Zum Buch

 

Von der welfischen Landstadt des Mittelalters, die 1636 Residenzstadt wurde, über den rasanten Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Rolle als Verkehrs- und Wirtschaftsmittelpunkt Niedersachsens und Gastgeberin von EXPO 2000 und CeBit: In kurzgefasster Übersichtlichkeit bietet die Kleine Stadtgeschichte Hannovers die Entwicklung der niedersächsischen Landeshauptstadt von den Anfängen bis zur Gegenwart.

Die historisch fundierte und zugleich kurzweilige Darstellung eignet sich bestens für die Bürger und zahlreichen Besucher der Stadt!

 

 

Zum Autor

 

Waldemar R. Röhrbein (1935–2014),
Dr. phil., studierte Geschichte, Anglistik, Pädagogik und Philosophie. Er war 1967–76 Leiter des Städt. Museums Göttingen, 1976–97 Direktor des Hist. Museums Hannover und 1995–97 auch des Kestner-Museums Hannover.

Waldmar R. Röhrbein

Hannover
Kleine Stadtgeschichte

VERLAG FRIEDRICH PUSTET

REGENSBURG

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

eISBN 978-3-7917-6066-7 (epub)

© 2015 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg

Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg

 

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:

ISBN 978-3-7917-2720-2

 

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Informationen und Bestellungen unter verlag@pustet.de

Vorbemerkung

Auch die »Kleine Stadtgeschichte Hannovers« beginnt mit Anfängen, die, wie bei den meisten Städten, irgendwo im Dunkeln liegen, und sie endet in der Gegenwart. In diesem sehr langen Zeitraum ist vieles geschehen, was die Geschichte der Stadt auf unterschiedliche Weise beeinflusst hat.

Mit einem Wunderbericht tritt Hannover friedlich in die geschriebene Geschichte ein. Und, abgesehen von den etwas heftigeren Vorgängen bei der Einführung der Reformation, scheinen die Hannoveraner radikalere Umstürze aufgrund ihres eher nüchtern abwägenden Wesens nicht sonderlich geschätzt zu haben. Die Revolutionen von 1848 und 1918 beweisen es. Auch die Machtübernahme auf dem Rathaus war 1933 zunächst nur ein halber Erfolg.

Die »Kleine Stadtgeschichte« muss, wie der Name sagt, aus der Fülle der Geschehnisse zwangsläufig auswählen und sich beim Mitteilenswerten hier und da zurückhalten. Sie soll schnell, aber anders als ein Stadtlexikon, in zeitlichen und thematischen Zusammenhängen informieren und die wichtigsten Ereignisse und Personen vorführen. Grafen, Herzöge, Kurfürsten und Könige haben der Stadt als Stadtherren und dann als Landesherren vielfach die Richtung politischen Handelns vorgegeben, 123 Jahre von London aus, ohne dass Hannover, wie gelegentlich behauptet wird, ein »Klein Engeland« geworden wäre. Im hohen und späten Mittelalter trat das alte ständisch gegliederte Stadtbürgertum gegen den Stadtherrn an, im konstitutionellen Staat des 19. Jahrhunderts emanzipierte sich das Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum, das, zunächst politisch nur beschränkt handlungsmächtig, die beschauliche Residenzstadt Hannover zum Wirtschafts- und Verkehrszentrum des niedersächsischen Raumes entwickelte.

Die Stadt, von 1636 bis 1866 Hauptstadt eines Fürstenstaates, dann einer Provinz und seit 1946 des demokratisch verfassten Landes Niedersachsen, kam zu Weltruhm, als auf Druck der britischen Militärregierung 1947 eine Exportmesse in Hannover ihre Tore öffnete, die heute als CeBIT und Hannover Messe für Investitionsgüter die weltgrößten Foren ihrer Art sind. Und schließlich fand 2000 die erste Weltausstellung auf deutschem Boden in Hannover statt.

Außerdem tragen Orte in vielen Ländern rund um den Globus den Namen Hannover oder in der englischen Schreibweise »Hanover«: in Südafrika, Chile, auf Jamaika, sogar auf dem Bismarck-Archipel in Neu-Guinea und allein 63 Mal in den USA und Kanada.

