Inhaltsverzeichnis

Zum Buch

 

Sowohl das Bild Hans Pfitzners (1869–1949) als auch die Rezeption seiner Werke leiden in der deutschen Musiklandschaft noch weitgehend unter einem Stigma durch seine Anbiederung an den Nationalsozialismus. Dabei ist schon eine ausgewogene Beurteilung seiner vielgestaltigen Musik (im Gegensatz zu der seines Zeitgenossen Richard Strauss) äußerst schwierig: Werke tiefster Herzensinnigkeit oder höchst komplexe Schöpfungen – wie sein „Palestrina“ – stehen neben Kompositionen erschütternder Simplizität. Pfitzners Oeuvre zeigt zudem kaum lineare Entwicklung, und manche Bastion hart erarbeiteter Modernität wird zugunsten einer Selbststilisierung als „letzter Romantiker“ aufgegeben.

In konzentrierter Darstellung fasst Michael Schwalb Pfitzners Persönlichkeit und Werk aktualisierend zusammen und kommt dabei zu überraschenden neuen Erkenntnissen.

 

 

 

Zum Autor

 

Michael Schwalb,
geb. 1956, ist nach Anstellungen als Orchestermusiker (Solocellist) nun Redakteur einer großen Rundfunkanstalt; zahlreiche Radiofeatures, Vorträge und Publikationen zu musikalischen und musikliterarischen Themen.

Biografien machen Vergangenheit lebendig: Keine andere literarische Gattung verbindet so anschaulich den Menschen mit seiner Zeit, das Besondere mit dem Allgemeinen, das Bedingte mit dem Bedingenden. So ist Lesen Lernen und Vergnügen zugleich.

Dafür sind gut 100 Seiten genug – also ein Wochenende, eine längere Bahnfahrt, zwei Nachmittage im Café. Wobei klein nicht leichtgewichtig heißt: Die Autoren sind Fachleute, die wissenschaftlich Fundiertes auch für den verständlich machen, der zwar allgemein interessiert, aber nicht speziell vorgebildet ist.

Bayern ist von nahezu einzigartiger Vielfalt: Seinen großen Geschichtslandschaften Altbayern, Franken und Schwaben eignen unverwechselbares Profil und historische Tiefenschärfe. Sie prägten ihre Menschen – und wurden geprägt durch die Männer und Frauen, um die es hier geht: Herrscher und Gelehrte, Politiker und Künstler, Geistliche und Unternehmer – und andere mehr.

Das wollen die KLEINEN BAYERISCHEN BIOGRAFIEN: Bekannte Personen neu beleuchten, die unbekannten (wieder) entdecken – und alle zur Diskussion um eine zeitgemäße regionale Identität im Jahrhundert fortschreitender Globalisierung stellen. Eine Aufgabe mit Zukunft.

 

DR. THOMAS GÖTZ, Herausgeber der Buchreihe, geboren 1965, studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie. Er lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Regensburg und legte mehrere Veröffentlichungen, vor allem zu Stadt und Bürgertum in Bayern und Tirol im 18., 19. und 20. Jahrhundert, vor. Darüber hinaus arbeitet er im Museums- und Ausstellungsbereich.

MICHAEL SCHWALB

 

 

 

Hans Pfitzner

 

 

Komponieren zwischen himmlischer Vision und Abgrund

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag Friedrich Pustet
Regensburg

Impressum

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

eISBN 978-3-7917-6073-5 (epub)

© 2016 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg

Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg

 

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:

ISBN 978-3-7917-2746-2

 

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Informationen und Bestellungen unter verlag@pustet.de

Vorwort

Die Lebensdaten von Hans Pfitzner (1869–1949) umspannen mehr als zwei Epochen deutscher Nationalstaatlichkeit: Geboren kurz vor der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871, stirbt Pfitzner wenige Jahre nach dem Untergang des »Dritten Reichs« und seiner Diktatur in den Ruinen des Zweiten Weltkriegs. Eine herausragende Bedeutung kommt dabei – nationalgeschichtlich wie biografisch – dem Jahr 1919 zu: In Pfitzners 50. Lebensjahr fällt die Auflösung des Kaiserreichs nach dem Ersten Weltkrieg und das vom Komponisten als geradezu traumatisierend empfundene »Schanddiktat von Versailles«. Pfitzners nun verschärft chauvinistische und revanchistische Einstellung, die sich nicht zuletzt in einer bitter-polemischen Publizistik niederschlug, sollte den Komponisten über den Zweiten Weltkrieg hinaus und bis zu seinem Lebensende begleiten – und die Rezeption seiner musikalischen Werke fallweise erheblich belasten.

