Inhaltsverzeichnis

Zum Buch

 

„Ritter ohne Furcht und Tadel“ – so nannte König Ludwig I. Johann Nepomuk von Ringseis. Doch sein „Muckl“ begleitete ihn nicht nur als Arzt auf drei Italienreisen; er beriet ihn auch in wichtigen politischen Entscheidungen wie der Verlegung der Universität von Landshut nach München. Zudem war er der Kontaktmann zu Künstlern wie Cornelius und Overbeck, pflegte enge Beziehungen zu Arnim und Brentano und korrespondierte mit den Brüdern Grimm. Als Vertreter einer „Romantischen Medizin“ sah er seine Patienten unter ganzheitlichen Aspekten. Er diente vier Königen und bestimmte über 40 Jahre als oberster Beamter das bayerische Gesundheitswesen.

Mit dieser Biografie liegt nach Jahrzehnten erstmals wieder ein Lebensbild einer der originellsten, interessantesten und liebenswürdigsten Persönlichkeiten im München des 19. Jahrhunderts vor.

 

 

 

Zum Autor

 

Alfred Wolfsteiner,
Dipl.-Bibliothekar (FH), geb. 1954, ist Leiter der Stadtbibliothek Schwandorf und Verfasser zahlreicher Bücher und Aufsätze.

Biografien machen Vergangenheit lebendig: Keine andere literarische Gattung verbindet so anschaulich den Menschen mit seiner Zeit, das Besondere mit dem Allgemeinen, das Bedingte mit dem Bedingenden. So ist Lesen Lernen und Vergnügen zugleich.

Dafür sind gut 100 Seiten genug – also ein Wochenende, eine längere Bahnfahrt, zwei Nachmittage im Café. Wobei klein nicht leichtgewichtig heißt: Die Autoren sind Fachleute, die wissenschaftlich Fundiertes auch für den verständlich machen, der zwar allgemein interessiert, aber nicht speziell vorgebildet ist.

Bayern ist von nahezu einzigartiger Vielfalt: Seinen großen Geschichtslandschaften Altbayern, Franken und Schwaben eignen unverwechselbares Profil und historische Tiefenschärfe. Sie prägten ihre Menschen – und wurden geprägt durch die Männer und Frauen, um die es hier geht: Herrscher und Gelehrte, Politiker und Künstler, Geistliche und Unternehmer – und andere mehr.

Das wollen die KLEINEN BAYERISCHEN BIOGRAFIEN: Bekannte Personen neu beleuchten, die unbekannten (wieder) entdecken – und alle zur Diskussion um eine zeitgemäße regionale Identität im Jahrhundert fortschreitender Globalisierung stellen. Eine Aufgabe mit Zukunft.

 

DR. THOMAS GÖTZ, Herausgeber der Buchreihe, geboren 1965, lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Regensburg. Veröffentlichungen zu Stadt und Bürgertum in der Neuzeit.

ALFRED WOLFSTEINER

 

 

 

Johann Nepomuk von Ringseis

 

 

Arzt und Vertrauter Ludwigs I.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag Friedrich Pustet
Regensburg

Impressum

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

eISBN 978-3-7917-6090-2 (epub)

© 2016 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg

Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg

 

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:

ISBN 978-3-7917-2791-2

 

Weitere Publikationen aus unserem Programm

finden Sie auf www.verlag-pustet.de

Informationen und Bestellungen unter verlag@pustet.de

Hinführung

Fast ein Säkulum, von 1785 bis 1880, währte das Leben des Johann Nepomuk von Ringseis. Als 90-Jähriger diktierte er seiner Tochter Emilie seine Lebenserinnerungen – ein vierbändiger Gang durch ein Jahrhundert bayerischer Geschichte von der Kurfürstenzeit bis zu Ludwig II. Die Namen der Persönlichkeiten, deren Bekanntschaft er im Lauf seines Lebens machte und deren Freundschaft er gewann, lesen sich wie ein »Who is Who« der deutschen Politik-, Kultur- und Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts.

Ringseis’ Gegenwart war eine Zeit des politischen, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Umbruchs, die er als »überaus wacher, leidenschaftlicher Beobachter« wahrnahm. Mannhaft stemmte er sich einer wachsenden Säkularisierung mit ihrer offenen oder heimlichen Kunst- und Kulturfeindlichkeit entgegen. In der Medizin versuchte der prinzipientreue Katholik, zwei so gegensätzliche Gebiete wie Naturwissenschaften und Theologie zu vereinen. Er machte sich für eine Überwindung der Aufklärung und für die katholische Restauration stark. Zwangsläufig musste er bei seinem eindeutigen Standpunkt mit den Vertretern des politischen Liberalismus und aufgeklärten Standesgenossen in Konflikt kommen.