Was könnte besser dazu passen als Kurt Schwitters’ Wortspiel mit dem Namen Hannover? Er las ihn von hinten und erhielt, wie er 1920 schrieb: »die Zusammenstellung dreier Worte: ›re von nah‹. Das Wort ›re‹ kann man verschieden übersetzen: ›rückwärts‹ oder ›zurück‹. Ich schlage die Übersetzung ›rückwärts‹ vor. Dann ergibt sich also als Übersetzung des Wortes Hannover von hinten: ›Rückwärts von nah‹. Und das stimmt insofern, als dann die Übersetzung des Wortes Hannover von vorn lauten würde: ›Vorwärts nach weit‹. Das heißt also: Hannover strebt vorwärts, und zwar ins Unermessliche.« (Rischbieter II, S. 236)

Von all diesem und natürlich einigem mehr wird im vorliegenden Band berichtet.

Hannover, im Sommer 2012
Waldemar R. Röhrbein

Hannover, eine welfische Landstadt

Eine günstige geografische Lage

Entstehung und Entwicklung der Stadt Hannover sind auf das Engste mit der Beschaffenheit der sie umgebenden und sie tragenden Landschaft verbunden. Links der Leine bildete sich infolge von Aufwehungen während und nach der Weichseleiszeit die Lösslandschaft des Bergvorlandes, rechts, auf der von der Leine berührten Niederterrasse, führten nachweichseleiszeitliche Trockenwinde auf dem Geestrücken zur Anhäufung längst abgetragener Sanddünen. Nach der letzten Eiszeit, der so genannten Weichsel- oder Würmeiszeit (ca. 115 000–10 000 v. Chr.), deren Eisschichten unseren Raum nicht mehr erreichten, änderte die Leine offenbar ihren Lauf. Sie floss nicht weiter in nördlicher Richtung in das Wietzetal, sondern wurde nach Nordwesten abgelenkt. Die Niederterrasse fällt zur Leine hin ziemlich steil ab, im Osten zur Eilenriede-Niederung nur ganz allmählich. In diesen landschaftlichen Gegebenheiten liegen die Voraussetzungen für die Entstehung der Stadt Hannover. Der Geestrücken war flussnah, aber hochwasserfrei und flachhügelig. Ihm war ein durch einen Leinearm abgetrennter Werder vorgelagert, dem sich ein Sporn des Lindener Berges so weit näherte, dass er die sonst 1,5–2 km breite Flussaue, die von zahlreichen Leinearmen durchzogen wurde, hier bis auf 500 m einengte. Die damit gegebene günstige Gelegenheit, Leinetal und Leine zu queren, was weder flussauf noch flussab auf weite Strecken möglich war, erwies sich verkehrstechnisch als der Hauptgrund für die Entstehung der Stadt Hannover.

Ur- und frühgeschichtliche Funde aus allen Stadtteilen

Die Archäologen haben innerhalb der heutigen Stadtgrenzen für eine Vielzahl von Plätzen sowohl Einzel- als auch Grab- und Siedlungsfunde aus allen Zeiträumen der Ur- und Frühgeschichte von der Steinzeit bis ins hohe Mittelalter nachweisen können. Daraus kann geschlossen werden, dass innerhalb des heutigen Stadtgebietes seit frühester Zeit Aufenthaltsorte, später Siedlungen bestanden, ohne dass immer von deren Kontinuität ausgegangen werden kann. Nach dem Sesshaftwerden der Menschen mit Ackerbau und Viehwirtschaft während des Neolithikums (ca. 5000–1800 v. Chr. ), das sich im Raum Hannover auf den Lössböden links der Leine um 4000 v. Chr., auf den weniger günstigen Lagen der Geestrücken rechts der Leine ab etwa 2500 v. Chr. vollzog, begann auch hier die sich schrittweise bis ins 18. Jahrhundert hinziehende Umwandlung der Naturlandschaft zur Kulturlandschaft. Keramikscherben aus der Bronzezeit (2000–ca. 700 v. Chr.) sowie Metallfunde aus der römischen Kaiserzeit (1.–3. Jh. n. Chr.) deuten auf weiträumige Beziehungen des als Durchgangslandschaft geltenden hiesigen Raumes hin, der damals zum Stammesgebiet der Cherusker gehörte.

 

HINTERGRUND

 

Hannover = Tulifurdum?

Die 2010 unter dem Titel »Germania und die Insel Thule« erschienene Entschlüsselung von Ptolemaios’ »Atlas der Oikumene« könnte nahelegen, eine darin genannte Siedlung Tulifurdum mit einer frühen Siedlung am hannoverschen Leineübergang in Verbindung zu bringen. Trotz der ermittelten großen Annäherungswerte zwischen den transformierten ptolemaiosschen und den modernen geographischen Koordinaten und der Möglichkeit, den Namensbestandteil furdum als jene Furt zu deuten, mittels der bei Hannover die Leine gequert werden konnte, bleiben erhebliche Zweifel bestehen.

