Zum Buch

 

Heidelberg ist etwas Besonderes. Seit der mutmaßlichen Gründung im 13. Jahrhundert zieht diese Stadt Menschen von überall her an. Manche bleiben ein Leben lang, andere nur für die Dauer eines Reiseaufenthalts oder Studiums – die wenigsten lässt Heidelberg dabei kalt. Seine Schönheit wurde schon in zahllosen Liedern und Gedichten gepriesen – von Oswald von Wolkenstein über Hölderlin und Goethe bis in unsere Zeit. Zugleich stand und steht Heidelberg immer wieder im Brennpunkt unterschiedlicher Interessen, ob als politisches Zentrum der Kurpfalz bis ins 18. Jahrhundert oder als Stadt der Romantik, ob als Sitz von Deutschlands ältester Universität oder als Touristenmagnet. Von alledem erzählt diese Kleine Stadtgeschichte mit Blick auf das Wesentliche – und auf äußerst unterhaltsame Weise.

 

 

Zum Autor

 

Oliver Fink, Dr. phil., geboren 1969, ist Redakteur in der Pressestelle der Universität Heidelberg. Zum Thema Heidelberg hat der Autor bereits mehrere erfolgreiche Bücher verfasst.

Oliver Fink

Heidelberg
Kleine Stadtgeschichte

VERLAG FRIEDRICH PUSTET

REGENSBURG

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

eISBN 978-3-7917-6059-9 (epub)

© 2015 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg

Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg

 

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:

ISBN 978-3-7917-2680-9

 

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Informationen und Bestellungen unter verlag@pustet.de

Vorwort

Seit den Anfängen im 12. und 13. Jahrhundert hat Heidelberg Menschen von überall her angezogen. Manche blieben ein Leben lang, andere nur für die Dauer eines Reiseaufenthalts oder eines Studiums. In zahllosen Liedern und Gedichten wurde die Stadt schon gepriesen. Zugleich stand und steht dieser Ort immer wieder im Brennpunkt unterschiedlicher Interessen – ob als politisches Zentrum der Kurpfalz mit europäischen Dimensionen oder als Stadt der Romantik, ob als Sitz Deutschlands ältester Universität oder als Touristenmagnet. Von ihren keltischen und römischen Ursprüngen noch vor der eigentlichen Stadtgründung an ist die Entwicklung Heidelbergs bis heute geprägt durch Höhen und Tiefen, durch Katastrophen und Glücksmomente.

Von alledem erzählt die Kleine Heidelberger Stadtgeschichte mit Blick auf das Wesentliche. Das Buch, das hiermit in einer zweiten, überarbeiteten Auflage erscheint, versteht sich als hoffentlich kurzweilige Einführung für den Heidelberg-Neuling. Dem erfahrenen Heidelberg-Liebhaber und -Kenner soll damit eine kompakte Darstellung an die Hand gegeben werden, mit der er oder sie die eine oder andere historische Episode schnell wieder vergegenwärtigen kann. Der Umfang verrät es aber schon: Manches kann nur angedeutet werden, anderes muss leider unerwähnt bleiben – der Mut zur Lücke zählt. Wer nach der Lektüre noch mehr wissen möchte über die erstaunliche Biographie Heidelbergs, der sei auf die umfangreiche und weit verzweigte Literatur zu diesem Thema verwiesen. Ohne sie wäre auch diese kleine Stadtgeschichte nicht denkbar – eine große Stadtgeschichte steht übrigens immer noch aus.

 

Heidelberg, im Herbst 2014     Oliver Fink

Kelten, Römer und Germanen: Heidelberg vor seiner Gründung

Es gibt Städte mit einem mehr oder weniger exakt datierbaren Gründungsakt und es gibt solche, deren Entstehung durch Legenden und Mythen geradezu literarisch verbrämt worden ist. Im Falle Heidelbergs ist weder das eine noch das andere bekannt – die Anfänge dieser Stadt liegen im Dunkeln. Eher beiläufig wird ein »Heidelberch« in einer im Herbst 1196 abgefassten Urkunde des benachbarten Zisterzienserklosters Schönau zum ersten Mal erwähnt. Zu diesem Zeitpunkt war der Ort aber wahrscheinlich längst über seine Gründungsphase hinausgewachsen.

