Inhaltsverzeichnis

 

Zum Buch

 

 

Die Lebensdaten Max Regers (1873–1916) fallen ebenso zufällig wie bedeutungsvoll mit den Koordinaten des Deutschen Kaiserreichs zusammen. Nach erster musikalischer »Aufrüstung « führte Regers Werkausstoß in eine Innerlichkeit, die sich den Tendenzen der Epoche entgegenstellt. Seine Fortschrittlichkeit gründet auf musikalischer Rückschau, die sich mehr an Bach und Brahms orientierte als am Zeitgeist der »Neudeutschen«.

Trotz vielfältiger Würdigungen ist Reger noch immer ein weithin Unbekannter – nicht nur im Ausland, sondern auch im deutschen Musikleben. Musiker und Rundfunkredakteur Michael Schwalb legt nun eine konzise und farbige Biografie dieses »konservativen Modernisten« vor.

 

 

 

Zum Autor

 

 

Michael Schwalb, geboren 1965, ist nach Anstellung als Solocellist Musikredakteur beim Rundfunk; zahlreiche Radiofeatures, Vorträge und Publikationen. Zuletzt erschien bei Pustet seine Biografie Hans Pfitzners (2016).

 

 

Biografien machen Vergangenheit lebendig: Keine andere literarische Gattung verbindet so anschaulich den Menschen mit seiner Zeit, das Besondere mit dem Allgemeinen, das Bedingte mit dem Bedingenden. So ist Lesen Lernen und Vergnügen zugleich.

 

Dafür sind gut 100 Seiten genug – also ein Wochenende, eine längere Bahnfahrt, zwei Nachmittage im Café. Wobei klein nicht leichtgewichtig heißt: Die Autoren sind Fachleute, die wissenschaftlich Fundiertes auch für den verständlich machen, der zwar allgemein interessiert, aber nicht speziell vorgebildet ist.

 

Bayern ist von nahezu einzigartiger Vielfalt: Seinen großen Geschichtslandschaften Altbayern, Franken und Schwaben eignen unverwechselbares Profil und historische Tiefenschärfe. Sie prägten ihre Menschen – und wurden geprägt durch die Männer und Frauen, um die es hier geht: Herrscher und Gelehrte, Politiker und Künstler, Geistliche und Unternehmer – und andere mehr.

 

Das wollen die KLEINEN BAYERISCHEN BIOGRAFIEN: Bekannte Personen neu beleuchten, die unbekannten (wieder) entdecken – und alle zur Diskussion um eine zeitgemäße regionale Identität im Jahrhundert fortschreitender Globalisierung stellen. Eine Aufgabe mit Zukunft.

 

 

DR. THOMAS GÖTZ, Herausgeber der Buchreihe, geboren 1965, lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Regensburg. Veröffentlichungen zu Stadt und Bürgertum in der Neuzeit.

MICHAEL SCHWALB

 

 

 

Max Reger

 

 

Der konservative Modernist

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag Friedrich Pustet
Regensburg

 

Impressum

 

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

 

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

 

eISBN 978-3-7917-6126-8 (epub)

© 2018 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Einbandgestaltung: Martin Veicht, Regensburg

eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg

 

 

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:

ISBN 978-3-7917-2877-3

 

 

