Inhaltsverzeichnis

Zum Buch

 

In Oberbayern, Deutschlands südlichster Region, wird Geschichte vielfältig erlebbar: Benediktinische Klöster, gotische Herzogstädte, prachtvolle Schlösser und nüchterne Industriedenkmale sind Zeugnisse einer abwechslungsreichen Vergangenheit.

Ab dem Mittelalter war das damalige Bauernland geistlich geprägt, bevor im 19. Jahrhundert unter Bayerns Königen eine tiefgreifende gesellschaftliche und wirtschaftliche Modernisierung einsetzte. Innerhalb der letzten 50 Jahre hat sich Oberbayern zum hochmodernen Hightech-Standort gewandelt.

 

 

Zum Autor

 

Michael W. Weithmann,
Dr. phil., geb. 1949 in München, studierte Geschichte und Politische Wissenschaften in München und Wien. Er ist wissenschaftlicher Bibliothekar an der Universität Passau und Autor erfolgreicher Sachbücher.

Michael W. Weithmann

 

 

 

 

Kleine Geschichte
Oberbayerns

 

 

 

 

 

 

 

 

 

VERLAG FRIEDRICH PUSTET
REGENSBURG

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

3., überarbeitete und aktualisierte Auflage 2016

eISBN 978-3-7917-6099-5 (epub)
© 2016 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg
Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:
ISBN 978-3-7917-2848-3

Weitere Publikationen aus unserem Programm finden Sie auf www.verlag-pustet.de
Informationen und Bestellungen unter verlag@pustet.de

Vorwort

Welche Assoziationen verbindet man mit „Oberbayern“? Einheimische denken wohl an Heimat, Berge und Seen und an relativ gesicherte Lebensverhältnisse, Fremde an Urlaub, Ferien und weiß-blauen Himmel, und Wirtschaftsvertreter stellen sich eine moderne Infrastruktur, zukunftsweisende Industrien und hohe Kaufkraft vor. Auf jeden Fall ist das „Image“ Oberbayerns positiv besetzt. Es mag sich dabei um Klischees handeln, doch beruhen sie auf realer Basis. In allen bundesweiten Rankings über Wirtschaftskraft, Kulturangebot, Freizeitwert und Lebensqualität nimmt Oberbayern regelmäßig Spitzenplätze ein. Die Regionen München und Ingolstadt sowie das südostbayerische Chemiedreieck zählen zu den besonderen „Vorzugsräumen“ der Europäischen Union. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber aus der Geschichte des Landes erklärbar.

Benediktinische Klöster, gotische Herzogstädte und nüchterne Industriedenkmale sind heute noch Zeugnisse der abwechslungsreichen Vergangenheit in Deutschlands südlichster Region zwischen Donautal und Alpenkamm. Dem Raum am Oberlauf der Isar – daher „Ober“-Bayern – kommt seit 500 Jahren nicht zuletzt wegen der Landeshauptstadt München eine ausgesprochene Mittelpunktsfunktion zu. Das Voralpenland repräsentiert aber mit seinen eigenständigen Städten und Landschaften doch erheblich mehr als den Speckgürtel um die Metropole.

Galt Bayerns größter Regierungsbezirk noch in der „guten, alten“ Prinzregentenzeit um 1900 als behäbiges Bauernland, so hat er sich innerhalb der letzten 60 Jahre zum hochmodernen Hightech-Standort gewandelt. Grundlegend dafür wirkte sich jene „historische Weichenstellung“ aus, als nach dem Zweiten Weltkrieg wichtige Schlüsselindustrien und Großunternehmen ihre Sitze aus Ost- und Mitteldeutschland in den Süden verlegten.

Wie alle anderen Regierungsbezirke des Freistaats wurde Oberbayern als moderne politische Einheit erst 1837 gegründet. Seine gegenwärtigen Grenzen beruhen auf der umfassenden Gebietsreform von 1972. In beiden hoheitlichen Akten erfuhr Oberbayern jeweils eine Vergrößerung seines Gebiets. Eine geschichtliche Darstellung Oberbayerns muss also auch Landschaften und Orte berücksichtigen, die bis ins 18. Jahrhundert und bis 1972 nicht Teil unseres Regierungsbezirks waren. Dazu gehören der ehemals salzburgische Rupertiwinkel mit Berchtesgaden, die vormals niederbayerischen Städte Altötting und Burghausen und nicht zuletzt die Bischofsstadt Eichstätt.

