Inhaltsverzeichnis

Zum Buch

 

In diesem Buch legt der Regensburger Bischof knapp 20 Predigten zur Advents- und Weihnachtszeit vor, in denen er dem radikal Neuen, das durch Jesus in die Welt gekommen ist, nachspürt.

Der reich bebilderte Band umfasst den Zeitraum vom ersten Adventssonntag bis zum Fest der Darstellung des Herrn am 2. Februar (Mariä Lichtmess). Im Mittelpunkt der Texte steht der Perspektivenwechsel, den Christen an Weihnachten feiern und der den Blick allein auf das eigene Wohl umlenkt auf den Nächsten und sein Wohlergehen.

Ausgehend von den biblischen Lesungen zeigt Rudolf Voderholzer, wie dieser Perspektivenwechsel im Leben heutiger Christen und im Leben der Kirche konkret wird.

 

 

Zum Autor

 

Rudolf Voderholzer,
Dr. theol., geb. 1959, war von 2005 bis 2013 Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Theologischen Fakultät Trier. Seit 2013 ist er Bischof von Regensburg.

 

 

 

Rudolf Voderholzer

 

 

 

 

„Und das Wort ist Fleisch geworden …“

 

 

Gedanken zur Advents- und Weihnachtszeit

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag Friedrich Pustet
Regensburg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

 

 

eISBN 978-3-7917-6095-7 (epub)

© 2016 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg

Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg

 

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:

ISBN 978-3-7917-2828-5

 

Weitere Publikationen aus unserem Programm finden Sie auf www.verlag-pustet.de

Informationen und Bestellungen unter verlag@pustet.de

Vorwort

Die Menschwerdung Gottes markiert den Wendepunkt der Weltgeschichte. In Jesus Christus tritt der Schöpfer auf die Seite des Geschöpfes. Die Botschaft von Weihnachten freilich tut sich schwer, Ohren und Herzen der Menschen zu erreichen.

Auf vielfach geäußerten Wunsch lege ich hiermit einen Ausschnitt aus der Verkündigung der Advents- und Weihnachtszeit meiner ersten Bischofsjahre in Regensburg vor. Die Texte richten sich also an eine kirchliche Zuhörerschaft in ihrer ganzen Bandbreite.

Es kam mir darauf an, wenn möglich die gesamtbiblischen Zusammenhänge aufzuzeigen, die in der Verbindung von Altem und Neuem Testament, aber auch in einer Zusammenschau der Botschaft des gesamten Neuen Testaments bestehen. Das gerade in der Advents- und Weihnachtszeit so reichhaltige Brauchtum wurde als Medium der Verkündigung ebenso immer wieder aufgegriffen wie die christliche Kunst. Ich erhebe weder Anspruch auf Vollständigkeit noch Systematik. Wenn aber einige Leserinnen und Leser in dem einen oder anderen der vorgetragenen Gedanken Nahrung für ihren Glauben finden könnten, dann wäre dies für den Autor die größte Freude.

Mein herzlicher Dank gilt Herrn Dr. Rudolf Zwank vom Verlag Friedrich Pustet für den sanften Druck zur Abgabe des Manuskriptes wie auch das sorgfältige Lektorat und die Betreuung der Drucklegung.

Meinem theologischen Referenten Herrn Gabriel Weiten sage ich aufrichtigen Dank für alle Mühe bei der Texterfassung, Bildauswahl und redaktionellen Gestaltung.

Regensburg, am Fest Mariä Geburt, 8. September 2016
+ Rudolf Voderholzer

 

Abb_Vorderholzer_Und_das_Wort

 

Abb. 1: Stift St. Johann, Regensburg: Die Standespredigt des hl. Johannes des Täufers.

 

„Jemand muss dich erwarten, Herr“

Zum Advent

Hoch über dem See Genezareth, ganz im Norden Israels an der Grenze zum Libanon, fast 1000 Meter über der Jordansenke liegt die Kleinstadt Zefad, die Einheimischen sagen einfach nur Zfad. Reiseführer zeigen gerne hinauf und sagen, Jesus habe auf Zfad verwiesen, als er bildhaft von der Stadt auf dem Berg gesprochen habe, die nicht verborgen bleiben könne. Vor allem abends und nachts sieht man die Lichter von Weitem.

Eine Tasse Tee für den Messias

Zfad gehört zu den vier heiligen Städten des Judentums im Heiligen Land, und die fromme Überlieferung sagt: Wenn der Messias kommt, dann betritt er in Zfad zum ersten Mal den Boden des Heiligen Landes.

Und da erzählt man sich nun in Zfad, dass vor einiger Zeit eine Frau in der Stadt lebte, die von herzlicher Liebe und brennender Sehnsucht zum kommenden Messias erfüllt war. Täglich rechnete sie mit seiner Ankunft und betete inständig. Jeden Abend, bevor sie schlafen ging, kochte sie Tee und stellte eine Tasse davon in einen Mauervorsprung in der Straße, durch die der Messias kommen musste, wenn er denn vielleicht, ja hoffentlich, in dieser Nacht käme; eine Tasse Tee, damit der Messias sich stärken könne für seinen Weg und seine Aufgabe.

