Inhaltsverzeichnis

Zum Buch

„Die Ehre Gottes ist der lebendige Mensch“ (Irenäus von Lyon). Deshalb spricht Dominik Daschner in jeder Predigt vom Leben der Verstorbenen und zeigt, wie diese in und mit ihrem Leben ein Stück Evangelium verwirklichen konnten.
Allen Texten liegen konkrete Lebensgeschichten und Sterbefälle zugrunde, wie sie in jeder Gemeinde vorkommen. Die verwendeten Bilder, Metaphern und Zitate lassen sich daher leicht übertragen. Der Band enthält Ansprachen bei der Bestattung junger Menschen oder für besonders tragische Sterbefälle, Ansprachen mit Bezug zur jeweiligen Kirchenjahreszeit oder zum Beruf oder Hobby der Verstorbenen.
Neben Predigten beim Requiem werden auch Kurzansprachen zur Aussegnung angeboten.

 

Zum Autor

P. Dominik Daschner OPraem, Dr. theol., geb. 1962, ist Mitglied der Prämonstratenserabtei Windberg in Niederbayern und seit 1999 als Pfarrer in der Seelsorgeeinheit Mitterfels-Haselbach tätig.

 

Dominik Daschner

 

Im Tod ist das Leben

Ansprachen zu Beerdigung und Aussegnung

 

 

 

Verlag Friedrich Pustet
Regensburg

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

eISBN 978-3-7917-6114-5 (epub)
© 2017 by Verlag Friedrich Pustet
Umschlaggestaltung: Atelier Seidel, Neuötting
Umschlagmotiv: © iStockphoto/Chalabala
Satz: Martin Vollnhals, Neustadt a. d. Donau
E-Book-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg

 

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:
ISBN 978-3-7917-2911-4

 

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www.verlag-pustet.de

 

 

 

 

Gewidmet den Verstorbenen
und ihren Hinterbliebenen,
denen die hier vorgelegten Predigten galten
und die ich in ihrem Sterben und in ihrer Trauer
seelsorglich begleiten durfte.

Vorwort

„Ja, du bist heilig, großer Gott, und alle deine Werke verkünden dein Lob“, so betet die Kirche immer wieder an herausgehobener Stelle, im Post-Sanctus des Dritten Hochgebets. Alle Werke lassen etwas von ihrem Schöpfer erkennen; und wenn sie gut gelungen sind, gereichen sie ihm zu Lob und Ehre. Das vorzüglichste Schöpfungswerk Gottes ist sicher der Mensch, was den hl. Irenäus von Lyon zu der markanten Aussage veranlasst hat: „Die Ehre Gottes ist der lebendige Mensch.“

Nicht nur durch Gottesdienst und Gebet, mit seinem ganzen Leben verherrlicht der Mensch Gott, verkündet er auf diese Weise sein Lob, wenn er entsprechend lebt. Und von dieser Lebensgeschichte einer/eines Verstorbenen ist deshalb in der Ansprache bei ihrer/seiner Bestattung zu reden, wie auch die Pastorale Einführung zum Ritualefaszikel Die kirchliche Begräbnisfeier in der Nr. 53 unterstreicht, wenn diese als Inhaltsangabe zur Homilie bei Begräbnisgottesdiensten neben der Auslegung des Wortes Gottes ausdrücklich erwähnt: „Sie kann auch das Leben des Verstorbenen mit einbeziehen.“

In der Begleitung von Trauernden kann man staunen lernen: über die Lebensgeschichten vieler Verstorbener, die erkennen lassen, wie wunderbar Gott den Menschen geschaffen hat und wie wunderbar er am Menschen handelt; aber auch, auf welch unterschiedliche Weise Gott durch Menschen Gutes wirkt und so sein Heilswerk in dieser Welt vollzieht. Darum ist in der Predigt bei einer christlichen Bestattung von der Biografie der/des Verstorbenen, von ihrem/seinem Leben und Arbeiten, ihrem/seinem Tun und Lassen zu reden; dabei sind Verknüpfungen zwischen ihrer/seiner Lebensgeschichte und dem Wort Gottes, jenes von ihr/ihm gelebte und verwirklichte Stück Evangelium, aufzuzeigen. Zu dieser Art, biografisch zu predigen, wollen die hier vorgelegten Ansprachen animieren.

