Zum Buch

 

Der Gastwirtssohn Johannes Turmair (1477–1534) aus Abensberg, besser bekannt als Aventinus, machte eine erstaunliche Karriere: Er wirkte am Hofe Herzog Wilhelms IV. als einflussreicher Prinzenerzieher. Während seiner Tätigkeit als offizieller Landeshistoriograf leistete er eine immense Forschungsarbeit in den bayerischen Archiven und betrieb kritische Quellenstudien. Seine Werke waren wegweisend für die neuzeitliche Geschichtsschreibung in Deutschland. In ausdrucksstarker Umgangssprache machte er sein Wissen jedermann zugänglich und beschrieb Land und Leute so treffend, dass man seine Texte heute noch gerne liest.

Die Biografie von Christine Riedl-Valder beleuchtet Lebenswerk und Schicksal des bedeutenden Humanisten, der als kritischer Freigeist nach Unabhängigkeit strebte, im katholischen Herzogtum aber einen schweren Stand hatte.

 

 

 

Zur Autorin

 

Christine Riedl-Valder,
Dr. phil., geb. 1957 in Straubing, studierte in Wien und Regensburg. Sie arbeitet als Kulturjournalistin und hat viele Beiträge zur Literatur, Kunst und Geschichte Bayerns veröffentlicht.

Biografien machen Vergangenheit lebendig: Keine andere literarische Gattung verbindet so anschaulich den Menschen mit seiner Zeit, das Besondere mit dem Allgemeinen, das Bedingte mit dem Bedingenden. So ist Lesen Lernen und Vergnügen zugleich.

Dafür sind gut 100 Seiten genug – also ein Wochenende, eine längere Bahnfahrt, zwei Nachmittage im Café. Wobei klein nicht leichtgewichtig heißt: Die Autoren sind Fachleute, die wissenschaftlich Fundiertes auch für den verständlich machen, der zwar allgemein interessiert, aber nicht speziell vorgebildet ist.

Bayern ist von nahezu einzigartiger Vielfalt: Seinen großen Geschichtslandschaften Altbayern, Franken und Schwaben eignen unverwechselbares Profil und historische Tiefenschärfe. Sie prägten ihre Menschen – und wurden geprägt durch die Männer und Frauen, um die es hier geht: Herrscher und Gelehrte, Politiker und Künstler, Geistliche und Unternehmer – und andere mehr.

Das wollen die KLEINEN BAYERISCHEN BIOGRAFIEN: Bekannte Personen neu beleuchten, die unbekannten (wieder) entdecken – und alle zur Diskussion um eine zeitgemäße regionale Identität im Jahrhundert fortschreitender Globalisierung stellen. Eine Aufgabe mit Zukunft.

 

Dr. Thomas Götz, Herausgeber der Buchreihe, geboren 1965, studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie. Er lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Regensburg und legte mehrere Veröffentlichungen, vor allem zu Stadt und Bürgertum in Bayern und Tirol im 18., 19. und 20. Jahrhundert, vor. Darüber hinaus arbeitet er im Museums- und Ausstellungsbereich.

CHRISTINE RIEDL-VALDER

 

 

 

Aventinus

 

 

Pionier der Geschichtsforschung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag Friedrich Pustet
Regensburg

Impressum

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

eISBN 978-3-7917-6053-7 (epub)

© 2015 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg

Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg

 

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:

ISBN 978-3-7917-2654-0

 

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Informationen und Bestellungen unter verlag@pustet.de

Ein Lebensweg an der Schwelle zur Neuzeit – Ideale und Widersprüche

»Viel hängt davon ab, in welcher Zeit

sich jeder bewähren muss.«

 

Diesen Ausspruch von Plinius hat Johannes Turmair (1477–1534), der als »Aventinus« – das heißt »der Abensberger« – Karriere machte, gern zitiert. Er war sich der begrenzten Möglichkeiten und Wirkungen des eigenen Handelns schmerzlich bewusst. Aus einfachen Verhältnissen stammend, führte ihn sein Lebensweg in die Zentren der gelehrten und politischen Welt. Nach dem Studium an europäischen Elitehochschulen und der einflussreichen Tätigkeit als Prinzenerzieher schrieb er als erster offizieller Landeshistoriograf im Dienste Herzog Wilhelms IV. im wahrsten Sinne des Wortes Geschichte. Mit seiner immensen Recherchearbeit in den bayerischen Archiven und seinen kritischen Quellenstudien, in die er als einer der ersten auch Realien (Inschrifttafeln, Grabsteine, Bodendenkmäler, Münzen etc.) mit einbezog, verhalf er der modernen historischen Forschung in Deutschland zum Durchbruch. Seine sorgfältige Überlieferung rettete der Nachwelt die Kenntnis vieler Urkunden und Inschriften, die im Laufe der nachfolgenden Jahrhunderte durch Kriege und Zerstörungen verloren gingen.