Weitere Publikationen aus unserem Programm finden Sie auf www.verlag-pustet.de

Informationen und Bestellungen unter verlag@pustet.de

Vorwort

Geburts- und Sterbejahr von Max Reger (1873–1916) fallen so zufällig wie bedeutungsvoll mit den Koordinaten von Aufstieg und Niedergang des Deutschen Kaiserreichs zusammen. Nach der Reichsgründung 1871 und den sogenannten »Gründerjahren« mit ihren rasanten technischen und wissenschaftlichen Entwicklungen steigerte sich die materialistische Fortschrittsgläubigkeit in der nach dem letzten deutschen Kaiser benannten Epoche des »Wilhelminismus« zum selbstüberschätzend muskelspielenden Rüstungswahn, einem wesentlichen Auslöser des Ersten Weltkriegs, nach dessen Ende 1918 in Europa nichts mehr so sein sollte wie zuvor. Wie sehr Reger in dieser Umbruchzeit verhaftet war, stellte der hellsichtige jüdische Musiker, Intendant, Kritiker und Schriftsteller Paul Bekker im Nekrolog der legendären Wiener Musikzeitschrift Musikblätter des Anbruch fest: »Auch Max Reger traf das Verhängnis, zwischen zwei Zeitaltern leben zu müssen.« Sein kompositorischer Weg führte nach einer musikalischen »Aufrüstung« in eine Innerlichkeit, die quer steht zu den Tendenzen der Zeit. Dabei gründeten seine Entwicklung und sein »Fortschritt« auf musikalischer Rückschau: Er sah Johann Sebastian Bach als »Anfang und Ende aller Musik« und orientierte sich im musikalischen Richtungsstreit der Zeit nicht an der Schule der »Neudeutschen« um Richard Wagner (1813–83), Franz Liszt (1811–86) und Richard Strauss (1864–1949), sondern am Gegenpol des scheinbar konservativen Johannes Brahms (1833–97).

Meine erste und wichtigste Reger-»Erweckung« verdanke ich, als Schüler Cellist im Landesjugendorchester NRW, unserem verehrten Dirigenten Martin Stephani (1915–83), der beim letzten Reger-Vertrauten Fritz Stein (1879–1961) studiert hatte. Stephani war einer der vorbildlichsten und lautersten Musiker, der als Direktor der Detmolder Musikhochschule mehrere Musikergenerationen nachhaltigst geprägt und mit unbestechlichen künstlerischen Maßstäben ausgestattet hat. Er erarbeitete mit uns jungen Musikern Regers Mozart-Variationen, und wir erlebten dabei eine nicht nur musikalisch-technische, sondern geradezu körperliche Vereinnahmung durch die Musik, die durch die Proben- und Konzerterlebnisse durch uns hindurchlief und sich tief in die Seele einbrannte.

Mein Dank gilt an dieser Stelle Johannes Geffert, dem wunderbaren Organisten und Musiker, für mannigfache Anregung. Jürgen Schaarwächter vom Max-Reger-Institut, kundiger Experte nicht nur in Sachen Reger, fühle ich mich verbunden durch manch kritische Ermunterung. Die Gespräche mit Herta Müller, der langjährigen Gralshüterin der gloriosen Meininger Musikgeschichte, innerhalb derer die Tätigkeit Regers einen eindrucksvollen Höhepunkt bildet, haben mich in Anspruch und Ethos ihrer Arbeit zur Nachahmung verpflichtet.

Nicht nur in dieser Hinsicht ist Susanne Popps opus summum Werk Statt Leben, als erste kritischen Standards genügende Reger-Biografie 100 Jahre nach seinem Tod zu Beginn des Gedenkjahres 2016 veröffentlicht, Maßstab und Richtschnur; dieser Großtat sei meine kleinformatige Arbeit an die Seite gestellt.

1   Kindheit und erste Weltberührung (Weiden und Wiesbaden 1873–1901)

Am 19. März 1873 wurde Max Reger in Brand im Fichtelgebirge geboren und drei Tage später in der katholischen Kirche des Nachbarorts Ebnath auf den Namen Johann Joseph Maximilian getauft. Neben dem Stammhalter Max sollte nur die Schwester Emma (1876–1944) das Erwachsenenalter erreichen; die drei Brüder Theodor (geboren 1875), Alexander (1877) und Robert (1879) starben jeweils nach wenigen Tagen oder Monaten. Die Mutter Philomena stammte aus einer plötzlich verarmten Oberpfälzer Gutsbesitzer- und Unternehmerfamilie; der Vater Josef, aus einfachsten Verhältnissen kommend, hatte sich zum Volksschullehrer emporgearbeitet. 1874 wurde er an die »Präparandenschule«, eine Ausbildungsstätte künftiger Volksschullehrer, ins etwa 50 Kilometer entfernte Weiden versetzt. Das nach der Anbindung an das Eisenbahnnetz prosperierende Städtchen hatte »5000 Einwohner und 37 Gasthäuser!«, wie Max Reger 1892 schreibt, und war nicht nur seine Kindheitsheimat, sondern sollte ihm im Alter von 25 Jahren wiederum als familiärer Rückzugsort zum erzwungenen Exil nach dem Scheitern der in Wiesbaden erprobten Unabhängigkeit werden.