Natürlich darf die Predigt dabei nicht zu einer bloßen „Lobrede auf den Verstorbenen“ verkommen, wie dieselbe Nr. 53 der Pastoralen Einführung mahnend in Erinnerung ruft.[1] Eine vorweggenommene Seligsprechung der/des Toten, die nur das Positive an ihr/ihm herausstreicht und auch noch entsprechend überhöht, die negativen Seiten ihrer/seiner Person jedoch verschweigt, ist zu vermeiden. Aber vom Leben der/des Verstorbenen ist zu sprechen.

Was auf die liturgischen Texte bei der Feier von Heiligen zutrifft, gilt analog auch im Blick auf Verstorbene und die Ansprache bei ihrer Bestattung. Wir loben nicht den betreffenden Menschen für seine herausragenden Leistungen. Das Lob gilt vielmehr Gott für das, was er an diesem Menschen und durch ihn Gutes gewirkt hat. Was in einem Menschenleben gelungen ist, wo sie/er in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes gelebt hat, worin sie/er ein Stück Evangelium verwirklicht hat, worin durch sie/ihn etwas von jenem Leben aufgeleuchtet ist, wie Gott es gedacht hat, das darf in der Predigt anerkennend benannt, also gelobt werden.

Aber eben nicht nur Gelungenes, auch Scheitern und Versagen im Leben der/des Verstorbenen dürfen benannt werden. Auch diese dunkle Seite in menschlichen Biografien tritt natürlich in der Trauerpastoral immer wieder zutage; sie ist mit Bedauern, manchmal auch mit Entsetzen wahrzunehmen. Auch dies darf in der Bestattungspredigt benannt werden, freilich nie wertend, be- oder gar verurteilend und selbstverständlich mit der gebotenen Diskretion. Das letzte Urteil über einen Menschen haben wir Gott zu überlassen. Vom Prediger sind solche Punkte in der Biografie eher nach Verständnis dafür suchend einzubringen; mit der Frage, warum das vielleicht bei der/dem Betreffenden so geworden ist.

Alle hier vorgelegten Ansprachen sind nicht am Reißbrett entworfen. Zugrunde liegen jeweils konkrete Sterbefälle, wie sie das Leben in einer durchschnittlichen bayerischen Pfarrgemeinde in ländlich-kleinstädtischem Milieu eben so schreibt. Die Predigten entstammen allesamt meiner langjährigen homiletischen Praxis in der Bestattung Verstorbener und der Begleitung ihrer Hinterbliebenen. Ihnen und ihrem Andenken ist dieses Buch gewidmet.

Gedruckte Predigten sind schriftlich festgehaltene, gesprochene Sprache. Dieser Sprachstil, der sich teilweise auch umgangssprachlicher Ausdrücke oder Formulierungen im hiesigen Dialekt bedient, ist für die Veröffentlichung bewusst so beibehalten worden, um die Lebendigkeit der Rede auch in der schriftlichen Form zu erhalten. Auch manches Lokalkolorit in den Ansprachen lässt ihre Herkunft aus dem Niederbayerischen erkennen.

Aus lebendiger Predigttätigkeit erwachsen, haben die in diesem Buch vorgelegten Ansprachen natürlich auch Anregungen, gelungene Formulierungen und Ideen anderer mit aufgenommen und verarbeitet, die nicht mehr im Einzelnen durch Belegstellen nachgewiesen werden können. Für diesen lebendigen geistlichen Austausch sei an dieser Stelle ausdrücklich allen gedankt, die auf diese Weise mit zu diesem Buch beigetragen haben.