Mit dem gesammelten Material schrieb er in Abensberg seine Hauptwerke, die in gelehrtem Latein verfassten »Annales ducum Boiariae« (Jahrbücher der Herzöge von Bayern) und die »Baierische Chronik«, eine Übersetzung in die damalige Umgangssprache, die seine Erkenntnisse auf unterhaltsame und volksnahe Weise vermittelte. Er wollte seine Leser davon überzeugen, dass die Geschichte als Lehrmeisterin des Lebens von großem Nutzen ist. Im mittelalterlichen Weltbild des Autors werden die historischen Ereignisse jedoch noch als Ergebnis göttlicher Allmacht und Vorsehung interpretiert.

Dank Aventins »Hauskalender«, in dem fast zwei Drittel seines Lebens mit tagebuchartigen Einträgen erfasst sind, wissen wir viel über die Biografie und die Kontakte des Gelehrten. Zum Teil manifestiert sich darin das widersprüchliche Wesen des großen Humanisten: Aventin strebte danach, sich als unabhängiger Intellektueller zu äußern – für seinen Lebensunterhalt sorgten jedoch die bayerischen Herzöge, die seine Werke als ihr Eigentum betrachteten und auf seine konträre politische Haltung mit Publikationsverbot reagierten. Mit schärfster Kritik kommentierte der Gelehrte die Verfehlungen des Klerus – doch pflegte er engen freundschaftlichen Umgang mit geistlichen Würdenträgern, deren Lebenswandel ebenfalls alles andere als vorbildlich war. Aventin war davon überzeugt, dass der Mensch für seine Taten allein verantwortlich sei – und glaubte doch an den Weltenlenker Gott, der Kriege und Seuchen als Strafe über die Völker schickt. Er war ein glühender bayerischer Patriot – wünschte sich aber einen machtvollen Kaiser und ein starkes Reich.

Die vorliegende Biografie macht den Leser mit der außergewöhnlichen Persönlichkeit und Lebensleistung des Johannes Aventinus in der Epoche des Übergangs zwischen Spätmittelalter und Neuzeit bekannt. Ihr Untertitel trägt seiner überragenden Bedeutung bei der Ermittlung historischer Quellen Rechnung, ihr Inhalt hat aber sein gesamtes Schaffen im Blick. Vom Ideal des »uomo universale« der italienischen Renaissancekultur geprägt, strebte er nach umfassender Bildung, leistete für eine Reihe von Wissenschaften grundlegende Beiträge und versuchte auch, seine Erkenntnisse politisch umzusetzen. Nicht zuletzt begründete er mit seiner unverblümten Charakteristik des bayerischen Volkes den »Mythos Bayern«, der bis heute nachwirkt. Die »Moritat in 13 Holzschnitten« über das Leben des Gelehrten, 1976 geschaffen von dem Abensberger Künstler Ferdinand Kieslinger, spricht dieselbe Sprache und ist daher zur Illustration der vorliegenden Biografie bestens geeignet.

Dieses Buch will auch dazu einladen, die einstige Welt des berühmten bayerischen Historikers selbst zu erforschen. Seine Heimatstadt Abensberg bietet dazu noch heute ein eindrucksvolles Ambiente (siehe Kap. 1). Auch seine Werke, deren derbe Direktheit manchmal erstaunt, sind bequem zugänglich. Das Aventin-Projekt der Bayerischen Landesbibliothek hat jüngst die bekannten Handschriften und Drucke Aventins im Internet veröffentlicht (www.bayerische-landesbibliothek-online.de/aventin). Damit ist jeder interessierte Geschichtsfreund in der Lage, seiner Neugier ganz nach Art der Humanisten freien Lauf zu lassen und sich anhand der Originale ein eigenes Bild zu machen.