Regers Eltern waren durchaus musikalisch: Die ersten Klavierstunden erhielt Max von seiner Mutter, und der Vater unterrichtete Musiktheorie und spielte mehrere Instrumente. Im Alter von sechs Jahren konnte Max dank häuslicher Vorbildung sofort in die zweite Klasse der Volksschule eingeschult werden; als exzellenter Schüler besuchte er von 1882–86 die Realschule und anschließend von 1886–89 die Präparandenschule, womit ein späterer Besuch des Lehrerseminars in Amberg und eine Zukunft als Volksschullehrer vorgezeichnet schienen. Seine musikalische Begabung zeigte sich früh, weshalb er im Alter von elf Jahren bei dem 13 Jahre älteren Adalbert Lindner Klavierunterricht erhielt, einem früheren Schüler seines Vaters, der nun selbst als Volksschullehrer in Weiden amtierte. Lindner, der nach Regers Tod seine Erinnerungen an dessen ansonsten spärlich bezeugte Weidener Jugend niedergeschrieben hat, war, wie zahlreiche Briefe zeigen, in jenen Jahren sein Vertrauter; er glaubte an die musikalische Zukunft des Jungen und setzte sich, auch gegen die Skepsis des Vaters, für eine entsprechende Ausbildung ein.

 

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Abb. 1:
Regers Geburtshaus in Brand in der Oberpfalz, seinerzeit Schule

 

Prägende Patengeschenke

Regers Taufpate war Johann Ulrich, ein begüterter Schwager der Mutter, der zwar in Wien lebte, aber in der Nähe von Regensburg das »Ökonomiegut« Königswiesen besaß, wo Max verschiedene Sommerurlaube verlebte. Aus dieser Zeit existieren Briefe an Lindner, die in der Beschreibung von Chormusik aus dem Regensburger Dom und des Spiels des Domorganisten bereits vom ausgeprägten musikalischen Urteilsvermögen des 14-Jährigen zeugen. Von seinem pianistischen Ehrgeiz und Geschick (wie vom avancierten Geschmack des Schenkers!) zeugt ein Brief des 13-Jährigen an einen Wiener Verwandten, in dem er sich für ein Notengeschenk von Wagners Tristan-Vorspiel und Isoldes Liebestod in der Klaviertranskription von Franz Liszt bedankt. Im selben Jahr 1886 trat Reger zum ersten Mal öffentlich auf und bewältigte ein haariges Programm mit der Klaviersonate f-Moll von Julius Reubke, dem b-Moll-Scherzo op. 31 von Frédéric Chopin sowie Ludwig van Beethovens Mondscheinsonate. Auf der Orgel waren seine Fertigkeiten auch im liturgischen Spiel so weit gediehen, dass Lindner ihn ab 1886 bei den katholischen Gottesdiensten in der Stadtpfarrkirche spielen ließ. Da diese als Simultankirche auch von der evangelischen Bevölkerung Weidens benutzt wurde, ist Reger hier wahrscheinlich erstmals mit protestantischen Chorälen, die für sein späteres Schaffen so wesentlich werden sollten, in Berührung gekommen.

 

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Abb. 2:
Max Reger im Alter von sieben Jahren

 

Als eigentliche musikalische Initiation hat Reger selbst das Patengeschenk eines Besuchs der Bayreuther Festspiele im Sommer 1888 bezeichnet. Er erlebte dort Wagners Parsifal unter der Leitung des später für ihn so wichtigen Dirigenten Felix Mottl (1865–1911) und Die Meistersinger von Nürnberg. »Als ich als fünfzehnjähriger Junge zum erstenmal in Bayreuth den ›Parsifal‹ gehört habe, habe ich vierzehn Tage lang geheult und dann bin ich Musiker geworden«, überliefert sein Lehrer Lindner. »Musiker geworden« heißt in Regers Fall: die Hinwendung und Berufung zur Komposition, die sich über die Herbstmonate sogleich in einer ausgedehnten kammermusikalischen Ouvertüre manifestierte. Seinen Wunsch, nach Abschluss der Präparandenschule im Jahr 1889 ein Musikstudium beginnen zu dürfen, lehnte der Vater allerdings strikt ab aus Furcht, Max werde in einer brotlosen Kunst Teil des musikalischen Proletariats.