Weithmann_Oberbayern_Abb

Abb. 1: Das oberbayerische Wappen zeigt die weiß-blauen Rauten (eigentlich „Wecken“) sowie den „rotbewehrten und rotgekrönten“ pfalz-bayerischen Löwen.

Ein paar Fakten zuerst

Sieben Regierungsbezirke bilden den Freistaat Bayern: Ober- und Niederbayern, Oberpfalz, Schwaben sowie Ober-, Mittel- und Unterfranken. Der Flächenstaat Bayern verfügt über einen dreistufigen Verwaltungsaufbau. Der Regierungsbezirk stellt die Mittelstufe zwischen der Staatsregierung und den nachgeordneten Behörden (Landratsämter, Kreisfreie Städte) dar. Verwaltungsbehörde ist die Regierung, deren Leitung dem Regierungspräsidenten obliegt. Oberbayern setzt sich aus 20 Landkreisen mit 503 Kommunen und drei kreisfreien Städten (München, Ingolstadt, Rosenheim) zusammen.

Die Bezirke bilden die dritte kommunale Ebene in Bayern. Diese kommunalen Gebietskörperschaften decken sich räumlich mit den Regierungsbezirken. Die Verwaltung besorgt der Bezirkstag, dem der Bezirkstagspräsident vorsteht. Zu den vielfältigen Aufgaben des Bezirks Oberbayern zählen der Sozialbereich, das Gesundheitswesen, Bildung und Ausbildung, Umwelt und Naturschutz. Und dazu kommen als besondere Schwerpunkte noch die Förderung der landestypischen Kultur, der Heimatpflege und des Geschichtsbewusstseins hinzu. Auch das vorliegende Bändchen ist in diesem Rahmen zu sehen und soll zum Geschichtsverständnis über unsere Region beitragen.

Oberbayern in Zahlen

 

Fläche: 17 531 Quadratkilometer; Oberbayern nimmt damit 24,8 % – also ein Viertel – der Gesamtfläche Bayerns ein.

Einwohner: 4 519 980 (2015); Oberbayern beherbergt 36 % der Gesamtbevölkerung Bayerns.

Einwohnerzahlen (gerundet): Region München: 2 800 000; Region Ingolstadt: 460 000; Region Oberland: 431 000; Region Südostoberbayern: 800 000.

Größere Städte: München (1 430 000 E.); Ingolstadt (133 000 E.); Rosenheim (60 900 E.); Freising (46 000 E.); Dachau (46 000 E.); Germering (40 000 E.).

Bei einem bundesdeutschen Mittelwert von 100 beträgt 2014 die Kaufkraft 123 (Bayern: 109).

Die Erwerbslosenquote betrug 2015 3,5 % (Gesamtbayern: 3,6 %).

Weithmann_Oberbayern_Abb

Abb. 2: Der Regierungsbezirk Oberbayern mit Landkreisen und kreisfreien Städten.

Der Raum Oberbayern

München und Oberbayern

Oberbayern ist der flächenmäßig größte und bevölkerungsreichste Regierungsbezirk des Freistaats Bayern. An Wirtschaftskraft zählt er zu den stärksten und fortschrittlichsten Regionen der gesamten Bundesrepublik Deutschland – und nimmt damit einen Spitzenplatz innerhalb der Europäischen Union ein. Das Herz der bayerischen Wirtschaft schlägt hier. Hochmoderne Einrichtungen aus IT, Hightech, Kommunikation und internationalen Medien bestimmen das Bild. Mehr als ein Drittel aller Beschäftigten arbeitet im Regierungsbezirk Oberbayern und erwirtschaftet über 40% der bayerischen Wertschöpfung. Selbstverständlich spielt dabei die Großstadt München und ihr urbaner Einzugsbereich von insgesamt zweieinhalb Millionen Menschen eine tragende Rolle.

Nicht der ganze oberbayerische Regierungsbezirk, aber doch bedeutende Teile sind wirtschaftlich nach München ausgerichtet. Eine halbe Million Pendler strömen tagtäglich von Rosenheim, Landsberg oder Pfaffenhofen in die City. München repräsentiert bereits ein Oberzentrum, das weit über Bayern hinaus wirkt und über Tirol und die Alpenländer bis in die italienischen Zentren Venedig, Verona und Mailand ausstrahlt. Und Münchens Bedeutung wird innerhalb der nach Mittel- und Südosteuropa erweiterten Europäischen Union noch weiter zunehmen. Als einziger Millionenstadt im Süden Deutschlands mit einem prognostizierten Zuwanderungsgewinn wird ihr eine Zentralfunktion in der europäischen Metropolregion zwischen Stuttgart, Frankfurt, Prag, Mailand und Zürich zukommen. Und Oberbayern profitiert davon. „Zu Hause in Bayern – erfolgreich in der ganzen Welt.“