In Erwartung leben

Wir schmunzeln vielleicht über diesen naiven, kindlichen Glauben. Aber mir geht die Geschichte immer wieder durch den Sinn, seit mir ein Rabbinenschüler sie in einer der vielen Synagogen in Zfad erzählt hat.

Von den gläubigen Juden unterscheidet uns Christen, dass wir glauben: In Jesus von Nazaret hat der Messias bereits den Boden dieser Erde betreten. In Jesus hat Gott selbst alle Messiaserwartungen überboten und uns in ihm sein menschliches Antlitz offenbart. Wir Christen glauben, dass die Menschen durch den Messias Jesus mit Gott versöhnt wurden, während die gläubigen Juden noch immer auf ihn warten.

Was uns nicht unterscheidet, ist, dass wir warten, „voll Erwartung“ sind (Lk 3,15) im Blick auf das, was Gott noch wirken wird. Die Juden warten auf sein erstmaliges Kommen, wir Christen auf seine endgültige Wiederkunft und sein Offenbarwerden in Herrlichkeit.

Christen und Juden verbindet der Glaube an den lebendigen Gott, mit dem zu rechnen ist, der kein ferner, unnahbarer, an der Welt desinteressierter, unserem Schicksal unbewegt gegenüberstehender Gott ist, sondern wir glauben an den Schöpfer des Himmels und der Erde, der bei seinem Volk ist und der mit ihm geht und der der Herr der Geschichte ist.

Für mich ist die Frau aus Zfad ein Beispiel für einen wahrhaft adventlichen Menschen.

Gläubig, hoffend, liebend und wach

Adventliche Menschen glauben an Gott, setzen auf ihn, wollen ihm nahe sein im Gebet, haben Sehnsucht nach seinem Wort, dem Wort der Heiligen Schrift.

Aus ihrem durch das Gebet vertrauten Umgang mit Gott wissen adventliche Menschen auch, dass Gott nicht unter Aufbietung von Gewalt in mein Leben tritt, sondern dass er sich in der Stille und Unscheinbarkeit eines Geschöpfes zeigen kann, das meiner Hilfe bedarf und das meine Zuwendung annimmt.

Die Tasse Tee in Zfad, die Brust der Mutter in der Wiege zu Betlehem: Gott legt sich uns in die Hände – in Wehrlosigkeit und Demut, damit wir alle Angst überwinden und Vertrauen schöpfen zu ihm. Wenn Gott kommt, braucht es keinen roten Teppich, sondern nur ein liebendes, aufmerksames, erwartungsvolles Herz.

Adventliche Menschen sind hoffende Menschen. Sie wissen um die vielen Gründe zu klagen, um die vielen Gründe, an den anderen und, schlimmer noch, an sich selbst zu verzweifeln. Wider alle Hoffnung hoffen sie, dass der lebendige Gott, der seinem Volk so oft gezeigt hat, dass er da ist und mitgeht, sich als der Stärkere erweisen und alles Weinen in Jubel und alle Trauer in Freude verwandeln wird. Auf seine Lebensverheißungen können wir bauen.

Adventliche Menschen sind liebende Menschen. Sie wissen, dass Gott sie trägt, und so haben sie die Sehnsucht, auch ins Leben anderer Menschen Licht zu bringen.

Keine großen Aktionen sind nötig. Oft reicht eine Tasse Tee und ein wichtiges, lange aufgeschobenes Gespräch dazu. Die Tasse Tee kann auch in Form eines aufmunternden Wortes oder eines kleinen Dankeschöns gereicht werden.

Der herbe Johannes überrascht uns im Evangelium (Lk 3,10–18) mit seinen moderaten Antworten: Der Zöllner muss es nicht gleich so machen wie Zachäus und das Vierfache zurückgeben. Es genügt, sich an die Vorschriften zu halten. Es muss nicht gleich jeder alles hergeben. Wer zwei Mäntel hat, gebe einen dem, der keinen hat. Der Soldat soll die Wehrlosen verteidigen und sie nicht ausplündern. Alles das sind Selbstverständlichkeiten, möchte man meinen. Aber sie sind es dann eben auch wieder nicht. Advent heißt somit: aufmerksam werden für das im Augenblick gebotene Selbstverständliche.

Adventliche Menschen sind schließlich wache Menschen, die sich ihren Geist nicht vernebeln lassen durch Alkohol und andere Drogen, die sich zur rechten Zeit in Sicherheit bringen vor dem Wort- und Bilderschwall der Massenmedien und die sich vorbehalten, eine eigene Meinung zu haben, nicht gedankenlos und unkritisch nachzuplappern, was auch alle anderen sagen. Adventliche Menschen sind betende Menschen, die schon jetzt vertrauten Umgang pflegen wollen mit dem, der am Ende der Geschichte kommen wird.

