Zum Buch

 

Über kaum einen anderen Monarchen der Neuzeit wird so viel spekuliert und fantasiert wie über König Ludwig II. von Bayern (1845–1886). Er, der sich selbst ein Rätsel sein wollte, bleibt in der Tat bis heute in vielen Bereichen ein Mysterium. Auch sein rätselhafter Tod hält ihn bis heute lebendig. Die Biografie zum 125. Todestag Ludwig II. berücksichtigt den neuesten Forschungsstand und bietet überraschende Einblicke und Deutungen.

 

 

 

Zum Autor

 

Marcus Spangenberg,
geb. 1968, studierte Kunstgeschichte, Geschichte, Klassische Archäologie und Religionswissenschaft. Er arbeitet als Kunsthistoriker und Journalist.

Biografien machen Vergangenheit lebendig: Keine andere literarische Gattung verbindet so anschaulich den Menschen mit seiner Zeit, das Besondere mit dem Allgemeinen, das Bedingte mit dem Bedingenden. So ist Lesen Lernen und Vergnügen zugleich.

Dafür sind gut 100 Seiten genug – also ein Wochenende, eine längere Bahnfahrt, zwei Nachmittage im Café. Wobei klein nicht leichtgewichtig heißt: Die Autoren sind Fachleute, die wissenschaftlich Fundiertes auch für den verständlich machen, der zwar allgemein interessiert, aber nicht speziell vorgebildet ist.

Bayern ist von nahezu einzigartiger Vielfalt: Seinen großen Geschichtslandschaften Altbayern, Franken und Schwaben eignen unverwechselbares Profil und historische Tiefenschärfe. Sie prägten ihre Menschen – und wurden geprägt durch die Männer und Frauen, um die es hier geht: Herrscher und Gelehrte, Politiker und Künstler, Geistliche und Unternehmer – und andere mehr.

Das wollen die KLEINEN BAYERISCHEN BIOGRAFIEN: Bekannte Personen neu beleuchten, die unbekannten (wieder) entdecken – und alle zur Diskussion um eine zeitgemäße regionale Identität im Jahrhundert fortschreitender Globalisierung stellen. Eine Aufgabe mit Zukunft.

 

DR. THOMAS GÖTZ, Herausgeber der Buchreihe, geboren 1965, lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Regensburg. Veröffentlichungen zu Stadt und Bürgertum in der Neuzeit.

MARCUS SPANGENBERG

 

 

 

Ludwig II.

 

 

Der andere König

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag Friedrich Pustet
Regensburg

Impressum

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

eISBN 978-3-7917-6071-1 (epub)

© 2015 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg

Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg

 

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:

ISBN 978-3-7917-2308-2

 

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»Ich bin einfach anders gestimmt als die Mehrheit meiner Mitmenschen«

 

Vorangestellte Worte über einen anderen König

 

 

Ludwig II., König von Bayern. Wer war dieser Monarch des 19. Jahrhunderts, über den es viele Spekulationen und noch mehr Meinungen gibt? Im 21. Jahrhundert ist er bekannt wie nie zuvor. Aussteiger, Künstler, Touristiker und die Werbeindustrie nehmen sich seit vielen Jahrzehnten ein Beispiel an dem so genannten Märchenkönig oder lassen sich von ihm und seinem Schaffen anregen. Oder soll nicht viel eher seine Exzentrik Leere und Einfallslosigkeit der Gegenwart überbrücken helfen?

Ludwig II. hat mit den Schlössern Neuschwanstein, Linderhof und Herrenchiemsee steingewordene Ikonen eines gescheiterten Lebens hinterlassen. Sie sind weltweit populär und jährlich Ziel von mehr als zwei Millionen Besuchern. Der Weltkulturerbe-Titel wird angestrebt.

Erstaunlich ist, dass zwar immer mehr Einzelheiten über das Leben Ludwigs und die Hintergründe seiner Bauwut bekannt werden, aber in gleichem Maße in der breiten Öffentlichkeit die historische Person, ihr Wollen, Denken und Schaffen hinter einem unscharfen Schleier von ständig wiederholten Klischees und Verallgemeinerungen verschwinden. Dies wird der wahrlich außergewöhnlichen und letztendlich tragischen Existenz Ludwig II. in keiner Weise gerecht.

Ludwig war nicht wie die anderen. Und er wusste es: »Ich bin einfach anders gestimmt als die Mehrheit meiner Mitmenschen«, bekannte er. Wie er auch fern der Welt sein wollte, »die stets mich verkennt und mit der ich mich nie und nimmer befreunden kann und will«.