Aber, bei aller Wertschätzung Münchens, Oberbayern ist beileibe kein Anhängsel der Stadt München oder gar nur seine ländliche Peripherie. Und es gibt neben der Landeshauptstadt durchaus noch andere Städte mit reicher geschichtlicher Vergangenheit, mit kulturellen Einrichtungen und einem intakten Wirtschaftsgefüge: Ingolstadt, Oberbayerns zweitgrößte Stadt, war lange Zeit Mit-Hauptstadt unseres Raumes und beherbergte die erste bayerische Universität. Und um seine heutige Bedeutung wissen nicht nur Audi-Fahrer! Rosenheim, an dritter Stelle in der oberbayerischen Städtereihe stehend, ist eine quirlige Metropole am Alpenrand, die den Strukturwandel von der Eisenbahndrehscheibe des 19. Jahrhunderts zum modernen Einkaufs- und Dienstleistungszentrum bravourös gemeistert hat. Dann folgt Freising an vierter Stelle der Einwohnerzahl. Gemessen an der geschichtlichen Bedeutung aber müsste es an erster Stelle stehen! Freising ist die heimliche Hauptstadt Oberbayerns. Urkundlich bereits im 8. Jahrhundert als Stadt erwähnt, übertrifft es den Parvenü München um ein halbes Jahrtausend an Alter und war bis ins 19. Jahrhundert Sitz des Bischofs über unsere Region. Die Moderne hat hier mit dem Airport Munich (MUC), auf Freisinger Gebiet gelegen, Position bezogen. Dachau war lange Zeit herrschaftliche Sommerresidenz und im 19. Jahrhundert ein beliebter Treffpunkt für Künstler. Im letzten Jahrhundert hat sich Dachaus Nähe zu München, zur „Hauptstadt der Bewegung“, nicht gut ausgewirkt, wurde hier doch das erste NS-Konzentrationslager eingerichtet. Die sechstgrößte Kommune ist Germering, eine typische urbane Agglomeration der Nachkriegszeit, entstanden aus dem Zusammenschluss der Gemeinden Germering und Unterpfaffenhofen im Umfeld der modernen Betriebe, die sich im Münchner Westen angesiedelt haben.

Oberbayerns politische und regionale Entwicklung ist nicht kontinuierlich verlaufen und war mehreren Brüchen unterworfen. Wir wollen diesen Zusammenhang anhand von mehreren Städten anschaulich machen, die zwar im heutigen Oberbayern gelegen, historisch gesehen aber keine „oberbayerischen Städte“ sind. Wie das? Burghausen an der Salzach war die längste Zeit seiner Geschichte neben Landshut eine der Hauptstädte Niederbayerns. Seine gewaltige Burganlage ist von niederbayerischen Herrschern aufgetürmt worden. Zu Oberbayern kam es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts qua königlichen Federstrich. Und als „oberbayerische Stadt“ erfuhr sie auch jenen wirtschaftlichen Aufstieg, den ihr die Wacker-Werke und das südostoberbayerische Chemie-Dreieck bescherten. Die Städte Tittmoning, Laufen und Freilassing an der Salzach wären noch vor etwas über 200 Jahren schwer beleidigt gewesen, hätte man sie überhaupt als bayerisch bezeichnet. Sie waren salzburgisch (aber beileibe nicht österreichisch!) und sind auch heute noch auf diese Metropole ausgerichtet. Neuburg an der Donau ist die Residenz eines eigenständigen, von Oberbayern unabhängigen Ländchens gewesen. Im 19. Jahrhundert wurde es Bayerisch-Schwaben angegliedert, was historisch korrekt war. Doch im Zuge der Landkreisreform 1972 kam es an Oberbayern. Auch die Bischofsstadt Eichstätt in der Altmühlschleife ist eine „Neuerwerbung“ Oberbayerns von 1972, obgleich sie historisch ein Teil Frankens ist.

Unser Oberbayern repräsentiert also eine eigenständige Landschaft und eine historisch gewachsene politische Einheit, die freilich einen langen Weg zurücklegen musste. Und das rechtfertigt auch eine Geschichte Oberbayerns.

