Inhaltsverzeichnis

Zum Buch

 

»Des Reiches Schatzkästlein« und »industrielles Herz Bayerns«, »Stadt der Reichsparteitage« und »rotes Nürnberg«, »Zentrum Europas« oder bayerische Provinz, Stadt Dürers, der ersten deutschen Eisenbahn und des Lebkuchens – wohl in keiner anderen Stadt Deutschlands treffen die Gegensätze der Geschichte so hart aufeinander. Die Kleine Stadtgeschichte zeichnet diese Entwicklung nach: vom Reichsgut der Salier über die Blütezeit als Kultur- und Wirtschaftszentrum europäischen Rangs zum Niedergang im 18. Jahrhundert; vom industriellen Aufschwung und der »romantischen« Entdeckung Nürnbergs zur Usurpation dieser Tradition durch den Nationalsozialismus und der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg; und schließlich bis zur modernen Metropolregion heute.

 

 

Zu den Autoren

 

Michael Diefenbacher, Dr. phil., ist seit 1990 Direktor des Stadtarchivs Nürnberg.

Horst-Dieter Beyerstedt, Dr. phil., war 1989–2017 Abteilungsleiter am Stadtarchiv Nürnberg.

Martina Bauernfeind, Dr. phil., war 2009–2012 Mitarbeiterin des Stadtarchivs Nürnberg.

Michael Diefenbacher
Horst-Dieter Beyerstedt
Martina Bauernfeind

Nürnberg
Kleine Stadtgeschichte

VERLAG FRIEDRICH PUSTET

REGENSBURG

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

 

eISBN 978-3-7917-6124-4 (epub)

© 2017 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg

eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg

 

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:

ISBN 978-3-7917-2941-1

 

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Kontakt und Bestellungen unter verlag@pustet.de

Vorwort

Schauplatz eines Höhepunktes deutscher Kultur zur Dürerzeit wie ihres Tiefpunktes im Dritten Reich, Symbol politischer und wirtschaftlicher Modernität und zugleich der Rückwärtsgewandtheit in ihrer harmlos-behaglichsten wie ihrer brutalsten und menschenverachtendsten Form: Wohl nur wenige deutsche Städte vereinen solche Widersprüche in ihrer Geschichte. Das Interesse an dieser Geschichte zu wecken und Einblicke in ihre übergeordneten Bezüge, aber auch in das Leben »vor Ort« zu vermitteln, ist die Absicht der vorliegenden »Kleinen Nürnberger Stadtgeschichte«.

Auch eine »Kleine Stadtgeschichte« muss, wenn ihr Gegenstand so facettenreich und vielschichtig ist wie im Falle Nürnbergs, die Arbeitskraft eines Einzelnen übersteigen. Der vorliegende Band ist daher eine Gemeinschaftsarbeit dreier Verfasser, wobei die Abgrenzung ihrer Arbeitsbereiche chronologischen Kriterien folgt:

Der Umstand, dass alle drei Verfasser an der gleichen Institution – im Stadtarchiv Nürnberg – arbeiteten und sozusagen Wand an Wand tätig waren, gab ihnen die Möglichkeit zu engster Zusammenarbeit bei der Abfassung dieses Werks. Trotzdem ist natürlich jeder Verfasser für seinen Teil selbst verantwortlich.

Möge die »Kleine Nürnberger Stadtgeschichte« ihren Lesern ebenso viel Freude und Erkenntnisgewinn beim Lesen bereiten wie ihren Autoren beim Schreiben!

Nürnberg, Sommer 2017
Die Autoren

Dunkle Anfänge

Naturräumliche Voraussetzungen

Nürnberg liegt mitten im nur wenig fruchtbaren, als »Streusandbüchse« verschrienen Nürnberger Becken, zu Füßen der auf einem Felssporn gelegenen Burg, auf beiden Ufern der seichten und nicht schiffbaren Pegnitz. Im Norden, Osten und Süden ist es vom früher noch weit größeren Nürnberger Reichswald umgeben, im Westen liegt altes Kulturland, das von der Rednitz-Regnitz-Furche aus entlang der Pegnitz nach Osten herüberreicht. Von dieser schon in fränkischer Zeit besiedelten und durch Königshöfe organisierten Rednitz-Regnitz-Furche aus erfolgte im Frühmittelalter die Besiedlung der östlich gelegenen Waldgebiete des bayerischen Nordgaus durch fränkische Siedler, der auch Nürnberg sein Entstehen verdankt.