 

Ein Mädchen aus dem vico hanovere

Die Anfangsphase der Stadtwerdung liegt in der für Hannover noch weitgehend schriftlosen Zeit des 9. bis 12. Jahrhunderts, so dass sich die Geschichtsschreibung trotz der zwischen 1948 und 1961 durch Helmut Plath vorgenommenen Ausgrabungen und Auswertungen sowie späterer Fundinterpretationen teils auf gewagte Hypothesen stützt. Als Mitte des 12. Jahrhunderts die »Miraculi Sancti Bernwardi« von einem Mädchen aus dem vico hanovere, also dem Dorf Hannover, berichten, das am Grabe des Hildesheimer Bischofs Bernward (um 960–1022, Bischof seit 993) Heilung von einem Augenleiden erfahren habe – eine Ersterwähnung Hannovers, die friedlicher nicht sein konnte – muss wohl eine Art Marktsiedlung vorhanden gewesen sein. Diese Annahme wird etwa um die gleiche Zeit von dem Reisebericht eines isländischen Abtes gestützt, der das damalige Hannover hanabruinborgar nennt. Mit dem Marktort, von dem beide, wenn auch nur in späteren Abschriften überlieferte Nennungen sprechen, dürfte wahrscheinlich die von Graf Hildebold von Roden zwischen 1124 und 1141 zusammen mit der Georgskirche angelegte Marktsiedlung gemeint sein.

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Abb. 1: Ein Mädchen aus dem vico hanovere am Grab des Heiligen Bernward von Hildesheim. – Relief am Neuen Rathaus.

Auf die beiden genannten Erwähnungen Hannovers als Marktort folgte 1163 die erste urkundliche Nennung des Namens hanovere in einer Urkunde Heinrichs des Löwen, der hier einen Hoftag abhielt. Heinrich der Löwe wird für diese Zeit auch als Gründer der romanischen Aegidienkirche sowie der in ihrer Umgebung entstehenden und mit einer ersten Befestigung versehenen Siedlung angenommen. Dass in dieser Siedlung das in den Grenzbeschreibungen für das Bistum Hildesheim am Anfang des 11. Jahrhunderts genannte und in der älteren Literatur als Siedlung gedeutete tigisflehe aufging, ist in der Forschung umstritten. Das Zusammenwachsen dieser Aegidiensiedlung mit der Marktsiedlung und der Siedlung im Bereich des Herren- oder Wirtschaftshofes in der Nähe des Leineüberganges dürfte in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts vollendet gewesen sein. Das bedeutet: Hannover ist keine durch einen einmaligen Akt gegründete, sondern eine allmählich gewachsene Stadt. Diese entstehende Stadt hatte König Heinrich VI. in seinem Kampf gegen die Welfen 1189 niedergebrannt, nachdem er die kurz vorher in der Leinemasch bei Limmer von den Grafen von Roden, den Lehnsmannen Heinrichs des Löwen, erbaute Turmburg vergeblich belagert hatte. In den über die Zerstörung Hannovers berichtenden »Annales Steterburgenses« wurde Hannover von deren Verfasser, dem Abt Gerhard von Steterburg, zum ersten Mal als civitas, als Stadt, bezeichnet.

 

HINTERGRUND

 

 

Die Grafen von Roden waren offenbar Anfang des 12. Jahrhunderts von Lothar von Süpplingenburg, Herzog von Sachsen, Großvater Heinrichs des Löwen, als Untergrafen in dem von der östlich des Aegidientores in Richtung zur Wietze verlaufenden Grenze des Bistums Hildesheim bis in den Raum des Steinhuder Meeres reichenden Marstemgau eingesetzt worden. Zu diesem gehörte auch Hannover. Mitte des 12. Jahrhunderts scheint Heinrich der Löwe das Lehnsverhältnis erneuert zu haben.