Weithmann_Oberbayern_Abb

Abb. 3: Die im 8. Jahrhundert gegründete Domstadt Freising ist der historische Mittelpunkt Oberbayerns. – Kupferstich von Matthaeus Merian, 1657.

Obere Bayern und Niedere Bayern?

Der Begriff „Ober“-Bayern hat schon zu manch süffisanter Bemerkung geführt, besonders gegenüber „Nieder“-Bayern, schließlich scheint beiden Attributen eine deutliche Wertung eigen zu sein, die fast an den „Ober“ und „Unter“ des in ganz Bayern beliebten Kartenspiels erinnert. Aber mit hierarchischer Ober- und Unterordnung haben diese beiden Regionalbezeichnungen überhaupt nichts zu tun! Ihre Erklärung ist überraschend einfach: Die Isar ist der Fluss, der diese beiden genannten Regierungsbezirke in der Gesamtheit durchfließt. Und der „obere Teil“ ihres Einzugsgebiets, also die Region, die näher zur Flussquelle hin sich erstreckt, ist eben Ober-Bayern, und der niedere Teil, den die Isar zur Mündung hin durchmisst, bezeichnet Nieder-Bayern. Auch im Sprachgebrauch drückt sich das aus, der Passauer oder Landshuter fährt nach München „auffe“ (hinauf), wie umgekehrt der Münchner sich dorthin „obe“ (hinab) begibt.

In dieser Weise und damit durchaus nachvollziehbar sind anno 1255 in der ersten Landesteilung des Herzogtums Bayerns die zwei Regionen festgelegt worden. Als Kernzonen bildeten sich in der Folgezeit für Oberbayern die Achse Ingolstadt–München–Traunstein, und für Niederbayern der Raum Landshut–Straubing–Vilshofen heraus. Die Grenzen beider Verwaltungseinheiten waren demgegenüber jahrhundertelang nicht genau festgelegt und veränderten sich. Burghausen und Moosburg z. B. kamen erst im 19. Jahrhundert zu Oberbayern.

Weithmann_Oberbayern_Abb

Abb. 4: Die monumentale Burg zu Burghausen sollte den letzten niederbayerischen Herzog Georg den Reichen (1479–1503) vor seinem oberbayerischen Vetter Herzog Albrecht dem Weisen (1460–1508) schützen.

Die Grenzen Oberbayerns

Werfen wir einen Blick auf den modernen, im Rahmen des Freistaats liegenden Regierungsbezirk Oberbayern: Erkennen wir natürliche Grenzen? Gegen Süden hin bildet die Alpenkette die Grenze zu den österreichischen Bundesländern Tirol und Salzburg. Die Linie folgt dabei nicht den Tälern sondern den Graten und Bergkämmen, welche die Berggipfel verbinden. Die Geografen nennen dies eine „orografische Grenze“.

Die Gebirgsgruppen werden dabei meist zerteilt und erstrecken sich über bayerisches wie österreichisches Gebiet. Von West nach Ost sind dies zu Tirol hin das Ammergebirge, das Wettersteinmassiv mit dem höchsten Berg der deutschen Alpen, der Zugspitze (2964 m), das Karwendelgebirge und die Tegernseer Berge. Die Chiemgauer Alpen bilden eine sanfte Grenze zum schroffen Tiroler Kaisergebirge. Gegen Salzburg hin steigt die Berchtesgadener Bergwelt dann dramatisch in die Höhe und erreicht im Steinernen Meer eine Durchschnittshöhe von 2500 Metern. Der Watzmann ist mit 2713 Höhenmetern der zweithöchste Berg der deutschen Alpen. Am sagenumwobenen Untersberg hat Oberbayern noch mit dem Hochthron (1972 m) Anteil.

Nach Süden offen: Die Alpen sind kein Hindernis!

Es mag eine überraschende Tatsache sein, dass die Alpen für die Menschen nie trennend gewirkt haben. Von frühester Menschheitsgeschichte an lassen sich enge Verbindungen von Süd nach Nord und vice versa nachweisen. Hirten und Händler querten die Berge. Der „Ötzi“, der um 5800 v. Chr. sein Ziel leider nicht erreicht hat, ist nur ein Beispiel für die Bedeutung der Alpen als Kultur-Brücke, nicht etwa als Kulturscheide, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte. Nicht nur Handelsgüter fanden ihren Weg, sondern auch Ideen, und Gene, also ganze Stämme und Völker. Im nördlichen und südlichen Alpenvorland haben seit jeher eng verwandte Völker gelebt, zwar durch Sprache geschieden, aber mit weitgehend gemeinsamer Kultur und Religion. Die nonchalante Wertung von München und Oberbayern als „nördlichster Vorposten Italiens“ hat durchaus seinen kulturgeschichtlichen Hintergrund! Vergleichbar beginnt für die Italiener das eigentliche teutonische und protestantische Deutschland erst nördlich der Mainlinie.