Unter Heidelberg verstand man damals eine hochgelagerte Burg, zu deren Füßen ein gleichnamiger Weiler im Bereich der heutigen Altstadt lag, der sich vor allem entlang der Klingenteichstraße erstreckte. Im Hof der Neuen Universität (Grabengasse 3–5) haben Archäologen Überreste dieses ältesten Siedlungskerns aus dem 12. Jahrhundert ans Tageslicht befördert – eine durchaus stattliche Anlage mit mehreren, wohl zum Teil turmartigen Gebäuden. Noch früheren Datums sind dagegen die im Umland der Stadt gelegenen und später eingemeindeten Dörfer wie beispielsweise Handschuhsheim, Wieblingen oder Neuenheim. Ihre Existenz lässt sich teilweise bis ins 6. Jahrhundert zurückverfolgen. Doch auch damit ist nicht der historische Ausgangspunkt erreicht. Denn viel älter nämlich als »Heidelberch« und seine umliegenden Ortschaften sind Siedlungsspuren, die insbesondere Römer und Kelten in dieser Gegend hinterlassen haben. Bei ihnen handelt es sich um die eigentliche Vor- und Frühgeschichte der Stadt am Neckar.

Auf dem Heiligenberg

Archäologische Funde belegen, dass spätestens in der jüngeren Steinzeit – also im 5. Jahrtausend v. Chr. – Menschen im Heidelberger Raum sesshaft wurden. Nicht mehr nur die Jagd oder das Sammeln von Früchten und Wurzeln dienten der Nahrungsbeschaffung, auch das Bestellen von Feldern und die Viehzucht standen nun auf dem Selbstversorgungsprogramm. Dörfliche Gemeinschaften bildeten sich, Häuser aus Holz, Stroh und Lehm wurden gebaut. Überreste solch jungsteinzeitlicher Zivilisationen wie beispielsweise die der Bandkeramiker oder der Rössener Kultur konnten hier gefunden werden. Auch die spätere Bronzezeit hat entsprechende Spuren hinterlassen. Doch erst mit den vor allem in West- und Mitteleuropa siedelnden Kelten tritt im Heidelberger Raum eine Volksgruppe in Erscheinung, über die detailliertere Kenntnisse vorliegen. Sie hatten bereits eine eigene Schrift entwickelt, ein Münzwesen aufgebaut und befestigte, stadtartige Zentralorte nach griechischem Vorbild errichtet. Eine solche Anlage mit einer Fläche von fast 60 Hektar hat wohl auch an exponierter Stelle auf dem Heiligenberg bestanden, der sich dort erhebt, wo der damals noch reißende Neckar in die nördliche Oberrheinebene austritt.

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Abb. 1: Keltenkopf aus dem 5./4. Jahrhundert v. Chr., gefunden in Heidelberg-Bergheim

Das heute nur noch schwer erkennbare Ringwallsystem, das die dort gelegene Keltensiedlung umfasst haben soll, zählt zu den größten seiner Art, die im südlichen Mitteleuropa bekannt sind. 2,5 Kilometer beträgt der Umfang des oberen Rings, der des unteren Rings immerhin 3,1 Kilometer. Innerhalb dieser Befestigung konnten durch Grabungen zahlreiche Wohnstellen und auch eine Quelle lokalisiert werden sowie eine mit Wagen befahrbare Straße. Zu datieren sind diese Funde auf die Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. Lange hielt es die Kelten aber nicht auf dem Heiligenberg. Etwa 200 Jahre später wurde dieser Ort ohne Anzeichen von äußerer Gewalteinwirkung offenbar wieder aufgegeben – vor allem die Wasserversorgung dürfte ein Problem für die dortigen Bewohner gewesen sein. Manche Historiker vermuten, dass die Siedlung nun in die Ebene verlagert wurde – möglicherweise an die Stelle des benachbarten Ladenburg, das keltischen Ursprungs ist. Konkrete Hinweise dafür gibt es jedoch keine. Prinzipiell lebten Kelten aber sowohl vor als auch nach der Besiedlung des etwa 440 Meter über dem Meeresspiegel thronenden Hügels an vielen Stellen im Heidelberger Raum.