 

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Abb. 1: Dess da is die gantze Gschicht vom Turmair Hans vo Amsperg der se selm Aventinus gschriebn hot und der wo weit über d Stadt Mauer naus bekannt gwesn is. Glebt hot er vom Jor 1477 bis 1534. In Holz gschnittn hot des alls da Kieslinger Ferdl von Amsperch (Hier und im Folgenden: aus der Holzschnittfolge »Das Leben Aventins« von Ferdinand Kieslinger, 1976; hier Titelblatt).

 

1   Auf Spurensuche – Der Sohn des Weinwirts

Im Norden der Hallertauer Hopfenfelder liegt an der Stelle, an der die Abens ihren Verlauf nach Westen ändert, um dann nach wenigen Kilometern in die Donau zu münden, die nach dem Fluss benannte einstige Residenzstadt Abensberg. Am 4. Juli 1477, dem St. Ulrichstag, wurde hier dem Hof- und Weinwirt Peter Turmair, der seine Taverne am Stadtplatz hatte, als erstes Kind ein Sohn geboren. Als »Aventinus«, das heißt »der Abensberger«, sollte dieser Junge später als bedeutendster Sohn der Stadt in die Geschichte eingehen und mit seinem Lebenswerk die Mit- und Nachwelt nachhaltig beeinflussen.

Sein Elternhaus, ein markantes Gebäude mit rechteckigem Erker im Erdgeschoss und spätmittelalterlichem rundbogigem Tor, blieb im Kern bis heute erhalten. Unter dem Namen »Hofbräu« lädt es wie einst zur Einkehr ein (Stadtplatz 13; um 1730 mit dem Nachbarhaus vereint). 1877 hat man zum 400. Geburtstagsjubiläum des berühmten Abensbergers an der Fassade eine Gedenktafel angebracht. Von diesem Stadtort aus lässt sich das erste Umfeld des bedeutendsten Humanisten Bayerns in kurzen Wegen mühelos erkunden.

In den kleinen Marktplatz mündeten damals wie heute die drei Hauptstraßen aus Richtung Regensburg, Freising/München und Kelheim sowie der Verbindungsweg zur weitläufigen, mittlerweile größtenteils durch Neubauten ersetzten Burg. Kupferstiche beweisen, dass sie noch im 18. Jahrhundert den Anblick einer stattlichen Anlage bot.

Den davor befindlichen Platz hat man Aventin gewidmet. Das imposante Denkmal, 1861 von dem klassizistischen Bildhauer Maximilian Puille aus Kelheimer Marmor geschaffen, wurde der Stadt vom Historischen Verein übereignet. Im angrenzenden Herzogskasten, um 1450 als Vorratsspeicher erbaut und seit seiner Sanierung 2005 Sitz des Stadtmuseums, werden kunst- und kulturhistorische Zeugnisse aus Aventins Zeit verwahrt. Keine 100 Meter entfernt gelangte man einst durch das Abenstor in die direkt vor der Stadtmauer gelegene idyllische Flusslandschaft, die hier ihren natürlichen Lauf bewahrte und sich in vielen Mäandern durch feuchte Auwiesen schlängelt.

 

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Abb. 2: Dass erst Stuck: Wias im Johr 1477 beim Turmair Petern am Stadtplatz an Buam kriagt ham und wias n na auff den seltna nam Hansi ham dauffa lassen (»Das Leben Aventins«, Blatt 1).

 

An das Elternhaus des Gelehrten auf dem Abensberger Stadtplatz reihen sich weitere bürgerliche Giebelhäuser. Einige, wie das spätgotische Rathaus mit geschweiftem Renaissancegiebel, stammen noch aus dem 16. Jahrhundert. Auch in den umliegenden verwinkelten Gassen trifft man auf mittelalterliche Gebäude und Reste der einstigen Stadtbefestigung, zum Beispiel auf das alte Regensburger Tor mit seinem dreistöckigen Turm. So bietet ein Rundgang durch Abensberg dem Besucher noch heute die Möglichkeit, sich in die Zeit des großen Gelehrten zurückzuversetzen.

