Inhaltsverzeichnis

Zum Buch

 

5., aktualisierte Auflage

Eine auf das Wesentliche konzentrierte, unterhaltsame Darstellung der Welterbe-Stadt Regensburg von den Anfängen in der Römerzeit bis in die Gegenwart.

„Nicht nur, dass sich die Kleine Regensburger Stadtgeschichte spannend wie ein Roman liest, diese Fülle an Informationen bekommen Sie nirgends kompakter und unterhaltsamer aufbereitet als hier.“ (KULTURJOURNAL REGENSBURG)

 

 

Zum Autor

 

Matthias Freitag M. A.,
geb. 1963, studierte Geschichte und Romanistik an der Universität Regensburg. Er ist Gästeführer in Regensburg und Betreuer des Kepler-Gedächtnishauses.

Matthias Freitag

Regensburg
Kleine Stadtgeschichte

VERLAG FRIEDRICH PUSTET

REGENSBURG

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

 

eISBN 978-3-7917-6092-6 (epub)

© 2016 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg

Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg

 

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:

ISBN 978-3-7917-2372-3

 

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Informationen und Bestellungen unter verlag@pustet.de

Vorwort

Es ist ein schwieriges Unterfangen, die Geschichte Regensburgs als Ganzes zu beschreiben; manche sagen, es sei geradezu unmöglich. Der Grund dafür ist leicht zu benennen: Die Stadt ist fast 2000 Jahre alt, älter als die meisten in Deutschland; es gilt also, einen sehr langen Zeitraum zu überblicken. Hinzu kommt – und das ist das Entscheidende –, dass Regensburg in fast allen Epochen seiner Geschichte im Vergleich zu anderen Städten nicht so sehr eine typische, sondern eher eine außergewöhnliche Entwicklung durchlaufen hat, dass hier – vereinfacht ausgedrückt – mehr und Wichtigeres passiert ist als anderswo.

Nur zwei Beispiele: Im Mittelalter war Regensburg der zentrale Ort in ganz Süddeutschland, Residenzstadt der bayerischen Herzöge und der deutschen Könige und Kaiser, Bischofssitz mit einer Vielzahl kirchlicher Institutionen, Fernhandelsstadt und Wirtschaftszentrum, kurz: eine echte Metropole. Und in der frühen Neuzeit, im 17. und 18. Jahrhundert, war hier der Ort, an dem sich eine der wichtigsten Institutionen des deutschen Reichs, der „Immerwährende Reichstag“, aufhielt, mit Dutzenden von Gesandten aus aller Herren Länder und mit all dem Glanz, in dem sie die Stadt erstrahlen ließen. Entsprechend vielfältig und facettenreich ist die Regensburger Geschichte; entsprechend üppig fließen die historischen Quellen. Genau hier liegt das Problem. Wie kann man die Fülle des vorhandenen Materials bewältigen? Wie all die Vielfalt und all den Reichtum in einem Zug darstellen, ohne sich ins Endlose zu verlieren? Das sind die Fragen, denen sich jeder Regensburger Geschichtsschreiber stellen muss.

Vorliegende „Kleine Regensburger Stadtgeschichte“ macht schon in ihrem Titel deutlich, wie sie das aufgeworfene Problem zu lösen gedenkt. Sie weist in aller Bescheidenheit ein Prinzip von vornherein zurück: das einer vollständigen und erschöpfenden Darstellung dessen, was in Regensburg von der Gründung bis in heutige Zeiten geschehen ist. Sie will lediglich eine Zusammenfassung bieten, einen Ein- und Überblick verschaffen, eine erste Orientierung für alle, die sich mit der Geschichte der Stadt beschäftigen. Sie verzichtet deshalb auch darauf, eine unendliche Folge von Einzelereignissen und zugehörigen Jahreszahlen aneinanderzureihen; vielmehr geht es darum, längerfristige Entwicklungen aufzuzeigen, Strukturen sichtbar zu machen, die hinter den Ereignissen liegen. Letztlich – auf den Punkt gebracht – will sie Verständnis wecken für das, was Regensburg war und was es bis heute geworden ist.