Neben Beispielen für die Predigt im Rahmen des Requiems für eine/einen Verstorbene(n) bietet das Buch auch Kurzansprachen für die Aussegnung, also für eine Feier der Verabschiedung im Vorfeld der eigentlichen Bestattung. Diese können aber ebenso gut bei Bestattungen Verwendung finden, die nur am Friedhof als Trauerfeier ohne Messe gehalten werden, bei der nur ein kurzes Predigtwort möglich ist.

P. Dominik Daschner OPraem

Ansprachen bei der Bestattung alter Menschen

Wohin soll ich mich wenden?

Mit 73 Jahren starb ein lediger und kinderloser einfacher Arbeiter, aus kleinen Verhältnissen stammend, der sein Leben lang an spruchslos und bescheiden gelebt hat. In Glaube und Gottesdienst war er fest verwurzelt. Da er nicht lesen konnte, waren ihm in der Eucharistiefeier jene Lieder am liebsten, die er auswendig mitsingen konnte, zum Beispiel die Schubert-Messe. Die Predigt versucht, sein Leben mit Textpassagen aus dieser Messe zu deuten.

Lesung: Mi 6,6–8

Evangelium: Mk 12,28–34

„Wohin soll ich mich wenden, wenn Gram und Schmerz mich drücken, wem künd’ ich mein Entzücken, wenn freudig pocht mein Herz?“, so haben wir zu Beginn mit dem Eingangslied der Schubert-Messe gesungen. Als Christen kommen wir mit Freud und Leid zu Gott: „zu dir, o Vater“, wie sich die Schubert-Messe ihre Eingangsfrage selbst beantwortet. Heute treten wir vor Gott in Trauer über einen Menschen, der uns im Leben wertvoll war: als Bruder und Schwager, als Onkel, als ehemaliger Arbeitskollege und Nachbar, als lieber Mitbürger und praktizierender Mitchrist.

Dass wir zu seinem Requiem Teile aus der Schubert-Messe singen – ich denke, das hätte N. N. gefallen. Denn die hat er gemocht, weil er sie auswendig mitsingen konnte; da brauchte er kein Gebetbuch für den Text. Denn Bücher, Lesen und Schreiben, das war nicht seine Welt. Unser Verstorbener war ein ganz einfacher, aber ein aufrechter, ehrlicher Mensch und Arbeiter.

In N. ist N. N. am [Datum] zur Welt gekommen und mit sechs Geschwistern aufgewachsen; eine weitere Schwester ist schon als kleines Kind gestorben. Zusammen mit seiner Familie, mit seinen Geschwistern ist er in den 1960er-Jahren nach N. auf den N.-Hof gekommen, weil das elterliche Anwesen in N. der Kläranlage weichen musste. Seine Geschwister sind auch dort seine Familie geblieben, denn eine eigene Familie hat Ihr Bruder und Onkel nie gegründet.

Nach seiner Schulzeit kam er zunächst als Arbeitskraft zu den Bauern der Umgebung. Später war er als Arbeiter bei der Skifirma N. beschäftigt. Dort ist er bis zu seiner Rente an der Fräsmaschine gestanden und hat die Holzrohlinge für die Produktion von Langlaufskiern zugerichtet. In der Rente dann, von 1999 bis 2009, hat er noch bei der Bestattungsfirma N. mitgearbeitet. N. N. war ein guter und zuverlässiger Arbeiter; einer, der keine Arbeit gescheut hat.

Neben seiner Arbeit hat er ein bescheidenes und einfaches Leben geführt: in seiner kleinen Wohnung auf dem Hof von Familie N. in N., wo er die letzten 15 Jahre gelebt hat, mit Freude an seinem kleinen Fischweiher, den er dort hatte. Als im Juli 2011 bei ihm Krebs festgestellt wurde, ist er aus eigenem Entschluss ins Seniorenheim umgezogen, was nach seiner Aussage das Beste für ihn war. Denn dort war er gut versorgt, und alles war für ihn bestens geregelt. Vom Heim aus hat N. N. die erste Zeit noch rege am Leben im Ort und in der Pfarrei teilgenommen, sich für alles interessiert, was sich in N. tut. So hat er zum Beispiel Tag für Tag den Baufortschritt bei Turnhalle und Kindergarten genau verfolgt, bis ihm seine Krankheit immer mehr zu schaffen gemacht hat. Am vergangenen Freitag ist er daran im Alter von 73 Jahren gestorben, ist er eingegangen in den ewigen Frieden, an den Ort, den der Glaube unseren Wegen „als sich’res Ziel verleihet“, wie es im Text der Schubert-Messe heißt.