Erste Schritte auf dem musikalischen Weg

Doch in Adalbert Lindner hatte Reger einen tatkräftigen Verbündeten, der zwei bedeutenden Lehrern erste Kompositionen zur Begutachtung zuschickte: Hugo Riemann (1849–1919) in Hamburg und Josef Rheinberger (1839–1901) in München. Beide gaben ein verhalten positives Votum ab, wobei Ersterer schrieb, es sei wichtig, »daß Herr Reger (sic – Max war 15 Jahre alt) zuerst und vor allem sich in der Melodieentwicklung übt […] um etwas länger denken zu lernen als Motive von vier Takten.« Reger folgte dieser Anregung in einem Werk, das, psychologisch interessant, eindeutig auf den Vater und dessen Hauptinstrument, den Kontrabass, zielte: Er komponierte ein erstes Streichquartett, versuchte sich also auf einem Terrain, das (auf einen vierstimmigen Satz reduziert) bewältigbar schien. In dem mit »Aufschwung« überschriebenen Finale dieses d-Moll-Quartetts lässt er, in Klangbild und Satztechnik völlig unmotiviert, dem Streichquartett einen Kontrabass hinzutreten, wie um den Vater einzubeziehen und musikalisch zu besänftigen.

Zwar hatte Riemann im November 1888 an Lindner geschrieben: »Bayreuth ist Gift für ihn«, aber noch stand Reger ganz im Banne Wagners. Im Sommer 1889, ein Jahr nach seinem Initiationserlebnis, schreibt er an Lindner aus dem erneuten Sommeraufenthalt auf dem Gut seines Patenonkels, eines eingefleischten Wagnerianers; der hatte sein Patenkind wohl wegen vermeintlicher satztechnischer Kühnheiten gerügt, denn Reger schreibt mit Verweis auf die musikalische Vorliebe des Onkels: »Dann wäre ja sein ganzer Richard Wagner zu verbrennen, aber nicht vorm Tore zu Wittenberg.« Reger gesteht Wagners Werk also eine ähnliche reformatorische Kraft zu wie dem Wirken Martin Luthers.

»Die Fugenform hat mich ganz gefangen genommen«

Unter dem wachsenden Druck kompetenter musikalischer Urteile stellte der Vater seine Zweifel zurück, und Max konnte einen Studienaufenthalt bei Hugo Riemann in Angriff nehmen. Heute ist »der« Riemann vor allem als mehrbändiges Musiklexikon bekannt; damals schickte er sich gerade an, einer der bedeutendsten deutschen Musiktheoretiker und Lehrer zu werden. Da er soeben einen Posten am Konservatorium im thüringischen Sondershausen übernommen hatte, zog Reger im April 1890 nach Abschluss der Präparandenschule dorthin. Er wurde bei Riemann wie ein Sohn aufgenommen, nahm in der Familie regelmäßig Mahlzeiten ein, verbrachte viel Zeit mit seinem Lehrer und saugte begierig alle musikalischen und geistigen Anregungen auf.

Dabei absolvierte er ein strammes und ambitioniertes Pensum pianistischer Ausbildung; kompositorisch lenkte Riemann das Interesse des Jungen auf die Fertigkeiten in den alten musikalischen Formen: »[I]ch werde in den Ferien ein Streichquartett schreiben, das eine Hölle von Kontrapunkt werden wird (Finale: große Fuge). Ja die Fugenform hat mich ganz gefangen genommen«, schreibt er im Juni 1890 an Lindner. Fuge und Kontrapunkt sollten ständig wiederkehrende Merkmale auch in seinem reifen Schaffen bleiben.