Viele Pässe und Flusstäler ermöglichen den Übergang ins südliche Nachbarland. Die junge Isar durchbricht im Scharnitzpass (948 m) den Karwendel und bietet dort die kürzeste Verbindung von München nach Innsbruck. Auch der Achenpass (941 m) war früher ein frequentierter Übergang von München ins Inntal. Durchs bayerische Inntal, wo sich der ungestüme Gebirgsfluss nach seiner Bahn quer durch die Berge seinen Weg hinaus ins flachere bayerische Oberland geschlagen hat, verläuft seit jeher eine der Hauptachsen durch die Alpen. Handelszüge, Heere und Pilger waren hier unterwegs. Deutsche Könige und Kaiser zogen in Richtung Rom. Bis ins 16. Jahrhundert zählte das Inntal bis kurz vor Innsbruck übrigens zum bayerischen Herzogtum. Die Grenze zu Tirol bei Kiefersfelden besteht erst seit 1505.

Halten wir fest: Die schroffe Bergkette der Bayerischen Alpen – sie ist kein Riegel und ist es niemals gewesen! Im Gegenteil, sie weist den Weg nach Süden, nach Oberitalien, einer seit den Römern ökonomisch und kulturell pulsierenden Region, und weiter zum Mittelmeer, dem Ursprungsraum der europäischen Kultur. Oberbayern ist nach Süden orientiert!

Lech und Salzach bilden natürliche Grenzen

Oberbayern wird im Westen vom Lech, im Osten von der Salzach, mithin zwei großen Alpenflüssen, eingegrenzt. Beginnen wir im Westen mit dem Lech. Ihm kommt nämlich wirklich eine Art Grenzfunktion zu. Östlich des Lechs beginnt – übrigens ziemlich abrupt – der alemannische Großraum. Schon im oberbayerischen Vorfeld von Schongau und Landsberg ändert sich die Sprache und nimmt unüberhörbar schwäbische Formen an. Der Lech bildet dann eine deutliche Sprach- und auch Mentalitätsscheide. Jenseits des Flusses erstreckt sich der Bezirk Bayerisch-Schwaben mit Augsburg als Hauptstadt.

Die Salzach und ihr Nebenfluss Saalach hingegen waren nie eine echte Grenze. Hüben und drüben leb(t)en Menschen gleicher Sprache und Kultur. Bis ins 18. Jahrhundert durchflossen sie das Fürstbistum Salzburg, zu dem das gesamte linksufrige Gebiet – der Rupertiwinkel – zählte. Der bayerische Löwe tappte hier erst nach 1815 herein. Politische Grenzfunktion kam der Salzach nur von 1815 (Wiener Kongress) bis 1995 (österreichischer EU-Beitritt) zu. Die eigentliche historische Ostgrenze Oberbayerns zum Fürstbistum Salzburg verlief weiter westlich und orientierte sich an der Alz und an der Traun.

Die höchst unbeständige Nordgrenze

Die Nordgrenze ist die längste und am wenigsten überschaubare Linie, die Oberbayern von Niederbayern und ganz im Norden von Mittelfranken und im Nordwesten von Schwaben abtrennt. Natürliche Grenzen können wir hier nicht einmal im Ansatz erkennen! Die Linie verläuft wie willkürlich durchs Gelände. Sie ist ein Ergebnis jahrhundertelanger inner-wittelsbachischer Machtpolitik. Im 19. Jahrhundert versuchte man sie im Zuge einer Verwaltungsreform etwas zu begradigen, was nicht durchwegs gelang. Bis 1972 blieb die Nord- und Westgrenze Oberbayerns unverändert. Der Regierungsbezirk bildete bis dahin einen geschlossenen Raumkörper, der in der Donau (den Brückenkopf Ingolstadt ausgenommen) eine deutliche natürliche Grenze zum Fränkischen und Oberpfälzischen besaß.