Noch geboren im alten Kurfürstentum Bayern, erlebte er als Klosterschüler hautnah die Säkularisation und ihre Folgen. Als Medizinstudent in Landshut erfuhr er die Schrecken der Napoleonischen Kriege und war schließlich als Feldmedikus der bayerischen Armee in den Befreiungskriegen in Frankreich engagiert. Bei Aufenthalten in Berlin, Wien und Paris erweiterte er bei den großen medizinischen Koryphäen der Zeit sein Wissen und auf seinen Studienreisen sowie auf den Italienreisen mit Kronprinz Ludwig wurde er mit einer Reihe von bedeutenden Künstlern, Politikern und Literaten bekannt.

Ludwig I. förderte Ringseis und suchte oft seinen Rat, vor allem in Bildungsfragen wie der Verlegung der Universität nach München oder der Besetzung von Lehrstühlen. Als Anhänger des romantisch inspirierten »deutschen« Stils mit der Wiederentdeckung des Mittelalters und der Gotik lenkte er Ludwigs Aufmerksamkeit auf diese Kunstrichtung und beeinflusste ihn in seinen Plänen maßgeblich. Als Professor und Rektor der Münchener Universität äußerte Ringseis sich in aufsehenerregenden Reden zu aktuellen politischen und philosophischen Strömungen. Als streitbarer »Ultramontaner« galt er als bedeutender Vorkämpfer eines politischen Katholizismus.

In seiner Haupttätigkeit als Arzt erfuhr er den Wandel von der romantischen ganzheitlichen Heilkunde zur naturwissenschaftlichen Medizin. Sein »System der Medizin« (1841) sieht die Ursache der Krankheit in der Sündhaftigkeit des Menschen – eine Ansicht, wie sie schon viele Kollegen vor ihm vertreten hatten. Doch Ringseis war medizinischen Neuerungen gegenüber durchaus aufgeschlossen. Wie nur wenige seiner Zeitgenossen machte er die Wechselwirkungen von Leib und Seele geltend und wollte in allem medizinisch-naturwissenschaftlichen Fortschritt immer auch das christliche Menschenbild berücksichtigt wissen.

Er blieb bis zu seinem Lebensende seinen Theorien treu. Der Paradigmenwechsel im medizinischen Fortschritt mit zahlreichen neuen naturwissenschaftlich-exakten Erkenntnissen überholte jedoch seine naturphilosophisch inspirierten Krankheitstheorien und stellt ihn ins Abseits. Die Medizingeschichte übergeht ihn mit Stillschweigen oder gar Spott, und zu Lebzeiten wurde er aufgrund seiner noch im Barock wurzelnden Religiosität bekämpft. Für seine meist aufklärerisch-demokratisch eingestellten Berufskollegen wurde er zum bevorzugten Angriffsziel, zumal sie vor allem Ringseis für die nur sehr langsam vorangehenden Reformen im ärztlichen Standeswesen in Bayern verantwortlich machten. Für sie war er der »bezopfte Jesuit« und »unbelehrbare Mystiker«, einer der Ewiggestrigen.

In einer Zeit des wachsenden politischen und weltanschaulichen Liberalismus versuchte Ringseis die seiner Meinung nach von Gott gegebene weltliche Ordnung zu verteidigen. Mit seiner Einstellung wurde er zum populärsten Vorkämpfer einer katholischen Emanzipationsbewegung, doch missionarischer Geist war ihm persönlich fremd. Er tolerierte Protestanten, Juden, Atheisten – genauso wie er für sich und seine mit feurigem Temperament verteidigten religiösen Ideen Toleranz einforderte. Mochten ihn manche auch als ›Spinner‹ abtun – er blieb seiner Linie treu. Wenn man seine Persönlichkeit näher kannte, müsse man den »durch und durch braven Mann gleich lieb haben«, äußerte Jakob Grimm. Beide verband eine lebenslange Freundschaft, doch als überaus wacher und leidenschaftlicher Beobachter und Freund des offenen Wortes schuf Ringseis sich auch viele Feinde. Als Beispiele seien nur einige Namen –Joseph von Hormayr, Jakob Philipp Fallmerayer und Johann Caspar Bluntschli – sowie seine Position im »Akademiestreit« oder im »Nordlichterstreit« genannt. In allen Auseinandersetzungen wahrte er immer seinen bayerischen Standpunkt und bekannte eindeutig Farbe. Die Lauterkeit seines Charakters, seine Ehrlichkeit und seine Toleranz mussten die meisten seiner Gegner schließlich anerkennen.