 

HINTERGRUND

 

Ur-Bürger? Der Homo heidelbergensis

Nein, den Titel eines Ur-Bürgers kann man ihm schwerlich verleihen. Wenn schon, müsste man noch weiter ausholen. Denn der sogenannte Homo heidelbergensis ist einer der ältesten Menschen Europas überhaupt. Als man 1907 seinen Unterkiefer in einer Sandgrube bei Mauer, einer Gemeinde südlich von Heidelberg, entdeckte, handelte es sich um den bis dahin ältesten Fund unter Europas Urmenschen-Belegen; erst in jüngerer Zeit hat man – etwa in Spanien – menschliche Überreste noch höheren Alters ausgemacht. Der bei Heidelberg aufgetauchte Homo erectus, so die korrekte Gattungsbezeichnung für den bereits aufrecht gehenden Urmenschen, lebte in den hiesigen Wäldern wohl als Jäger und kam vor rund 600 000 Jahren zu Tode. Wissenschaftlich beschrieben wurde er (beziehungsweise sein dentaler Überrest) gleich nach der Ausgrabung von Otto Schoetensack, Privatdozent an der Universität Heidelberg. Von ihm stammt auch der bis heute im menschlichen Stammbaum gebräuchliche Name Homo heidelbergensis. Der Grabungsgehilfe Daniel Hartmann übrigens, dem das Verdienst gebührt, den Unterkiefer entdeckt zu haben, war sich der Bedeutung dieses spektakulären Funds offenbar sogleich bewusst: »Heit haw ich de Adam g’funne«, soll er noch am gleichen Abend in geselliger Runde erzählt haben.

 

Einige Rätsel aufgegeben und die Phantasie beflügelt hat auf dem Heiligenberg auch ein Schacht, der dort etwa 50 Meter in die Tiefe reicht. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts berichtete der französische Romancier Victor Hugo von einem nächtlichen Spaziergang, bei dem er auf diese Vertiefung stieß und plötzlich eine zunächst nicht identifizierbare, unheimliche Stimme ihm mehrmals den bis heute gebräuchlichen Namen »Heidenloch« zuraunte. Spekuliert wurde schon, dass es sich dabei um einen Geheimgang zum gegenüberliegenden Schlossberg handeln könnte oder zu anderen Orten in der Umgebung. Vermutet wurde ebenso eine Nutzung als Zisterne, wofür sich der Schacht allerdings, wie man nachträglich herausgefunden hat, nicht sonderlich gut geeignet hätte. Wahrscheinlich handelt es sich vielmehr um einen Opferschacht noch aus keltischer Zeit, daher auch der etwas despektierlich klingende Name Heidenloch.

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Abb. 2: Relief des reitenden Mithras um 200 n. Chr., entdeckt in einem Mithräum am Fuße des Heiligenbergs

Ganz offensichtlich aber haben die seit Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. im Heidelberger Raum siedelnden Römer den Heiligenberg zu einem zentralen Ort ihrer Götterverehrung gemacht. Auf seinem Gipfel errichteten sie einen Merkurtempel, daneben berichten mehrere Inschriften von weiteren Stiftungen und Weihungen, auch hier vor allem für den römischen Götterboten, dessen Begleitnamen Cimbrianus und Visucius Hinweise auf die Gleichsetzung mit einer germanischen beziehungsweise gallischen Gottheit liefern. Von religionsgeschichtlicher Bedeutung ist nicht zuletzt der zu römischen Zeiten in dieser Region stark verbreitete Mithras-Kult. In dessen Mittelpunkt stand die im Ritus nachempfundene Stiertötung durch den Gott Mithras – als Akt der Erlösung und Verheißung von Fruchtbarkeit gedeutet. Diese aus Persien kommende Mysterienreligion versprach somit im Gegensatz zum Glauben an die römischen Götter Unsterblichkeit – gewissermaßen in Konkurrenz zu dem noch jungen, nichtsdestotrotz zeitgleich expandierenden Christentum. Ein eindrucksvolles Sandsteinrelief (s. Abb. S. 11), das sich heute im Kurpfälzischen Museum der Stadt Heidelberg befindet, weicht vom üblichen Bildprogramm der Stiertötung ab: Es zeigt den reitenden Mithras als Herrscher über den Kosmos mit wehendem Mantel. Begleitet wird er dabei von Löwe und Schlange, Verkörperungen der Elemente Feuer und Erde. Gefunden hat man diese Darstellung in einem Mithräum, das im 19. Jahrhundert am Fuß des Heiligenbergs ausgegraben wurde. Dort hatten sich die Anhänger dieses Kultes getroffen. Ein reiner Männerbund übrigens – Frauen war der Zutritt strengstens verboten.