Von Silja Walter (1919–2011), Ordensfrau und Schriftstellerin, stammt das Gedicht „Gebet des Klosters am Rande der Stadt“.[1] Es hat zunächst die besondere Berufung einer kontemplativen, d. h. vor allem dem Gebet sich widmenden Ordensgemeinschaft im Blick. Es sind freilich Worte, die auch jeden durch den Advent begleiten können, geht es doch darum, immer mehr glaubend, hoffend und liebend aufmerksam zu werden für den kommenden Gottessohn. Die ersten Zeilen lauten:

 

Jemand muss zuhause sein,

Herr,

wenn du kommst.

Jemand muss dich erwarten,

unten am Fluss

vor der Stadt.

Jemand muss nach dir Ausschau

halten

Tag und Nacht.

Komm, Herr Jesus, komm!

Aktives Warten in der „staaden Zeit“

Erster Adventssonntag

Die Schrifttexte des ersten Adventssonntags sind befremdlich. Da ist so gar nichts von bürgerlicher Behaglichkeit oder vorweihnachtlicher Glühweinseligkeit, die allenthalben mit der „staaden Zeit“ verknüpft werden. Die Liturgie der Kirche hat eigentlich nur ein Thema: Wachsamkeit, Aufmerksamkeit, Präsenz, Dasein! Dies alles ist nicht einfach ein Element philosophischer Lebensklugheit, sondern Glaubensantwort auf den lebendigen Gott, der ein Gott im Futurum ist, ein Gott im Kommen, ein Gott vor uns. Der Advent ist mit Recht, ebenso wie die Fastenzeit, als „religiöse Intensivzeit“ betitelt worden, als eine Zeit der Neuausrichtung auf die Mitte des Glaubens.

Beim Umwechseln dieser großen Scheine des Glaubens in das Kleingeld des Alltags hilft uns gerade in der Advents- und Weihnachtszeit das vielfältige Brauchtum der Kirche.[2] Ich möchte an den großen Reichtum erinnern, der hier für uns bereitliegt.

Rorate-Ämter

Wachen, aufwachen, früh aufstehen: Dazu laden vielerorts die Rorate-Ämter ein, die ihren Namen von dem lateinischen Eröffnungsvers der Adventsmesse haben: „Rorate coeli desuper“ (= Jes 45,8 nach der lateinischen Version: Tauet, ihr Himmel, den Gerechten von oben; vgl. auch das Lied „Tauet, Himmel, den Gerechten“, GL 764). Damit ist das Thema des Advents angeschlagen: die sehnsüchtige Bitte, der Himmel (= Gott) möge hereinkommen in unser Leben, es gewissermaßen „gießen“, fruchtbar und froh machen mit der Gegenwart des Herrn. Sinnvoll ist es, dass die Rorate-Ämter frühmorgens vor Sonnenaufgang und dementsprechend auch vor der Arbeit oder Schule gefeiert werden. So lassen sie uns das Wachsam-Sein ganz leibhaftig einüben. In der Regel nur bei Kerzenlicht gefeiert, lassen sie uns darüber hinaus spüren, dass wir sind wie ein „Volk, das im Dunkel lebt“ (Jes 9,1), angewiesen auf das „wahre Licht“ (Joh 1,9).

Hausgottesdienste

Nicht nur in den Kirchen wird in der Adventszeit das Gebet intensiviert. Die Vorbereitungszeit auf Weihnachten ist auch die bevorzugte Zeit, in der sich die Familie als „Hauskirche“ (vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Lumen gentium 11) versammelt und gemeinsam das Wort Gottes hört, miteinander betet und singt. Eine Hilfe dazu ist der Vorschlag für den adventlichen Hausgottesdienst am Montag der ersten Adventswoche, wie er schon seit etlichen Jahren diözesenübergreifend vorbereitet wird. Die Faltblätter mit dem Ablauf, den Gebeten und Liedern werden in den Pfarrgemeinden verteilt. Vielleicht können sich benachbarte Familien zusammentun und auch alleinstehende Menschen aus der Nachbarschaft mit einladen.

Frauentragen

Einen besonderen und für die Adventszeit sehr passenden marianischen Akzent birgt das sogenannte Frauentragen. Ein Marienbild, im Idealfall sogar ein Bildnis der schwangeren „Gottesmutter in der Hoffnung“, wird von Haus zu Haus getragen. Dort findet jeweils eine Hausandacht statt, bei der der Rosenkranz (oder wenigstens ein Gesätz) gebetet und Adventslieder gesungen werden. So wird auch gleichsam die „Herbergssuche“ dargestellt, und wir machen uns bewusst, dass die Heilige Familie mit dem zur Welt kommenden Gottessohn auch an der Tür meines Herzens anklopft und um Aufnahme bittet.

 

Abb_Vorderholzer_Und_das_Wort

 

Abb. 2: Steckaltar mit Madonna vom Bogenberg, hergestellt im Berufsbildungswerk der Katholischen Jugendfürsorge in Abensberg für den Brauch des Frauentragens.

 

Adventskranz