 

Die Grafen von Roden: Klostergründer, Burgenbauer, Stadtherren

Nachdem Graf Konrad I. von Roden 1196 nordwestlich der Stadt auf einer nicht mehr zu erkennenden Leineinsel das Monasterium Sanctae Mariae in Werdere, das Kloster Marienwerder, gegründet hatte, dessen Kirche in ihren romanischen Teilen der älteste Sakralbau Hannovers ist, wird sein Sohn Konrad II. vor 1215 als Bauherr der Burg Lauenrode auf dem linken Leineufer gegenüber dem damaligen Westausgang Hannovers vermutet. Nach anderen Annahmen soll Pfalzgraf Heinrich, der Sohn Heinrichs des Löwen, der Bauherr gewesen sein. Konrad III. von Roden verkaufte offenbar zwischen 1227 und 1239, seinem Todesjahr, als Stadtherr der Siedlung hanovere das Recht der Selbstverwaltung durch consules (Ratsherren) und zur Führung eines Siegels. Schriftliche Überlieferungen dieser Rechtsakte sind genauso wenig bekannt wie zu dem möglicherweise in diesen Jahren erfolgenden Bau des ersten Rathauses. Die unumschränkte Herrschaft Konrads III. hatte ein Ende gefunden, als Otto das Kind, Neffe und Erbe des Pfalzgrafen Heinrich, 1235 seine dem Kaiser übertragenen Eigengüter als Fahnenlehen zurückerhalten hatte und als Herzog zu Braunschweig und Lüneburg in den Reichsfürstenstand erhoben wurde. Er zog die Stadt Hannover 1241 als welfisches Lehen wieder ein und wurde selbst Stadtherr.

1241: Hannover wird welfische Landstadt

Die als Folge dieser politischen Veränderung ausgestellte Urkunde vom 26. Juni 1241 – die älteste, in zwei Fassungen vorliegende Urkunde des Stadtarchivs – machte Hannover zu einer welfischen Landstadt. Sie bezeichnete Hannover zum ersten Mal offiziell als civitas, war aber keine Stadtrechtsverleihungsurkunde im eigentlichen Sinn, sondern enthielt die Bestätigung älterer Rechte und die Verleihung neuer Privilegien. Der Herzog versprach, die vorhandenen städtischen Rechte zu achten, zu verbessern und zu mehren. Die Aufsicht über die Stadt und die Zivil- und Strafgerichtsbarkeit lagen in den Händen des den herzoglichen Stadtherrn vertretenden Vogtes (advocatus). Ihm war der Worthzins, eine Grundbesitzabgabe, zu leisten, denn der Stadtherr hatte nach altem Recht das Obereigentum am Grund und Boden, auf dem sich die Stadt entwickelte.

hanovere, honovere, Hannover und die Deutung des Namens

Ursprung und Deutung des im 12. Jahrhundert sogleich in zwei Schreibvarianten vorkommenden Namens der Stadt sind bis heute ebenso umstritten wie deren Entstehungsgeschichte. Zuerst zwar als hanovere überliefert, benutzte ihn die Urkunde von 1241 wie auch das Siegel an einer Urkunde von 1266 als honovere. Abgelöst wurde diese Schreibweise erst durch den nachreformatorischen Rat, der 1534 – wieder zuerst in einem Siegel – die Schreibweise Hannover einführte, die sich dann bis 1600 durchgesetzt hatte.

Schwieriger gestaltet sich offenbar die Deutung des Stadtnamens. Als man im 15./16. Jahrhundert dieser Frage nachzugehen begann, leitete man den Namen der Stadt übereinstimmend von ihrer Lage am hohen Ufer der Leine ab. Dieser Interpretation folgte auch Gottfried Wilhelm Leibniz, der 1704 lakonisch feststellte: »C’est Honovere alta ripa« (Honovere ist hohes Ufer). Erst als Helmut Plath 1955 mit seinen Ausgrabungen die gegen Ende der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts vorgenommenen Aufschüttungen des hohen Ufers bestätigte und auf eine ursprüngliche Uferhöhe von etwa drei Metern kam, setzten neue Namensdeutungen ein. Plath selbst bot 1984 mit aller Vorsicht die Interpretation »Anhöhe oder Ufer am Schilf«. Bodo Dringenberg sah 1999 nach ebenso subtilen Untersuchungen in der Namensform hanovere einen »hagan«, einen eingefriedeten, leicht befestigten Herrenhof auf einem »over«, einem erhöhten Rand, dem Geestrand über dem Uferbereich der Leine, womit nur der Wirtschaftshof auf dem Gelände des heutigen Ballhofplatzes gemeint sein könnte.