Als berühmter Komponist wurde Pfitzner bereits zu Lebzeiten in zahlreichen biografischen Schriften gewürdigt (zuerst vom Freund Paul Nikolaus Cossmann, 1904) und sein Werk in mehreren Monografien (etwa Alexander Berrsche, 1919) und Dissertationen (Heinrich Lindlar über Pfitzners Liedschaffen, 1940) dargestellt. Pfitzners disparate Persönlichkeitsstruktur und seine Anbiederung an den Nationalsozialismus waren wohl die Hauptgründe, dass sich die deutsche Musikwissenschaft nach seinem Tod für Jahrzehnte nicht mehr systematisch mit Leben, Werk und Wirkung beschäftigen wollte. Erst die rororo-Monographie von Johann Peter Vogel bedeutete 1989 eine maßstabsetzende zeitgemäße Auseinandersetzung mit Pfitzners Biografie und Schaffen. Vogels Darstellung ist der Zwischenstand einer in den 1980er-Jahren beginnenden Aufarbeitungswelle, die – in der Folge der historischen Neubewertung der jüngeren deutschen Geschichte – eine ausgewogene und differenzierte Darstellung von Pfitzners Leben und seiner politischen und ästhetischen Einstellung hervorgebracht hat.

Als Katalysator dienten die Fleißarbeiten von Bernhard Adamy, der (allerdings ohne musikalische Bezüge und Analysen) nicht nur die gewichtige Darstellung Hans Pfitzner – Literatur, Philosophie und Zeitgeschehen in seinem Weltbild und Werk (1980) verfasste, sondern auch den höchst brisanten vierten Band von Pfitzners Schriften (1987) herausgegeben sowie eine umfassende Briefedition (1991) erstellt hat. Die Summe dieser Materialien ließ Pfitzner in neuem Licht erscheinen, auch dort, wo Adamys aufklärerischer Impetus durch seinen politisch reaktionären Hintergrund relativiert scheint.

Erstaunlicherweise führten die neuen Erkenntnisse über den Komponisten jedoch zu ganz unterschiedlichen Schlussfolgerungen, deren Konsequenzen sich zwischen zwei Extremen bewegen: einerseits dem Versuch von Pfitzners völliger politischer Exkulpierung, begründet mit der Trennung von Leben und Werk; andererseits die konträre, aber ebenso rigorose Haltung, das gesamte Œuvre Pfitzners mit einem Bann zu belegen – eben aufgrund der fatalen Verschränkung des Werks mit der Biografie. In diesem Spannungsverhältnis bewegen sich vertiefende Analysen von Pfitzners Verstrickung in die nationalsozialistische (Kultur-)Politik – ein Resultat ist das materialreiche Buch von Sabine Busch.

Die sukzessive Publikation zahlreicher neuer Zeugnisse zu Pfitzners Leben und Werk hat nun aber nicht etwa zu größerer Klarheit und Eindeutigkeit der Beurteilung geführt, sondern paradoxerweise zum Gegenteil. Je näher man der Person Pfitzner durch den Detailreichtum der Dokumente rückt, desto mehr zerfällt sein Bild in lauter inkohärente und widersprüchliche Einzelteile. Auch deshalb ist es mir ein Anliegen, zum Jubiläum der Uraufführung des Palestrina (1917) sowie im Vorfeld von Pfitzners 150. Geburtstag und seines 70. Todestages zumindest die Konturen dieser Fragmente nachzuzeichnen und zu einem leidlich einheitlichen Bild zusammenzufügen – das gleichwohl die fortbestehenden Risse nicht übertüncht.