Er reagierte mit einem unzeitgemäßen und religiös verklärten Verständnis vom Königtum, dem er sich ständig – und trotz vermeintlicher Sünden – würdig erweisen wollte. Diese Fixierung auf das »wahre, echte« Königsamt bewirkte das Gegenteil. Ludwig II. verlor sich selbst in der Realität eines mäßig mächtigen Staates und wurde 1886 seines Thrones und seines Lebens beraubt.

Der Gegensatz zwischen dem eigenen Anspruch eines Königs von Gottes Gnaden und der politischen Notwendigkeit wuchs durch seine Unzulänglichkeit, seine poetischen Begabungen mit der Prosa alltäglichen Regierens zu verbinden.

Von den Hintergründen, der Entwicklung und den für ihn letztendlich tödlichen Folgen berichtet dieses Buch.

»Schwer ist die Aufgabe«

 

1   Ludwig II. und die Realität des Königtums

 

 

Am 12. März 1864 notiert König Ludwig II. von Bayern in seinem nahezu täglich geführten Tagebuch: »Sonnabend Geschäfte, begann um ½ 9 Uhr«. Plötzlich reißt er das Buch herum und schreibt über die gesamte Seitenbreite »König!« – in sehr großen Buchstaben.

Zwei Tage zuvor, in der Nacht zum 10. März, hatte König Maximilian II., der Vater Ludwigs, in der Münchner Residenz die Sterbesakramente erhalten. Er verlangte nach seinem nicht einmal 19-jährigen Sohn. Was er ihm zu sagen hatte, ist nicht überliefert. Ludwig jedenfalls verließ weinend und tief erschüttert das Sterbezimmer des dritten bayerischen Königs, als dessen Nachfolger er von Geburt an erzogen wurde. Wenige Stunden später, gegen fünf Uhr morgens, ertönte über dem weitläufigen Sitz der Wittelsbacher in der Haupt- und Residenzstadt München die Trauerglocke und kündete vom Ableben Maximilian II. nach einer kurzen, aber schweren Krankheit.

Der bisherige Kronprinz Ludwig war nun »Ludwig II. von Gottes Gnaden König von Bayern, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Bayern, Franken und Schwaben etc.«, wie ihn die offizielle Titulatur auswies. Das darin zum Ausdruck kommende Gottesgnadentum war im 19. Jahrhundert mehr Symbol als von wirklicher Bedeutung. Immerhin erklärte die Verfassungsurkunde des Königreichs Bayern von 1818 die Person des Monarchen als »heilig und unverletzlich«. Es schützte aber den Herrscher nicht vor Angriffen und Beschneidungen seiner Macht – auch nicht Ludwig II.

Dieser erblasste und zeigte sich tief erschüttert, als er am Totenbett des Vaters von einem Diener zum ersten Mal mit »Majestät« angesprochen wurde. Aber, so berichtete der zeitgenössische Biograf Gottfried von Böhm, Ludwig fasste sich rasch, denn »die hohen und poetischen Vorstellungen, die er an das Königtum knüpfte, erhoben ihn, beglückten ihn und berauschten ihn bald«.

 

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Abb. 1: Ludwig II. in bayerischer Generalsuniform. – Fotografie von Joseph Albert, 1864.

 

Ludwig kannte die Realität eines Königs von Bayern. Sein Vater regierte bereits von 1848 an, als der Erstgeborene im dritten Lebensjahr stand. So wusste der Sohn, was es heißt, den bedeutendsten Mittelstaat Deutschlands zu führen und mit den Möglichkeiten einer konstitutionellen Monarchie zurechtzukommen. Doch wirkliche Erfahrung im Regieren hatte Ludwig noch nicht gewinnen können. Die »poetischen Vorstellungen« waren bei seinem Herrschaftsantritt bedeutend größer als seine Kenntnisse.

Napoleon schuf den König

Dass Bayern ein Königreich war, verdankte es dem selbsternannten Kaiser der Franzosen, Napoleon I. Der erhöhte 1806 die mit ihm verbündeten Herrscher von Baden, Bayern, Württemberg und Sachsen um einen Stand. Ausgerechnet ein Aufsteiger aus korsischem Kleinadel und Revolutionär schuf aus dem Kurfürstentum Bayern ein Königreich. Damit wurde aus dem bisherigen Kurfürsten Max IV. Joseph der König Max I. Joseph – und Napoleon erhielt eine Tochter des gemachten Königs als Braut für seinen Stiefsohn Eugène de Beauharnais. Napoleons Familie wurde damit erstmals mit einer alten Adelsdynastie verbunden. Die Wittelsbacher regierten Bayern bereits seit 1180.