In Sondershausen hörte Reger erstmals Symphonien von Beethoven und Johannes Brahms, von Letzterem die wenige Jahre zuvor in Meiningen uraufgeführte IV. Symphonie, deren Finalsatz, auf der barocken Form der Chaconne fußend, ihn aufs Höchste beeindruckte. Brahms war aufgrund seiner symphonischen Ästhetik im musikalischen Richtungsstreit des letzten Jahrhundertdrittels zur Gegenfigur von Richard Wagners operndramatischem »Gift« stilisiert worden. Unter Riemanns Einfluss vollzog Reger denn auch eine Wendung hin zu Brahms: »Brahms ist jetzt der, an den man sich halten kann; ich tue es aber auch«, heißt es wiederum an Lindner; »Brahms ist die große Walhalla, die wir heute haben!«, und dass ihm der »Brahmsnebel lieber sei als die Gluthitze von Wagner und Strauß!« Seine Orgelsuite op. 16 wird Reger 1896 an Brahms schicken und ihn bitten, ihm eine als op. 18 geplante Symphonie in h-Moll widmen zu dürfen. Brahms’ Tod fand bei ihm unmittelbaren kompositorischen Niederschlag in dem Klavierstück Resignation op. 26,5, das er auch im Druck mit »3. April 1897, J. Brahms +« überschrieb und welches das Andante moderato aus dessen IV. Symphonie zitiert.

Bohemien in Wiesbaden

Riemanns rasante akademische Karriere führte ihn bereits nach wenigen Monaten weg von Sondershausen ins ungleich mondänere Wiesbaden, wohin Reger ihm ans dortige Konservatorium folgte. Die Briefe an seinen Vertrauten Lindner ins heimische Weiden spiegeln die Zerrissenheit des Jugendlichen, seinen Drang nach innerer Wahrhaftigkeit im Ringen mit den verführerischen Äußerlichkeiten. So suchte er sich von anderen Schülern Riemanns musikalisch abzugrenzen: »Phrasentum, inhaltloses Getue ist mir ein Greuel: immer muß die architektonische Schönheit, der melodische und imitatorische Zauber da sein.« Einerseits musste er »über die Modegeckerei lachen«, andererseits imitierte er Riemann und trug wie dieser mit Stolz einen breitkrempigen Schlapphut und notierte, dass die Wiesbadener »höllisch entsetzt« seien »über Max Reger, dessen neuer 13-Mark-Hut zwar sehr feiner Filz ist, aber auch ganz erstaunliche Dimensionen hat. Ich amüsiere mich nun köstlich über diese Klatscherei.« Gefährlich oft und prominent scheint bereits jetzt in den Briefen an Lindner der regelmäßige Konsum von Alkohol und Zigarren auf.

Schon früh assistierte er Riemann am Konservatorium und erhielt einen Vertrag als Lehrer für Orgel und Klavier. Außerdem konnte er auf Vermittlung Riemanns einen ersten Verlagsvertrag mit dem Londoner Verlag Augener abschließen, dessen Inhaber in Wiesbaden zur Kur weilte und sofort die ersten Werke Regers in Druck nahm.

 

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Abb. 3:
Reger als Lehrer am Konservatorium in Wiesbaden mit charakteristischem Schlapphut, 1891

 

Neben seiner Beschäftigung am Konservatorium gab er auch private Klavierstunden, die ihn in das Haus der Auguste von Bagenski führten. Deren Tochter Elsa, 1870 geboren und damit drei Jahre älter als Reger, hatte 1891 den Offizier Franz von Bercken geheiratet; wenn Elsa, die gerne sang, ihre Mutter in Wiesbaden besuchte, begleitete Reger sie gelegentlich am Klavier.