Die günstigere Verkehrslage im Nürnberger Becken am Zusammenfluss von Pegnitz und Rednitz kommt dem im Vergleich zu Nürnberg älteren Fürth zu. Ausgangspunkt der erst spät beginnenden, dann aber stürmischen Entwicklung Nürnbergs waren weder eine günstige lokale Verkehrslage noch fruchtbare Böden oder Bodenschätze, sondern politisch-militärische Zwecke der römisch-deutschen Könige: nämlich die gezielte Schaffung eines Verwaltungsmittelpunkts für das umliegende Reichsland.

Nürnbergs Frühgeschichte

Die Keimzelle der Stadt war die auf dem Burgsandsteinfelsen errichtete Burg, nach jüngsten Forschungen ursprünglich eine Adelsburg der Markgrafen von Schweinfurt aus dem 10. Jahrhundert. Spätestens mit der Befestigung des Burgfelsens entstand zu dessen Füßen eine erste Siedlung. Diese ist durch Keramikfunde im Burgbereich, in der Weißgerbergasse/Irrerstraße, in der Tetzelgasse/Theresienstraße, am Fünferplatz, in der Obstgasse und am Hauptmarkt in ihrer Ausdehnung umrissen.

Nach der 1003 erfolgten Zerstörung dieser Burg wurde im 11. Jahrhundert mit einem Palasbau und zwei kleineren Gebäuden eine königliche Pfalz errichtet. Hier fand jener Hoftag statt, auf dem Kaiser Heinrich III. am 16. Juli 1050 eine Urkunde ausstellte, in der Nürnberg erstmals erwähnt wurde.

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Abb. 1: Mit nur zwei Naturschätzen ist Nürnberg in größerem Umfang gesegnet: Holz und Burgsandstein. Der Schlüsselstein im Reichswald bei Nürnberg-Fischbach.

Eine Burg, zumal eine königliche Pfalz, bedingte eine ihr zugeordnete Siedlung mit der Infrastruktur an Handwerkern (Bäcker, Metzger, Schmiede etc.) und Einquartierungsmöglichkeiten, die man benötigte, um 1050 hier einen kaiserlichen Hoftag abhalten zu können. Dieses frühe Nürnberg lag direkt unterhalb der Burg auf der Sebalder Seite und beschränkte sich auf die hochwassergeschützte Niederterrasse oberhalb des Pegnitzsumpfes. Sie reichte im Osten bis zum Königshof bei St. Egidien, im Süden bis zum heutigen Rathausareal und im Westen bis zum Bereich Weinmarkt/Weißgerbergasse/Irrerstraße. Im Zentrum der Siedlung lag eine Peterskapelle, die spätere Sebalduskirche.

Ähnlich wie heute noch in Regensburg oder in toskanischen Städten sichtbar, sind als früher Haustypus in Nürnberg durch Grabungen Turmhäuser aus dem 11./12. Jahrhundert belegt, die – im Spätmittelalter und in der Frühneuzeit um- und ausgebaut – in den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs untergingen.

 

HINTERGRUND

 