Ludwigs Urgroßvater Max Joseph kam aus einer pfälzischen Nebenlinie der Wittelsbacher, deren altbayerischer Stamm in der männlichen Linie bereits 1777 ausgestorben war. Von seinem Regierungsantritt 1799 an hatte sich in knapp zwei Jahrzehnten nicht nur der gesamte Staatsaufbau und darin auch die Stellung des Monarchen, sondern auch das Staatsgebiet selbst verändert. Am Ende der Entwicklung stand ein Land, das in seinen Grenzen nahezu unverändert bis heute existiert – mit Ausnahme der Rheinpfalz (bis 1835 »Rheinkreis«). Diese wurde 1816 Bayern zugeschlagen. Doch ohne direkte Landverbindung mit dem Kerngebiet Bayerns und durch eine französische Besatzungszeit geprägt behielt sie in vielerlei Hinsicht eine Ausnahmestellung, bis sie 1946 Teil des neuen bundesdeutschen Landes Rheinland-Pfalz wurde.

Das junge Königreich Bayern enthielt noch mehr Zugewinne, darunter vor allem fränkische und schwäbische Territorien. Die Jahre 1803, 1806, 1810 und 1816 markieren die schrittweise Werdung eines Staatsgebiets, dessen Teile kulturell, wirtschaftlich, gesellschaftlich und konfessionell unterschiedlich geprägt waren. Damit kam dem Herrscher als verbindender Integrationsfigur für alle Untertanen und alle Landesteile eine überaus wichtige Funktion zu. Es war eine Herausforderung, der sich die Könige Bayerns in verschiedener Weise stellten. Für Ludwig II. sollte sie eines seiner größten Probleme werden.

Kurz nach dem 1. Januar 1806, als der bayerische Reichsherold durch München ritt und König und Königreich den Bürgern offiziell und feierlich kundtat, trat Bayern dem Rheinbund unter Napoleon I. bei. Neun Jahre später, nach Napoleons Sturz und dem Wiener Kongress, war Bayern Mitglied des Deutschen Bundes und damit ein selbstständiges, unabhängiges und vor allem gleichberechtigtes Mitglied dieses mitteleuropäischen Staatenvereins. In der Regierungszeit König Ludwig II., 1866, zerbrach dieser Bund. An seine Stelle trat 1870/71 das Deutsche Reich, in das Bayern integriert wurde und seine Souveränität verlor.

Zunächst änderte sich wenig daran, dass Bayern ein vorwiegend landwirtschaftlich geprägtes Land blieb, in dem Äcker, Weiden und Weinberge das Landschaftsbild bestimmten. Die Bauern stellten weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung, von der rund 70 Prozent dem römisch-katholischen Glauben, der Konfession der Herrscher Bayerns, angehörten. Um die beginnende Industrialisierung zu ermöglichen, waren Importe an Kohle und Eisenerz – vornehmlich aus dem preußischen Staatsgebiet – notwendig. Überhaupt war Bayern im 19. Jahrhundert weitgehend von der Politik der Großmächte Österreich und Preußen abhängig, um seine Zukunft gestalten zu können.

Die wahren Machtverhältnisse

Bayern, das bereits 1808 eine kurzlebige Konstitution besessen hatte, die 1818 von einer Verfassung abgelöst wurde, war eine konstitutionelle Monarchie, in der König Ludwig II. als Oberhaupt des Staates alle Rechte der Staatsgewalt in seiner Person vereinte. Aber zugleich war er an ein von ihm zu berufendes Gesamtministerium, ein Parlament und – wie jeder seiner Untertanen – an eben diese Verfassung gebunden. Ludwig II. war kein absoluter Monarch mehr. Dieser profane Gegensatz zu seinen »poetischen Vorstellungen« eines Königs von Gottes Gnaden wurde noch dadurch verstärkt, dass in Wahrheit die Minister die Politik bestimmten, obwohl sie vom König – und nur von ihm – ernannt wurden.

Es war eine schleichende Entwicklung, die unter Max I. Joseph begonnen hatte. Bereits er ließ es geschehen, dass seine Macht durch seinen wichtigsten Minister Maximilian von Montgelas, der Aufgaben des Königs übernommen hatte, beschnitten worden war. Der Sohn und Nachfolger Ludwig I. war deutlich stärker autokratisch veranlagt gewesen, konnte aber an den konstitutionell definierten Machtverhältnissen nichts mehr revidieren. Das Ende Ludwig I. in der Märzrevolution 1848 stärkte noch einmal den Ministerrat (die Gesamtheit aller Minister).