Als Obermedizinalrat wirkte er als oberster Beamter in der Medizinalverwaltung und setzte sich über mehrere Jahrzehnte für neue Strukturen im bayerischen Gesundheitswesen ein. Dabei legte er sich häufig mit den Ministerien an; ein speichelleckerischer Höfling war er nie. Ludwig I. schätzte an Ringseis, dem »Muckerl«, wie er ihn nannte, dessen Prinzipientreue und seine offene oberpfälzische Art. Er bewunderte dessen Geradlinigkeit und seinen Mut, öffentlich seine Meinung zu äußern. Sein umgänglich-geselliges Wesen, seine Toleranz, seine Gastfreundschaft und seine Großzügigkeit waren allgemein geschätzt.

Mit der Ansicht, dass die Gesundheit des Menschen mit seiner seelischen Verfassung in Zusammenhang stehe, erscheint Ringseis inzwischen wieder modern. Bis heute ist sein Wirken jedoch weitgehend verkannt, und in manchen Publikationen klingen immer noch die negativen Urteile einiger seiner Zeitgenossen nach, wenn sie ihn als »bigotten oberpfälzischen Bauernburschen« abtun, den angeblich bereits zu Lebzeiten niemand mehr ernst nahm. Nach längerer Zeit liegt nun wieder eine Biografie des »romantischen« Arztes, bayerischen Patrioten und scharfen Zeitkritikers Ringseis vor. Sie soll Lust machen, sich wieder intensiver mit dieser Person zu beschäftigen.

1   Kindheit und Jugend: 1785–1805

Schwarzhofen in der Oberpfalz

Der kleine Marktflecken Schwarzhofen im Oberpfälzer Wald hat im Laufe der Jahrhunderte eine Reihe von bedeutenden Persönlichkeiten hervorgebracht. Die wohl bekannteste Figur ist sicher Johann Nepomuk von Ringseis, der kurz vor seinem Tod seinen Geburtsort noch mit einer großzügigen sozialen Stiftung für ältere Mitbürger bedachte.

An einer uralten Verkehrsverbindung zwischen Regensburg und Prag gelegen, entwickelte sich Schwarzhofen mit seinem Kloster der Regensburger Dominikanerinnen zu einem regionalen Wirtschafts- und Handelszentrum. Eine Reihe ansehnlicher Gasthäuser am Marktplatz zeugt von der einst hohen Frequenz seiner Märkte und einer großen Anzahl durchreisender Gäste. Nicht wenige von ihnen stiegen im Geburtshaus Ringseis’ ab. Da kehrte der »Wiener Bote« ein, aber auch die böhmischen Hopfenhändler und die Firmlinge auf dem Weg in die Bischofstadt. Weitere Gäste waren sehr häufig die Bergmänner aus der benachbarten Grube Erzhäuser, die in der Gaststube vor den atemlos lauschenden Kindern ihre dunklen Sagen von Berggeistern und anderen unheimlichen Gestalten zum Besten gaben. Ringseis erinnert sich: »Dass ich auch sonst mit Sagen und Geschichten gefüttert worden, versteht sich in der sagenreichen Oberpfalz von selbst.«

Geburt und Kindheit

Das immer noch als Wirtshaus existierende Geburtshaus von Ringseis lag direkt am südwestlichen Rand des Marktplatzes in unmittelbarer Nähe des gotischen Rathauses, der barockisierten Pfarrkirche und des ehemaligen Klosters der Dominikanerinnen, eines Baus der berühmten Baumeister Dientzenhofer. In diesem Gebäude, das bis heute mit seiner geschwungenen Fassade den Platz prägt, wurde Johann Nepomuk am 16. Mai 1785 geboren. Er schildert die Umstände seiner Geburt: »Als ich in den ersten Stunden des Nepomukfestes […] das Licht der Welt erblickt hatte, da hielt die Bürgerwehr, ihrem Kommandanten zu Ehren, eine abendliche musikalische Litanei vor dem Standbild des hl. Nepomuk auf der Schwarzachbrücke, und der frohe Vater bewirtete sie dafür im eigenen Haus, der ruhebedürftigen Wöchnerin nicht eben zur Freude. In unserer […] Gegend […] ist St. Nepomuk ein vielgefeierter Heiliger; es lag also nah, meinen Geburts-Heiligen mir zum Namenspatron zu geben. Das nennt man bei uns seinen Namen mit auf die Welt bringen.«

 

Wolfsteiner_Abbildung

 

Abb. 1:
Schwarzhofen auf einer Postkarte von 1910. Das Geburtshaus Ringseis’ lag am Marktplatz in unmittelbarer Nähe zum Rathaus und dem Kloster der Dominikanerinnen. Es wird bis heute als Gasthaus genutzt.