Der Nürnberger Reichswald

Auf einer Fläche von heute ca. 26.000 ha erstreckt sich halbkreisförmig im Norden, Osten und Süden Nürnbergs der Nürnberger Reichswald. Er wird von der Pegnitz geteilt in den nördlichen Sebalder (ca. 11.200 ha zwischen den Städten Erlangen, Nürnberg und Lauf) und den südlichen Lorenzer Reichswald (ca. 14.700 ha zwischen den Städten Nürnberg, Schwabach und Altdorf) und stellt das fünftgrößte zusammenhängende Waldgebiet Bayerns außerhalb der Alpen dar. Der ursprüngliche Baumbestand aus Eichen und Buchen verschwand während des Hochmittelalters aufgrund der intensiven Nutzung durch die Reichsstadt Nürnberg als Bau- und Nutzholz, als Energieträger bzw. zur Gewinnung von Sandstein, Ton und Kalk. Zur Aufforstung verödeter Flächen führte Peter Stromer (1310–1388) 1368 die Waldsaat von Nadelholz (Fichten und Kiefern) ein und begründete damit die geregelte Forstwirtschaft. Weiterer unkontrollierter Holzeinschlag, die Wilddichte in den von den Nürnberger Burggrafen und Markgrafen von Ansbach-Bayreuth beanspruchten Jagdrevieren sowie die Waldweide und Tierstreunutzung der Bauern in den umliegenden Ortschaften führten dazu, dass der Reichswald am Anfang des 19. Jahrhunderts kein geschlossenes Waldgebiet mehr darstellte; der Hochwald umfasste nur noch ca. 30 Prozent der Gesamtfläche. Die folgende Aufforstung durch Kiefermonokulturen führte 1893–1896 zu Insektenbefall, als Raupen des Kieferspanners ca. 1/3 des neuen Baumbestands kahl fraßen. Der moderne Siedlungsbau und der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur führten im 20. Jahrhundert zu enormen Flächenverlusten. Die Bannwaldausweisung 1980 und das Reichswaldprogramm zwischen 1986 und 2003 mit dem systematischen Aufforsten durch Laubholz steuerten diesem Trend entgegen. Heute kann der Bestand des Reichswalds als gesichert gelten.

 

Die Nürnberger Burg

Der heute sichtbare Komplex auf dem etwa 200 m langen, 50 m breiten und rund 50 m über der Pegnitz gelegenen Burgsandsteinfelsen besteht aus Bauteilen des 11. bis 13. Jahrhunderts, der Großteil der Bauten stammt jedoch aus dem 15. Jahrhundert. Baugeschichtlich und topografisch lässt er sich in drei Bereiche unterteilen: den Bereich der Kaiserburg im Westen des Bergsporns, die Reste der ursprünglich etwa ebenso alten, wohl im 12./13. Jahrhundert rechtlich und baulich von der Kaiserburg abgetrennten Burggrafenburg und die vom 14.–16. Jahrhundert errichteten reichsstädtischen Bauten im Osten (Luginsland, Kaiserstallung) und hinter der Burg (Burgbasteien). Nach Vorläufern des 10. Jahrhunderts entwickelte sich die Burg als Stätte zahlreicher Reichs- und Hoftage frühzeitig zu einem politischen Zentrum der mittelalterlichen Reichsgewalt. Im frühen 12. Jahrhundert lag sie mehrfach im Brennpunkt militärischer Auseinandersetzungen um das hochmittelalterliche Königtum (König Heinrich V. 1105, König Lothar von Supplinburg 1130) und wurde nach 1140 von den Staufern zur Reichsburg und Kaiserpfalz ausgebaut. Die seit dem Interregnum bestehende räumliche und rechtliche Trennung zwischen der Kaiserburg, die seit dem frühen 14. Jahrhundert der Reichsstadt Nürnberg anvertraut war und seit 1422 von dieser auch baulich unterhalten wurde, und der Burggrafenburg blieb auch nach deren Verkauf an die Stadt 1427 weiter bestehen (die Kaiserburg war Reichsburg unter städtischer Verwaltung, die Burggrafenburg war seither in städtischem Besitz). 1806 gelangte die Burg zusammen mit der Reichsstadt Nürnberg an das Königreich Bayern und, nachdem einzelne Teile 1811 städtisch geworden waren, 1855 als Ganzes in den Besitz des bayerischen Staates. Im 19. Jahrhundert erfolgten umfängliche Restaurierungen, so 1834/35 eine historisierende Instandsetzung unter Karl Alexander Heideloff und 1891/92 eine weitere unter August von Essenwein; die späteren Einbauten wurden 1934/35 durch die bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen wieder entfernt.

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Abb. 2: Hoch überragt die mächtige, dreigliedrige Burg die Stadt. – Luftbild, um 1930/38 (StadtAN E 10/30 Nr. 22).