Dessen Sohn Maximilian II. förderte durch seine Regierungsführung das Gewicht der Ministerarbeit. In dieser Situation, in der sich die Minister und die Beamten zunehmend als Träger des Staates verstanden und sich erst nachrangig als Berater des Königs sahen (wie es von der Verfassung eigentlich weiterhin vorgesehen war!), trat Ludwig die Nachfolge seines Vaters an.

Es kam nun vor allem darauf an, wie der König die ihm noch zustehende Macht ausnutzen konnte und wollte. Und welche Kraft und Bestrebung er als Staatsoberhaupt aufbrachte, das Geschehen in seinem Staate zu bestimmen und gegebenenfalls gegen den Ministerrat durchzusetzen. Er hatte die Möglichkeit, seine persönlichen Vorstellungen als Leitlinien des Staates vorzugeben. Gesetze traten nur mit der Unterschrift des Königs und der Gegenzeichnung durch den jeweiligen Fachminister als Mitverantwortlichen in Kraft. Die Frage war allerdings, wer diese aktiv gestalten und bestimmen würde. Letztendlich ausgeführt wurden sie ohnehin vom Beamtenapparat, der eine zunehmende Eigendynamik entwickelte, die die Wirkung der Verfügungen wesentlich bestimmte.

Die selbstbewussten Minister waren aber vom Vertrauen des Monarchen abhängig, der sie berief und entließ. Die Volksvertretung und die in ihr bestehenden Mehrheitsverhältnisse spielten bei der Ministerernennung nahezu keine Rolle. Das Parlament bestand aus zwei Kammern: der Ersten Kammer der Reichsräte (Mitglieder waren königliche Prinzen, oberste Kronbeamte, die Erzbischöfe von München-Freising und Bamberg, der Präsident des protestantischen Oberkonsistoriums, Oberhäupter ehemals reichsunmittelbarer Fürsten- und Grafenhäuser und vom Monarchen Berufene) und der Zweiten Kammer mit den gewählten Abgeordneten. In der konstitutionellen Monarchie Bayerns hatte diese nur geringe Befugnisse. Die beiden wichtigsten Rechte waren die Festsetzung des Budgets und die Beteiligung am Gesetzgebungsverfahren.

So holte sich Ludwig II. während seiner Regentschaft ausschließlich Minister aus dem liberalen Lager, auch als dieses von 1869 an in der Zweiten Kammer keine Mehrheit hatte. Die Politik wurde demnach von einer staatskonservativ-liberalen Führungsschicht bestimmt.

Eine Institution hatte eine bedeutende Funktion, die in der Verfassung in dieser Ausprägung nicht vorgesehen war: das Kabinettssekretariat. Es diente als Schaltstelle zwischen König und Regierung und war dadurch richtungsweisend. Dessen Leiter, der die persönlichen Angelegenheiten des Königs der Öffentlichkeit gegenüber regelte und sogar auf politischem Gebiet zwischen dem Monarchen und den Ministern Einfluss nahm, kam unter Ludwig II. stets aus der liberalen Führungsschicht. Damit war eine reibungslose Zusammenarbeit mit den Ministern möglich, die mit Blick auf den späteren Rückzug Ludwigs als Staatsoberhaupt und Integrationsfigur Bayerns eminent wichtig wurde. Der Kabinettssekretär war der einzige Beamte, der den König regelmäßig zu Gesicht bekam und damit die grundsätzliche Möglichkeit besaß, auf diesen einzuwirken.

In diesem komplexen Herrschaftssystem aus Monarch, Ministerium, Kabinettssekretär und Parlament hatte Ludwig II. nun als König zu agieren und zu repräsentieren. Für einen in Regierungsfragen Unerfahrenen war dabei mit einer »poetischen Vorstellung« nichts zu gewinnen. Vor allem dann, wenn die weitere Geschichte Aufgaben bereithielt, die jedem an seiner Stelle eine große Herausforderung gewesen wären. Ohne davon beim Regierungsantritt im März 1864 zu wissen, gab Ludwig damals kund: »Groß ist und schwer die mir gewordene Aufgabe.« Und weiter: »Ich baue auf Gott, daß er mir Licht und Kraft schicke, sie zu erfüllen.«