Liebe Schwestern und Brüder, man kann in den Liedern der Schubert-Messe so etwas wie ein Kompendium unseres christlichen Lebens, Glaubens und Hoffens entdecken, verdichtet in Vers- und Liedform. So heißt es zum Beispiel im Gabenbereitungslied: „Du gabst, o Herr, mir Sein und Leben.“ Als Glaubende wissen wir, dass wir unser Leben aus Gottes Schöpferhand empfangen haben. Dessen war sich auch unser verstorbener Bruder bewusst. Er hat im Glauben an seinen Schöpfer und in Ehrfurcht vor ihm gelebt, hat im Gebet und in der Mitfeier der Gottesdienste mit eingestimmt in das Lob auf den „Gott in der Höhe“, den „Vater der Welten“, wie das Gloria der Schubert-Messe dichtet. Im Glauben an Gott war er fest daheim.

Von der Lehre Jesu, von seiner Botschaft, hat sich N. N. den Maßstab für sein Handeln vorgeben lassen – von seiner „Lehre himmlisch’ Licht“, wie es im Gabenbereitungslied der Schubert-Messe heißt. Im Licht des Evangeliums hat er sein Leben gestaltet: die Gottes- und Nächstenliebe beherzigt, die uns Jesus gelehrt hat, die er uns als Zusammenfassung des ganzen göttlichen Gesetzes ans Herz legt.

Dass wir Menschen das aber immer nur unvollkommen zustande bringen, das klingt in derselben Zeile des Liedes an, wenn da vom Menschen gesungen wird als: „ich Staub“. Damit ist nicht nur unsere körperliche Hinfälligkeit gemeint, unsere Vergänglichkeit im Tod, sondern auch unsere Schwachheit im Durchhalten des Guten, unsere Anfälligkeit für das Böse, für die Sünde, unsere menschliche Schwäche insgesamt. Die hat es sicher auch bei N. N. gegeben. Nicht immer ist sein Leben in so geordneten Bahnen gelaufen wie die letzten Jahrzehnte.

Angesichts dieser Schwachheit des Menschen fragt der Text der Schubert-Messe, was der Mensch dann Gott eigentlich geben kann. Wir können Gott ja letztlich nichts schenken, was ihm als Schöpfer von allem nicht schon längst gehören würde, was der Größe und Herrlichkeit dessen etwas hinzufügen könnte, „der nie begonnen, der immer war, der ewig ist und waltet“, der „sein wird immerdar“, wie es im Sanctus der Schubert-Messe anklingt. Wir können nur unser Tun und Denken, unser Arbeiten, Leid und Freude vor ihn bringen und ihm darin unsere Hingabe zeigen. So wie es im Gabenbereitungslied der Schubert-Messe heißt: „Mich selbst, o Herr, mein Tun und Denken und Leid und Freude opfr’ ich dir.“

Dass ich also versuche, mit meinem Tun und Arbeiten ein ordentliches Leben zu führen, wie Gott es will, darin etwas von der Hingabe- und Opferbereitschaft Jesu nachzuahmen, in seine Hingabe für andere mit einzusteigen und alles, was ich erlebe, in Gebet und Gottesdienst in Verbindung mit Gott zu bringen. So wie es in der Lesung aus dem Buch Micha geheißen hat: „Es ist dir gesagt worden, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir erwartet: … Recht tun, Güte und Treue lieben, in Ehrfurcht den Weg gehen mit deinem Gott“ (Mi 6,8). Dieses „Herzensopfer“, wie es im Text der Schubert-Messe genannt wird, das können wir vor Gott bringen, dass er es durch seinen Sohn annimmt. Das ist es, was wir Menschen Gott geben können: unser dankbares Ja zu ihm. Das hat unser verstorbener Bruder im Glauben immer wieder getan: durch sein ehrliches, bereitwilliges Arbeiten, in der regelmäßigen Mitfeier der Gottesdienste, am Sonntag sowieso, aber auch am Werktag. Selbst eine Woche vor seinem Tod – schon schwer mitgenommen von seiner Krankheit – hat er noch die Messe in der Hauskapelle im Seniorenheim mitgefeiert und dabei die Kommunion empfangen.