Erste Brücken über den Neckar

Mit den Römern tauchen erstmals Namen in Heidelbergs Vorgeschichte auf. Eine Inschrift nennt beispielsweise einen gewissen Valerius Paternus. Es handelt sich dabei um den Architekten einer rund 260 Meter langen Steinpfeilerbrücke über den Neckar (um 200 n. Chr.) – nicht der erste feste Flussübergang: Sie hatte eine ursprüngliche Holzkonstruktion an gleicher Stelle verdrängt. Seitdem sich das Interesse des römischen Kaisers Vespasian (69–79 n. Chr.) auf das rechte Oberrheingebiet gerichtet hatte, entstanden im Bereich der heutigen Stadtteile Neuenheim und Bergheim mehrere Militärlager – zunächst hölzerne Kastelle, um 90 n. Chr. auch eines aus Stein. Entsprechende Funde ließen auf eine teilberittene Einheit schließen. Der Stempel auf einem Ziegelstein brachte den Beleg, dass hier zeitweise die cohors II Augusta Cyrenaica equitata stationiert war. Ferner gibt die Weihinschrift eines Straßburger Legionärs namens Caius Verreius Clemens Auskunft darüber, dass in den dreißiger Jahren des 2. Jahrhunderts eine Spezialtruppe für den Schutz der Neckarbrücke zuständig war, was deren strategische Bedeutung zusätzlich unterstreicht.

Das römische Heidelberg, für das im Gegensatz zum Neckar (der Geschichtsschreiber Tacitus nennt den Fluss nicer) leider kein Name überliefert worden ist, entwickelte sich aufgrund des Flussübergangs, bei dem zwei Fernstraßen aus nördlicher und südlicher Richtung sich kreuzten, zu einem wichtigen Industriestandort. Die reichen Tonvorkommen im benachbarten Ziegelhausen ließen ein Töpfereizentrum entstehen, dessen Produkte auch ins Umland exportiert wurden. Mehr als 60 Werkstätten konnten bislang im Heidelberger Raum nachgewiesen werden, neben einfacher Gebrauchskeramik wurde dort auch hochwertiges Tafelgeschirr hergestellt. Dass bei der Produktion nicht alles gelang und schließlich verkauft werden konnte, brachte eine Grabung 1994 ans Tageslicht: Im Stadtteil Neuenheim fand man beim Bau einer Tiefgarage einen etwa 14 Meter tiefen Brunnenschacht mit Ausschussware und Fehlbränden. Er hatte offenbar als Entsorgungsanlage gedient.

 

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Abb. 3: Modell der von den Römern erbauten Steinpfeilerbrücke über den Neckar, die anstelle eines hölzernen Vorgängerbaus platziert wurde

 

Verdrängt wurden die Römer wiederum durch die Alamannen. Seit dem frühen 3. Jahrhundert n. Chr. durchbrach diese germanische Volksgruppe den Limes, fiel in das römische Grenzland ein und siedelte schließlich im heutigen Südwestdeutschland. Nicht nur die Brücke über den Neckar wurde zerstört – für das römische Heidelberg kam generell das Aus. In den kommenden Jahrhunderten bestanden hier lediglich einige Weiler und Hofstellen, nur wenige Funde aus dieser Zeit sind überhaupt gemacht worden. Erst neue geopolitische Konstellationen sorgten in dieser für die Nachwelt vergleichsweise dunkel gebliebenen Völkerwanderungszeit wieder für deutlichere Konturen. Durch den Sieg des Merowingerkönigs Chlodwig im Jahr 506 über die Alamannen nämlich wurde das untere Neckarland Teil des Frankenreichs. Und damit einher ging eine Christianisierung dieser Region, gesteuert insbesondere von den Bischöfen in Worms.