Königtum von Gottes Gnaden

Das noch fortwirkende Herrscherbild vom Gottesgnadentum stand kaum mit den sich verändernden Zeiten im Einklang. Dennoch sollte es Ludwig II. mehr bestimmen als jeden seiner Vorgänger. Er maß der Übertragung des Königsamtes durch Gott – und nicht durch Waffengewalt oder eigene Leistung – eine Bedeutung zu, die ihn nur diesem gegenüber Verantwortung tragen ließ. Die Legitimation durch Gott steuerte das Handeln des Herrschers im christlichen Sinne. Bereits Ludwigs Vater, König Maximilian II., wurde bei seiner Erstkommunion ermahnt, ein Herrscher zu werden, der »erleuchtet vom Geiste Christi, entflammt von der Liebe Christi, gestärkt durch das Wort Christi, geleitet von der Gnade Christi seinem Volke … ein Abbild des ewigen Gottes« sein möge. Dies stand in der langen Familien-Tradition der Prinzenerziehung, zu der viele Jahrzehnte vorher bereits die Weisung erging, ein Herrscher müsse »durch den Abscheu gegen jede geringere Sünde beweisen, daß du Gott und das Heil deiner Seele höcher achtest, als alle sinnlichen Genüsse, … höher als das Leben selbst.«

Dass es von dieser Ansicht noch eine Steigerung geben konnte, die sich mit ausgeprägt persönlichen Problemen zu einem unheilvollen Königsverständnis entwickelte, bewies Ludwig II., König von Bayern. Er sah sich als ein christlicher Ritter, der als Mittler zwischen Gott und dem Volk fungieren und daher besonders vorbildlich und sündenfrei sein müsse.

»Wie schnell sind doch die 18 Jahre geschwunden«

 

2   Prägungen in Kindheit und Jugend

 

 

Maximilian war lange auf »wundgelaufenen Freiersfüßen« unterwegs, wie sein Vater König Ludwig I. spöttisch bemerkte. Zahlreichen heiratswilligen und -fähigen Prinzessinnen, die seinem Stand entsprachen, machte der Kronprinz in deutschen Ländern seine Aufwartung. Gegenüber der nicht einmal 17-jährigen Prinzessin Marie Friederike von Preußen, einer Nichte des preußischen Königs, wagte der 31-Jährige dann mit familiärer Unterstützung den Antrag zu stellen: »Gefunden ist der Frauen Krone, die holde Rosen-Königin«, schrieb der glückliche Bräutigam in das Poesiealbum seiner zukünftigen Gattin.

Weil die Hohenzollern evangelisch waren, gab es zwei getrennte Trauungen. Die erste Vermählung – nach protestantischem Ritus – fand am 5. Oktober 1842 in der Kapelle des Berliner Stadtschlosses statt, bei der der katholische Bräutigam nicht persönlich anwesend war und durch den Vetter der Braut, den späteren preußischen König und deutschen Kaiser Wilhelm I., symbolisch vertreten wurde. Die zweite und eigentliche Trauung war eine Woche später in der Allerheiligen-Hofkirche in München.

Unter blauem Himmel waren Zehntausende herbeigeströmt, denen anlässlich der fürstlichen Hochzeit manches Spektakel geboten wurde. Schließlich hatte Maximilians Vater Ludwig am gleichen Tag, nur 32 Jahre zuvor, seine ebenfalls evangelische Frau Therese geheiratet – und damit das seither jährlich gefeierte Oktoberfest begründet.

Gebirgsschützen und Musikanten bestimmten das Bild des 12. Oktober 1842. »Welch Blick in die Zukunft!«, freute sich der Philosoph Friedrich Wilhelm von Schelling. Es war die Verbindung zweier herausragender und politisch führender deutscher Dynastien, von der männlicher Nachwuchs zum Erhalt der Hauptlinie der Wittelsbacher erwartet wurde.

 

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Abb. 2: Ludwig mit seinen Eltern, Königin Marie und König Maximilian II. von Bayern, und seinem Bruder Otto (rechts). – Fotografie, 1861.