Die große Flurbereinigung: Gebietsreform 1972

 

Die große Flurbereinigung – die Gebietsreform von 1972 – hat gerade in diesem Areal viele Veränderungen gebracht. An der Isar verlor Oberbayern die Gemeinde Bruckberg an Niederbayern. Auch Mainburg mit dem Kern der Hallertau ging an Landshut. Viel gravierender waren aber die Zuwächse und Einschnitte im Donaugebiet. Das Altmühltal befindet sich seitdem bis kurz vor Riedenburg in Oberbayern, obgleich es historisch auf die Oberpfalz ausgerichtet ist. Und wer – Hand aufs Herz – assoziiert denn Eichstätt mit Oberbayern? Dieses ehemalige Fürstbistum tendierte seit über 1000 Jahren ins Fränkische. Die Angliederung Neuburgs an der Donau – ehedem schwäbisch – kann man eher unter historischen Vorzeichen akzeptieren. Dagegen wurde der ehedem oberbayerische Landkreis Aichach–Friedberg geteilt und zum größten Teil Schwaben zugeschlagen. Auf das wittelsbachisch-bairische Stammland um Aichach musste Oberbayern verzichten. Die neue innerbayerische Grenzziehung von 1972 folgte nicht mehr historischen Vorbildern, sondern modernen infrastrukturellen organisations- und verwaltungstechnischen Konzepten. Ein – durchaus einsehbares – Ziel war es z. B., dem Wirtschaftsstandort Ingolstadt mit Eichstätt und Neuburg-Schrobenhausen ein erweitertes Umland zu verschaffen.

Halten wir fest: Die Grenzziehung Oberbayerns nach Norden war seit jeher „fluktuierend“ und diversen Interessenslagen unterworfen.

Flussläufe Oberbayerns

Sämtliche Flüsse Oberbayerns entspringen in den Alpen und entwässern in die Donau. Dieser Strom, nach der Wolga der zweitlängste Fluss Europas, fungiert als „Regenrinne des Alpenvorlandes“ und nimmt den Lech, die Isar und den Inn auf. Zu seinem gewaltigen Einzugsgebiet zählt auch das gesamte südliche und mittlere Bayern. Der oberbayerische Abschnitt beträgt zwar nur 30 Flusskilometer, enthält aber das Renaissance-Juwel Neuburg an der Donau und die zweite Großstadt Oberbayerns, Ingolstadt. Bei Pförring überquerte eine uralte Handels- und Heerstraße die Donau. Bis zur Erfindung der Eisenbahn war die Donau die Hauptschlagader für Verkehr und Fernhandel in Mittel- und Südosteuropa. Während die Schifffahrt heute nur bis bzw. von Kelheim möglich ist, wo die zum Main-Donau-Kanal umgewandelte Altmühl mündet, wurde in historischer Zeit die gesamte Strecke bis Ulm mit Fracht- und Passagierschiffen befahren.

Weithmann_Oberbayern_Abb

Abb. 5: Salzach und Inn waren in historischer Zeit viel befahrene Wasserstraßen. Das Fresko am Rathaus in Marktl/Inn zeigt Salz-Plätten und einen Treidelzug des 18. Jahrhunderts.

Der Inn durchfließt unser Gebiet vom bayerischen Unterinntal durch das Rosenheimer Becken und die Wasserburger Jungmoränenlandschaft, bis er beim Papstort Marktl die Salzach aufnimmt und damit seine Wassermenge fast verdoppelt. Er ist – neben der Donau – der zweite internationale Fluss Oberbayerns und mit 510 Kilometern Länge auch einer der größeren Flüsse Europas. Sein Quellgebiet liegt am schweizerischen Maloja-Pass, er durchfließt Nordtirol und wird kurz hinter Kufstein bayerisch. Rosenheim, Wasserburg, Mühldorf, Alt- und Neuötting sind seine nächsten Stationen in Oberbayern. Wasserburg diente als „Hafen Münchens“, von welchem der kurfürstliche Hofstaat bequem auf dem Wasserweg nach Altötting, Passau oder Wien reisen konnte. Der ungestüme Gebirgsfluss war eine pulsierende Lebens- und Verkehrsader, die von vorgeschichtlicher Zeit bis ins 20. Jahrhundert von Plätten und Schiffen, im 19. Jahrhundert gar mit Dampfschiffen, befahren wurde. Seit dem Kraftwerksbau bei Töging 1924 dient seine alpine Wasserkraft der Energiegewinnung, wodurch der Fluss manche Einzwängung und Aufstauung in Kauf zu nehmen hatte.

„Heut ist Föhn …“

 

Der Inn ist auch verantwortlich für den Föhn, ein typisch oberbayerisches Wetterphänomen: Der Fluss reißt die Warmluft über den Alpentälern mit und transportiert sie ins Voralpenland, das dann wie unter einer extrem durchsichtigen Glasglocke schmort. Bekanntlich pflegt man an solchen Tagen sämtliche menschlichen Unzulänglichkeiten auf den Einfluss des Föhns abzuwälzen.