Zwischen die biografischen Abschnitte habe ich die Betrachtungen der einzelnen Werkkorpora gestellt. Auch wenn von Pfitzners reichem Œuvre selten, aber regelmäßig nur sein »Hauptwerk«, die »romantische Legende« Palestrina, im Repertoire großer Opernhäuser präsent ist, so ist doch inzwischen bis auf wenige abgelegene Ausnahmen das nahezu alle musikalischen Gattungen umspannende Werk auf Tonträgern verfügbar.

Pfitzners vielfältig gespaltenes Wesen, das schon seine Zeitgenossen polarisierte (und zwar quer durch die sonst so klaren ästhetischen Stellungslinien von Freund und Feind), wirkt bis heute nach. Pfitzner wurde schon zu Lebzeiten als »letzter Romantiker« bezeichnet – ein Etikett, das er mit Wohlgefallen trug, stellte er sich doch selbst in die Nachfolge von Robert Schumann und dessen musikalischer Poetik. Damit stemmte Pfitzner sich gegen die Zerfallstendenzen der Moderne, da er eigentlich dem Geniekult des 19. Jahrhunderts entsprechen wollte: Nicht nur strebte er ein in seiner Person zusammengefasstes Gesamtkunstwerk von Dichtung, Musik und Bühnenregie an (was er in seinem Palestrina verkörperte), sondern er versuchte zudem, sich in seinen zahlreichen Publikationen eine schriftstellerische Deutungshoheit auch über musikalisch-künstlerische Fragen hinaus zu sichern.

Pfitzner komponierte aber mitnichten nur rückwärtsgewandt, sondern – vielleicht teilweise gar contre cœur – stellenweise absolut auf der Höhe der zeitgenössischen musikalischen Avantgarde. Sein »Dilemma« besteht darin, dass er sich innerhalb seines großen Werkkorpus nicht linear weiterentwickelte, sondern, seltsam kreisend, einmal erarbeitete ästhetische Positionen immer wieder aufgab, was eine zielgerichtete Fortentwicklung schwerlich erkennen lässt.

Pfitzners Janusköpfigkeit beschrieb der Komponist Wolfgang Rihm 1981: »Pfitzner ist zu progressiv, um einfach wie Korngold eingeschlürft zu werden, und er ist zu konservativ, um etwa wie Schönberg die Musik hörbar folgenreich beeinflusst zu haben. Wir finden nicht auf den ersten Blick das gebrochen Heutige in seinem Werk, aber auch nicht das ungebrochen Gestrige.«

Das unantastbar Schöne in Pfitzners Musik, ihre reine Innerlichkeit und ungeschützte Fragilität, ist uns als jungen Musikern in die Seele eingepflanzt worden durch unseren verehrten Dirigenten GMD Prof. Martin Stephani; sein Andenken klingt in allem, was er uns vermittelt hat.

1   Kindheit, Jugend und frühe Erfolge (1869–1897)

Es hatte musikalische Gründe, dass Hans Erich Pfitzner am 5. Mai 1869 ausgerechnet in Moskau zur Welt kam: Sein Vater Robert, einst einer der ersten Violinstudenten am von Felix Mendelssohn gegründeten Leipziger Konservatorium, war in Moskau als Orchestermusiker angestellt. Dort vermählte er sich 1866 mit der in Moskau geborenen, aber aus deutscher Familie stammenden Wilhelmine Reimer, die eine vierjährige Tochter mit in die Ehe brachte. 1866 wurde der Bruder Carl Robert geboren, drei Jahre darauf Hans Pfitzner.

Nach dem Deutsch-Französischen Krieg wurde 1871 Elsass-Lothringen mit der Hauptstadt Straßburg, Pfitzners späterer langjähriger Wirkungsstätte, als »Reichsland« dem neuen Deutschen Kaiserreich angegliedert. Im Jahr darauf kehrte die Familie – sicherlich auch aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs infolge der Reichsgründung (sprichwörtlich geworden als »Gründerjahre«) – nach Deutschland zurück, wo der Vater nun eine Stelle als Konzertmeister am Stadttheater in Frankfurt am Main bekleidete.