Kloster Lorsch

Mit dem Christentum setzt eine breitere schriftliche Überlieferung ein. Die ersten Urkunden, die den Heidelberger Raum betreffen, stammen aus dem westlich der Bergstraße gelegenen Kloster Lorsch, das in kurzer Zeit einen rasanten ökonomischen und politischen Aufstieg erlebt hatte. Bereits wenige Jahre nach der Gründung um 760 gehörte es zu den reichsten Abteien östlich des Rheins mit Besitztümern von der Schweiz bis hin zur Nordsee. Im Jahr 772 wurde es dem fränkischen König und späteren römischen Kaiser Karl dem Großen übereignet. Lorsch erhielt schließlich den Status einer Reichsabtei und wurde 882 auch Grablege des ersten »deutschen« Königs – Ludwigs II. – und seiner Dynastie.

Zur Grundherrschaft des Benediktinerklosters gehörten schon sehr früh zahlreiche Siedlungen des unteren Neckarraums. Im so genannten Lorscher Kodex (Codex Laureshamensis), einem Ende des 12. Jahrhunderts zusammengestellten Besitzverzeichnis, werden die späteren Stadtteile Handschuhsheim und Neuenheim (765), Rohrbach (766), Wieblingen (767) sowie Bergheim (769) zum ersten Mal erwähnt – sie bilden gewissermaßen die Urzellen des heutigen Heidelberg. Archäologische Funde zeigen freilich, dass die Gründungen dieser Dörfer zum Teil bis ins frühe 6. Jahrhundert zurückreichen.

Angesichts der umfangreichen Besitzungen geriet das Kloster Lorsch fast zwangsläufig in eine ausgesprochene Konkurrenzsituation zum Bistum Worms, denn als Reichsabtei unterstand es nicht dem dortigen Bischof. Und die Benediktiner konnten punkten. Im Zuge der Besitzergreifung des Heidelberger Raums gelang es ihnen Ende des 9. Jahrhunderts, mitten im Jurisdiktionsgebiet der Wormser einen wichtigen Stützpunkt zu errichten: Der Abt Thiotroch gründete auf dem Heiligenberg um 870 ein Filialkloster, um seinen Einfluss auch in diesem Bereich zu sichern. Geweiht wurde die Kirche – man erbaute sie genau an der Stelle, an der zuvor der bereits erwähnte Merkurtempel stand – dem Erzengel Michael. Das ist insofern bemerkenswert, da Michael die Rolle eben jenes römischen Götterbotens als psychopompos (»Seelentreiber«) in christlicher Zeit übernommen hatte. Diese Aufgabe, die Verstorbenen ins Jenseits zu geleiten, hatte im Übrigen auch schon der germanische Gott Odin inne, der wiederum als Namensgeber des Odenwaldes, zu dem Heidelberg gehört, immer mal wieder ins Spiel gebracht wird.

Rund 200 Jahre später ließ Propst Arnold von St. Michael auf dem südlichen Vorberg des Heiligenbergs noch ein zweites Lorscher Filialkloster errichten – das etwas kleiner bemessene Stephanskloster. Und ebenfalls eine Lorscher Gründung ist das 1130 entstandene Stift Neuburg am Fuße des Heiligenbergs – vor den östlichen Toren der Stadt Heidelberg gelegen. Nach mehreren weltlichen Zwischenspielen – im 19. Jahrhundert war hier eine der ersten Goethe-Gedenkstätten zu besichtigen – befindet es sich seit 1926 wieder im Besitz des Benediktinerordens. Die beiden Klöster auf dem Heiligenberg dagegen wurden im 16. Jahrhundert verlassen – wohl bereits vor ihrer formellen Aufhebung im Zuge der in Heidelberg eingeführten Reformation. Von ihnen zeugen heute lediglich Ruinen: Aus den Steinen des Stephansklosters wurde 1885 ein Aussichtsturm im Stil der Burgenromantik errichtet, die besser erhaltenen Überreste des Michaelsklosters präsentieren sich inzwischen als fein herausgeputzte archäologische Gedenkstätte – in den 1980er-Jahren wurde sie zuletzt restauriert.