Lech, Isar und Salzach haben wir schon erwähnt. Dazwischen finden wir kleinere Flussläufe. Paar und Ilm streben selbstständig der Donau zu. Siedlungsgeografisch bedeutend sind die Tributärflüsse. Ihre Flusstäler und Hochterrassen boten sich den Menschen als bevorzugtes Dauersiedelgebiet an. Die Flüsse sorgten für Nahrung, für Verkehr und Handel, für Wasserkraft und auch für Schutz. Gerade die „kleineren“ Flusstäler waren favorisierte Siedelgebiete, weil sie einerseits nicht direkt an den großen Einfallstraßen lagen, aber dennoch mit ihnen verbunden waren. Für die Besiedelungsgeschichte Oberbayerns kommen daher der Paar, der Glonn, Ammer und Amper, Loisach, Mangfall, Alz und Traun ganz besondere Bedeutung zu.

Die Loisach nimmt ihren Lauf über 120 Kilometer vom Lermooser Becken (Tirol) durch das Werdenfelser Land, sie durchfließt den Kochelsee und mündet bei Wolfratshausen in die Isar. Wie die Isar war sie ein typischer Flößerei-Fluss, auf dem Holzstämme und Kalksteine aus den Alpen transportiert wurden. Bei Wallgau nimmt sie seit 1925 abgeleitetes Isarwasser auf, welches über das Walchenseekraftwerk der Loisach zugeführt wird. Die Mangfall ist ein Abfluss des Tegernsees. Ihre 60 Kilometer führt sie erst nach Norden, doch dann in einer charakteristischen Schleife nach Osten zum Inn, den sie bei Rosenheim erreicht. Aus dem Ammergebirge kommt die Ammer. Sie durchfließt den Ammersee und verlässt ihn als Amper. Ihre Anlieger sind Grafrath, Fürstenfeldbruck und Dachau. In einem weiten Bogen umgreift sie München und Freising und geht nach 170 Kilometern bei Moosburg in die Isar ein. Die Würm entquillt dem Starnberger See (dessen Name bis ins 19. Jahrhundert Würmsee lautete), durchfließt das idyllische Würmtal vor Gauting und durchmisst Pasing und Menzing im westlichen Münchner Stadtgebiet. Bei Dachau trifft sie auf die Amper. Die Alz verlässt bei Seebruck den Chiemsee und verstärkt nach 63 Kilometern den Inn. Ihr wichtigster Seitenfluss ist die oberbayerische Traun, die Traunstein ihren Namen gegeben hat. Aus den Chiemgauer Alpen kommend, ergießt sie sich nach 45 Kilometern bei Altenmarkt in die Alz.

Natur- und Kulturräume Oberbayerns

Naturräumlich ist Oberbayern sehr übersichtlich von Süd nach Nord in mehrere geologische Bänder gegliedert. Die Hochgebirgszone der Alpen von der Zugspitze bis zum Watzmann haben wir schon erwähnt. Es sind Kalkmassive, deren Zacken über 2000 Meter hoch aufragen. Als oberbayerisches Hochland firmieren die Gebirgszüge zwischen Lech- und Inntal. Es folgt das Voralpenland, dessen Berge immerhin noch bis 1900 Meter aufsteigen. Die Berge am Alpenrand gehen in die bewaldete Flyschzone über. Typisch für das südliche Oberbayern ist die breite Moränenlandschaft. Sie ist entstanden, als sich die Alpengletscher während der Eiszeit nach Norden ausbreiteten und nachher wieder zurückzogen. Wir bezeichnen diese Region als das eigentliche oberbayerische Oberland. Glazialer Herkunft sind auch die Seen, die in das Alpenvorland eingebettet sind: Der Staffelsee, der Walchensee und der Kochelsee. Starnberger- und Ammersee, Pilsensee, Wörthsee und Weßlinger See bilden zusammen das „Fünf-Seen-Land“. Über das umfangreichste Wasservolumen verfügt der Starnberger See. Die größte Wasserfläche beansprucht der Chiemsee – mit seinen 80,1 qkm das „Bayerische Meer“ genannt.