Wappen, Siegel und Farben der Stadt

Die älteste Wappendarstellung für Hannover ist dem einer Urkunde aus dem Jahre 1266 anhängenden Siegel zu entnehmen. Mit Mauer, Türmen und Tor symbolisiert es die Stadt, mit dem heraldisch nach links schreitenden Löwen den welfischen Stadtherrn. Neben diesem im Siegel verwendeten Wappenbild kam als »teken« (Zeichen) oder Gemerke auf Münzprägungen des 14. Jahrhunderts eine dreiblättrige Blüte mit herausgehobenem Fruchtboden auf, wie sie auch im Wappenschild auf dem Tonfries von 1413 am Alten Rathaus zu sehen ist. Mal trat diese Blüte mit Fruchtboden als Margenblomeken, Marienblume, mal ohne diesen als Kleverblad auf und gelangte als solches, wie ein Siegel aus dem Jahr 1534 beweist, in das offene Mauertor des Wappens und setzte sich damit als Kleeblatt durch. Zugleich änderte der welfische Löwe seine Schrittrichtung nach heraldisch rechts. Ihre heute verbindliche Fassung erhielten Wappen und Siegel 1929 durch den Grafiker Wilhelm Metzig.

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Abb. 2: Das Stadtsiegel Hannovers von 1266. – Siegel aus dem Urkundenbuch der Stadt Hannover.

Hinsichtlich der Stadtfarben verfügte der Magistrat erst 1893, dass zur Beflaggung städtischer Gebäude statt der bisher im Rückgriff auf die bereits 1613 bei der Huldigung für Herzog Friedrich Ulrich geführten Farben Rot-Gelb-Grün-Weiß nur noch Rot-Weiß verwendet werden sollte. Heute zeigen diese Stadtfahnen mittig auch das Stadtwappen in der Fassung von 1929.

Wie sich die junge Stadt regierte und verwaltete

Aus dem Bereich der Verfassung und Verwaltung der Stadt hatte die Urkunde von 1241 Ratsherren (consules), einen burmester (magister civium) als Marktvogt, sowie Handwerksmeister (magistri artium manualium) genannt, dazu den Vogt (advocatus), der die stadtherrliche Gewalt ausübte. Doch bis Ende des 14. Jahrhunderts hatte die Stadt in einer Zeit des schwächer werdenden Landesfürstentums in ihrer vom kontinuierlichen Streben nach Autonomie bestimmten Außenpolitik, wie andere Städte auch, die meisten Zuständigkeiten des Stadtherrn verliehen bekommen, erwerben können oder sich erstritten. Darunter bereits 1297 das Zugeständnis des Herzogs, niemanden zu belangen, der für sich und seine Habe in der Stadt Zuflucht gesucht hatte. »Stadtluft macht frei« galt fortan auch für Hannover. 1322/1438 erlangte die Stadt das einträgliche Münzrecht und 1348 mit dem Worthzins eine weitere wichtige Geldquelle. Die Ratsherren traten als consules in Honovere erstmals 1255 in Erscheinung. Damals waren es zehn. 1448 wurde ihre Zahl auf zwölf festgelegt: je vier Vertreter der Kaufmannschaft, der großen Ämter, andernorts Gilden, Innungen oder Zünfte geheißen, und zwar je ein Vertreter der Bäcker, Knochenhauer, Schuhmacher und Schmiede sowie vier Vertreter der Meinheit, jener Bürger, die zwar brauberechtigt aber nicht zunftgebunden waren, also weder zur Kaufmannschaft noch zu Ämtern gehörten. Bis in die Reformationszeit bildeten 12 Ratsherren, aus deren Mitte die 1358 zum ersten Mal genannten borgermester bestimmt wurden, sowie vier Geschworene das bürgerliche Stadtregiment im eigentlichen Sinn.

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Abb. 3: Ansicht des Alten Rathauses. – Lithografie von Wilhelm Kretschmer, um 1850.

 

HINTERGRUND

 

Erwerb des Bürgerrechts

Bürger konnte seit dem Mittelalter nur sein, wer das Bürgerrecht besaß. Dessen Erwerb setzte ehrliche Geburt, Grund- und Hausbesitz oder die Entrichtung eines Bürger(gewinn)geldes und die Ableistung des Bürgereides voraus. Ein Teil der Einwohnerschaft – Dienstboten, Hörige, Dirnen, Bettler, Aussätzige, die unehrlichen Berufe u. a. – blieben vom Bürgerrecht generell ausgeschlossen, waren aber im Gegensatz zu Adel, Geistlichkeit und Juden gleichwohl dem Stadtrecht unterworfen. Die Inquilinen, so genannte Mitwohner, (u. a. Gewerbetreibende außerhalb der Ämter, Tagelöhner etc.) besaßen kein vollwertiges Bürgerrecht.