 

Der kleine »Muckl« war von zarter Gesundheit. Mehrfach hegten die Eltern Zweifel, ob man ihn würde »aufbringen« können, doch er ließ in seinem Charakter schon nach kurzer Zeit überschäumendes Temperament und Rauflust erkennen. Bald bekam er einen Bruder namens Sebastian, gefolgt von drei Schwestern, von denen Katharina Nepomuk später bis zu seiner Heirat den Haushalt in München führen sollte.

Der Vater Johann Baptist, schon bald mit gemeindlichen Ehrenämtern betraut, starb 1804 mit nur 42 Jahren. Die fromme Mutter Katharina hielt Anwesen und Finanzen zusammen. Während der Vakanzen der Söhne etwa hielten sich ständig eine Reihe von Studienkollegen aus Amberg und Landshut in Schwarzhofen auf, manchmal auch die vier studierenden Söhne des unbemittelten Hirten, die großzügig durchgefüttert wurden.

Großen Eindruck machten auf Ringseis die Dominikanerinnen, die trotz strenger Klausur mit den Eltern in vielfachem Kontakt standen. Geprägt wurde das kirchliche Leben auch von den zahlreichen Mönchen, die auf die Dörfer kamen und von denen nicht wenige aus Schwarzhofen stammten. Bald schon stand fest, dass der »Muckl« studieren sollte.

 

Kommunikation um 1800 – Das Botenwesen

»Einmal die Woche ging eine Bötin nach Amberg, ungefähr ebenso oft nach Regensburg, allmonatlich ein Bote nach München. Ein großer Teil des Geschäftes gehörte dem Verkehr der Studentlein und Studenten mit den Ihrigen; da gingen Lebensmittel, Wäsche und Kleidungsstücke, Geld und Briefe hin und her; dabei hörte man Neuigkeiten in Hülle und Fülle; die Briefe und mündlichen Berichte waren wichtiger als die ›Augsburger Ordinari Postzeitung‹. Der Postwagen, der nur auf der großen Landstraße ging und nur alle drei Wochen, diente mehr zur Beförderung der Reisenden. Zwei- bis viermal im Jahr etwa wanderte der Wienerbote von Schwarzhofen mit dem Schubkarren bis Regensburg, von wo er auf der Donau nach Wien hinabfuhr, und wenn er zurückgekehrt war, sprach er wienerisch …« (»Erinnerungen«, S. 18)

 

 

Schulbesuch in Regensburg, Walderbach und Amberg

Um ihm einen besseren Schulbesuch zu ermöglichen, schickten die Eltern den Achtjährigen zu Verwandten nach Regensburg und ein Jahr später, für weitere zwei Jahre, ins Kloster der Zisterzienser nach Walderbach. Pater Eugen Pausch, der weithin bekannte Kirchenkomponist, brachte ihm das Geigen- und Klavierspiel bei. Mit zwölf Jahren trat Johann Nepomuk in das Studienseminar in Amberg ein, wechselte schließlich auf das Gymnasium und besuchte von 1802 bis 1804 das Lyzeum. Die Leistungen des Jungen wurden mit über 30 Schulpreisen bedacht. Auch sein Bruder Sebastian folgte ihm schließlich von Walderbach nach Amberg.

Auf dem Weg von Amberg nach Hause gewann Ringseis Freude am Sammeln von Steinen und Mineralien: »Die Mutter war oft bitterbös […], denn ich zerriss dabei […] die schwer angefüllten Sacktücher. Wie viel Freude hat es mir später gemacht, wenn ich bei Knaben den gleichen wissbegierigen Trieb bemerkte, und ich nährte ihn gern durch das Verschenken kleiner Sammlungen.« Franz von Kobell, selbst ein bekannter Mineraloge, erzählte ihm später, dass der erste Anstoß zu seiner Berufswahl durch eine Ringseis’sche Schenkung erfolgt war.