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Abb. 4: Überreste des Klosters St. Michael auf dem Heiligenberg (Aufnahme: heidelberg-images.com)

Der Heiligenberg, der seinen Namen erst im Spätmittelalter erhielt (als Verkürzung von Allerheiligenberg) und zuvor Aberinsberg geheißen hatte, spielte im weiteren Verlauf der Heidelberger Stadtentwicklung schließlich keine allzu große Rolle mehr, sieht man einmal von dem (letztlich aber missglückten) Versuch in den 1930er-Jahren ab, den Berg durch den Bau einer so genannten Thingstätte zu einem Schauplatz nationalsozialistischer Festkultur zu machen. Die eigentlichen Weichenstellungen aber für Heidelbergs Eintritt in die mittelalterliche Geschichte fanden auf der gegenüberliegenden Seite des Neckars statt.

Pfalzgrafen, Kurfürsten, Professoren: Aufstieg zur Residenzstadt

Am Anfang war eine Burg am Nordhang des Königstuhls. Soviel steht fest. Und auch, dass sich zu ihren Füßen ein Burgweiler mit eigener Kirche befand: St. Peter – ein Vorgängerbau der heutigen Peterskirche. Cunrados, also Konrad, hieß einer ihrer »Leutpriester« Ende des 12. Jahrhunderts. Und es ist eine geradezu erheiternde Vorstellung, dass dieser Mann zeitlebens nicht die geringste Ahnung davon hatte, dass die Nachwelt ihm einst den ersten amtlichen Hinweis auf Heidelberg danken würde. Denn als plebanus in heidelberch taucht er unter den Zeugen in der im vorigen Kapitel bereits erwähnten Urkunde des Klosters Schönau aus dem Jahr 1196 auf – damit zwar nicht das Geburtsjahr dieser Stadt markierend, aber doch so etwas wie einen halb offiziellen Namenstag, der im kollektiven Gedächtnis Heidelbergs als urkundliche Ersterwähnung inzwischen fest verankert ist.

Bezeugt hatte Konrad seinerzeit eine Schenkung an das genannte Kloster durch den rheinischen Pfalzgrafen Heinrich den Älteren aus der Dynastie der Welfen. Hinter dessen Titel verbirgt sich ein im Mittelalter hochrangiges Königsamt mit vorwiegend administrativen und richterlichen Aufgaben. Damit verbunden war oft die Herrschaft über eine Königs- beziehungsweise Kaiserpfalz samt Gefolge und dazugehörigen Gütern. Sie entwickelten sich mitunter auch zu größeren Territorialgebilden, unter denen im damaligen Heiligen Römischen Reich deutscher Nation die Pfalzgrafschaft bei Rhein eine herausragende Stellung einnahm. Ein für die Geschichte Heidelbergs bedeutsames Ereignis in dem Zusammenhang war die Verleihung dieser Pfalzgrafenwürde 1156 an Konrad von Hohenstaufen durch seinen Halbbruder Kaiser Friedrich I., genannt »Barbarossa«. Denn Konrad verlegte in der Folgezeit seinen Schwerpunkt vom Niederrhein in Richtung Süden zum Ober- und Mittelrhein sowie in das untere Neckarland. Mehrmalige und längere Aufenthalte verbrachte er spätestens um 1180 in Heidelberg – damals noch ein Lehen des Bischofs von Worms, über das der Staufer die Vogteirechte besaß. Auch wenn die Folgen noch nicht abzusehen waren: Er legte damit den Grundstein für den Aufstieg dieser Stadt zum politischen Mittelpunkt der rheinischen Pfalzgrafenschaft.

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Abb. 5: Erstmalige Erwähnung von »heidelberch« für das Jahr 1196 (aus dem Kopialbuch des Klosters Schönau)

Über Konrads Aufenthalte informiert eine biografische Quelle, die zwar erst 1220 geschrieben wurde, aber in das Heidelberg sogar noch vor 1196 führt: die Vita des 1191 verstorbenen Eberhard, der acht Jahre zuvor im für heutige Verhältnisse zarten Alter von achtzehn Jahren das Frauenkloster Kumbd im Hunsrück gegründet hatte. Seine Jugend verbrachte der Sohn eines Ministerialen im Umfeld des Pfalzgrafen. Mit dessen Familie kam Eberhard des Öfteren nach Heidelberg, genauer: auf die dortige, offenbar gleichnamige Burg – von einer dazugehörigen Siedlung oder gar Stadt, geschweige denn von ihrer äußeren Gestalt ist in der Vita Eberhardi nämlich nicht die Rede. Relativ sicher sind sich die Historiker allerdings, dass jenes dort genannte castrum Heidelbergcastrum