 

Ein langer Krieg, ein Großes Privileg und die Sate

Der Rat vertrat die Stadt trotz des neben ihm agierenden Vogtes auch nach außen und betrieb in der großen Zeit der mittelalterlichen Städte im 14. und 15. Jahrhundert eine intensive Außenpolitik. In einer für das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg insgesamt krisenhaften Entwicklung vor und während des sich von 1371 bis 1388 hinziehenden Lüneburger Erbfolgekrieges engagierte sich Hannover in der Regel immer auf der Seite derjenigen Fürsten, von denen im Augenblick die meisten Vorteile zu erwarten waren, seien es die Welfen, seien es die Askanier, die Herzöge von Sachsen-Wittenberg.

Von den Askaniern, die Kaiser Karl IV. 1369 mit dem Fürstentum Lüneburg belehnt hatte, zu dem auch Hannover gehörte, erlangte die Stadt das Große Privileg von 1371, »welches das fürnehmste ist unter allen«. Es brachte der Stadt diverse Zugeständnisse, darunter die Bestätigung sämtlicher älterer Rechte, die Überlassung der Burg Lauenrode mit dem Recht, diese abzubrechen, was die Stadt auch sofort tat, weiterhin verschiedene herzogliche Grundstücke zum Ausbau der Stadtbefestigung sowie die Verfügungsgewalt über stadtnahe herzogliche Mühlen. Mit der Genehmigung, die in diesem Privileg erstmals urkundlich erwähnte Eilenriede zu erweitern, wurde diese als stadthannoverscher Wald anerkannt.

Die Hauptbedeutung des Großen Privilegs lag darin, dass die Stadt fortan selbstständig über den Umfang ihrer Befestigung wie über die Gestaltung auch ihrer unmittelbaren Umgebung entscheiden konnte. Als Folge des Krieges gelang es den Rittern und den großen Städten des Fürstentums, von den welfischen Herzögen Friedrich und Bernhard I. gegen Zahlungen die so genannte Sate (Satzung) zu erlangen, die sie in Fragen der Finanzen, des Krieges und Friedens zu Partnern der Landesherren machte. Im Sateausschuss stellten die Ritterschaft acht, die Stadt Lüneburg vier und die Städte Hannover und Uelzen je zwei Vertreter. Damit war die Stadt Hannover von Anfang an beteiligt an der Bildung der frühen landständischen Kräfte.

Mit anderen Städten im Bunde

Die große Zeit der Außenpolitik und Städtebündnisse begann erst, als auch die welfischen Städte nach dem Lüneburger Erbfolgekrieg, allmählich auf dem Höhepunkt ihrer Macht, die Landfriedenswahrung selbst in die Hand zu nehmen begannen. Die diesen Bündnissen wohl seit Ende des 14. Jahrhunderts zugrunde gelegten Matrikel über die zu stellenden gewapenden (Bewaffneten) oder die aufzubringenden Gelder führten Hannover immer erst im letzten Viertel der teilnehmenden Städte auf. Politische Bedeutung, Wirtschaftskraft und Verteidigungsfähigkeit der Stadt an der Leine wurden trotz aller Rührigkeit offenbar nicht besonders hoch eingeschätzt. So hielten auch Hannovers verbesserte Befestigungsanlagen Herzog Heinrich den Älteren von Braunschweig-Wolfenbüttel, wozu Hannover seit der Erbteilung von 1409 gehörte, nicht davon ab, die Stadt zweimal zu überfallen: 1486 zerstörte er den Döhrener Turm und die alte Ratsziegelei. Sein Plan, die Stadt aus Rache für ihr mit fünf anderen Städten gegen ihn geschlossenes Verteidigungsbündnis im Morgengrauen des 24. November 1490 zu erobern, scheiterte allerdings an der Wachsamkeit des Bürgers Cord Borgentrick.

 

BIOGRAFIE

 

Cord Borgentrick

Der Herzog hatte seine Krieger vor dem Aegidientor hinter Hecken und Häusern und auf zahlreichen mit Leinwand überspannten Frachtwagen verborgen, um mit diesen morgens, wenn die Stadttore geöffnet wurden, in die Stadt hineinzufahren und sie zu besetzen. Dem Ölschläger und Bürger Cord Borgentrick, der, spät von einer Tour über Land zurückkehrend, vor verschlossenen Toren gestanden und in der Marienkapelle vor dem Aegidientor übernachtet hatte, waren bei Mondschein blinkende Helme und Rüstungen aufgefallen, dazu Waffengeklirr und unterdrückte Geräusche. Er alarmierte den Wächter auf dem Turm hinter dem Marienroder Hof – der Turmstumpf ist als Borgentrickturm im heutigen Gebäude der Volkshochschule erhalten –, worauf dieser die Nachricht an die Torwache weitergab, so dass die Tore geschlossen blieben.