Der Regensburg-Kenner wird zwangsläufig das eine oder andere vermissen, manche Namen, manche Ereignisse, manche Anekdoten vielleicht, die normalerweise zum Kernbestand dessen gezählt werden, was man von Regensburg weiß. Ganz auf Einzelheiten und Details, die die Geschichte ja oftmals auch spannend und greifbar machen, muss er aber nicht verzichten: Eine Vielzahl von ihnen – Kurzportraits berühmter Regensburger, aussagekräftige Quellenzitate, Szenen aus dem Alltagsleben und so weiter – sind als „Specials“ in den laufenden Text eingeschoben und liefern zusätzliche Informationen. Das Allgemeine und das Besondere ergänzen und vertiefen sich – das ist zumindest die Absicht, die hinter diesem Verfahren steht.

Im günstigsten Fall – so hofft und wünscht es jedenfalls der Verfasser – kann die „Kleine Regensburger Stadtgeschichte“ beim Leser vielleicht die Lust wecken, sich weiter auf Entdeckungsreise zu begeben. Damit hätte sie dann ihr wichtigstes Anliegen erreicht: etwas von der ungemeinen Faszination zu vermitteln, die von der Stadt und ihrer Geschichte ausgeht und der schon viele erlegen sind.

Kelten, Römer und Germanen: Regensburg in der Antike

Geschichtliche Anfänge dingfest zu machen, zu sagen, etwas habe zu einem bestimmten Zeitpunkt begonnen: Das gehört zu den schwierigsten Aufgaben, die sich dem Historiker stellen. Aus frühen, weit zurück und vielfach im Dunklen liegenden Zeiten fehlen oft Nachrichten und Belege; man ist auf Vermutungen angewiesen, auf Theorien und Kombinationen, die einmal mehr, einmal weniger plausibel klingen. Im Fall von Regensburg verhält es sich fundamental anders: Was den Beginn, die Gründung der Stadt angeht, sind die Dinge klar und eindeutig. Im Jahr 179 nach Christus ließ der römische Kaiser Mark Aurel hier einen befestigten Platz errichten, ein Militärlager. Seine Besatzung: eine Legion des römischen Heeres. Seine Lage: an der Donau, der Grenze des Römischen Reichs, und zwar an deren nördlichstem, das heißt: an einem strategisch besonders wichtigen Punkt. Seine Aufgabe: die Verteidigung der Grenze gegen Angriffe der feindlichen Nachbarn, der Germanen.

Woher diese Klarheit? Ganz einfach: Nachdem das Lager fertig gestellt war, installierte man über einem seiner Tore eine große steinerne Tafel mit einer Inschrift, die jedermann über den Bauherrn und die Bauzeit informierte. Diese Inschrift – ein großer Glücksfall! – ist bis heute erhalten geblieben; damit kann Regensburg sich rühmen, über die älteste „Gründungsurkunde“ einer deutschen Stadt überhaupt zu verfügen.

Anfänge

Mit dem Jahr 179 beginnt die Geschichte Regensburgs; das kann man ohne Wenn und Aber festhalten. Eine Relativierung ist aber trotzdem zu machen, oder besser: Eine Präzisierung ist vorzunehmen. Was damals beginnt, ist die Geschichte Regensburgs, nicht die Geschichte des Regensburger Raums. Sie reicht wesentlich weiter zurück in die Vergangenheit. Siedlungsspuren am nördlichsten Punkt der Donau gibt es nämlich bereits viel früher, in der Jungsteinzeit, also um 5000 vor Christus; seither brechen Funde, die Rückschlüsse zulassen auf die Existenz von kleinen Siedlungen, von Grablegen, von Schatzhorten und so weiter nicht mehr ab.

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Abb. 1: „Gründungsurkunde“ von Regensburg (Ausschnitt). Die Steintafel mit Inschrift zu den Einzelheiten der Gründung des römischen Legionslagers im Jahr 179 nach Christus befand sich ursprünglich über dessen Osttor (porta principalis dextra). – Regensburg, Historisches Museum.