Brückenschlag zur Kindheit

Hier lokalisierte Hans Pfitzner die frühesten Eindrücke und Bilder meines Lebens, die er ab 1940, also als Rückblick im achten Lebensjahrzehnt, verfasste und die seine starke Verbindung zur Bilder- und Gefühlswelt seiner Kindheit dokumentieren. Pfitzner, der sich im Verlauf seiner »Selberlebensbeschreibung« durchaus als Träger einer genialen Begabung darstellt, sinniert darüber, wie sehr ein Erwachsener (Pfitzner spricht vom »Vollmenschen«) immer noch in der eigenen Kindheit verhaftet ist: »Sind die Leidenschaften des Vollmenschen – sei er bedeutend oder unbedeutend – etwas wesentlich anderes als die des Kindes? … Ist nicht alles bloß graduell verschiedene Ziellosigkeit? Das gewonnene Klickerspiel, der geschossene Hirsch, das eroberte Königreich …«

 

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Abb. 1: Hans Pfitzner im Alter von vier Jahren

 

Unabhängig von Pfitzners später zutage tretendem pathologischem Pessimismus, seiner permanenten Unzufriedenheit mit gesellschaftlicher Stellung und professioneller Anerkennung, sind diese Einsichten Ausdruck von Pfitzners eigenem Kinderglauben, seiner oftmals geradezu infantilen Sichtweise auf die Welt und deren Interpretation. Und ganz bewusst baute er nostalgische Kindheitsblicke in seine Kompositionen ein, wenn er etwa zu seinem 1904 entstandenen Lied Sonst (op. 15,4 – eigentlich eine Opernszene en miniature) mit einem kleinen Spieluhren-Menuett anmerkt: »Diese Melodie ist nicht von mir, sondern nach dem Gedächtnis an ein Spielzeug meiner Kinderjahre aufgeschrieben; dieses ›Spielrad‹ ließ, wenn man es in Bewegung setzte, ein Stückchen hören, von welchem obige 8 Takte der Schluß sind.«

Kindlichkeit als Schutz

Diese Kindlichkeit ist vielleicht einer der Gründe für Pfitzners unzerstörbare Naivität, die sich sein ganzes Leben hindurch und sogar in den brisantesten Situationen beobachten lässt: Einerseits bewahrt eine unschuldige Innerlichkeit seine Seele und die in seiner Inspirationsästhetik wurzelnde Produktivität; andererseits ist diese durch Lebenserfahrung erstaunlicherweise unbeeindruckte Arglosigkeit sein Bollwerk gegen die Strömungen der Zeit, denen er sich, eingesponnen in ein Konstrukt aus Starrsinn und Unbelehrbarkeit, in der Manier eines Don Quichotte entgegenstellt. Wie der verwirrte spanische »Ritter von der traurigen Gestalt« erliegt Pfitzner oftmals einer realitätsfernen Sichtweise, von der er sich weder durch unabweisbare Tatsachen noch durch wohlmeinende Freunde abbringen lässt. Er klammert Fakten aus, die nicht in sein Weltbild passen; wo das nicht möglich ist, werden bereits geringfügige Abweichungen von der eigenen Vorstellung kompromisslos und strengstens sanktioniert – oftmals mittels seiner berüchtigten und weiträumig verteilten Denkschriften. In maßloser Selbstüberschätzung war sich Pfitzner gar nicht bewusst, dass ihn sein Narrenkostüm zwar oft behindert, ihn aber paradoxerweise manches Mal – etwa in der Auseinandersetzung mit Hermann Göring – auch geschützt hat.