 

»Wurde Marie entbunden«

Am frühen Morgen des 24. August 1845 setzten bei Marie, die sich im Schloss Nymphenburg aufhielt, die Wehen ein. Neben den werdenden Eltern fieberte noch jemand mit: König Ludwig I. war mit seiner Frau Therese sofort zum Wittelsbacher Sommerschloss bei München geeilt, um Zeuge der Entbindung zu werden. Er wünschte sich inständig, dass das Kind nicht schon am 24. August, sondern einen Tag später auf die Welt kommen möge, nämlich an seinem Geburts- und Namenstag, dem 25. August. Kurz nach Mitternacht war es so weit, und der Wunsch des Großvaters ging in Erfüllung: »So geschah es nach 20 Minuten gemäß der Nymphenburger, nach 30 gemäß meiner Uhr (also in der gleichen Stunde, in welcher vor 59 Jahren ich geboren war), wurde Marie entbunden von einem Sohn«, notierte Ludwig I. stolz. Die von ihm am 25. August angegebene Uhrzeit wurde zur offiziellen Geburtszeit erklärt. Dieser Neugeborene hörte in den ersten Tagen auf den Rufnamen Otto. Doch weil sein Großvater König Ludwig I. drängte und darauf hinwies, der Enkel sei schließlich am Tag des Heiligen Ludwig IX. von Frankreich geboren, entschieden sich Max und Marie für Ludwig als Hauptnamen.

Die ersten Monate bereitete Ludwig seinen Eltern Max und Marie sehr viel Freude. Seine Mutter schrieb im November 1845: »Der Kleine ist so wohl wie nur möglich, er lacht viel u. ist sehr munter.« Diese Freude und Munterkeit erhielt Ende März 1846 einen starken Dämpfer, als Ludwigs Amme, eine Bauersfrau aus Miesbach, erkrankte. Sie starb kurz darauf, vermutlich an einer Hirnhautentzündung. Der Säugling musste sofort abgestillt werden. Zwar befand der Leibarzt Franz Xaver von Gietl am 15. April 1846, dass der Knabe so kräftig sei, »daß das rasche Abgewöhnen, gezwungen durch das fieberhafte Erkranken der Amme, keinen Eindruck auf Seine Gesundheit ausübte …« Doch kurz darauf wurde der kleine Ludwig so sehr von Krämpfen und Fieberschüben geplagt, dass Grund zu äußerster Besorgnis bestand. Marie weilte in jenen Tagen mit ihrem Mann bei ihrer schwer kranken Mutter in Berlin, die Mitte April verstarb. Die Sehnsucht nach ihrem Sohn wurde bei Marie dadurch noch stärker, aber Ludwig I. untersagte jede Reise seines schwachen Enkels. Erst im Juni sollte die Mutter ihren Sohn wiedersehen, der nach vielen Wochen endlich wieder gesund war. »Von einem fast überstandenen Fieber des Erbprinzen wird wohl nur etwas Blässe zurückbleiben«, konstatierte der Hofarzt im Juli 1846 beruhigend. Ob er damit Recht hatte, wird von zahlreichen modernen Psychologen und Psychiatern bezweifelt. Der frühe Verlust der engsten Bezugsperson (das Stillen durch fremde Frauen war in regierenden Häusern üblich) und die nicht auszuschließende Übertragung von Krankheitserregern durch die Amme werden für das spätere Verhalten Ludwig II. als Erklärung herangezogen.

Zeitenwende

Das Jahr 1848 begann für Marie wegen ihrer zweiten Schwangerschaft mit großer Vorfreude. Zeitgleich aber wurde die politische Situation auch in München immer angespannter. Eine revolutionäre Stimmung erfasste nahezu alle Länder Europas. In Bayern verschärfte Ludwig I. die Lage durch seine autokratische Haltung und seine Liebschaft mit der irischen Tänzerin Lola Montez. Forderungen nach mehr Mitbestimmung fanden nach der französischen Februarrevolution und der Ausrufung der Zweiten Französischen Republik noch stärkeren Rückhalt in der Bevölkerung. Aufgrund des Drucks der Straße proklamierte König Ludwig I. am 6. März seine Zustimmung zu zentralen bürgerlichen Forderungen: »Schaaret Euch um den Thron. Mit Euerem Herrscher vereint, vertreten durch Euere verfassungsmässigen Organe, lasst Uns erwägen, was Uns, was dem gemeinsamen Vaterlande Noth thut.« Tatsächlich ließ sich die Lage dadurch zunächst beruhigen. Das Königshaus hatte allerdings nicht aus Überzeugung nachgegeben, sondern aus Furcht vor dem Verlust der Krone. Am 16. März kam es wegen Gerüchten um die in der Bevölkerung verhasste Lola Montez erneut zu Ausschreitungen.