Die Gründe, weshalb die Region früh und dauerhaft besiedelt wurde, liegen auf der Hand. Zum einen: die günstigen Lebensbedingungen. Das Tal der Donau bietet ein relativ angenehmes Klima; die Temperaturen sind milder als an vielen anderen, vor allem nördlich und nordöstlich gelegenen Stellen des Umlands. Auf der Südseite der Donau öffnet sich, von Westen nach Osten weiter werdend, ebenes Gelände, die so genannte „Regensburger Bucht“. Hier sind die Böden überaus fruchtbar: ideale Voraussetzungen für eine ertragreiche Landwirtschaft.

Zum anderen: Im Regensburger Raum trafen schon in vorgeschichtlicher Zeit wichtige Verkehrswege aufeinander. Man darf sich diese Wege natürlich nicht einmal ansatzweise als ausgebaute Straßen vorstellen; eher muss man an mehr oder weniger häufig begangene Pfade denken. Bemerkenswerterweise aber lassen sie sich mit etwas Phantasie sogar noch auf einem modernen Stadtplan nachziehen. Einer von ihnen führte am Südufer der Donau entlang, in gebührendem Sicherheitsabstand zum Fluss und zu dessen Überschwemmungsgebieten; heute ist das die Verbindung von der Straubinger Straße im Osten Regensburgs über die Platzfolge innerhalb der Altstadt zum Hochweg im Westen. Dort stieß der Weg auf den Bogen, den die Donau bildet; überquerte man sie, ging es im Tal der hier mündenden Naab weiter. Setzte man schon vorher, ein Stück flussabwärts, über die Donau, an einer Stelle, die man im Bereich des heutigen Eisernen Stegs lokalisiert, gelangte man auf eine Route, die direkt nach Norden führte. Ihr erster Abschnitt, der ohne Umweg und dementsprechend steil ansteigend die jenseitigen Hänge der Donau, die Winzerer Höhen, erklomm, ist in Gestalt des Schelmengrabens beinahe original erhalten geblieben; dessen tiefe Einkerbung ins Gelände zeugt deutlich von sehr langem Gebrauch. In entgegengesetzter Richtung führte dieser Weg südwärts vom Fluss weg hinauf zum Ziegetsberg; heute verlaufen hier die Kumpfmühler und die Augsburger Straße. Mit anderen Worten: Am nördlichsten Punkt der Donau existierte eine Kreuzung von vorgeschichtlichen Verkehrswegen, die aus allen vier Himmelsrichtungen zusammenkamen. Genutzt wurden sie schon damals in erster Linie von Händlern. Gewiss: Der Warenaustausch war seinerzeit nicht sonderlich intensiv, aber er überspannte bereits erstaunlich weite Distanzen. Funde belegen zum Beispiel, dass bestimmte Metalle auf der Nord-Süd-Route von Böhmen bis ins Alpenland oder auch in umgekehrter Richtung gebracht wurden.

 

HINTERGRUND

 

Regensburgs „Gründungsurkunde“

„Der Imperator Caesar (…) Marcus Aurelius Antoninus Augustus, Germanensieger, Sarmatensieger, Oberster Priester, mit Tribunengewalt zum 36. Mal, Feldherr zum neunten Mal, Konsul zum dritten Mal, Vater des Vaterlandes, und der Imperator Caesar Marcus Aurelius Commodus Antoninus Augustus, der Sarmatensieger, der allergrößte Germanensieger, des Imperators Antoninus Sohn, (…) mit Tribunengewalt zum vierten Mal, Feldherr zum zweiten Mal, Konsul zum zweiten Mal, haben die Umwehrung mit Toren und Türmen für die 3. Italische Legion, die Einträchtige, machen lassen“: Das ist – hier in gekürzter Form zitiert, aber auch so immer noch höchst eindrucksvoll klingend – der Wortlaut der „Gründungsurkunde“ von 179 (Übersetzung: Karlheinz Dietz). Nach der Römerzeit waren die Steine mit der Inschrift über Jahrhunderte hinweg zusammen mit anderem Bauschutt im Erdreich verborgen; bei Bauarbeiten im Bereich des heutigen Dachauplatzes wurden sie 1873 teilweise wiederentdeckt und um das, was fehlte, sinngemäß ergänzt. Aus der genauen Nennung der Titel von Kaiser Mark Aurel und seinem Sohn und Mitregenten Commodus ergibt sich umgerechnet die Jahreszahl 179; aus der Formulierung „Umwehrung mit Toren und Türmen für die 3. Italische Legion“ (im lateinischen Original: „vallum cum portis et turribus legioni III Italicae“) die Funktion als Militärlager.