Tatsächlich mag zum Dilemma von Pfitzners lebenslanger Kindlichkeit auch seine geringe Körpergröße von nur 1,64 m beigetragen haben. Überprüft man aber seine kindliche Naivität anhand seines Verhaltens gegenüber Kindern, eigenen wie fremden, bleibt da, wie so oft bei Pfitzner, der Eindruck wechselhaft und zwiespältig. So schreibt der verständnisvolle Freund Bruno Walter (1876–1962) rückblickend 1961 an Pfitzners zweite Frau Mali: »[I]ch habe eigentlich niemanden gekannt, der so mit Kindern zu spielen verstand wie er.« Dem widersprechen die Erinnerungen des damals elfjährigen Klaus Mann; der Sohn von Thomas Mann (1875–1955), der in der Nachbarschaft des Münchner Herzogparks zusammen mit Bruno Walters Töchtern aufwuchs: »Wir Kinder hatten nicht viel übrig für den nervösen und giftigen kleinen Herrn mit dem dünnen Ziegenbart.« Fatal ist das am Ende zerrüttete Verhältnis Pfitzners zu seinen eigenen drei Kindern, die alle eines frühen Todes sterben: durch Krankheit (1936 Sohn Paul, geboren 1903), Suizid (1939 Tochter Agnes, geboren 1908) oder als Soldat (1944 Sohn Peter, geboren 1906).

 

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Abb. 2: Photo mit Widmung für Lotte Walter, die Tochter von Bruno Walter: »für Lottchen nach ihren Unterschondorfer Triumphen der greise Romantiker Onkel Hans Weihnachten 1921«

 

Musikalische Entwicklung

Bei der Schilderung seiner ersten musikalischen Erfahrungen bedauert Pfitzner, dass der Vater seine Musikalität nicht erkannt und früh unterstützt habe, sondern dass alle Förderung dem mäßig begabten und unwilligen älteren Bruder zuteilgeworden sei. Seine musikalische Theorieausbildung und erste pianistische Unterweisung habe er sich mühsam erarbeiten müssen, und geprägt habe ihn »das fortwährende Kämpfen darum, das Überwinden von Widerstand und Gleichgültigkeit, das ›Gegen-den-Strom-Schwimmen‹ –, ein Los, dem ich heute noch verfallen bin«. So schreibt, wohlgemerkt in seinem achten Lebensjahrzehnt, niemand, der mit sich selber im Reinen ist, der in Frieden mit der Welt und seiner Stellung in ihr lebt. Pfitzner bestätigte im Alter die Grundzüge seines Charakters, die er in seiner Kindheit angelegt sieht: beständiger Argwohn, nicht angemessen behandelt oder gar um berechtigte Meriten betrogen zu werden; permanent misstrauisches Lauern auf Zeichen von Opposition und Gegnerschaft.

Wir werden dieser problematisch-zerrissenen Grundhaltung in Pfitzners Charakter immer wieder begegnen, sei es im Zusammenhang mit Freunden (von denen er sich nicht angemessen behandelt fühlte), Partnern im Beruf (Pfitzner wähnte sich ständig hintergangen, Aufführungen seiner Werke durch Intrigen behindert), gar seiner eigenen Familie (was im Alter zu gravierenden Streitigkeiten mit den Kindern und zum Hausverbot für seinen jüngsten Sohn führte).

Begegnung mit dem »Urfreund«

Hans Pfitzner hat nie eine Volksschule besucht; ihm und seinen Geschwistern wurde grundlegendes Wissen durch elterlichen Unterricht vermittelt. Erst 1878 wurde der Neunjährige in die Sexta der Frankfurter Max-Klinger-Schule eingeschult, wobei gleich am ersten Tag der Grundstein zu einer Lebensfreundschaft mit dem Klassenkameraden Paul Nikolaus Cossmann gelegt wurde. Dessen Vater Bernhard Cossmann war ein berühmter Cellist, der als Professor am kaiserlichen Konservatorium in Moskau Pfitzners Vater kennengelernt hatte. Nun hatte Cossmann gerade eine Professur am renommierten »Hoch’schen Konservatorium« in Frankfurt angetreten, und die bei der Einschulung der gleichaltrigen Söhne erneuerte Bekanntschaft bildete die Grundlage für die enge, jedoch sehr wechselhafte Beziehung Hans Pfitzners zu Paul Cossmann. Der wissbegierige und bildungshungrige Pfitzner betrachtete Cossmann, dessen offenes Vaterhaus neue geistig-künstlerische Anregung bereithielt, später immer als Ratgeber in literarischen und philosophischen Fragen.