In der nur wenige Schritte östlich der Turmair’schen Taverne gelegenen Pfarrkirche St. Barbara erhielt der Junge die Taufe und den Vornamen Johannes. Sein Vater war ein angesehener Mann, dessen Vorfahren wohl aus der bäuerlichen Oberschicht des Umlandes stammten. Eine Urkunde erwähnt Peter Turmair 1481 erstmals als Bürger von Abensberg. 1486 war er Mitglied des Stadtrats, eines Gremiums, zu dem nur finanzkräftige Einheimische Zugang hatten. Die Gastwirtschaft am Stadtplatz brachte so viel Gewinn, dass Peter Turmair 1487 von dem Neustädter Wolfgang Rynnemair ein Bräuhaus in Abensberg erwerben konnte. 1495 hatte er sogar das Bürgermeisteramt inne. Zwei Jahre später pachtete er den im Besitz des Bistums Bamberg befindlichen »Kammerhof« in Sandharlanden, der reichen Ertrag abwarf.

Während der Vater in den zeitgenössischen Quellen einige Spuren hinterlassen hat, ist über die Mutter des bedeutenden Humanisten nur wenig bekannt. Der Name der Bürgerin »Susanna Türmayrin«, die entweder die Großmutter oder auch seine Mutter gewesen sein könnte, findet sich in einer Urkunde über eine Messstiftung in der Pfarrkirche Abensberg aus dem Jahr 1471. Gesichert ist nur, dass sie der reichen Bauernfamilie Küsser aus Sandharlanden entstammte. Aventin selbst hat sie in seinen Aufzeichnungen nicht erwähnt. Neben dem jüngeren Bruder Georg gehörten noch die drei Schwestern Anna, Margarete und Katharina zur Familie.

»Aventperg … dise statt ist mein haimat …«

Die bäuerlich-bürgerliche Siedlung an der Residenz der Abensberger hatte im 14. und 15. Jahrhundert als Handelsmittelpunkt eines weiten Umlandes stetigen Aufschwung erlebt. Nachdem Ulrich III. für Abensberg 1348 das Marktrecht sowie die Hohe und Niedere Gerichtsbarkeit erhalten hatte, ließ er eine Ringmauer um den Ort errichten. Im Gedenken an die zahlreiche Nachkommenschaft seines mutmaßlichen Stammvaters Pabo/Babo, der mit zwei Frauen 40 Kinder, darunter acht Mädchen, gezeugt haben soll, hat er der Überlieferung zufolge die Befestigung mit 32 Rund- und 8 Ecktürmen bestückt (im 19. Jahrhundert zum Großteil abgerissen). Von demselben Regenten erhielten die Abensberger Bürger 1366 das Recht, einen Rat zu wählen und die Niedere Gerichtsbarkeit über sich selbst auszuüben. 1389 wird Abensberg erstmals als Stadt bezeichnet.

 

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Abb. 3: Ansicht von Abensberg. – Holzschnitt von Jost Amman aus dem Jahr 1579.

 

Ulrichs Nachfolger, Johann II., und seine Frau Agnes beriefen 1389 die Karmeliten nach Abensberg, schenkten ihnen ein Grundstück im Ortszentrum als Bauplatz und sicherten den Unterhalt ihrer Niederlassung durch eine reich bemessene Stiftung. In der Folgezeit entwickelte sich das Kloster zum geistigen Mittelpunkt der Stadt. Die Grafen von Abensberg bestärkten die Bedeutung ihrer Residenzstadt, indem sie 1468 ihre Familiengrablege von Kloster Rohr hierher verlegten. Sie ließen an der Südseite des Chors der Karmelitenkirche eine dem hl. Antonius geweihte Grabkapelle anbauen und 1469 in der Mitte der Klosterkirche ein repräsentatives Hochgrab für Johann III. errichten (seit 1880 im Nordflügel des Kreuzgangs aufgestellt).

Sein Sohn, Niklas von Abensberg, war eine umstrittene Persönlichkeit und in zahlreiche Auseinandersetzungen verwickelt. Er führte nach seiner Amtsübernahme 1477 eine großzügige Almosenspende ein, die bis ins 19. Jahrhundert Bestand hatte. Jedes Jahr am Nikolaustag erhielten die Bedürftigen in seiner Residenz Brot und Fleisch – dafür wurden allein 32 Rinder geschlachtet. 5000 bis 6000 Bettler sollen deswegen stets in der Adventszeit in den Ort gekommen sein.