 

Angesichts so günstiger Rahmenbedingungen wird verständlich, warum sich Menschen schon frühzeitig im Regensburger Raum angesiedelt haben. Freilich: Vom Umfang, in dem das geschah, darf man sich keine falschen, übertriebenen Vorstellungen machen. Die Siedlungen waren jeweils sehr klein und über die Landschaft verstreut; und vor allem: Es gab keinen zentralen, festen Ort, den man in irgendeiner Weise als Vorläufer der späteren Stadt Regensburg bezeichnen könnte.

Das gilt auch und insbesondere für den letzten Zeitabschnitt vor der Ankunft der Römer, den der Kelten, die etwa ab 500 vor Christus in der Region lebten. Eine keltische Stadt Regensburg hat nicht existiert: Dieser gewissermaßen negative Sachverhalt muss deshalb so ausdrücklich betont werden, weil sich vielfach immer noch die Auffassung hält, zur Zeit der Kelten habe am nördlichsten Punkt der Donau eine Großsiedlung namens „Rataspona“ bestanden. Nun hat es zwar solche keltischen Großsiedlungen, „oppida“ genannt, durchaus gegeben, einige von ihnen sogar in der näheren oder weiteren Umgebung von Regensburg, so zum Beispiel in Kelheim oder in Manching bei Ingolstadt; von ihrem Charakter her dürften sie dem, was man gemeinhin unter einer Stadt versteht, recht nahe gekommen sein, mit wehrhaften Befestigungsanlagen, mit zahlreicher Bevölkerung, mit ausdifferenzierter Gesellschaft. Nur: All das existierte im Regensburger Raum nicht; das ist jedenfalls der gesicherte Befund der Prähistoriker und Archäologen. Für die Zeit der Kelten bleibt deshalb wie für die Vor- und Frühgeschichte insgesamt festzuhalten: Kleine Siedlungen, Streusiedlungen: ja; eine zentrale Großsiedlung: nein.

 

ZEITZEUGE

 

„Die Gegend musste eine Stadt hierher locken“

Den Zusammenhang, der im Fall von Regensburg zwischen den natürlichen und naturräumlichen Voraussetzungen des Orts auf der einen und der Ansiedlung von Menschen auf der anderen Seite besteht, hat bereits Johann Wolfgang von Goethe mit klarem Blick gesehen. Er war es auch – und wer sonst sollte es sein? –, der ihn bis heute am prägnantesten in Worte gefasst hat. Von Karlsbad kommend, auf seiner „Italienischen Reise“ unterwegs in Richtung Süden, weilte er am 4. und 5. September 1786 in Regensburg und hielt, wie überall, wohin er kam, in seinem Tagebuch seine Eindrücke fest. Im Anschluss ging es weiter nach Italien, wo er sich bis Mai 1787 an verschiedenen Orten umschaute – und danach dauerte es noch einmal Jahre und Jahrzehnte, bis er schließlich, in zwei Teilen 1813 und 1817, das Ganze veröffentlichte. Es war also Zeit genug für allerlei Überarbeitungen, Stilisierungen und vielleicht auch Verklärungen. Dennoch klingt seine Bemerkung über Regensburg eher nüchtern und prägnant und deshalb besonders glaubwürdig, wenn er kurz und bündig notiert: „Regensburg liegt gar schön; die Gegend musste eine Stadt hierher locken.“ – ein Spruch, der am Ort noch heute in aller Munde ist. Der Vollständigkeit halber, und weil sie für Regensburg ein durchaus charakteristisches Bild zeichnen, seien an dieser Stelle gleich noch ein paar weitere Einlassungen Goethes zitiert: „… auch haben sich die geistlichen Herren wohl bedacht. Alles Feld um die Stadt gehört ihnen, in der Stadt steht Kirche gegen Kirche und Stift gegen Stift. Die Donau erinnert mich an den alten Main. Bei Frankfurt haben Fluss und Brücke ein besseres Ansehen“ – dem muss aus Regensburger Sicht natürlich energisch widersprochen werden! – „hier aber nimmt sich das gegenüberliegende Stadtamhof recht artig aus.“

 

 

HINTERGRUND

 

Keltenstadt „Rataspona“?