Ludwig I. dankte schließlich am 20. März zugunsten seines Sohnes Maximilian ab. Großes Misstrauen schlug dem Nachfolger zunächst entgegen, da der bisherige Kronprinz in der Bevölkerung wenig beliebt war. Die Skepsis erschien berechtigt. Trotz der öffentlichen Beteuerung in seiner Thronrede »Ich bin stolz, Mich einen constitutionellen König zu nennen« waren ihm die eingeforderten Reformen gewiss keine Herzenssache. Doch er musste sich zwangsläufig fügen, obwohl er zäh seine königlichen Vorrechte verteidigte. So nimmt es nicht wunder, dass Maximilian II. wenige Jahre später starke Repressionen gegen Presse, Vereine und Versammlungen ergriff, um liberale oder gar demokratische Tendenzen in der Bevölkerung zu unterdrücken. Mit zunehmendem Selbstbewusstsein strebte der Vater Ludwig II. nach Konsolidierung königlicher Vorrechte.

Von der Revolution blieben u. a. ein allgemeines, indirektes Wahlrecht mit Wahlmännern (anstatt des bisherigen ständischen Wahlsystems), die Gesetzesinitiative des Landtags und das Gesetz über die Ministerverantwortlichkeit, mit dem der Landtag die Ressortminister stärker in die Pflicht nehmen konnte. Der nicht ganz dreijährige Ludwig, der mit der Thronbesteigung seines Vaters Kronprinz geworden war, konnte von den Folgen dieser Veränderungen für seine spätere Herrschaft noch nichts ahnen. Ihn berührte wohl vorerst mehr, dass er am 27. April 1848 einen Bruder bekam. Er wurde auf den Namen Otto getauft. Seine Mutter Marie nannte ihn »eine erste Freude in dieser ernsten Zeit«.

Gerade unter diesen Umständen offenbarte die neue Königin in Briefen und Gesprächen ihre tiefe Gottesfurcht. Gott, den sie als Oberhaupt der Familie betrachtete, dankte sie intensiv für das Glück der Familie, die Marie als Hort der Freude und Zuversicht galt. Überliefert ist, dass auch Maximilian sich an den Kindern erfreute und viel Zeit mit dem Kronprinzen verbrachte – was sich in späteren Jahren ändern sollte. Die Eltern der Prinzen waren sich darin einig, dass »das ernste Streben«, das im Vordergrund stand, »auf religiösem Grund gebaut« sein müsse.

Doch das kurzzeitige Familienglück wurde immer wieder durch monatelange Abwesenheiten des Königs (vornehmlich in Italien) unterbrochen. Am Hof, bei den Ministern und im Volk stießen die Auslandsaufenthalte, die mit gesundheitlichen Einschränkungen des Monarchen erklärt wurden, auf wenig Verständnis. Öffentlich beklagte sich Marie nur andeutungsweise über die Trennungen. Dass sie sehr litt, wird aber in ihren Briefen an Maximilian deutlich.

»Der Kronprinz ist stets der Erste«

Die Erziehung und Bildung der beiden Prinzen lag von Anfang an in den Händen von Sybilla Meilhaus, die gleichzeitig mit Ludwigs Amme am Hof angestellt worden war. Von der Intensität der Beziehung und der Vertrautheit, die vor allem zwischen ihr und Ludwig bestand, zeugt die Tatsache, dass er ihr noch als König (und bis zu ihrem Tod 1881) sehr persönliche Briefe schrieb.

Ohne Frage war die Ausbildung der königlichen Prinzen gleichsam puritanisch streng. Von karg bemessenem Essen ist die Rede und schweren Strafen nach kindlichen Streichen. Um dies angemessen zu bewerten, ist es allerdings notwendig, dies aus der Perspektive der Zeitgenossen zu beurteilen. Dabei wird sofort deutlich, dass die pädagogischen Überzeugungen Maximilians im Grundsatz denen des Hochadels entsprachen. Die Kinder sollten zu Disziplin, Bescheidenheit und Genügsamkeit erzogen werden. Eine für die Epoche außergewöhnliche Erziehungsmethode ist daher bei Ludwig nicht auszumachen – von der besonders intensiven religiösen Prägung abgesehen.