Die mächtige Burg, von der heute nur noch Reste vorhanden sind, thronte auf einer Fläche von rund 120 auf 80 Meter im Südosteck der Stadt. Mit tiefen Grabenanlagen im Westen und Norden, einer Ringmauer mit sechs Flankierungstürmen, Vorburg und Hauptburg, die über 20 große und kleine Säle aufwies, sowie der zweigeschossigen St. Nikolauskapelle war sie eine beeindruckende Anlage, die die Macht der reichsfreien Abensberger Sippe augenfällig demonstrierte.

Neben der Residenz beherrschen die beiden gotischen Bauwerke der Karmelitenklosterkirche, die nach den Regeln des Bettelordens nur ein Dachreiter ziert, und der St. Barbarakirche mit ihrem hohen, schlanken Turmhelm die Stadtsilhouette. An der Pfarrkirche wurde damals noch gebaut. Mit besonderen Ablässen versuchten der päpstliche Legat Kardinal Nikolaus von Kues und andere kirchliche Würdenträger in den Jahren 1451, 1466 und 1479 die Spendenfreudigkeit der Gläubigen zu beflügeln, um auf diese Weise die Finanzierung der Wölbung des Langhauses und der Ausstattung zu erreichen.

Wie sehr die Gesellschaft in jener Zeit noch im mittelalterlichen Denken verhaftet war, verdeutlichen auch die Vorfälle im sogenannte Hexenunwesen: 1491 sah sich der Regensburger Bischof Heinrich IV. von Absberg zum Handeln genötigt. Seiner Ansicht nach hatte das Auftreten von Hexen, Wahrsagern, Zauberern und Losdeutern in Abensberg und seiner Umgebung zu sehr überhandgenommen. Auch sein Nachfolger, Bischof Rupert II. (1492–1507), war in dieser Hinsicht sehr aktiv. Der damalige Abensberger Pfarrer, Magister Erasmus Rambein, zeigte nach Ansicht der Obrigkeit zu wenig Eifer in der Verfolgung und Bestrafung dieser Personen. Deshalb erhielt er eine scharfe Rüge von Wolfgang Haimstöckl, dem Propst des Klosters Rohr und Stellvertreter des päpstlichen Inquisitors, verbunden mit der dringenden Aufforderung, das in Abensberg grassierende Aufkommen dieser Individuen mit allen Mitteln zu bekämpfen.

 

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Abb. 4: Dass ander Stuck: Wia da Vata voller Stolz am Biertisch sagt dass der Hanns a hells Köpfl hot und dass er eahm amal ins Kloster ummi schicken will (»Das Leben Aventins«, Blatt 2).

 

Der Mord an Ritter Niklas

In die Kindheit von Johannes Turmair fällt ein denkwürdiges Ereignis. Ab dem Jahr 1485 sollten sich die politischen Verhältnisse in seiner Heimatstadt grundlegend ändern, nachdem Graf Niklas von Abensberg überraschend einem gewaltsamen Tod zum Opfer gefallen war.

Auslöser für diese Tat waren Auseinandersetzungen innerhalb der Herzogsfamilie gewesen. Zwischen den Söhnen Albrechts III. von Bayern-München kam es wegen der Landesteilung zum Streit. Graf Niklas machte sich dem Erstgeborenen, Herzog Albrecht IV., dienstbar und nahm 1471 in dessen Auftrag den jüngeren Bruder Christoph gefangen, indem er ihn entgegen aller guten Sitten im Bade überfiel. Das Brüderpaar versöhnte sich danach zunächst, 14 Jahre später jedoch brach der Konflikt erneut aus. Diesmal führte Niklas als oberster Hauptmann das Heer Albrechts gegen Christoph. Bei Freising geriet er in einen Hinterhalt und wurde bei seiner Gefangennahme am 28. Februar 1485 von Seitz von Frauenberg, dem Knappen Herzog Christophs, hinterrücks erstochen.

 

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Abb. 5: Das Abensberger Schloss von Osten aus gesehen.