Die Theorie von der Existenz der keltischen Stadt „Rataspona“ hat sowohl bei den Forschern als auch im Bewusstsein der Regensburger über Generationen hinweg einen festen Platz behauptet; der im Grunde einzige Beleg – freilich einer, der auf den ersten Blick immer sehr überzeugend wirkt – war eben der überlieferte Name „Rataspona“. Er taucht in einer schriftlichen Quelle aus dem 8. Jahrhundert nach Christus erstmals auf; und er stammt – da sind sich die Experten einig – unzweifelhaft aus der Sprache der Kelten. Vom keltischen Namen muss man jedoch nicht zwangsläufig auf eine keltische Stadt schließen; mit „Rataspona“ kann alles mögliche bezeichnet worden sein. Etymologische Überlegungen heutiger Wissenschaftler, die das Wort auf verschiedene Weise mit „Flussufer“ in Verbindung bringen, scheinen darauf hinzudeuten, dass mit „Rataspona“ ursprünglich vielleicht eine Schiffsanlegestelle an der Donau bezeichnet wurde, die möglicherweise im Bereich des heutigen Eisernen Stegs zu lokalisieren ist, wo wahrscheinlich eine alte Fernstraße den Fluss überquerte … Eine Theorie, die viel mit „vielleicht“, „möglicherweise“, „wahrscheinlich“ arbeitet: Sie löst sich aber jedenfalls von der irrigen Auffassung, dass aus der Existenz des Wortes „Rataspona“ zwangsläufig auch die einer Stadt „Rataspona“ folgen müsse. Bemerkenswert und letztlich nicht zu klären bleibt allerdings der merkwürdige Befund, dass just diese mysteriöse Bezeichnung die Jahrhunderte überdauert hat und zum heute noch gebräuchlichen zweiten Namen für Regensburg geworden ist: „Ratisbona“.

 

Die Römer

Viel an Vermutungen und Erschließungen ist nötig, wenn man sich mit der Vor- und Frühgeschichte des Regensburger Raums beschäftigt; wenig Konkretes ist bekannt vom Tun und Lassen der Menschen. Das ändert sich schlagartig, als die Region unter die Herrschaft der Römer gerät. Ab jetzt gibt es wesentlich mehr und besser erhaltene Funde; und es gibt – erstmals – schriftliche Zeugnisse. Ab jetzt, mithin, steht man bei der Betrachtung der Vergangenheit auf relativ festem Boden.

Es begann mit einem regelrechten Blitzkrieg: Im Jahr 15 vor Christus zogen die Römer von Italien aus gegen unbotmäßige Volksstämme im Alpenraum zu Felde; sie waren so erfolgreich, dass sie binnen Kurzem nicht nur das Gebirge selbst, sondern auch sein nördliches Vorland bis zur Donau unter ihre Kontrolle gebracht hatten. In der Folge, wie immer und überall, machten sie sich daran, das Gewonnene dauerhaft zu sichern und in ihr Reich zu integrieren. Truppen wurden stationiert, befestigte Stützpunkte angelegt, Städte gegründet, Straßen gebaut. Die Römer taten sich dabei ziemlich leicht; sie trafen auf keinerlei Widerstand. Die Kelten, die noch ein, zwei Generationen zuvor das Land beherrscht hatten, waren aufgrund heftiger innerer und äußerer Auseinandersetzungen geschwächt und geradezu dezimiert, das Land nur noch äußerst dünn besiedelt. Keine Probleme also für die Römer; das heißt aber zugleich: Sie hatten keine sonderliche Eile damit, ihre Herrschaft auch militärisch zu konsolidieren; eine ernste Bedrohung war ja nirgendwo in Sicht. Deshalb waren sie auch nicht sofort und unverzüglich bemüht, die Grenze des neu gewonnenen Gebiets an der Donau zu befestigen und zu überwachen; es ist sogar zweifelhaft, ob sie die Donau zu diesem frühen Zeitpunkt überhaupt schon als „Grenze“ definierten. Der Aufbau der neuen römischen Provinz Rätien konzentrierte sich jedenfalls mehr auf das Hinterland; der Regensburger Raum blieb von entsprechenden Aktivitäten zunächst völlig unberührt.