Die besitzrechtlich bestehende Zweiteilung zwischen kaiserlich/staatlicher und städtischer Burg besteht bis heute fort: Die Kaiserburg untersteht der Verwaltung des Freistaats Bayern, während für die Verwaltung der östlich anschließenden Bauten die Stadt Nürnberg zuständig ist. 1944/45 wurden weite Teile der Burg zerstört; einigermaßen unbeschädigt blieb nur die romanische Burgkapelle mit dem Heidenturm. Der Wiederaufbau wurde erst 1976 abgeschlossen. Der Nürnberger Burg, bis heute eines der beliebtesten Touristenziele der Stadt, kommt symbolische Bedeutung nicht nur für die Stadt-, sondern auch für die Reichsgeschichte zu.

Von der königlichen Stadt zur Reichsstadt

Nürnberg in der Salierzeit

Nürnberg wurde erstmals in der am 16. Juli 1050 ausgestellten Urkunde Kaiser Heinrichs III. erwähnt. Das Diplom wurde auf einem Hoftag in Nürnberg ausgestellt und handelt von der Freilassung einer Hörigen namens Sigena. In der Datumszeile findet sich die erste Nennung der Stadt als »Nourenberc«. Der Name ist zu deuten als felsiger, steiniger Berg, gemeint ist der inmitten ausgedehnter Wälder emporragende Sandsteinfelsen, auf dem die Nürnberger Burg erbaut wurde.

Die Gründung Nürnbergs geschah im Zusammenhang mit der Zusammenfassung und Sicherung des Reichsguts im Raum zwischen Bayern und Sachsen, Ostfranken und Böhmen durch König Heinrich III. Zugleich diente die wiedererrichtete Burg als Stützpunkt für seine Feldzüge gegen den Böhmenherzog. Vom benachbarten, in karolingische Zeit zurückreichenden und im frühen 11. Jahrhundert an das neu gegründete Bistum Bamberg gegebenen Königshof Fürth übertrug Heinrich III. bald nach 1050 das Marktrecht nach Nürnberg.

 

HINTERGRUND

 

Die Sigena-Urkunde

Auf dem Weg von Burgund nach Mitteldeutschland weilte Kaiser Heinrich III. im Jahre 1050 in Nürnberg, wo er am 16. Juli auf einem Hoftag die Freilassung einer Leibeigenen namens Sigena urkundlich bestätigte. Bei der Sigena-Urkunde liegt die Bedeutung für Nürnberg in den Formalien: Die Datumszeile, actum Nourenberc (»gegeben zu Nürnberg«) belegt erstmals urkundlich die Existenz der späteren Metropole Frankens. Ein kaiserlicher Gnadenakt war also der Anlass für die erste Nennung der später so bedeutenden Reichsstadt Nürnberg. Über die Person der im Jahr 1050 aus der Leibeigenschaft entlassenen Sigena sind außer der vorliegenden Urkunde keine schriftlichen Belege vorhanden. Auch über den Adeligen Richolf, der als ehemaliger Leibherr ihre Freilassung bei Kaiser Heinrich durch den symbolischen Rechtsakt der aus der Hand geschlagenen Münze (excusso denario) erbeten hatte, lassen sich keine gesicherten Aussagen machen.

 

Wenig später klammerte sein Sohn Heinrich IV. das Reichsgut um Nürnberg aus der zum bayerischen Nordgau gehörenden Grafschaft Hirschberg/Sulzbach aus und bildete aus ihm einen eigenen Hochgerichts- und Verwaltungsbezirk des Reiches. Dieser umfasste im Wesentlichen die beiden Nürnberger Reichswälder sowie einige Rodungen und Ausbausiedlungen nördlich, östlich und südlich der Stadt, die später zur Alten Landschaft, dem Grundstock des Nürnberger Territoriums, zählen sollten.

In der Stadt selbst dürften von Anfang an mehrere Siedlungskerne bestanden haben, in denen Burgleute aus dem Ministerialenstand, Händler und Handwerker nebeneinander lebten: der Burgweiler südlich unterhalb der Burg sowie auf beiden Seiten der Pegnitz je ein Königshof bei den späteren Kirchen St. Egidien und St. Jakob.

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Abb. 3: Die Datumszeile der Sigena-Urkunde enthält Nürnbergs erste namentliche Nennung. – Pergamenturkunde, 16. Juli 1050 (StadtAN A 1, 1050 Juli 16).