 

Hanse und Handel

Frühe Handelsverbindungen hannoverscher Kaufleute zu entfernteren Räumen bestanden bereits seit dem 13. Jahrhundert durch Verbindungen zu der so genannten Kaufleutehanse. Nach dem Zusammenschluss der »Stede van der dudeschen Hanse« wurde Hannover wohl Mitte des 14. Jahrhunderts auch Mitglied dieser Städtehanse. Zu deren verbindenden Elementen gehörte bis zu ihrem Niedergang Anfang des 17. Jahrhunderts auch die mittelniederdeutsche Sprache. Allerdings zählte Hannover nie zu den bedeutenden Hansestädten. Zudem beteiligte sich die Stadt offenbar immer nur soweit wie erforderlich und soweit Nutzen dabei heraussprang. Wann die Stadt das Interesse an dieser einmaligen mittelalterlichen Handelsorganisation des niederdeutschen Raumes verlor, ist ebenso wenig genau festzustellen wie das Jahr ihres Beitritts zur Hanse. Aber noch heute verkörpern die beiden bedeutendsten mittelalterlichen Monumentalbauten der Stadt, das Alte Rathaus und die Marktkirche, das auf den Marktplatz ausgerichtete typische Bauprogramm der hansischen Backsteingotik.

Für die Wirtschaft der Stadt, die keine Ackerbürgerstadt war, stand der Fernhandel obenan. Eigene Produkte, die zu Exportschlagern hätten werden können, gab es hier nur sehr wenig. Als typisch hannoversches Erzeugnis durfte aufgrund eines herzoglichen Privilegs von 1322, in dem zum ersten Mal das Bierbrauen als Zweig der Stadtwirtschaft in Erscheinung trat, hannoversches Bier ausgeführt werden.

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Abb. 4: Der Broyhan-Taler, Brauzeichen der Hannoverschen Brauergilde. – Kupfermünze, 1546.

 

HINTERGRUND

 

Broyhan-Bier und Broyhan-Taler

Ihren großen Aufschwung erfuhr die Brauwirtschaft jedoch erst, als der hannoversche Brauknecht Cord Broyhan 1526 ein nach ihm benanntes, nach Hamburger Art gebrautes hellbraunes, obergäriges Bier erfunden hatte. Dieses Broyhan-Bier wurde zu einem erfolgreichen Ausfuhrartikel. So konnte sich das Brauwesen im 16. Jahrhundert zu einem der führenden Gewerbezweige der Stadt entwickeln. 1546 wurde die Brauergilde zum ersten Mal erwähnt und der Broyhan-Taler, eine Marke mit dem Broyhan-teken (Zeichen), die von den Brauern vor einem Brauvorgang beim Akziseherrn der Stadt zu erwerben war, offenbar erstmalig verwendet. Sie wird in veränderter Form noch heute von der Gilde-Brauerei als Bildmarke geführt.

 

Länger als der Bierexport lief bereits der Zwischenhandel mit Erzeugnissen, die in der Umgebung aufgekauft wurden, wie Getreide von der Lössbörde, Wolle von der Geest und hannoversches Eisen, das zwischen Hannover und Celle aus dem dort anstehenden Raseneisenstein gewonnen wurde. Auf diesen weist der Ortsname Isernhagen hin.

Der Zwischenhandel vertrieb vorwiegend Produkte, die hannoversche Fernkaufleute in unterschiedlichen Gegenden Deutschlands und Europas einkauften. Besonders gute Handelsbeziehungen bestanden zu den Seestädten Lübeck und Hamburg, sehr enge zu Bremen. In Flandern und am Niederrhein wurden Tuche eingekauft; Pelze, Häute, Tran und Wachs in Nowgorod. Über Lübeck kamen Butter und Heringe aus dem südschwedischen Schonen ins Land. Auch in Bergen und Visby auf Gotland waren hannoversche Kaufleute anzutreffen. Vieh zum Weiterverkauf konnte seit 1338 in der Grafschaft Hoya aufgekauft werden.