Im Verlauf des ersten Jahrhunderts nach Christus änderte sich das Bild allmählich. Der Anstoß dazu kam von außerhalb der Region: Die Römer scheiterten mit ihrem Versuch, die germanischen Gebiete östlich des Rheins zu unterwerfen; daraufhin gingen sie zu einer mehr defensiven Strategie über, die auf Wahrung und Sicherung des aktuellen Bestands abzielte. Jetzt rückten geografische Gegebenheiten ins Blickfeld, Linien, Barrieren, die als „natürliche Grenze“ dienen konnten; und bei der Suche danach stieß man zwangsläufig auf die beiden großen Flüsse, den Rhein und die Donau. Der eine von ihnen, der Rhein, war bereits mit einer beträchtlichen militärischen Infrastruktur versehen, mit großen Legionslagern und kleineren Stützpunkten und Beobachtungsposten dazwischen, mit Verbindungswegen und Nachschubstraßen; von hier aus hatte man schließlich jahrzehntelang die aufwändigen Feldzüge gegen die Germanen organisiert. Ähnliches wurde jetzt an der Donau nachgeholt, allerdings bei Weitem nicht in so großem Stil. Denn: Anders als am Rhein gab es hier jenseits der neuen Grenzlinie keinen Feind, der auch nur annähernd derart bedrohlich gewirkt hätte. Ganz im Gegenteil: Nördlich und nordöstlich lagen äußerst unwirtliche Gegenden, undurchdringliche Wälder, schwer passierbare Gebirgszüge; sie waren weitgehend unbewohnt und aus der Perspektive der Römer relativ ungefährlich. So konnte man sich auf kleinere militärische Grenzposten beschränken; sie dienten eher der Beobachtung als der Verteidigung – was zunächst auch völlig ausreichte.

Das erste römische Lager

Es lag nahe, dass der Blick der Römer in diesem Zusammenhang auch auf den Regensburger Raum fiel. Schließlich war die Gegend gleich in zweierlei Hinsicht interessant. Zum einen: Hier hatte die Donau, das heißt: die Grenze, ihren nördlichsten Punkt; das war von grundsätzlicher strategischer Bedeutung. Zum anderen: Hier mündeten, von Norden kommend, zwei größere Seitenflüsse in die Donau, die Naab und der Regen; hier war somit eine der wenigen Stellen, wo sich eine Lücke auftat in der natürlichen Barriere von Wald und Gebirge jenseits der Grenze. Militärisch gedacht: Wenn einmal ein Feind aus dem Norden angreifen würde, dann würde er sozusagen automatisch hierher gelenkt werden; deshalb war an diesem kritischen Ort ein Kontrollpunkt unverzichtbar.

Dass die Römer früher oder später darauf verfallen mussten, auch im Regensburger Raum aktiv zu werden, ist also offensichtlich; weniger offensichtlich ist jedoch, wann genau sie das taten. Oder besser: Ohne jeden Zweifel, mit Belegen in großer Anzahl, existierte ein militärischer Stützpunkt ungefähr ab dem Jahr 80 nach Christus; unklar ist nur, ob er einen Vorläufer hatte, der eventuell schon in die Zeit um 40 bis 50 nach Christus zu datieren wäre. Von diesem Vorgänger hat man –bisher jedenfalls – nichts Konkretes gefunden; es gab jedoch in derselben Zeit bereits Anlagen an anderen Abschnitten der Donau, so dass es nur vernünftig wäre, etwas Vergleichbares auch für den Regensburger Raum anzunehmen. Aber wie gesagt: Belegbar ist davon – noch – nichts.