Nürnberg unter den Staufern

Als mit dem Tod Kaiser Heinrichs V. 1125 das salische Haus erlosch, beanspruchten die staufischen Herzöge von Schwaben Nürnberg als Erbgut, konnten aber ihre Forderungen nicht gegen König Lothar von Supplinburg durchsetzen, sodass Nürnberg 1138 wieder Reichsgut wurde. Zwar gab Lothar die Stadt an seinen Gefolgsmann Herzog Heinrich den Stolzen von Bayern weiter, doch konnte König Konrad III., der erste staufische König, sie für das Reich zurückgewinnen. Unter diesem setzte vor der Mitte des 12. Jahrhunderts der Aufstieg der Stadt ein: Er errichtete die Burggrafschaft mit Gericht und Verwaltung über Nürnberg und das umliegende Reichsgut. Seit seiner Regierungszeit wurden in Nürnberg Münzen geschlagen, und eine königliche Ministerialität begann, das Umland als staufisches Reichsland zu organisieren. Zu jener Zeit erweiterte sich der Burgweiler nördlich der Pegnitz bis hin zum Fluss, u. a. durch ein 1147 auf dem Areal des heutigen Haupt- und Obstmarktes errichtetes Judenviertel zur Aufnahme von aus dem Rheinland vertriebenen Juden. Ebenfalls unter Konrad entstand in Anlehnung an den südlichen Königshof bei St. Jakob eine »Neustadt« mit regelmäßig lanzettförmigem Grundriss der Straßenzüge – die Lorenzer Stadtseite, die zunächst noch durch die Pegnitz von der Sebalder Stadtseite getrennt blieb.

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Abb. 4: Bronzefigur des hl. Sebald am Sebaldusgrab Peter Vischers in der Sebalduskirche, um 1508/19. – Fotografie von 1935 (StadtAN A 44 Nr. C 14737).

Unter den frühen staufischen Herrschern entwickelte sich auch die spätere kirchliche Organisation Nürnbergs. Die Anfänge der Sebalduskirche, der nördlichen Pfarrkirche, gehen bis in die Frühzeit der Stadt zurück. Um 1070 beginnt der Sebalduskult mit einer Wallfahrt zu den Gebeinen des erst 1425 von Papst Martin V. heiliggesprochenen Einsiedlers, die in einer einfachen Kapelle verehrt wurden. Später wurden diese Gebeine in einem kostbaren Schrein verwahrt, um den Peter Vischer und seine Werkstatt im frühen 16. Jahrhundert das viel bewunderte Baldachingehäuse schuf.

Neben St. Sebald bildete sich als zweite Kirche nördlich der Pegnitz St. Egidien als königliche Eigenkirche im Zentrum des nördlichen Wirtschaftshofes heraus. Das von Konrad III. 1146 hier angesiedelte Schottenkloster errang unter Rudolf von Habsburg Reichsunmittelbarkeit, die der Konvent bis zur Reformation behaupten konnte.

 

HINTERGRUND

 

Der Heilige Sebald

Historische Fakten über den Heiligen Sebald sind nahezu völlig unbekannt. Vermutlich gehörte der Nürnberger Stadtpatron der Frömmigkeitsbewegung des 10./11. Jahrhunderts an, die die Kirche aus allen weltlichen Abhängigkeiten befreien wollte, und lebte als Einsiedler im Sebalder Reichswald. Die ihm nachgesagte adelige Herkunft und Zugehörigkeit zum Bamberger Domkapitel sind unbeweisbar und eher unwahrscheinlich. Er starb der Legende nach 1070, vermutlich aber um die Mitte des 11. Jahrhunderts, zur Regierungszeit Heinrichs III. Bald nach seinem Tod setzte, ausgelöst von Wunderheilungen, eine Wallfahrt zu seinem Grab bei der Peterskapelle ein (erstmals bezeugt für 1072). Seit ca. 1237 wurde über seinem Grab eine romanische Kirche als Sebalduskirche erbaut, seit ca. 1280 ist die Entwicklung einer Sebalduslegende nachweisbar. 1397 wurden seine Gebeine in einem Silberschrein im Chor der Sebalduskirche aufgestellt. Der Nürnberger Rat betrieb energisch die Heiligsprechung, die am 26. März 1425 durch Papst Martin V. erfolgte und in Nürnberg mit einer achttägigen Prozession gefeiert wurde. 1488/1508–1519 entstand das Sebaldusgrab Peter Vischers. Mit der Reformation endete die Heiligenverehrung, doch blieb Sebald in Nürnberg nicht nur als Namensgeber weiterhin populär. Heute werden die unregelmäßig vorgenommenen Visitationen der Reliquien im Sebaldusgrab von Vertretern der evangelischen und katholischen Kirche sowie der Stadt gemeinsam durchgeführt.