Zeitgleich mit Johann Nepomuks Aufenthalt im Amberger Studienseminar erfolgte in Bayern die Auflösung der Klöster. Seine Mutter und sein Stiefvater Michael Zenger erwarben das zum Verkauf stehende Klostergebäude der Dominikanerinnen in Schwarzhofen. Ringseis sollte diesen Besitz später in eine wohltätige Pfründestiftung umwandeln.

Am Ende seines siebenjährigen Aufenthalts in Amberg hatte sich Ringseis wohl psychisch übernommen. So gönnte er sich vor dem Beginn des Studiums ein ganzes Jahr Pause im heimatlichen Schwarzhofen. Er nutzte die Zeit nicht nur für die Lektüre von Büchern, sondern widmete sich auch körperlicher Ertüchtigung durch Holzhacken und -sägen sowie im Winter mit stundenlangem Eislaufen auf der Schwarzach.

 

Die Säkularisation in Schwarzhofen

»Überall sah man entvölkerte, verwüstete oder zertrümmerte Klöster, Kirchen und Kapellen. In ehemaliger Zeit hatte ein noch heute vorhandener, gedeckter Gang die Dominikanerinnen aus ihrem Kloster zum Gottesdienst in ein vergittertes Oratorium der Pfarrkirche geführt; später gelang ihnen […] eine stattlich gewölbte Kirche zu bauen, den weithin sichtbaren Schmuck des Ortes […] Sie wurde versteigert mit ausdrücklicher Bedingung des Zerstörens. Der Käufer zahlte 300 Gulden für Kirche samt Sakristei und brauchte fünf Jahre, sie einzureißen.« (»Erinnerungen«, S. 47)

 

 

2   Studium der Medizin in Landshut: 1805–1812

Im Herbst 1805 bezog Ringseis die Universität Landshut, wo sich innerhalb des Lehrkörpers Aufklärer und Konservative unversöhnlich gegenüberstanden. Der junge Oberpfälzer hatte den »unwiderstehlichen Drang«, Arzt zu werden. Im Jahr darauf folgte ihm auch Sebastian nach Landshut, wo dieser ebenfalls ein Studium der Medizin aufnahm. Bis 1812 sollte die akademische Ausbildung der beiden Brüder dauern.

Ringseis besuchte Kurse bei Professoren, die bereits einen hervorragenden Ruf genossen, wie bei dem Botaniker Franz von Paula Schrank oder dem jungen Chemiker Johann Nepomuk von Fuchs. Physiologie und Chirurgie hörte er bei dem ebenfalls noch sehr jungen Professor Philipp von Walther, dessen Nachruf Ringseis einst verfassen sollte. Wichtig für seine Entwicklung war für den jungen Studenten aber besonders der persönliche Verkehr mit Johann Michael Sailer, dem berühmten Theologen und späteren Bischof von Regensburg.

Der berühmteste Arzt jener Zeit war der geniale, aus dem oberfränkischen Lichtenfels stammende Andreas Röschlaub. Ringseis hörte bei ihm spezielle Pathologie und Therapie. Röschlaub war Anhänger der sogenannten »Erregungstheorie« des Schotten John Brown, gemäß der im Erkrankten »ein zur spezifisch und individuell eigentümlichen Natur des Organismus Nichtgehöriges, ihm oft bis zur höchsten Feindseligkeit Fremdartiges in den Organismus mithineinregiert«, wie Ringseis Röschlaubs Vorstellungen von Krankheit definierte.

Die »Landshuter Jugendbewegung«

Um die Brüder Ringseis versammelte sich bald eine Reihe von jüngeren Mitstudenten. Vor allem Philosophie und Religion waren Themen, mit denen sie sich beschäftigten. Besonders angetan hatten es ihnen die Ideen der Romantiker Ludwig Tieck und Novalis sowie Friedrich Schlegels und Franz von Baaders. In einem Brief an Bruder Sebastian heißt es 1807 über das nächtliche Treiben der Gruppe: »In heller Mondnacht auf Gräbern Flöte, Guitarre spielen, philosophieren, Dichter deklamieren – echt akademisch, Herr Bruder!« Noch Jahrzehnte später sollte Ringseis, der sich zeit seines Lebens für übersinnliche Dinge und den Mystizismus interessierte, von seinen aufgeklärten Gegnern als »Geisterbeschwörer« diffamiert werden.