Auf wirklich festem Boden steht man erst ab etwa 80 nach Christus – wobei die Metapher ganz wörtlich zu nehmen ist: Der Stützpunkt, den die Römer damals anlegten, oder jedenfalls seine Überreste sind nämlich bei archäologischen Forschungen in den 1920er-Jahren ausgegraben worden. Entsprechend klare Aussagen können deshalb gemacht werden. Der Ort: Das Militärlager befand sich nicht in der Flussebene, sondern ein Stück südwärts ins Hinterland versetzt, auf einem Hügel im heutigen Stadtteil Kumpfmühl. Die Ausmaße: Es hatte einen annähernd quadratischen Grundriss mit einer Seitenlänge von 154 mal 145 Meter. Die Bauweise: Es war umgeben von einer Umwallung in Holz-Erde-Technik, konkret: von zwei parallel verlaufenden hölzernen Palisaden, deren Zwischenraum mit Erde gefüllt war; dazu kamen, ebenfalls aus Holz, diverse Türme und, im Vorfeld, ein Graben. In einer zweiten, späteren Bauphase wurden diese Befestigungen durch eine Steinmauer mit zwei davorliegenden Gräben ersetzt. Die Besatzung: Das Lager bot Platz für eine kleinere Einheit des römischen Heeres, eine Kohorte mit einer Kampfstärke von etwa 500 Soldaten.

So weit die wichtigsten belegbaren Fakten; von ihnen ausgehend lässt sich das weitere Umfeld der Gründung relativ problemlos erschließen. Es ist anzunehmen, dass sie in eine Zeit fiel, in der die Römer nach einer Phase der Konsolidierung gegenüber den Germanen wieder aktiv wurden. In den Jahrzehnten von 70 bis 90 nach Christus begannen sie, den Landstrich zwischen den Oberläufen von Rhein und Donau zu besetzen; das half ihnen, den ungünstigen, überdehnten Grenzverlauf längs der beiden Flüsse beträchtlich abzukürzen. In die gleiche Zeit fällt ein kurzer Feldzug gegen den germanischen Volksstamm der Chatten. Dabei wurden etliche neue Stützpunkte errichtet; vor diesem Hintergrund ist auch die Gründung des Lagers von Kumpfmühl zu sehen.

Und auch die Aufgaben des Postens und der dort stationierten Soldaten zu definieren fällt nicht schwer. Von seiner Größe und seiner Bauweise her war das Lager bei Weitem zu klein, um im Fall einer massiven Attacke von jenseits der Donau tatsächlich echten Widerstand leisten zu können; vielmehr war eher an Beobachtung und Kontrolle des Feindeslands samt der Einfallsrouten potenzieller Angreifer längs der Flusstäler von Naab und Regen gedacht. Für diese Funktion war der Standort des Lagers ideal gewählt: Vom Hügel aus hatte man eine weite Sicht in Richtung Norden. Und bei Gefahr konnte man rasch Alarm schlagen: Südwärts, der vorgeschichtlichen Trasse zum Ziegetsberg hinauf und ihrer Verlängerung folgend, führte eine Militärstraße direkt nach Augsburg, der Hauptstadt der Provinz Rätien, der man zugehörte; so konnten im Verteidigungsfall rasch Nachrichten übermittelt und von dort aus geeignete Gegenmaßnahmen ergriffen werden.

Wie bei allen römischen Militärstützpunkten blieben die Soldaten nicht lang allein. Um das Lager herum siedelten sich allmählich Zivilisten an. Es kamen Handwerker und Händler, die Gebrauchsgegenstände und Lebensmittel bereitstellten; es kamen Wirte, die für das leibliche Wohl sorgten; es kamen Frauen und bald auch Kinder als Familienangehörige. (Theoretisch durfte ein Soldat während seiner Dienstzeit nicht heiraten; in der Praxis aber gab es natürlich alle möglichen Formen inoffiziellen Zusammenlebens.) Und: Viele Soldaten blieben nach dem Ende ihrer Jahre und Jahrzehnte währenden Dienstzeit am vertraut gewordenen Dienstort einfach wohnen. So entstand allmählich außerhalb der Befestigungen des Lagers ein kleines Dorf („vicus“) mit Wohnhäusern aus Holz oder aus Stein, mit Werkstätten, mit typisch römischen Badeanlagen und so weiter. Eine Keimzelle römischer Provinzkultur bildete sich – nichts Großartiges natürlich, wie man es aus den städtischen Zentren des Reichs kannte, aber auch nichts völlig Primitives und Unbedeutendes. Aus Funden kann man, immerhin, entnehmen, dass der kleine Vorposten an der Donaugrenze Güter importierte, die nicht nur dazu dienten, die einfachsten Lebensbedürfnisse zu befriedigen, sondern die auf einen gewissen bescheidenen Wohlstand schließen lassen, Erzeugnisse der Feinkeramik zum Beispiel. Solche Importe kamen übrigens von weit her, aus Frankreich, aus Italien, aus Spanien; sie belegen, dass der Handel, den man betrieb, ziemlich gut organisiert gewesen sein muss.

