggendorf. Dessen Sohn Ekbert wurde 1180 als comes de Tekendorf (Graf von Deggendorf) urkundlich ausgewiesen. 1218 trat Ekberts Sohn Ulrich Graf von Deggendorf als Zeuge einer Schenkung auf. Wo die Burg der Pernegger in Deggendorf lag, kann nur vermutet werden. Da das Geschlecht eine Vorliebe für den Vornamen Ulrich hatte, liegt es nahe, diese befestigte Anlage auf dem Ulrichsberg nördlich der Stadt zu verorten. In dieser Zeit war wohl der Ulrichsberg Sitz des für die Region zuständigen Richters.

Seit Mitte der zweiten Hälfte des 11. Jhs. verfügten die Grafen von Bogen über die Grafschaft im Donaugau und bauten seitdem ihre Herrschaft im Donau-Isar-Gebiet und im Bayerischen Wald zielstrebig aus. Sie wurden eines der mächtigsten Adelsgeschlechter in Niederbayern. Mittelpunkt ihrer Besitzungen südlich der Donau war der Natternberg. Spätestens seit dem 10. Jh. wurde der Berg kontinuierlich genutzt und mit einer starken Mauer befestigt. Die dortige Burg – mit einer Ausdehnung von 270 m bei einer durchschnittlichen Breite von 40 m – wurde im ausgehenden 11. Jh. angelegt. Sie bestand aus einer östlichen Vor- und einer westlichen Hauptburg, die durch eine Mauer abgeteilt waren. Die Burg hatte zwei Bergfriede. Das Untergeschoss des östlichen Bergfrieds bis 10 m Höhe und Reste der Ringmauer, aus Ziegeln gemischt mit Bruchsteinen erbaut, stammen aus dem Mittelalter. Auch die von der Stadtarchäologie ausgegrabene Burgkapelle entstammt der Zeit der Romanik. 1145 wurde erstmalig ein Hartwig von Natternberg erwähnt. Er war als Burgvogt auf dem Natternberg Ministerialer des Grafen von Bogen. Seine Söhne Hartwich und Rudolph waren 1184 Bogener Ministeriale auf dem Natternberg. Die Grafen selbst hielten sich öfter dort auf. Albert IV. von Bogen stellte hier 1220 und 1232 Schenkungsurkunden für die Klöster Oberalteich und Metten aus. Durch ihre verwandtschaftlichen Beziehungen zum böhmischen Königshaus der Prˇemysliden – Albert