Vor den Endmoränen breitet sich die flache Schotterebene aus, auf der z. B. München sitzt. Die Schotterplatte geht in das tertiäre Hügelland über, das im Norden vom Donautal begrenzt wird. Natur- und kulturräumlich zeichnet sich das „Land vor den Bergen“ durch eine pittoreske regionale Vielfalt aus. Zwischen südlichem Lechrain und Ammer finden wir z. B. den Pfaffenwinkel, der seinen Namen von den zahlreichen Klöstern (Steingaden, Rottenbuch) und Wallfahrtskirchen (Wieskirche) erhalten hat. Hinter Dachau breitet sich das Holzland aus, benannt nach den Nutzwäldern, die dort angelegt worden sind. Eine eigentümliche Landschaft ist die Hallertau, die sich über ober- und niederbayerisches Gebiet gleichermaßen erstreckt. Sie wird vom Hopfenanbau geprägt. Das breite Donaumoos war bis zur Kolonisation im 19. Jahrhundert eine sumpfige, häufig überflutete und gemiedene Gegend. Dasselbe gilt auch für das Erdinger Moos, das erst im vergangenen Jahrhundert erschlossen worden ist.

Am Gebirgsrand bildete das Werdenfelser Land mit Garmisch bis ins 18. Jahrhundert ein eigenes, dem Fürstbistum Freising unterstehendes politisches Territorium. Aus dem Isarwinkel mit Bad Tölz, Lenggries und dem Seitental der Jachenau wurden bis vor 200 Jahren Baumstämme in großen Mengen geflößt. Eine eigene Kulturlandschaft bildet das Tegernseer Tal. Ursprünglich war es klösterlich-benediktinisch bestimmt. Im 19. Jahrhundert setzte hier der Tourismus ein. Das Rosenheimer Becken ist seit jeher eine Verkehrslandschaft, in welcher sich die großen West-Ost und Süd-Nord-Verbindungen Südbayerns kreuzen. Östlich des Inn breitet sich zu Füßen der Berge der Chiemgau aus, der als karolingische Gaugrafschaft und später als eigenes Bistum lange Zeit zwischen Salzburg und Bayern lavierte. Der Rupertiwinkel in der Salzachniederung weist schon mit seinem Namen, den er vom salzburgischen Kirchenpatron erhalten hat, unmissverständlich auf seine historische Zugehörigkeit zu Salzburg hin.

Kelten, Römer, Bajuwaren

Räter und Kelten

Auch wenn Oberbayern erst mit der wittelsbachischen Herrschaftsteilung Mitte des 13. Jahrhunderts staatliche Gestalt annimmt, so ist seine Geschichte doch weitaus älter. Antike Geschichtsschreiber erwähnen für das erste vorchristliche Jahrhundert die Namen rätischer und keltischer Stämme zwischen Lech (Licca) und Inn (Oenus). Archäologisch sind die Kelten nachweisbar in der eisenzeitlichen La Tène-Kultur, die im Alpenvorland zahlreiche Relikte hinterlassen hat. Seit 1937 wird in Manching südlich von Ingolstadt ein Oppidum, ein keltisches Stammeszentrum, ausgegraben und bis heute gibt der Boden immer wieder Erkenntnisse preis. Die Forschungen ergaben ein ausgedehntes urbanes Gemeinwesen, das sich über 380 Hektar erstreckte und von einem 7 Kilometer langen und 5 Meter hohen Wall aus Holz, Erde und Steinen umgeben war. Die meisten Funde stammen aus den drei vorchristlichen Jahrhunderten. Manching, dessen keltischer Name uns nicht überliefert worden ist, war die früheste „Stadt“ nördlich der Alpen. Eine offene Frage der Forschung ist noch das Ende der Keltenzeit, das schon um 50 v. Chr. eingesetzt hat. Innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums wurden die Oppida und Siedlungen aufgegeben und verlassen. Waren Seuchen oder Hungersnöte dafür verantwortlich? In Manching gibt es auch Anzeichen für innerkeltische Kämpfe und Zerstörungen. Als die Römer ihre Siege über die Alpen trugen, war es mit der keltischen Kultur jedenfalls schon vorbei.

Römische Ordnung

Im Jahre 15 v. Chr. besetzten römische Legionen das Land südlich der Donau. Von der Regierungszeit des Kaisers Augustus (um Christi Geburt) bis ins 5. Jahrhundert war es als Provincia Raetia ein fester Bestandteil des Römischen Imperiums. Den Namen erhielt die Provinz vom einheimischen Stamm der „Räter“. Der Inn bildete eine innerrömische Zollgrenze zur östlichen Nachbarprovinz Noricum.(Villae Rusticae)