Letztlich, liebe Schwestern und Brüder, können wir vor Gott nichts anderes und nichts Besseres tun, als dankbar die Liebe Gottes annehmen, dankbar im Glauben das aufgreifen, was Gott in seinem Sohn zu unserer Rettung getan hat. „Nur danken kann ich, mehr doch nicht“, heißt es dazu in der Schubert-Messe. Nichts anderes will Gott von uns als die Erwiderung seiner Liebe; unsere Liebe, „dankerfüllte Liebe“, wie es in der Schubert-Messe heißt.

Dann werden wir mit unserem Leben sicher an jenes Ziel gelangen, das der Glaube unseren irdischen Wegen verleiht, wie wir es im Eingangslied der Schubert-Messe gesungen haben. Dieses Ziel hatte Ihr verstorbener Bruder und Onkel sein Leben lang fest vor Augen. Er ist am Ende ganz bewusst darauf zugegangen, hat alles für seine eigene Beerdigung geregelt, sich bewusst ausgesöhnt, wo er das Gefühl hatte, dass da in der Beziehung zu einem Mitmenschen noch etwas Unerledigtes aus der Vergangenheit ist, und hat sein Leben in dem Gefühl, dass es jetzt genug ist, vertrauensvoll in die Hände seines Schöpfers zurückgelegt.

So dürfen wir gläubig darauf vertrauen, dass N. N. jetzt an diesem ewigen Ziel angelangt ist, in jenem „Himmelsfrieden“, von dem das Agnus Dei der Schubert-Messe singt.

Sanduhr und Seelenwaage

Nach zehn Jahren mit fortschreitender Demenz verstarb mit 77 Jahren ein einst erfolgreicher Kaufmann im Außendienst, der neben seinem Beruf zahlreiche andere Talente in sich vereinte. Unter anderem war er ein begnadeter Schnitzer. Ein von ihm selbst geschnitztes Holzkreuz, das ihn durch viele Stationen seines Lebens begleitet hatte, wurde ihm mit in den Sarg gegeben.

Lesung: Koh 3,1–11

Evangelium: Joh 6,37–40

Auf alten Grabmonumenten oder auch auf Bildern, die den Tod thematisieren, ist häufig eine Sanduhr zu sehen. Die Sanduhr ist ein sehr anschauliches Bild für unsere verrinnende Lebenszeit. Die Zeit fließt dahin. Ständig rinnt der Sand aus dem oberen Stundenglas durch die kleine Öffnung nach unten. So vergeht unsere Lebenszeit. Alles in unserem Leben hat mit der Zeit zu tun, ist eingebunden in die dahinfließende Zeit.

Alles, was es im Leben so gibt, hat seine Zeit. Davon spricht der Prediger Kohelet in der Lesung: „Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit“ (Koh 3,1). Eine Zeit zum Geborenwerden und Hineinwachsen ins Leben, eine Zeit der vollen Lebenskraft zum Schaffen und auch eine Zeit zum Absterben. Für Ihren Mann, für Ihren Vater und Opa war am vergangenen Samstag die Zeit zum Sterben gekommen.