Vom Lager aus nordwärts bauten die Römer den uralten Weg aus, der zur Donau und einer dort möglicherweise schon seit keltischer Zeit bestehenden Schiffsanlegestelle führte. An seinem letzten Stück, im Bereich des heutigen Bismarck- und Arnulfsplatzes, entwickelte sich eine zweite zivile Siedlung, die in Ausmaß und Infrastruktur der oben auf dem Hügel sehr ähnlich war. Ihre durch zahlreiche Funde einwandfrei belegte Existenz hat zu der Überlegung Anlass gegeben, dort habe möglicherweise ein weiteres Lager bestanden. Von ihm sind zwar bisher keine konkreten Überreste gefunden worden; im Vergleich mit anderen römischen Grenzorten kommt man jedoch zu bemerkenswerten Ergebnissen. Erstens: An keiner Stelle der Grenze gab es eine Zivilsiedlung ohne zugehöriges, unmittelbar benachbartes Lager. Zweitens: An manchen Stellen der Grenze gab es nicht Einzel-, sondern Doppellager, und zwar an denen, die strategisch gesehen besonders exponiert waren. Beides spricht eigentlich dafür, dass man auch im Regensburger Raum angesichts von zwei Zivilsiedlungen auf zwei Lager, mit zwei Kohorten, die in ihnen stationiert waren, schließen kann oder muss. Eine Theorie, die in jüngster Zeit durch einzelne bruchstückhafte Funde an Plausibilität gewonnen hat; allerdings fehlen ihr immer noch konkrete und stringente archäologische Beweise.

Das zweite römische Lager

Knapp 100 Jahre lang blieben die Römer – Soldaten wie Zivilisten – in ihrer Stellung ungestört; dann brach das Unheil über sie herein. Weniger dramatisch ausgedrückt: Es geschah exakt das, weswegen die Truppen eigentlich stationiert waren – allerdings in einem Ausmaß, das ihre Kräfte schlicht überforderte. Die Germanen kamen, genauer gesagt: die Markomannen, ein Volksstamm, der in Böhmen beheimatet war. Sie durchbrachen um 170 nach Christus in großer Zahl und auf breiter Front die Donaugrenze. Die Römer hatten ihnen zunächst nicht viel entgegenzusetzen. Ihre Truppen waren durch einen jahrelangen Krieg, den sie im Osten des Reichs hatten führen müssen, geschwächt; außerdem wütete allenthalben eine schwere Pest, der die Menschen in großer Zahl zum Opfer fielen. Die Markomannen nutzten die Gunst der Stunde: Über die mittlere Donau fielen sie auf römisches Gebiet ein und drangen zeitweise bis nach Oberitalien vor. Ein Teil von ihnen wählte eine andere Route: Von ihrer Heimat in Böhmen aus folgten sie dem Tal des Regen und stießen in den Regensburger Raum vor – exakt nach dem Szenario, wie es die römischen Militärstrategen für den Ernstfall vorausgesehen hatten. Die Angreifer waren jedoch viel stärker als erwartet. Sie überwältigten die römischen Truppen; sämtliche Lager an dem Grenzabschnitt zwischen Eining flussaufwärts und Straubing flussabwärts von Regensburg wurden vollständig zerstört, und zusammen mit ihnen natürlich auch die bestehenden Zivilsiedlungen. In Feuer und Rauch ging der erste Abschnitt römischer Anwesenheit im Regensburger Raum zu Ende.

 

HINTERGRUND

 

Der Römerschatz von Kumpfmühl