Sybilla Meilhaus war offenbar diejenige, die fehlende Zuneigung ersetzte und Verständnis für die Kinder aufbrachte. Sie und viele andere Bedienstete prägten Ludwigs spätere Entwicklung und sein späteres Verhalten maßgeblich: Sie stärkten das Selbstwertgefühl des Erstgeborenen derart, dass sich bei Ludwig ein scheinbar natürliches Gefühl für ein Vorrecht anderen gegenüber herausbildete: »Der Kronprinz ist stets der Erste«, impfte ein persönliches Dienstmädchen demselbigen und seiner Umgebung ein. Die Spielgefährten und auch der Bruder Otto hatten sich daran zu halten. Gottfried von Böhm berichtete: »Sonntags wurden den beiden Prinzen Ludwig und Otto gleichaltrige Adelige … eingeladen… Das Streben ging dahin, den beiden Prinzen die ihnen damals innewohnende Schüchternheit zu benehmen. Es wurde daher besonders das Kriegsspiel und Soldatenspiel begünstigt. Schon bei den kindlichen Spielen wollte der Kronprinz immer der erste sein und wenn Fronleichnamsprozession gespielt wurde, schritt er bereits in der stolzen Art einher, die ihm später eigen war.«

Namentlich ist Generalmajor Theodor Basselet de La Rosée zu nennen, dem 1852 in Nachfolge von Sybilla Meilhaus die Erziehung der Prinzen anvertraut wurde. Zwar war ihm viel daran gelegen, Ludwig als zukünftigem König die besondere Verantwortung dieses Amts zu verdeutlichen, doch betonte er zugleich die herausgehobene Stellung, die ein Monarch habe. Eine ausgeprägte Standesehre bewog den Erzieher, Ludwig Abstand zu Untergebenen und entsprechendes Verhalten gegenüber Lakaien einzuimpfen. Selbst Bruder Otto blieb nicht verschont, dem Ludwig trotz aller brüderlichen Zuneigung zu verstehen gab, dass er sein »Vasall und Untertan« sei.

Doch wer war Ludwig zu diesem Zeitpunkt? »Frühzeitig entwickelte sich bei Ludwig Freude an der Kunst; er baute gern, besonders Kirchen, Klöster und dergleichen«, notierte seine Mutter in der Familienchronik über das Jahr 1851. Und der weiterhin stolze Großvater Ludwig I. berichtete seinem Sohn, König Otto von Griechenland: »Bei der Christbescherung 1852 bekam … Ludwig das Siegestor aus Baustein-Holzen, das er errichten kann. Zu bauen liebt er, vorzüglich, überraschend, mit gutem Geschmack sah ich Gebäude von ihm ausgeführt. Ich erkenne auffallende Ähnlichkeit im künftigen Ludwig II. mit dem politisch-toten Ludwig I. …«

 

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Abb. 3: Ludwig als Kronprinz. – Fotografie von Joseph Albert (vermutlich), um 1858.

 

Diese Hinweise auf das Interesse des jungen Ludwig am Bauen finden in weiteren zeitgenössischen Berichten ihre Bestätigung. Dabei sticht hervor, wie fantasiebegabt der Knabe offenbar war. Königin Marie hielt in ihrer Chronik fest: »Ludwig hörte mit Freuden zu, wenn ich ihm biblische Geschichten erzählte und Bilder dazu zeigte. Besonders die Geschichte der Samariterin sprach ihn an und die Sonntagsevangelien. Er hatte eine Vorliebe für die Frauenkirche in München, kostümierte sich gern als Klosterfrau, zeigte Freude am Theaterspielen, liebte Bilder und dergleichen, hörte gern vorlesen und Geschichten erzählen und schenkte von Kindheit an gern anderen von seinem Eigentum, Geld und Sachen.«

Aus diesen Berichten und Aufzeichnungen schält sich der spätere »Märchenkönig« Ludwig II. bereits in Ansätzen heraus. Gerade die bemerkenswerte Großzügigkeit im Schenken sollte Ludwig bis zu seinem Lebensende nicht ablegen. Dass ihm zeitlebens der rechte Bezug zum Geld fehlte, wird ebenfalls schon in den Kindheits- und Jugendjahren deutlich. Mit nur sehr moderatem Taschengeld bedacht, war Ludwig der Ansicht, er könne mit geringen Beträgen kostbare Geschenke beispielsweise für seine Mutter erwerben. Die Enttäuschung war groß, wenn ihm seine Wünsche dann aufgrund Geldmangels verwehrt blieben.

Prägungen und Einflüsse

Der königlichen Familie standen gleich mehrere Schlösser zur Verfügung, in denen sie zusammen mit zahlreichen Bediensteten wohnen konnte. Im Winter war die Residenz in München der bevorzugte Aufenthaltsort, im Sommer gab es eine größere Auswahl. Unbestritten war das von Maximilian in seiner Zeit als Kronprinz aus einer Ruine wiedererrichtete Hohenschwangau im Allgäu das beliebteste Refugium. Es liegt – unweit von Füssen – idyllisch zwischen zwei Seen vor den Alpen. Wie wohl an keinem anderen Ort erhielt Ludwig II. hier seine Prägung.