Dass der Sand im Stundenglas seiner Lebensuhr zur Neige geht, das war in den letzten Jahren deutlich zu sehen. Die letzten gut zehn Jahre seines Lebens waren, bedingt durch seine Demenzerkrankung, ein langsames Immer-weiter-Weggehen; ein langgezogener Abschied von dem Menschen N. N., wie man ihn kannte, was er früher einmal war; wenn nach und nach Fähigkeiten, Talente und dann sogar elementarste Lebensvollzüge verloren gehen, die Möglichkeit zur Beziehungsaufnahme mehr und mehr wegbricht. Sehr lange haben es Sie, liebe Frau N., möglich gemacht, dass Ihr Mann daheim in seiner gewohnten Umgebung bleiben konnte, in das Leben rund um ihn herum weiter einbezogen wurde. Anfang September ging das dann nicht mehr, so dass er ins Seniorenheim umziehen musste. Dort ist N. N. nun gestorben, ist das letzte Körnchen seiner Lebenszeit durch die Sanduhr gelaufen.

Doch, liebe Schwestern und Brüder, der Blick auf die Sanduhr führt uns nicht nur unsere verrinnende Lebenszeit vor Augen, wir sehen am unteren Glas der Sanduhr zugleich, was wir von unserem Glauben her hoffen dürfen. Der Sand, der durch das Glas gelaufen ist, wird aufgefangen. Unsere Lebenszeit ist von Gott gehalten. Alles das, was das Leben eines Menschen ausgemacht hat, womit er seine Zeit ausgefüllt hat, das läuft im Tod nicht aus, es wird aufgefangen von Gott und ist somit bewahrt bei Gott. In diese Richtung geht auch der Spruch, den Sie auf das Sterbebild für Ihren Ehemann und Vater haben drucken lassen: „Mit dem Tod eines Menschen verliert man vieles, niemals aber die gemeinsam verbrachte Zeit.“

Die miteinander erlebte Zeit geht nicht verloren, sie bleibt aufbewahrt. Um wie viel mehr wird das dann bei Gott gelten! Bei Gott ist die Lebenszeit Ihres Mannes und alles das, was sein Leben ausgefüllt und ausgemacht hat, aufgehoben.

Sein nicht ganz leichter Start ins Leben, als seine Mutter starb, als er selber erst 13 Jahre alt war und er von da an bei seiner großen Schwester in Nürnberg aufgewachsen ist.

Sein Leben in der Familie als Ehemann, mit dem Sie mehr als 50 Jahre verheiratet waren und sich so gut über Gott und die Welt austauschen konnten; als Vater und Opa für seine Tochter N. und seine Enkelin N.

Auch sein reiches Berufsleben als Kaufmann im Außendienst – zunächst für N.-Kaffee, später für die Limonadenfirma N. in N. und zuletzt als Verkaufsleiter für die Brauerei N. –, wodurch er viel herumgekommen ist. Bei seinen Kunden war er durch seine ruhige und witzige Art sehr beliebt. Die Motivation für seine Tätigkeit war ihm dabei immer: Ich muss mich anstrengen und einsetzen, damit die Menschen in den Firmen, die ich vertrete, Arbeit haben. Und stolz war er, dass er als Kaufmann immer ehrlich gearbeitet hat, niemanden über den Tisch gezogen hat oder mit unlauteren Methoden an Aufträge gelangt ist. Ein ehrlicher Kaufmann. Darauf wird Gott mit Wohlgefallen schauen.

Bei Gott aufbewahrt bleiben auch die vielen anderen Talente, die im Leben von N. N. zur Entfaltung gekommen sind: sein großes Talent als Hobbyschnitzer, als Sammler alter Dinge, die er in seinem Museumskeller zusammengetragen hat, im Handballsport, als großer Liebhaber und Kenner des Bayerischen Waldes.

Alles das an Lebenszeit und Lebensinhalt ist nun durch die Sanduhr seines Erdenlebens gelaufen. In dieser Welt und für uns ist es abgelaufen – im doppelten Sinn des Wortes: was im Leben von N. N. abgelaufen ist, sich in seinem Leben zugetragen hat, und was nun unwiederbringlich vorbei ist. Doch bei Gott ist all das aufbewahrt, ist es nun Ewigkeit geworden. Unser Tun in dieser Zeit ist das Material für die Ewigkeit. Darum ist unser Tun und Lassen in dieser Welt und Zeit auch nicht belanglos. Es wird von Gott angeschaut werden im Gericht und wird dort zählen. Darum kann Kohelet am Ende seiner langen Aufzählung dessen, wofür in unserem menschlichen Leben Zeit ist, sagen, dass Gott in all das schon die Ewigkeit hineingelegt hat.