Doch hatte der Handel mit mancherlei Beschwernissen zu kämpfen. Neben Raubrittertum und Fehden waren es vor allem die äußerst schlechten Wegeverhältnisse. Deshalb waren alle irgendwie am Handel Beteiligten daran interessiert, möglichst jeden Wasserweg nutzbar zu machen, denn selbst kleine Kähne, die nur wenig Wasser unter dem Kiel benötigten, konnten mehr der damaligen Massengüter aufnehmen als ein vierspänniger Frachtwagen. Folglich war auch die Stadt Hannover mit unterschiedlichen Maßnahmen bis hin zu Waffengewalt ständig bemüht, den für den hannoverschen Handel wichtigen Schifffahrtsweg vom städtischen Stapel (südwestlich des heutigen Königsworther Platzes) über Leine, Aller, Weser nach Bremen offen zu halten. Doch meist ohne den erwünschten Erfolg, denn der Wasserweg blieb immer wieder, teils über Jahrhunderte hinweg, unpassierbar.

Von der Ordnung der Ämter des Handwerks

Den frühesten Überblick über das in der Stadt betriebene Handwerk und zwar über dessen Ämter, deren Anzahl und Rangfolge, bietet eine Prozessionsordnung aus dem Jahre 1366. Darin hatte der Rat festgelegt, in welcher Rangfolge sich die Ämter in die Fronleichnamsprozession einzureihen hatten. An der Spitze der in der Stadt vorhandenen 16 Wirtschaftskorporationen stand der »kopmann«, die Gilde der Wandschneider, in der die begüterten Tuch- und Fernhändler zusammengeschlossen waren. Ihre Mitglieder führten mit Fackeln und Wachslichtern die Prozession an. Es folgten die vier ratsfähigen Großen Ämter der Bäcker, Knochenhauer, Schuhmacher und Schmiede, anschließend die Kleinen Ämter wie Wollenweber, Goldschmiede, Krämer, Kürschner, Hutmacher, Schrader, Steinmetze, Müller, Ölschläger, Leineweber und Bader. Die in dieser Prozessionsordnung genannten Ämter, neben denen es natürlich noch weitere nicht organisierte Berufszweige gab, hatten aufgrund des Zunftzwanges, nach dem niemand ein zünftiges Gewerbe ausüben durfte, der nicht einer Gilde oder einem Amt angehörte, einen monopolartigen Einfluss im städtischen Wirtschaftsleben.

Kirchen und Kapellen, Klöster und Klosterhöfe

Im 14. Jahrhundert muss Hannover fast durchgängig Baustelle gewesen sein. Die Vollendung der Stadtmauer zog sich bis in die zweite Hälfte des Jahrhunderts hin. Zwischen 1319 und wahrscheinlich 1388 wurde die in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts errichtete, aber erst 1238 erstmalig erwähnte St. Georgskirche durch den heutigen Bau, die Marktkirche, ersetzt, die noch während der Bauzeit einen zweiten Patron erhielt und seit 1342 St. Jacobi et Georgii heißt. 1330/33 erhielt die vom Marktkirchensprengel nördlich abgeteilte Parochie mit der Kreuzkirche ein eigenes Gotteshaus. Als dritter Sakralbau wurde die 1160/63 erbaute romanische Basilika St. Aegidien ab 1347 durch eine gotische Hallenkirche ersetzt.

Die drei Kirchen waren in ihrer Größe keineswegs denjenigen der reichen Städte Lübeck oder Lüneburg vergleichbar. Sie spiegelten das finanzielle Leistungsvermögen einer damaligen Mittelstadt wider, das dennoch beachtlich war, denn um 1350 soll die Pest etwa ein Drittel der 3500 bis 4000 Einwohner dahingerafft haben. Entweder war die Zahl der Pestopfer nicht so hoch wie immer angegeben, oder es herrschte trotz des Bevölkerungsverlustes nach wie vor eine gute wirtschaftliche Konjunktur. Allerdings wurde dem Rat der für die Marktkirche geplante Spitzturm dann doch zu teuer.

Die Gründe nannte der Senior des Geistlichen Stadtministeriums (heute Stadtsuperintendent), Pastor Georg Hilmar Ising 1695 in seiner Chronica Hannovera: »Die Bauleuthe seind muede und im Säckel kranck worden und haben den Thurm an seinen vier Giebeln und Archen best, wie sie gekunt, zugedecket, diese itzige geringe Spitze hinauffgesetzet und damit das Werck in den Schutz Gottes befohlen.«

capellaleprosorum