Im Februar 1893 spielte Reger, noch nicht 20 Jahre alt, in seinem Prüfungskonzert den Solopart in Ludwig van Beethovens 4. Klavierkonzert und beendete damit erfolgreich seine Ausbildung am Konservatorium. Vorerst dachte er daran, ein Leben als Klaviervirtuose und Komponist zu führen; seinen Lebensunterhalt sicherten sein Unterricht am Konservatorium, seine Privatstunden, seine ersten Verlagshonorare sowie das gelegentliche Verfassen von Musikkritiken hingegen mehr schlecht als recht – zur großen Besorgnis seiner Familie in Weiden. Er gab sich Lindner gegenüber zunächst selbstsicher bis markig: »Ich glaube an keinen Genius, sondern an feste stramme Arbeit.« Der junge Musiker suchte die Öffentlichkeit und organisierte im Februar 1894 in der Reichshauptstadt Berlin sein erstes Konzert ausschließlich mit eigener Kammermusik; die Violinsonate op. 1, das Klaviertrio op. 2, die Cellosonate op. 5 und einige Lieder erlangten zwar die Anerkennung musikalischer Größen, etwa des Pianisten und Komponisten Eugen d’Albert (1864–1932) oder des Dirigenten Felix von Weingartner (1863–1942), fielen jedoch bei der Kritik als »überbrahmst« durch.

Vereinsamung

Reger sollte sich sein ganzes Leben lang, auch noch in den Jahren des Erfolgs und der Anerkennung, zwischen Hybris und Verfolgungswahn hin- und hergerissen zeigen. In seine Briefe mischen sich nun erste Töne depressiver Vereinsamung, und durchwachte Nächte führten schnell zu Wahnvorstellungen; im März 1894 schrieb er aus Wiesbaden: »hier, wo man mich haßt und verdammt, mir jedmöglichen Stein des Hindernisses in den Weg legt«. Ob seines zuweilen groben Wesens wurde er von musikalischen und gesellschaftlichen Veranstaltungen ausgeschlossen, was er kommentierte: »[E]s ist mir vollkommen egal, was man von mir sagt, und habe allen Verkehr abgebrochen. Ich habe den mir hingeworfenen Fehdehandschuh aufgenommen.« Sein Traum war der einer zurückgezogen-schöpferischen Existenz wie der von Brahms, die er sich so vorstellte: »mit welcher Seelenruhe der alte Johannes in Wien sitzt und sein Pilsener trinkt, ruhig weiterkomponiert, sein Honorar einnimmt und im Sommer halt so ein bißchen Ausflüge macht.«

Die Gefahren seines Alkoholkonsums hatte er mittlerweile durchaus erkannt, allerdings verharmlosend als überwunden hingestellt: »[…] und auch solide bin ich geworden. In rein moralischer und sittlicher Beziehung war ich stets im höchsten Grade zurückhaltend und werde es auch stets sein, da ich es als eine der größten Gefahren betrachte, in dieser Beziehung nicht gut zu leben. Allein bisher hatte ich doch eines übersehen: nämlich die Gefahren des Alkohols. […] ich merkte so nach und nach doch die schlimmen Folgen dieser Mannbarkeit im Trinken – und habe selbes – obwohl ich es leider diesen Sommer, wo sozusagen die ›Krisis‹ war, noch tat – jetzt eingestellt.« Doch die Familie in Weiden spürte genau, wie es um ihn stand. Schwester Emma wurde nach Wiesbaden ausgesandt, um den Bruder zur Rückkehr ins Elternhaus zu bewegen. Aber der war noch nicht so weit, aufzugeben, zu stark war der Drang nach einem unabhängigen Leben als freischaffender Künstler. Er sah eine Chance im Weggang des verehrten Lehrers Riemann an die Universität Leipzig, dessen gesamten Theorieunterricht in Wiesbaden er übernehmen konnte. In diese Zeit fällt auch die von Reger gesuchte Bekanntschaft mit Eugen d’Albert, Ferruccio Busoni (1866–1924) und Richard Strauss, deren kollegiale Anerkennung ihm Rückhalt gab gegenüber gesellschaftlicher Ignoranz und finanziellen Misserfolgen. Vor allem wurde er aber durch sein enormes Arbeitspensum stabilisiert; in Anlehnung an den berühmten Roman 20.000 Meilen unter dem Meer schrieb er: »[U]m mit Jules Verne zu reden, 20 000 Meilen tief sitze ich in der Arbeit.«

 

Max-Reger-Institut Karlsruhe