 

War St. Sebald ursprünglich eine Filialkirche von Poppenreuth, einem Dorf nordwestlich Nürnbergs, so entwickelte sich südlich der Pegnitz aus einer kleinen Lorenzkapelle als Tochterkirche von St. Martin in Fürth die spätere südliche Pfarrkirche Nürnbergs. Und auch auf der südlichen Flussseite stand neben der Bürgerkirche eine Königskirche – St. Jakob. Sie lag ebenso wie St. Egidien im Norden in einem königlichen Wirtschaftshof und wurde 1209 von Otto IV. dem Deutschen Orden geschenkt, der hier eine seiner größten Niederlassungen im Reich aufbaute und nahe bei St. Jakob ein Spital samt Kapelle errichtete, das er seiner Tradition entsprechend der heiligen Elisabeth weihte.

Das 12. Jahrhundert bildete einen Höhepunkt in der Baugeschichte der Nürnberger Burg, insbesondere unter den Staufern Konrad III. und Friedrich I. Barbarossa. Zur gleichen Zeit führte die Herausbildung des Burggrafenamtes zur rechtlichen und baulichen Trennung zwischen Kaiser- und Burggrafenburg. Sinwellturm, Doppelkapelle und Palas sind eindrucksvolle Zeugen dieser staufischen Bautätigkeit; die früher vermuteten grundlegenden Umbauten am Palas unter dem Habsburger Friedrich III. (15. Jahrhundert) haben nach heutigem Forschungsstand nicht stattgefunden.

Um 1200 zeigt sich Nürnberg als Mittelpunkt ausgedehnter Reichsgüter im Zentrum der staufischen Territorialpolitik von Schwaben bis Böhmen und Sachsen. Seit 1173/74 ist in der Stadt ein Schultheiß bezeugt und damit ein Stadtgericht nachgewiesen. Die seit Konrad III. bestehende Burggrafschaft fiel nach dem Aussterben der Raabser 1190/92 an die schwäbischen Grafen von Zollern, die später als Markgrafen von Ansbach und Kulmbach/Bayreuth zu den größten Territorialherren des Raums aufstiegen. Ihr Amt als Burggrafen von Nürnberg wurde jedoch auf rein militärische Belange beschränkt, die Verwaltung des Reichsguts und des vor St. Egidien tagenden königlichen Landgerichts oblag einem selbstständigen Amtsträger, Butigler genannt, die Verwaltung der Stadt und das städtische Gericht dem Schultheißen. Der steigende Bedarf des königlichen Hofes und die zunehmende Bedeutung der Stadt zogen verstärkt Handwerk und Handel nach Nürnberg. Beides wurde von den Staufern gefördert.

Am 8. November 1219 erließ Friedrich II. den sogenannten »Großen Freiheitsbrief«, ein erstes Stadtprivileg, das die Nürnberger Bürger unter den alleinigen Schutz des Königs stellte und vor allem auf die Sicherung und Förderung der rechtlichen und wirtschaftlichen Stellung von Handel und Kaufmannschaft abzielte, so z. B. auf den Schutz der Kaufleute vor gerichtlichem Zweikampf sowie auf die Sicherung von Lehenbesitz und Pfandrechten oder auf weitreichende Zollfreiheiten und Münzprivilegien. Diese wirtschaftlichen Privilegien, die auch eine Schmälerung der königlichen Einflüsse und Einnahmen darstellten, waren wohl von der Nürnberger Bürgerschaft erkauft worden. Gleichzeitig trat nun der König im Zuge der staufischen Reichsland- und Städtepolitik als Vogt und alleiniger Stadtherr auf. Er schloss somit rivalisierende Ansprüche etwa der Bischöfe von Bamberg aus.