 

Wolfsteiner_Abbildung

 

Abb. 2:
1800 veranlasste Kurfürst Max IV. Joseph die Verlegung der Landesuniversität von Ingolstadt nach Landshut, wo sie im ehemaligen Kloster der Dominikaner (Bild) und im Jesuitenkolleg untergebracht war. Ludwig I. verlegte 1826 die Universität nach München. – Kupferstich von Heinrich Adam.

 

Ringseis’ Tochter Emilie versuchte in den »Erinnerungen des Dr. Johann Nepomuk von Ringseis«, die romantische Jugendsünde ihres Vaters einer angeblichen oder tatsächlichen »Geisterbeschwörung« zu relativieren: »Geister zitieren? Sollten die jungen Leute in der konfusen Schwärmerei damaliger Romantik auch solches versucht haben? Ernstlich lässt es sich bei ihrer religiösen Richtung nicht annehmen.« Allerdings lässt Ringseis’ spätere Sympathie für die Mystik und die Erweckungsbewegung ein solches Vorgehen nicht ganz ausschließen.

Aus dem Freundeskreis der Landshuter Zeit stammen viele Bekanntschaften, die Ringseis später immer wieder pflegen sollte, und es entstand bereits in der Intimität der überschaubaren Universität ein »Netzwerk«, das ihn sein ganzes Leben lang tragen sollte. Bei der Schilderung der Schwärmerei und des Enthusiasmus, der die »Landshuter Jugendbewegung« erfasst hatte, spricht er später von einer »überschäumenden, unbändigen Begeisterung in der wir lebten und schwebten«.

Das Treiben der Brüder Ringseis und ihrer Freunde blieb jedoch nicht lange verborgen und wurde den Polizeibehörden denunziert. Der politische Kurator der Universität, der Aufklärer und nachmalige Minister Georg Friedrich von Zentner, verdächtigte Ringseis sogar, eine geheime Gesellschaft gebildet und geistliche Lieder (!) gesungen zu haben.

Gedichte in der »Zeitung für Einsiedler«

Insgesamt hielt sich Ringseis nach eigener Aussage von politischen Dingen fern. Doch ganz so unpolitisch, wie er später vorgab, war er sicher nicht. Mit Kronprinz Ludwig verband ihn schließlich der Hass auf Napoleon, dessen Einzug in Landshut Ringseis 1806 miterlebte. Der Versuch, Bayern zu »dekatholisieren«, und die Wut auf die »verhasste napoleonische Tyrannei« machten sich bei manch einem Mitstudenten Luft in einigen Jugendgedichten. So auch bei Ringseis; dieser dachte zunächst nicht an eine Veröffentlichung, doch sein Kommilitone Karl Aman schickte die gemeinsam verfassten Gedichte ohne Wissen der Co-Autoren zusammen mit eigenen Texten und denen von Sebastian Ringseis nach Heidelberg an die »Zeitung für Einsiedler«. Achim von Arnim und Clemens Brentano, die Herausgeber, publizierten die Gedichte tatsächlich in der Ausgabe Nr. 33 vom 23. Juli 1808. Vor allem Ringseis’ Gedicht »Herausforderung« erregte überregionale Aufmerksamkeit. Es wendet sich gegen die nach Landshut berufenen Protestanten von der »anderen Zone«, also aus dem Norden Deutschlands, und endet mit den Worten: »Und also schlage ich jeden in den Staub, der Bayerns Söhne nicht ehrt!«

 

Hintergründe des ersten »Nordlichterstreits«

Seit 1799 waren mit der Verlegung des Regierungssitzes von Mannheim nach München und der Bildung neuer Territorien zahlreiche »Fremde« nach Altbayern gekommen: als Beamte in die Ministerien und Verwaltungen, als Lehrer und Professoren in die Schulen, Akademien und Universitäten. Die offene Geringschätzung der Bayern und die offensichtliche Bevorzugung der »Zugereisten« sorgten in der Bevölkerung für viel böses Blut und führten im Verlauf der Jahre zu einer gewissen Fremdenfeindlichkeit. Der Text von Ringseis’ Gedicht »Herausforderung« ist so als eine versteckte Kritik an der Besetzungspolitik Graf Montgelas’ und des Freiherrn von Zentner zu lesen. Zum ersten Mal tauchte 1809 in der bayerischen Presse in diesem Zusammenhang für die Neuankömmlinge der Begriff »Nordlichter« auf. Jahrzehnte später sollte sich Ringseis im nächsten »Nordlichterstreit« der 1850er-Jahre erneut öffentlich zu Wort melden.