 

Am 2. März 1485 fanden in der Residenzstadt die Trauerfeierlichkeiten und das Begräbnis statt. Dieses Ereignis hat der damals siebenjährige Johannes Turmair vermutlich als Augenzeuge miterlebt. Es war für ihn vielleicht ein Anstoß, sich als Erwachsener in seinen Forschungen ausgiebig mit der Abensberger Adelsfamilie zu beschäftigen. Graf Niklas, der den späteren Aufzeichnungen des Gelehrten zufolge 1441 durch den berühmten Kardinal Nikolaus von Kues in der Burgkapelle die Taufe erhalten hatte, war als Palästina-Fahrer und draufgängerischer Kämpfer ein typischer Vertreter seines Standes. Große Anerkennung war ihm zuteilgeworden, als er bei der Landshuter Hochzeit 1475 die Ehre der deutschen Ritter rettete, indem er den hochmütigen Grafen Lubin von Polen im Turnier aus dem Sattel gehoben hatte. Nun wurde er in Abensberg nach alter Sitte mit Helm und Schild beigesetzt und erhielt seine letzte Ruhestätte im Karmelitenkloster.

Zwei Jahre später ließ der bayerische Hof für den treuen Gefolgsmann am Ort seiner Ermordung südlich von Freising einen Gedenkstein errichten. 1804 auf Veranlassung von Kurfürst Maximilian IV. Joseph erneuert, kündet er noch heute von der Bluttat an diesem Ort.

 

Von der Residenzstadt zum Pfleggericht – Der Untergang der Abensberger

Die Vertreter des Abensberger Grafengeschlechts betonten stets stolz ihre Abstammung von den Paponen, den Burggrafen von Regensburg-Riedenburg, und deren Stammvater Papo/Babo I. Aventin und nachfolgende Forscher haben dies anhand von Quellen sowie familiären, besitz- und herrschaftlichen Verflechtungen zu bestätigen versucht. Letztendlich erscheint diese Herkunft naheliegend; ein schlüssiger Beweis fehlt jedoch. Gesichert ist der Nachweis der Sippe ab dem 11. Jahrhundert; seit 1130/40 tritt die Herkunftsangabe »de Abunsberch« auf. Die erste Erwähnung der Burg »castrum Abensperch« erfolgte 1256. Das Geschlecht der Abensberger gehörte schon früh zur Führungsschicht in Bayern.

Obwohl selbstständige Herrschaft, standen die Abensberger doch zunehmend unter dem Druck der Wittelsbacher. Niklas von Abensberg, der 1467 mit Martha von Montfort-Werdenberg die Ehe eingegangen war, hatte sich bei seinem Amtsantritt 1477 von Kaiser Friedrich III. sein reiches Erbe bestätigen lassen. Da er keinen männlichen Nachkommen hatte, adoptierte er einen Neffen seiner Gemahlin, Graf Johann von Montfort-Rothenfels, um damit den Fortbestand des Besitzes für die Familie zu sichern. Nach dem Mord an Graf Niklas hätte die Herrschaft Abensberg deshalb dem Adoptivsohn zufallen müssen. Stattdessen besetzte Herzog Albrecht IV. von Bayern-München mit seinen Truppen die Grafschaft und nahm sie rechtswidrig in Besitz. Den legitimen Erben bewegte er durch eine Geldzahlung zum Verzicht auf seine Ansprüche. Abensberg wurde zum Sitz eines bayerischen Pfleggerichts. In die Residenz zogen Beamte des Herzogs ein. Bereits am 16. Februar 1486 wurde als erster Jörg Nothaft zu Wernberg in dieses Amt berufen. 1487 heiratete der Herzog in Innsbruck ohne Einwilligung von Kaiser Friedrich III. dessen Tochter Kunigunde und behielt den Abensberger Besitz als Pfand für die nunmehr fällige Mitgift. Erst nach der Zahlung einer großen Geldsumme bestätigte Ende 1493 der Sohn des verstorbenen Kaisers, König Maximilian, die rechtliche Zugehörigkeit der Herrschaft Abensberg zum bayerischen Herzogshaus.

Trotz dieses Verlustes an politischer Unabhängigkeit behielt Abensberg noch eine Zeit lang seinen Glanz als einstiger reichsfreier Herrschaftssitz. Als der Ingolstädter Mathematikprofessor Philipp Apian zwischen 1554 und 1563 im herzoglichen Auftrag Bayern bereiste und Vermessungen durchführte, schwärmte er noch: »Abensperg. Stadt und Burg sind sehr ansehnlich … Dies ist der Heimatort von Johannes Aventinus, des um Bayern höchst verdienten Geschichtsschreibers ….«

 

 

Die Lateinschule