Nürnberg wird Reichsstadt

Mit dem Niedergang der staufischen Königsmacht beginnt der Aufstieg Nürnbergs zur Reichsstadt. Schon im Großen Freiheitsbrief trifft man auf die Nürnberger Bürgerschaft als Rechtsgemeinschaft. 1254 ist sie erstmals als universitas civium bezeugt, ihr eigenes Siegel führt sie seit 1236/42. Wälle und Stadttore der vorletzten Stadtummauerung werden 1256 erstmals erwähnt, drei Türme dieser staufischen Stadtmauer (Tiergärtnertorturm, Laufer Schlagturm, Weißer Turm) sind heute noch sichtbar. Um 1320/25 wurden die bis dahin noch getrennten Stadthälften durch zwei starke Bauten über dem Ein- und Ausfluss der Pegnitz miteinander verbunden.

Ein erstes eigenständiges Handeln Nürnbergs als Reichsstadt stellt sein Beitritt zum Rheinischen Städtebund 1256 dar. Dieser erste, 1254 bis 1257 bestehende Städtebund in Deutschland strebte – wohl in Fortsetzung des Mainzer Reichslandfriedens von 1235 – eine neue Form der Landfriedenswahrung an. Gegründet als Bündnis zwischen Mainz, Worms und Oppenheim entstand ein gemischter Bund aus Fürsten und Städten, der vor allem am Oberrhein, später auch am Niederrhein und in Westfalen aktiv war. 1256 erreichte er mit dem Beitritt von Nürnberg und Regensburg seine größte Ausdehnung. Wohl im Zusammenhang mit der Doppelwahl der deutschen Könige Richard von Cornwall (17. Mai 1257) und Alfons von Kastilien (1. April 1257) brach der Bund auseinander.

Nach dem Untergang der Staufer beanspruchten die Wittelsbacher als deren Erben die Königsstadt. Diesen zweiten Versuch, die fränkische Metropole zu einer bayerischen Landstadt zu machen, vereitelte König Rudolf von Habsburg. Wohl musste er den Zollern 1273 für ihre geleistete Wahlhilfe die Burggrafschaft mit der Vorburg auf dem Burgberg zusammen mit bedeutenden Rechten als Reichslehen überlassen. Ansonsten aber gewann er Nürnberg für das Reich zurück. Damit war der Grundstein gelegt für die Entfaltung der Reichsstadt, zugleich aber auch zu ihrer Rivalität mit den Burggrafen und späteren Markgrafen von Ansbach.

Ins ausgehende 13. Jahrhundert fällt auch die erste große Judenverfolgung in Nürnberg. Während der sogenannten Rindfleisch-Pogrome (benannt nach dem Anführer, einem Metzger namens Rindfleisch) mit über 100.000 Opfern in 147 süddeutschen Gemeinden kam es 1298 zur ersten Auslöschung der jüdischen Gemeinde, bei der 628 Menschen, unter ihnen der Gelehrte Mordechaj ben Hillel und seine Familie, ermordet wurden. Mordechaj ben Hillel war ein Nachkomme bedeutender Tora- und Talmudgelehrter und zählt als Gesetzeskodifikator und Kommentator zu Talmud und Halacha, dem jüdischen Religionsgesetz, zu den herausragenden Weisen des mittelalterlichen Judentums. Daneben widmete er sich der synagogalen Poesie und der hebräischen Grammatik.

Wappen und Siegel der Stadt Nürnberg

Die Stadt Nürnberg führt zwei Wappen. Das Große Stadtwappen (in Blau ein goldener Adlerrumpf mit einem jugendlichen, langhaarigen Königskopf) entwickelte sich aus dem seit 1336/42 geführten Hauptsiegel der Reichsstadt. Das älteste erhaltene Exemplar von 1254 ist aus rotem Wachs gefertigt und zeigt im runden Siegelfeld einen schlanken Königskopfadler. Dem Bild der kaiserlichen Siegel nachempfunden, dokumentierte Nürnberg damit seine Reichsfreiheit. Die Umschrift von 1254 lautet: »Sigillum universitatis civium de Nurenberch«. Das Typar dieses Hauptsiegels blieb anscheinend bis 1368, als das Gefieder des Königskopfadlers durch gitterartige Vertiefungen ersetzt wurde (so bis 1806), unverändert.

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