Und Jesus bestärkt uns in diesem Gedanken, wenn er im Evangelium sagt, er sei gekommen, dass er den Willen des Vaters tue. Der Wille seines himmlischen Vaters sei es aber, „dass ich keinen von denen, die er mir gegeben hat, zugrunde gehen lasse, sondern dass ich sie auferwecke am Letzten Tag“ (Joh 6,39). Keiner, dessen Zeit in dieser Welt abgelaufen ist, soll also im Tod verloren gehen. Dazu ist Jesus in die Welt gekommen. Wie den durchgelaufenen Sand in der Sanduhr fängt Gott durch ihn unser Leben auf.

Gott, der außerhalb der Zeit lebt, umfängt Zeit und Ewigkeit. Sein ist unser Heute in dieser irdischen Zeit, sein ist die Zukunft, sein die Ewigkeit.

Beim Requiem sehen wir die Osterkerze vor uns. In der Osternacht ist sie als Zeichen der Auferstehung entzündet worden mit den Worten: „Christus gestern und heute, Anfang und Ende, Alpha und Omega. Sein ist die Zeit und die Ewigkeit. Sein ist die Macht und die Herrlichkeit in alle Ewigkeit.“ Die Osterkerze steht deshalb heute wie eine Verheißung vor uns da: die Verheißung von Auferstehung und ewigem Leben. Auf diesen Glauben ist unser Verstorbener getauft worden. Und immer wieder blitzt dieser Glaube in seinem Leben auf: etwa wenn er ein Kreuz geschnitzt und dabei intensiv um die richtige Haltung und den Gesichtsausdruck des Gekreuzigten gerungen hat. Dieses Holzkreuz hat ihn begleitet: im Wohnzimmer seines Hauses, im Zimmer im Seniorenheim und zuletzt als Beigabe im Sarg, auf dass Christus ihn daran als einen der Seinen erkennen möge, die der himmlische Vater ihm gegeben hat.

Jesus Christus und seiner Macht über Zeit und Ewigkeit, über Leben und Tod vertrauen wir Ihren Ehemann, Ihren Vater und Opa heute an. Christus möge seine österliche Erlösungstat für ihn bei dem anderen Symbol, das wir auf Bildern des Todes häufig sehen – bei der Seelenwaage –, als Gewicht in die Waagschale werfen, wie wir das, unserer menschlichen Schwachheit wegen, alle nötig haben, damit sich die Waage des Letzten Gerichts für N. N. auf die Seite von Auferstehung und ewigem Leben neigen möge.

Aufblühen unter dem grünen Daumen Gottes

Mit 81 Jahren verstarb ein ehemaliger Gleisbauarbeiter und Nebenerwerbslandwirt. Er war ein großer Pflanzenliebhaber und hatte einen grünen Daumen für alles, was wächst und blüht. An seinem Wohnort war er äußerst engagiert in der Gemeinde und ihren Ortsvereinen. Schwere Schicksalsschläge im Leben hat er im Glauben an Gott verarbeitet.

Lesung: 2 Tim 4,1–8

Evangelium: Mt 6,25–33

Es gibt bei uns kaum eine Beerdigung, bei der nicht Blumen eine wichtige Rolle spielen: die blumengeschmückten Kränze, die wir unseren Verstorbenen aufs Grab legen, die bunten Grabgestecke, die Rosen, die wir einem lieben Angehörigen als Zeichen unserer Zuneigung ins offene Grab werfen. Mitten im Tod etwas Lebendiges als Ausdruck unserer Hoffnung für ein Leben über den Tod hinaus.